“ In Betongold kann man nicht wohnen“ – Ein Gespräch mit Andrej Holm

Foto des Autors

By wordpressadmin

Seine Ernennung zum Berliner Staatssekretär Wohnen Ende 2016 löste eine regelrechte Kampagne in den Großstadtmedien aus. Denn Andrej Holm ist links, kommt aus Wohninitiativen und war einst zu Unrecht Objekt geheimdienstlicher Beobachtungen. Überdies ist er ein ausgewiesener Wohnexperte. Also haben wir ihn nach seinem Rücktritt um ein Interview gebeten. Herausgekommen ist dabei ein spannender Vergleich zwischen den beiden Großstädten, die füreinander oft als Spiegel funktionieren. Beim Gegenüber sei alles besser, heißt es. Das Gespräch führten Christoph Ulbrich und Sebastian Reinfeldt.

 

Die Diskussion um deine Person dauert in Berlin ja immer noch an. Was ist eigentlich deine Erklärung dafür? Warum bist du für welche Leute so eine Reizfigur?

Die Debatten um meine Nominierung als Staatssekretär Wohnen hatte verschiedene Ursachen. Für die einen war eine kurzzeitige und nicht abgeschlossenen Ausbildung beim Ministerium für Staatssicherheit von 1989 bis 1990 der Beleg dafür, dass nun die alten DDR-Eliten wieder an die Macht streben. Andere wiederum sahen in der Personaldebatte eine Chance, die Regierungsfähigkeit der rot-rot-grünen Koalition in Berlin in Frage zu stellen. Eine nächste Gruppe hat sich auf meine linksradikale Vergangenheit eingeschossen. Daneben gab es die wohnungspolitische Befürchtungen, die damit verbunden waren, dass ein Vertreter der seit Jahren aktiven Mieterinitiativen nun die Regierungspolitik gestalten könnte. Für viele Aktive aus den wohnungspolitischen Protestbewegungen war ja mit meiner Ernennung als Staatssekretär die Hoffnung verbunden, einen Komplizen aus den eigenen Reihen in der Regierung zu haben. So könnte man besser Einfluss auf eine konsequente soziale Wohnungspolitik nehmen. Es wäre für Berlin eine einmalige Konstellation gewesen, den oft versprochenen Bewegungsbezug von linken Regierungsparteien in eine echte Kollaborationspraxis zu überführen. Das haben die Lobbyverbände der Immobilienwirtschaft sicher auch so gesehen und entsprechend gegen die Personalentscheidung mobilisiert.

Zur Wohnungspolitik in Wien und Berlin: Beide Städte hatten lange das Privileg relativ preiswerter Mietkosten. In den letzten 15 bis 20 Jahren steigen die Wohnkosten allerdings überdurchschnittlich an, sowohl bei Miet- als auch Eigentumswohnungen. Wohnen wird immer teurer. Welche Maßnahmen müsste die Politik ergreifen, um Wohnen nicht nur leistbar, sondern wieder preiswert zu machen?

Das ist lustig, im Berlin versuchen wir gerade den Begriff der Leistbarkeit zu etablieren, weil er das Verhältnis zum Einkommen berücksichtigt. Die Diskussionen um preiswerte Mieten werden oft von Politiker/innen und Expert/innen geführt, die aus ihrer eigenen Erfahrung Kaltmieten von 6 oder 7 Euro pro Quadratmeter für preiswert halten und die sich nicht vorstellen können, dass es Menschen gibt, die sich das nicht leisten können.

Für Haushalte mit geringem Einkommen sind Mieten für 5 Euro/qm nicht leistbar

Wir haben für Haushalte mit geringen Einkommen gerade erst ausgerechnet, dass Kaltmieten von mehr als 3 oder 4 Euro pro Quadratmeter schon zu unzumutbaren Mietbelastungen führen können. Wenn wir damit in die politischen Debatten gehen, werden wir als völlig weltfremde Phantasten verspottet. Wenn ich aber sage, keiner sollte mehr als 30 Prozent seines Einkommens für die Miete ausgeben, dann finden das viele vernünftig.

