30 Jahre rechtspopulistische FPÖ und die Ohnmacht der Linken

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By Sebastian Reinfeldt

Im Grunde enthält dieser historische Originalbeitrag des ORFs über das Jahr 1986 wie in einer Nussschale die ganze Geschichte auf der politischen Oberfläche. Anmoderiert vom heutigen SPÖ-Europaabgeordneten Eugen Freund kommentiert ORF-Journalistin Ursula Stenzel (jetzt Politikerin der FPÖ) die Machtübernahme Jörg Haiders in der Freiheitlichen Partei FPÖ. Und Alois Mock von der ÖVP hatte einen Schwächanfall.

Gezeigt wird die Anti-Establishment-Linie des Rechtspopulismus als eine Antwort auf den organisatorischen und moralischen Zerfall des etablierten Parteiensystems und auf den Beginn der neoliberalen Modernisierung in Österreich. Und in Gestalt der Grünen sieht man die Linken in Österreich, die intern streiten und Aktionismus im Parlament betreiben.

1986: In Hainburg hatte der sozialdemokratische Innenminister Demonstranten niederprügeln lassen, die Verstaatlichte stand mit Milliardenverlusten da, der neue Strahlemann der SPÖ, Finanzminister Franz Vranitzky, war zum Kanzler bestellt worden. Und der eben gewählte Bundespräsident Kurt Waldheim saß einsam und international isoliert in der Wiener Hofburg, schreibt das Magazin Profil in ihrem Rückblick 2006 über die Umstände, die dazu geführt haben, dass die neue FPÖ-Linie unter ihrem charismatischen Führer Jörg Haider bei den Nationalratswahlen 1986 erfolgreich wurde. Aus heutiger Sicht ist der sogenannte Intertrading-Skandal um die Verstaatlichte am bedeutendesten, denn er läutete die Ära der Privatisierungen in Österreich unter der Führung der Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP ein, mit einschneidenden sozialen Konsequenzen. Auch deshalb, weil der Protest dagegen nicht von der Linken organisiert wurde – denn die beschwichtigte überwiegend -, sondern von der FPÖ.

Rechtspopulistischer Protest gegen konservative Linke

Die Intertrading wickelte damals für die verstaatlichte österreichische Öl- und Stahlindustrie in Oberösterreich und in der Steiermark ihre Geschäfte mit Staaten des Warschauer Paktes ab. Eingetauschte Handelsgüter wurden über diese Firma weiter verkauft („verwertet“) – die Gewinne sollten an die Voest-Alpine abgeführt werden.

Statt Gewinne zu machen, erzielte die Intertrading bei Baisse-Spekulationen am Ölmarkt Verluste in Höhe von mindestens 5,7 Milliarden Schilling (umgerechnet 414 Millionen Euro) und lieferte somit den Anlass, die verstaatlichte Industrie in Augenschein zu nehmen. Sie war nämlich zusätzlich ins Ölgeschäft eingestiegen und die Verantwortlichen hatten sich dabei schlicht verspekuliert. Die verstaatlichte Industrie war überdies das Beispiel für die Selbstbedienungsmentalität der Eliten des Landes. Bis zu diesem Skandal wurden die gut bezahlten Management-Positionen nämlich schlicht nach Parteienproporz vergeben. Nach dem Skandal und dem Rücktritt des gesamten Vorstands wurde auch die ÖIAG (Österreichische Industrieverwaltungs AG) neu geordnet. Im ersten betreffenden Gesetz 1986 wurde etwa festgelegt, dass die ÖIAG einen straff organisierten Industriekonzern bilden sollte; zudem wurde sie mit weitgehenden Kompetenzen ausgestattet. Die verstaatlichte Industrie war eine zentrale Stütze der österreichischen Sozialpartnerschaft und ihr wirtschaftlicher Motor in der Nachkriegszeit gewesen – und wie der AK-nahe Blog Arbeit&Wirtschaft angesichts der weiter folgenden neoliberalen Reformen meinte, sollte sie deshalb nicht mit marktwirtschaftlichen Kriterien gemessen werden. Die linke Arbeiterzeitung kommentierte den Skandal damals sogar so, dass das alles mit Parteipolitik nichts zu tun gehabt habe. Der Intertrading-Skandal sei lediglich ein normales Managementversagen gewesen.

