Politik ohne Empörung

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By Sebastian Reinfeldt

Nach den ersten 100 Tagen wird die Performance der österreichischen Regierung und der Opposition in den Medien eingeschätzt. Im Fokus der Übung stehen die „Haupt- und Staatsaktionen“ (K. Marx), also die politischen Akteure, die öffentlich Aufmerksamkeit erregen. Hinter ihnen verrichten indes Menschen eine Arbeit, ohne die diese Haupt- und Staatsaktionen nicht funktionieren würden: Sie recherchieren, sie verfertigen Analysen, bereiten Briefings vor und dienen als Kommunikationsschnittstelle zur Politik. Über sie steht selten etwas geschrieben. Da ich selber einer von ihnen bin, nämlich „Parlamentarischer Mitarbeiter“ in einer Oppositionsfraktion, will ich über meine Erfahrungen berichten und den politischen Betrieb nach 100 Tagen Erfahrung einschätzen. Von Sebastian Reinfeldt.


Parlamentarischer Alltag

Der parlamentarische Alltag hat mit dem medial erzeugten Bild von Politik wenig zu tun. Das gilt besonders für die „Arbeitsebene„. Dort agieren die Parlamentarischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie bereiten Ausschusssitzungen vor, indem sie Tagesordnungen besprechen. Dabei wird vorab geklärt, wie mit den einzelnen Themen und Gesetzesinitiativen umzugehen ist. In diesen, so genannten „Referentenrunden“ werden also die politischen Claims abgesteckt, wobei eine Praxis des Gebens und Nehmens vorherrscht. Der Umgangston ist oft kollegial, auch mit den Kolleginnen und Kollegen, die für die Regierungsparteien arbeiten. Wenn es überhaupt eine Sphäre von Politik gibt, wo ein gutes Argument etwas bewirken kann, dann hier.

Die Praxis der Klubobleute-Stehrunden

Auf der Arbeitsebene kann etwa ein öffentliches Hearing  ausverhandelt – oder blockiert – werden; ein Thema kann im Konsens aus dem ideologisch-politischen Streit ausgeklammert und einer sachlichen Diskussion unterworfen werden. Mitunter kommt es als Ergebnis solcher Beratungen am Rande der Parlamentssitzung zu einem scheinbar zufälligen Zusammenstehen der Klubobleute, mit dem Ziel, einen politischen Sachverhalt durch direkte Kommunikation zu klären. Diese Runden gehören zu den besonderen Momenten der parlamentarischen Politik, weil dabei wirklich miteinander geredet wird. Zum Beispiel wurde in einer solchen Runde beschlossen, ein öffentliches Hearing zum Nichtraucherschutz im Gesundheitsausschuss durchzuführen. Verlangt hatten dies die Oppositionsparteien. Seine Spielregeln wurden auf der Arbeitsebene vorbesprochen. Dieses Hearing fand dann unter den „Augen“ unzähliger Kameras statt. In den Medien wurde eifrig berichtet. Aber was nach diesem Happening im Ausschuss noch alles diskutiert wurde, war wiederum keiner Erwähnung wert. Obwohl die Parlamentskorrespondenz detailreich und unabhängig über jede nicht-öffentliche Ausschusssitzung berichtet, finden sich eher selten Artikel oder Features über Ausschussberatungen in den Medien. Sie sind wenig spektakulär. Wird in Ausschüssen doch noch am ehesten politisch und sachlich diskutiert.

Die Macht der Medien

Damit bin ich bei einem zentralen Punkt meiner Erfahrungen angelangt. Warum kommt man mit einem bestimmten Thema medial durch, und warum mit einem anderen überhaupt nicht? Wer bestimmt eigentlich, was ein wichtiges politisches Thema ist? Kurz: Wer hat die politische Definitionsmacht? Das Berufsethos von politischen Journalistinnen und Journalisten ist, unabhängig, objektiv und kritisch über die Vorgänge in der Politik zu berichten. Das tun sie aber nicht. Denn sie verleihen bestimmten politischen Stimmen Macht (und verdammen andere zur Ohnmacht), sie bestimmen, was „eine Geschichte“ ist, und was nicht. Sie arrangieren die Fakten auf ihre Art, wenn sie diese Geschichte erzählen. Das ist gut nachvollziehbar, es ist eigentlich unvermeidbar. Dieser Umstand alleine erklärt das Problem aber nicht.