Preiswerte und leistbare Wohnungen sind von privaten Vermietungs- und Baugesellschaften nicht zu erwarten

Mietpreise Wien
Mietpreise Wien +40 Prozent
Quelle: http://wien.orf.at/news/stories/2819624/

Aber zurück zu eurer Frage: Preiswerte und leistbare Wohnungen sind von privaten Vermietungs- und Baugesellschaften nicht zu erwarten. Sicher können wir uns eine Reihe von rechtlichen Auflagen, Gesetzen und Förderprogrammen vorstellen, die den Mietanstieg erschweren und einschränken – eine dauerhaft soziale Wohnungsversorgung wird es nur mit nicht-profitorientierten Trägern geben. Deshalb sollte sich eine linke Wohnungspolitik – neben den notwendigen Abwehrkämpfen – gegen die oft aggressiven Bewirtschaftungsstrategien der private Immobilienwirtschaft vor allem auf den Ausbau von öffentlichen, gemeinnützigen und selbstverwalteten Wohnungsunternehmen und Hausprojekten konzentrieren.

Berlin hat 2015 die Mietpreispremse eingeführt. Wie wirkt diese Maßnahme?

Die Mietpreisbremse ist ein ganz typisches Beispiel für die Grenzen des Mietrechts. Die Grundidee des Bundesgesetzes war es, in Städten mit angespannten Wohnungsmärkten die Spekulation mit Neuvermietungsmieten einzuschränken. Die Miethöhen in neu abgeschlossenen Verträge sollten die Durchschnittswerten vergleichbarer Wohnungen um maximal 10 Prozent überschreiten. Klingt erst einmal nicht schlecht, hat aber mehrere Haken. So sieht das Gesetz eine Reihe von Ausnahmen vor, so dass ausgerechnet bei den verdrängungs-relevanten Modernisierungsmassnahmen – nach der Umwandlung in Eigentumswohnungen und im Neubau – die Auflagen nicht greifen.

Die Mietpreisbremse verfehlt das Ziel einer sozialen Wohnungsversorgung

Zudem gibt es eine Art Bestandsschutz für bereits teuer vermietete Wohnungen. Wenn schon der Vormieter zu hohe Mieten gezahlt hat, kann auch teuer wieder vermietet werden. Unabhängig von den Lücken, die die Immobilienlobby im Gesetz durchsetzen konnte, verfehlt die Mietpreisbremse das Ziel einer sozialen Wohnungsversorgung. Um es ganz simpel zu sagen: Haushalte mit unterdurchschnittlichen Einkommen brauchen Wohnungen zu unterdurchschnittlichen Mietpreisen. Mit einer Kappung knapp über dem Durchschnitt nutzt die Mietpreisbremse nur den Besserverdienenden, schafft aber keine zusätzlich leistbaren Wohnungsangebote für das untere Einkommensdrittel. Trotz Zielverfehlung und Zahnlosigkeit der Mietpreisbremse: Das größte Problem sind die mangelnden Kontroll- und Sanktionsinstrumente. Studien haben erst kürzlich belegt, dass auch ein Jahr nach Einführung der Mietpreisbremse in Berlin 85 Prozent aller Wohnungen zu Preisen oberhalb der Grenzwerte vermietet werden. Vermieter/innen halten sich da einfach nicht an das Gesetz oder bieten einfach „möblierte Wohnungen“ an. Da greift die Mietpreisbremse dann nicht.

In Wien wird seit Jahren über die Einführung einer Planwertabgabe diskutiert. In München müssen zwei Drittel der erfolgten Wertsteigerung vom Investor zwingend für Grünflächen, technische und soziale Infrastruktur verwendet werden. Was ist deine Meinung: Sollte Wien sich München zum Vorbild nehmen?

München gilt innerhalb Deutschlands als die Stadt mit den vorbildlichsten Instrumenten der Wohnungspolitik – allein es ist die teuerste Stadt der Republik. Also kein wirklich gutes Referenzprojekt für sinnvolle Instrumente der Stadt- und Wohnungspolitik.