Stabilität und Wohlstand durch sozialen Kompromiss und strukturelle Korruption

Wir haben bei diesem Beispiel eine Blaupause für die politische Auseinandersetzung mit der rechtspopulistischen FPÖ vor uns. Die österreichische Linke verteidigte ein fordistisches Sozialmodell, den sozialdemokratischen Traum der 1970er Jahre in seiner typisch österreichischen Variante der Sozialpartnerschaft, in der soziale Stabilität und Wohlstand durch einen sozialen Kompromiss samt struktureller Korruption erreicht wurde. Dieses Tauschgeschäft funktionierte nach 1986 nicht mehr, da der Kompromiss einseitig aufgekündigt worden war, und nurmehr die strukturelle Korruption übrig blieb: Selbstverständlich verloren durch den Intertrading-Skandal und die folgenden Privatisierungen Kolleginnen und Kollegen ihren Job, und aus diesem Grund demonstrierten am 16. Januar 1986 Zehntausende Arbeiterinnen und Arbeiter auf den Straßen in Linz und Leoben. Die sozialdemokratischen Redner auf den Kundgebungen hielten feurige klassenkämpferische Reden, während sie in Regierungsverantwortung das genaue Gegenteil dessen durchgesetzt haben. Somit wurde der Kompromiss real aufgekündigt. Die FPÖ unter Jörg Haider setzte genau dort an, agitierte gegen die verstaatlichte Industrie und wandelte somit den berechtigten sozialen Protest in WählerInnenstimmen für RechtspopulistInnen um. Ein Drittel der ProtestwählerInnen von 1986 waren frühere SPÖ-WählerInnen, die niemals mehr dorthin zurückgekehrt sind.

Die herrschende Linke erwies sich als strukturkonservativ; das Einnehmen von Positionen im Staat, im Parteipapparat der SPÖ oder in parteinahen Institutionen wurde mit linkem politischen Einfluß verwechselt. In Wahrheit darf die sozialdemokratisch orientierte Linke im Gefüge der Macht lediglich die Rolle der linken Pausenclowns spielen. Und die grüne Protestpartei verzichtete damals (so wie heute) darauf, die soziale Frage neu zu stellen, sondern konzentrierte sich auf die ökologische Frage, mit der sie ein eher bürgerliches Klientel organisiert hat. Eine zu beiden Reaktionen dissidente Linke war zu schwach und zu sektiererisch, um die Vormacht der anderen brechen zu können. Und so hatte die rechtspopulistische FPÖ freie Bahn, diejenigen Menschen zu organisieren, die aus den sozialen Übereinkünften herausfallen – und das tut sie bis heute.

Öffentliche Daseinsfürsorge als Selbstverwaltung?

Der linke Grundfehler liegt darin, dass staatlich organisiert per se als sozialer angesehen wird. Übrigens bedeutet saatlich organisiert, und das erleben wir bei der Flüchtlingspolitik in aller Brutalität, auch nicht automatisch humaner und zivilisatorischer. Es kommt dabei nicht nur auf die konkreten politischen Kräfteverhältnisse an – also wer in den staatlichen Organisationen und in der Zivilgesellschaft das Sagen hat. Was auch immer wir an Daseinsfürsorge besser öffentlichen Institutionen überlassen (weil sie nicht profitorientiert arbeiten müssen, das ist im Kern völlig richtig), müssen wir aber zugleich einer öffentlichen Kontrolle unterstellen, so dass im Endeffekt die Gesellschaft sich selber organisiert und verwaltet. Das wäre mein Ansatzpunkt für eine linke Vision des Sozialen. Und ohne eine solche Vision werden wir der FPÖ auf ewig hinterher laufen.

3 Gedanken zu „30 Jahre rechtspopulistische FPÖ und die Ohnmacht der Linken“

  1. 100% richtig.

    Der Grundfehler der Linken in Österreich ist meiner Meinung nach, den „Kampf gegen Rechts“ zu betreiben anstatt den „Kampf gegen die Politik, die den Rechten die Wähler in die Hände treibt.“
    Die Politk der SPÖ ist hauptverantwortlich für den Aufstieg der FPÖ. Die Hoffnung die SPÖ von innen heraus zu reformieren ist aussichtslos.

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  2. Was hier als links betitelt wird ist sozialdemokratisch – also bei weitem nicht links. Wer sich mit den Linken in Österreich beschäftigen will muß sich mit der KPÖ beschäftigen.
    Und da haben viele ein Problem – eben weil sie nicht links sind, sondern aus moralischen Gründen gerne wären.
    Also nette Kleinbürger mit moralischen Gewissen. Aber das ist noch lange nicht links sondern nur erbärmlich.

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