Und die Macht politischer Public Relations (PR)

Im Hintergrund sind politische Beraterinnen und Berater tätig, die „spinning“ betreiben – also die eine Geschichte „drehen“. Zum Beispiel mediale Politikexpertinnen und -experten wie die Medienunternehmer Peter Filzmaier und Thomas Hofer, aber auch Alpha-Meinungsmacher wie Rudi Fußi, Robert Misik, Josef Kalina, Lothar Lockl, Armin Wolf, Hanno Settele oder Florian Klenk (allesamt Männer). Für sie ist Politik ein Geschäft. Verbunden sind sie mit Agenturen, mit einflussreichen Medienformaten oder Medienkonsortien. Sie sind auf politische Kommunikation spezialisiert. Per definition sind dies keine neutralen Stimmen, da sie ein unmittelbares Eigeninteresse haben. Dennoch – oder gerade deshalb – bestimmen sie die Agenda der „öffentlichen Meinung“. Sie definieren etwa, wer dazugehört, und wer nicht, sie erfinden Spins und Gegenspins. Das Beispiel der Grünen Partei zeigt, wie mächtig der „öffentlich-journalistische Medienkomplex“ in Österreich sein kann. Die Grünen als „der“ Prototyp einer Medienpartei wurden seit Mitte der 2000er Jahre von Kommunikationsexperten (neu) erzeugt – und dann seit Ende 2016 und 2017 binnen weniger Monate medial vernichtet.

Politik als Skandal

Die spannendste Geschichte, die Medien erzählen wollen, ist die eines politischen Skandals. Sei dies die Silberstein-Affäre der SPÖ oder, gerade aktuell, der Skandal rund um die Hausdurchsuchungen beim Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Genüsslich wird aus Dokumenten zitiert, die eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Das geht bis hin zu Screenshots aus internen WhatsApp-Gruppen. Geheime Machenschaften und Intrigen hinter den Kulissen von Politik sollen dadurch aufgedeckt werden. Allerdings trifft für beide Skandale zu, dass diese Dokumente offenkundig aus Reihen der Politik oder der betreffenden Apparate zugespielt worden sind. So wird der politische Skandal zu einem bestimmten Zeitpunkt in Szene gesetzt. Die Aufdeckerinnen und Aufdecker stehen in der Gefahr, selbst politisch instrumentalisiert zu werden. Während die Silberstein-Affäre wohl Schnee von gestern ist, wird es im Fall der BVT-Affäre zu einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss kommen. Und damit zur sachlichen Aufarbeitung.

Politik als Abfolge von Spins

Zentral für Hegemonie (die politische Führung) ist die Fähigkeit, Themen zu setzen, die die öffentliche Meinung beherrschen – so steht es in den Einführungstexten zur Politikwissenschaft. Wer erinnert sich noch an den Wahlkampf im Jahr 2017 und an die Themen, die diesen beherrscht haben? Wenn wir diese mit den Initiativen vergleichen, die jetzt von Regierungsseite gesetzt werden, so fällt doch ein deutliches Missmatch auf. In atemberaubender Geschwindigkeit werden gerade Gesetzesvorhaben mit Mehrheit durch den parlamentarischen Betrieb gepeitscht, über die eine breite gesellschaftliche Diskussion niemals stattgefunden hat – auch und besonders nicht im Wahlkampf: Überwachungspaket, Revision der sozialen Sicherungssysteme, Integrationspolitik oder etwa soziale Verteilungspolitik machen den eigentlichen Kern der neoliberal-rechtspopulistischen Regierungspolitik aus. Konkret werden im Zuge der Budgetberatungen innerhalb eines Monats (von der Budgetrede am 21.März bis Mitte April) wesentliche Elemente der Verfasstheit des Staates Österreichs verändert. Doch findet eine gesellschaftliche Debatte darüber kaum statt. Aus Zufall?

„Das ist (k)ein Spin“

Aus der Liste Pilz wird das Team Stronach„, so lese ich seit November 2017 immer wieder über meinen Arbeitgeber. Diese Prognose bedeutet wohl, die Fraktion werde auseinander fallen und von der politischen Landkarte verschwinden. Das kann natürlich passieren. Parteien sind ja kein Selbstzweck, und wenn es für eine politische Gruppierung zu einem bestimmten Zeitpunkt keinen Bedarf mehr gibt, wird diese in einer Demokratie abgewählt. Das ist OK. Ob das passiert, wird sich weisen. Wer kann aber für sich beanspruchen, die politische Zukunft – sagen wir die in zwei Jahren – jetzt schon zu kennen? Wer hätte vor einem Jahr vorher gesagt, dass es die Grünen im Nationalrat nicht mehr geben würde? Im Falle des Parlamentsklubs der Liste Pilz gab es aber bislang zu keinem Zeitpunkt irgendein Anzeichen für seinen Zerfall. Im Gegenteil. Sowohl auf der Arbeits- als auch auf der politischen Ebene funktioniert die politische Arbeit. Politische oder persönliche Spaltungstendenzen sind schlicht nicht erkennbar. Dennoch wird diese Folie medial weiter benutzt. Sie funktioniert als politisches Killerargument: Denn jede politische Initiative seitens der Pilz-Fraktion steht somit unter einem politischen Vorbehalt – und wird politisch neutralisiert. Es handelt sich also um einen Spin.

