Österreich: Die große Resignation

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By Sebastian Reinfeldt

Prognosen über den Ausgang einer Wahl sind waghalsig – erst recht mehrere Monate bevor sie stattfinden. Doch sind die Kommentarspalten in Zeitungen und Blogs schon jetzt voll davon. Koalitionsvarianten werden erstellt. In einer Konstellation von drei Parteien (SPÖ, ÖVP und FPÖ), die jeweils etwa 25 Prozent Stimmenanteil haben, wird eine der drei Konkurentinnen ausgespielt werden müssen. Die FPÖ scheint dabei gesetzt zu sein. Es dämmert blau, meint etwa der gut informierte Ö1-Journalist Stefan Kappacher in seinem Blog. Strategie und Taktik haben längst Oberhand. Politische Inhalte sind Spieleinsätze. Hier eine Steuerreform mit 40 Prozent Abgabenquote, dort ein bisschen Vermögenssteuer und natürlich Ausländer und Sozialleistungen. Rien ne va plus.

Ein abgekartetes Politspiel, das schon langweilig ist, bevor es begonnen hat. Denn es scheint nur die folgende Wahl zu geben: rot-blau oder schwarz-blau. Damit ist die österreichische Politik nach dem Ende der SPÖ-ÖVP Koalition in einer neuen Alternativlosigkeit gefangen. Eine Analyse zur politischen Situation von Sebastian Reinfeldt.


Das Ende des Cordon sanitaire

Vom Machtaspekt her betrachtet war die Koalition aus SPÖ und ÖVP seit dem Erstarken der rechtspopulistischen FPÖ eine Notwendigkeit. Nur diese beiden Parteien konnten eine Regierungsmehrheit organisieren und waren miteinender kompromissfähig. Im Hintergrund ihrer politischen Kooperation wirkte zudem die Sozialpartnerschaft, die diese ideologisch und materiell absicherte. Dieser Block sollte eine Schutzfunktion ausüben, die jedoch in erster Linie darin bestand, die FPÖ als politische Machtoption zu neutralisieren.

Das Beispiel der Asyl- und Ausländerpolitik seit 2005 zeigt aber, dass wesentliche Punkte der blauen Programmatik übernommen wurden, ohne dass die FPÖ am Spiel beteiligt war. Posten, Positionen und damit Einfluss wurden nämlich ohne sie verteilt. Die Stellungnahmen etwa der Asylkoordination Österreich zu den Verschärfungen des Asylrechts kommen dem Tempo der Verschärfungen und Einschränkungen kaum mehr nach. Auch rhetorisch ist kaum mehr ein Unterschied zwischen Strache (FPÖ), Sobotka (ÖVP) oder Doskozil (SPÖ) zu erkennen. Realpolitisch gibt es kaum eine entscheidende Differenz der beiden Regierungsparteien zu den Blauen. Der politische Schutzwall zur FPÖ wurden von den zwei Regierungsparteien längst durchlöchert.

Politische Entscheidungen als Wette auf das kleinere Übel

Von Seiten des Publikums und auch der engagierten Zivilgesellschaft haben sich die politischen Optionen ebenfalls verengt: Jede und jeder wettet für sich darauf, wer das kleinere Übel sein könnte, das gestärkt gehört. Wenn die Variante Rot-blau nicht ganz so „unappetitlich“ (Robert Misik) wie Schwarz-blau ist, sollte man aus ästhetisch-kulinarischen Gründen die SPÖ wählen. Wer auf Kurz als Strachebändiger hofft, könnte für die ÖVP als kleineres Übel optieren. Wer keine der Großparteien goutiert, muss sich dann zwischen Grünen und Neos als kleinere, aber einflusslose Übel entscheiden. Da die Grünen zumindest regional an der Macht mitnaschen dürfen, sind sie die Option mit ein wenig mehr politischem Gewicht. Wirklich oppositionell sind Sie nicht, eben weil sie ja woanders an der politischen Macht beteiligt sind.

Von allem gibt es ein bisschen

Alle Optionen haben eines gemeinsam: Sie sind resignativ. Wie sehr die Medien auch damit beschäftigt sind, ein großes politisches Duell zu inszenieren, so wenig scheint es tatsächlich um etwas zu gehen. Die Drei machen es eh unter sich aus. Dabei kann das Wahlvolk prozentual ein wenig die Kräfteverhältnisse verschieben: ein paar Prozentchen hierhin oder dorthin. So nimmt man im Oktober 2017 an einer Wahl in der Gewissheit teil, damit wenig bis nichts zu verändern. Denn es gibt nichts, zwischen dem man sich entscheiden könnte. Von allem steht ein bisschen zur Auswahl: ein bisschen Sozial, ein bisschen Rassismus, ein bisschen Law-and-order, ein bisschen Verwaltungsreform, ein bisschen mehr oder weniger Steuern – und ein bisschen Frieden auch. Bei einer blauen Regierungsbeteiligung käme sicherlich noch ein bisschen Protest dagegen dazu. Weh tun würde er nicht.

Sind wirklich alle Alternativen unrealistisch?

So eine Situation könnte aber auch eine politische Sprengkraft entwickeln. Mehr oder weniger zufrieden mit der Politik in Österreich sind ja nur diejenigen, die von und in ihr leben. In Nicht-Regierungsorganisationen, in politischen Initiativen und in weiten Teilen der Zivilgesellschaft herrscht hingegen Frust. Wer genau hinhört, merkt, dass das gesamte mediale Spektakel des Dreikampfs nur mehr als „unappetitlich“ empfunden wird. Zu verhindern gibt es nämlich in Wahrheit nichts. Die Mitglieder der SPÖ haben sich längst für die Rot-blaue Option entschieden. Die ÖVP auch. Über einen Innenminister Strache denkt nicht nur er selber nach. Aber zu gestalten und sich zu organisieren gäbe es viel.

Eine Möglichkeit: Ein Netzwerk, in dem quer zu diesen Parteien (aber nicht gegen die vernünftigen Personen in ihnen) die wirklich wichtigen Dinge diskutiert werden könnten. Eine andere Möglichkeit: Bewusst eine Partei zu stärken, die derzeit nicht am österreichischen House of Cards mitspielen kann. Etwa deshalb, weil sie gar nicht im Nationalrat sitzt.


Fotocredit:  Wikipedia, Von Peter Binter – Fotografiert durch Peter Binter., CC BY-SA 2.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3856753

 

 

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