Es sind ja vor allem die spekulativ hohen Bodenpreise, die die Mieten in die Höhe schnellen lassen

Das Problem der Planwertabgabe ist aus meiner Sicht die eingepreiste Wertsteigerung selbst. Es sind ja vor allem die spekulativ hohen Bodenpreise, die auch die Mieten in die Höhe schnellen lassen. Im System der Planwertabgaben wird dieser Kreislauf nicht durchbrochen. Im Gegenteil: Mit dem Instrument der Wertabgabe haben Staat und Investoren gleichermaßen ein Interesse an steigenden Grundstückswerten. So richtig es ist, unverdiente Gewinne abzuschöpfen, für eine soziale Wohnungsversorgung wären Verwertungsbremsen oder auch das Einfrieren von Grundstückpreisen sinnvoller.

In Wien stehen Wohnungen leer, weil sie als Geldanlage fungieren. Exakte Zahlen gibt es nicht. Siehst du das als ein Problem an? Wie viel Prozent der Wohnungen stehen in etwa in Berlin leer?

Genaue Zahlen gibt es für Berlin auch nicht. Aber der Leerstand ist rückläufig, weil es in den letzten Jahren ein massives Bevölkerungswachstum gegeben hat und die Nachfrage gestiegen ist. Im Schatten der Wohnungsknappheit gibt es aber auch in Berlin Formen des spekulativen Leerstands und der ungenutzten Eigentumswohnungen. Deutlich werden hier gleich zwei Probleme: Zum einen die Zweckentfremdung durch Leerstand, die dringend benötigte Wohnungen dem Versorgungskreislauf entzieht. Zum anderen die Effekte einer zunehmend finanzialisierten Wohnungswirtschaft. Leerstehende Geldanlagen zeigen ja sehr deutlich, wie verheerend sich die Verwandlung von Wohnungen in Finanzprodukte auf die Städte auswirken. Es zeigt sich dabei einmal mehr: In Betongold kann man nicht wohnen.

Was könnte man dagegen tun? Ist eine Leerstandsabgabe notwendig? Hat sich das Berliner Gesetz zum Verbot der Zweckentfremdung bewährt?

Gesetzliche Auflagen gegen Leerstand und Zweckentfremdung sind sicher sinnvoll. Wie immer kommt es in der Praxis darauf an, ob Verstöße gegen solche Verordnungen überhaupt bemerkt und wie sie sanktioniert werden. In Berlin sind dafür die Bezirksämter zuständig, die schon mit ihren Pflichtaufgaben personal überfordert sind.

Historisch betrachtet waren erfolgreiche Hausbesetzungen das bisher effektivste Instrument gegen Leerstand

Es wurden zwar ein paar neue Mitarbeiter/innen eingestellt, so richtig erfolgreich ist der Kampf gegen die Zweckentfremdung aber noch nicht. Letztendlich kommt es ja auch nicht nur auf die rechtliche Grundlage an, sondern darauf, ob eine Wiederbelegung der Wohnung erfolgt oder nicht. In Berlin gibt es bisher nur Mahnungen und Bußgelder für eine entdeckte Zweckentfremdung. Möglichkeiten der Einweisung bzw. In-Besitznahme von leerstehenden Wohnungen wurden bisher noch nicht aktiv genutzt. Historisch betrachtet waren erfolgreiche Hausbesetzungen das bisher effektivste Instrument gegen Leerstand.

Wird, angesichts des Zuzugs in die Ballungsräume, schlicht zu wenig gebaut? An welchen Stellschrauben müsste man drehen, damit das Wohnungsangebot steigt?