Die Sache mit der Frauenquote

Der Vergleich mit dem Team Stronach ließe sich vielleicht noch argumentieren, wenn man nur auf die zeitweise Abwesenheit des Frontmanns verweist. Doch gibt es einen weiteren Spin, den mit der Frauenquote. Damit der funktioniert, sind Tatsachen so zu verdrehen, bis sie ins Schema „unterdrückter Frauen im Klub der Liste Pilz“ passen. Konkret, indem folgende Infos einfach weggelassen werden: 50 Prozent der Abgeordneten im Klub sind Frauen. Die Klubdirektorin, eine Frau; die Geschäftsführerin des Klubs, ebenfalls eine Frau.

Allerdings sind die Parlamentarischen Mitarbeiter in der Mehrheit männlich besetzt worden, auch die der weiblichen Abgeordneten. Welche Informationen davon lese ich in den Medien?

Die Presse, 28.3.2018
Auszug aus: Das halbe Comeback…https://diepresse.com/home/innenpolitik/5396357/Das-halbe-Comeback-des-Peter-Pilz?from=suche.intern.portal

Diese Darstellung, die noch dazu im Detail falsch ist (es sind mehr als eine Frau) zielt ganz offensichtlich darauf ab, Empörung über eine angebliche Frauenfeindlichkeit im Pilz-Parlamentsclub hervorzurufen. Auch das ist offensichtlich ein Spin.

Politik als Empörungswettbewerb (Brodnig)

Nicht nur die sozialen Medien sind, so meine Wahrnehmung, derzeit ein Ort der Empörung. Persönlich überlege ich daher seit einiger Zeit, meine sozialen Medien-Accounts stillzulegen, weil ich so nicht mit Menschen reden will, auch in der Politik nicht. Doch wird ein reiner Rückzug natürlich wenig bewirken. Er wird nur meiner persönlichen Psychohygiene gut tun. Denn die medial hervorgerufene Wut wirkt immer nach rechts, so analysiert Ingrid Brodnig in der Zeitschrift profil. Sie beruft sich dabei auf die empirische Studie „Rechte Wutwelt: Emojis in den Facebookkommentaren deutscher Parteien, die Josef Holnberger durchgeführt hat. Er schreibt:

Positiv besetzte Emojis finden sich vor allem bei den Kommentaren der linken Parteien (SPD, Grüne, Linke), in den rechten Parteien dominiert Wut – und die Deutschlandfahne.

Kurz gefasst arbeiten Brodnig und Holnberger heraus, dass Politik im Empörungsmodus die Populisten stärkt, und zwar die rechten Populisten. Wahrscheinlich lässt sich dieser Politikmodus gar nicht anders besetzen, sondern wir können es nur anders machen. Ich finde auch „linke“ Empörung oft bigott und unangebracht. Am Ende sollte eine linke Erzählung doch darauf hinaus laufen, die Welt zu einem besseren Ort für alle zu machen, zu einem Ort, wo alle ihr Leben wirklich selber gestalten können. Empörung hingegen macht passiv, die Energie verpufft und man bevorzugt Politikerinnen und Politiker, die endlich mal aufräumen – also autoritär durchgreifen.

Empörung als (politisches) Geschäft

Empörung hervorzurufen ist aber auch ein Geschäftsmodell der traditionellen Medien wie Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen. Muss eine Geschichte so erzählt werden, dass sie zur Empörung führt? Ich denke, nein. Dennoch sind viele Artikel und ihre Aufmachung – nicht nur in den Boulevardmedien – so angelegt, dass sie auf Empörung abzielen. Aktuell ist das AMS das Objekt einer medial hervorgerufenen Empörungswelle. Hier lässt sich dasselbe Muster wie oben beschrieben beobachten: Ein (offenbar von interessierter Seite) geleakter Revisionsbericht über die Wirksamkeit von Deutschkursen wird als „heikles AMS-Dossier“ publiziert – und fertig ist die öffentliche Empörung über eine sowieso schon ambivalente Institution.

Für alle Medien, die Politik so erzählen, bringt der Empörungsmodus Klicks und damit Umsatz. Es handelt sich dabei um ein Geschäftsmodell. Denn, wie eingangs erläutert, interessiert sich kaum jemand für Sachpolitik und gute Konzepte. Angeblich. Aber warum macht sich kaum jemand die Mühe, diese interessant und spannend zu erzählen? Politik nicht mehr im Empörungsmodus zu erzählen und zu betreiben, empfände ich als äußerst befreiend.

2 Gedanken zu „Politik ohne Empörung“

  1. Der Vergleich mit dem Team Stronach ist insofern berechtigt, da beide keine politische Basis haben. Es ist auch Selbsttäuschung zu glauben, dass die politische Arbeit der Liste Pilz funktioniert. Diese muss außerhalb des Parlaments stattfinden, bei den Referentenrunden und den Reden im Parlament erreicht ihr leider genau gar nichts.

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