In Deutschland gibt es zur Zeit eine ganz große Koalition für den Neubau. Von der Regierung bis zur Opposition, von der Deutschen Beton Union bis zum Mieterbund – das Mantra des „Bauen, Bauen. Bauen!“ verspricht Entspannung auf den Wohnungsmärkten und günstigere Mieten. Vor allem die Wohnungswirtschaft argumentiert gerne mit Filter-Effekten. Für jede Neubauwohnung würde eine günstige Bestandswohnung frei und am Ende von solchen Umzugsketten haben auch die ärmeren Haushalte was davon.

Mit jedem Umzug in einer hochpreisige Neubauwohnung steigt eine zweite Miete

Doch diese Vorstellung entspricht nicht den Tatsachen. In Städten wie Berlin gibt es eher den gegenteiligen Effekt: Mit jedem Umzug in einer hochpreisige Neubauwohnung steigt eine zweite Miete, weil in den freigewordenen Wohnungen die hohen Neuvermietungszuschläge realisiert werden, die die Mietpreisbremse nicht stoppen kann. Aus der Perspektive der Wohnungswirtschaft ist der Neubau ein Win-Win-Situation: Wohnungsuchende mit geringen Einkommen haben gleich das doppeltes Nachsehen.
So wichtig neue Wohnungen für die Versorgung der wachsenden Bevölkerung sind, so wenig sind sie zur Zeit ein Beitrag für die soziale Wohnungsversorgung.

Berlin: Es fehlen 120.000 Wohnungen und 130.000 unter 5 Euro/qm

Für Berlin habe ich den Wohnversorgungssbedarf berechnet: Es fehlen insgesamt etwa 120.000 Wohnungen, um alle Haushalte der Stadt mit einer Wohnung zu versorgen. Zugleich fehlen schon jetzt mehr als 130.000 Wohnungen mit Mieten unter 5 Euro/qm (nettokalt), um alle Haushalte mit geringen Einkommen mit leistbaren Wohnungen zu versorgen. Selbst wenn es gelingen würde, alle Neubauwohnungen zu Mieten unter 5 Euro/qm anzubieten, bliebe immer noch ein Defizit von leistbaren Wohnungen. Deshalb sollte eine sozial orientierte Wohnungspolitik, der Neubau und die soziale Wohnungsversorgung immer als eine gemeinsame Herausforderung ansehen.

Wir brauchen mehr Wohnungen und mehr leistbare Wohnungen

Städte wie Berlin und vermutlich auch Wien brauchen beides: mehr Wohnungen und mehr leistbare Wohnungen. Am einfachsten wäre diese doppelte Herausforderung natürlich mit 100 Prozent dauerhaft gebundenen Sozialwohnungen in nicht privater Trägerschaft zu realisieren. Davon sind wir aber auch in Berlin weit entfernt. In Deutschland gibt es ja nicht einmal die Wohnungsgemeinnützigkeit. Die wurde Ende der 1980er Jahre abgeschafft und erst in den letzten Jahren gibt es erste zaghafte Debatten für die Einführung einer Neuen Wohnungsgemeinnützigkeit.


Zur Person: Andrej Holm wurde am 8. Oktober 1970 in Leipzig geboren. Er ist promovierter Soziologe am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität. Sein Forschungsschwerpunkte sind Stadterneuerung, Gentrifizierung und Wohnungspolitik. Von 2016 bis 2017 war er kurzzeitig Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen der rot-rot-grünen Berliner Landesregierung. Nun arbeitet er wieder an der Humboldt-Universität und ist Berater der Berliner Linksfraktion.

Fotocredit: Von Heinrich-Böll-Stiftung – Flickr: Andrej Holm, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=15448163

2 Gedanken zu „“ In Betongold kann man nicht wohnen“ – Ein Gespräch mit Andrej Holm“

  1. Ein wirklich interessanter Beitrag, aber bitte achtet etwas auf die Rechtschreibfehler. Mancher Satz ist so kaum lesbar.

    Danke & FG

    Antworten
    • Danke für den Hinweis. Wir sind jetzt nochmals drüber gegangen. Sollte immer noch etwas Unverständliches stehen geblieben sein, so bitten wir um einen konkreten Anstupser. Danke…

      Antworten

Schreibe einen Kommentar