„Wir sind Sozialarbeiterinnen, Therapeutinnen, Sekretäre, Vorbilder, Erziehende, Feinde und Freunde“

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By Kathi Rohrauer

Seit mehr als sieben Jahren unterrichtet Katharina Rohrauer im AMS Kontext Deutsch. Für den Semiosis-Blog hat sie ihren Berufsalltag beschrieben – und auch, welche Konsequenzen die Kürzungen der Deutschkurse haben werden. „Ich bin sozusagen Teil der Integrationsmaschine und immer wieder merke ich, dass in der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt ist, was meine KollegInnen und ich den ganzen Tag so machen. Ich höre so oft, dass wir „eine ruhige Kugel schieben“ würden und uns „nicht verausgaben“. Dieses Nicht Wissen ist meines Erachtens ein Grund dafür, dass diese Integrationsarbeit, die wir leisten, jetzt ohne großen Aufruhr  eingespart und weggekürzt wird.

Und genau das ist ein schwerer Fehler.“


Wie funktioniert so ein AMS-Kurs eigentlich?

Im momentanen Projekt dauern die Kurse zwischen 12 und 16 Wochen.
Die Teilnehmenden sind von Montag bis Freitag je drei Stunden im Kurs. Es herrscht eine strikte Anwesenheitspflicht, Verstöße dagegen können zum Kursausschluss und im Anschluss zu Kürzungen bei AMS Geld und Mindestsicherung führen.
Die Tns können Niveaustufen wiederholen, bzw. mehrere Niveaus nacheinander absolvieren.
Von Alphabetisierung bis B2 (Maturaniveau) werden alle Stufen unterrichtet.
A2 bis B2 Gruppen (B1 entspricht in etwa dem Hauptschulniveau, B2 dem Maturaniveau) müssen nach dem Kurs zusätzliche Wertekurse absolvieren, in denen die SprachkursleiterInnen auf den Werteteil der ÖIF Prüfungen vorbereiten sollen. Das Ziel des Kurses ist neben der Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt – es gibt Workshops zu Bewerbung, BetriebskontakterInnen helfen bei der aktiven Arbeitssuche, im Kurs werden Lebensläuft verfasst – die positive Absolvierung einer ÖSD Sprachprüfung.

Die Tätigkeit als Unterrichtende in AMS-Kursen: „Learning by doing“

Anfangs hatten wir hauptsächlich Migrantinnen und Migranten als Teilnehmende, wenige Konventionsflüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte,. Das primäre Ziel war es, die Teilnehmenden auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten. Diese waren meistens – ältere – Männer, die auf ein langes Arbeitsleben in Österreich zurückblicken konnten, aber gegen Ende desselben ihre Beschäftigung verloren haben. Auch Frauen, die nach dem Schuleintritt ihrer Kinder Fuß im Erwerbsleben fassen wollten und Jungakademiker aus anderen EU und EWR Ländern, die nach Österreich emigriert sind. Die Gruppen waren damals schon sehr heterogen und bunt gemischt, alle Teilnehmenden hatten aber einen sicheren Aufenthaltsstatus und ein Großteil von ihnen war bereits länger in Österreich ansässig.
Ende 2016 hat sich die Situation aufgrund der Fluchtbewegung geändert. Nun waren die Teilnehmenden hauptsächlich Geflüchtete aller Alters- und Bildungsschichten und hauptsächlich Männer mit arabisch sprechender Muttersprache. Plötzlich waren wir – völlig unvorbereitet – mit anderen Anforderungen, anderen Lebensmotiven und vor allem teilweise vielen Traumatisierten konfrontiert. Das AMS stellte uns zwar Sozialarbeiter und Kulturlotsen zur Seite, deren Aufgabe es war, uns zu entlasten. Weiters wurden BetriebskontakterInnen eingestellt, die gemeinsam mit den Teilnehmenden aktiv auf Arbeitssuche gingen.

Von der Landeskunde zu den „Wertewochen“

Es war und ist für einen Großteil der Unterrichtenden eine große Herausforderung, sich mit diesen Begebenheiten auseinanderzusetzen.
Zusätzlich dazu wurde vermehrt von den Sprachkurs-Leitenden verlangt, Integrationsarbeit zu leisten, also über Land, Leute, Politik und Kultur zu sprechen. Zwar hat sich das auch vorher schon automatisch ergeben, Sprache kann nie unabhängig vom gesellschaftlichen Kontext des Landes unterrichtet und erlernt werden. Allerdings wurde es aufgrund der weit entfernteren Kulturkreise der Teilnehmer und aufgrund des politischen Diskurses immer wichtiger. Landeskunde rückte vermehrt in den Vordergrund. Seit in Kraft treten des Integrationsgesetzes müssen wir auch sogenannte Wertewochen abhalten und diese nach Lehrplan des Österreichischen Integrationsfonds unterrichten: Geschult dafür wurden wir aber nicht.

Deutschlehrende als eierlegende Wollmilchsäue

Als Unterrichtende in der Erwachsenenbildung wird ein hohes Maß Flexibilität und eine äußerst hohe Interkulturelle Kompetenz verlangt. Neben dem Spracherwerb sind die Kolleginnen und Kollegen mit einer gesellschaftspolitisch äußerst wichtigen Aufgabe betreut. Sie leisten nämlich Integrationsarbeit an vorderster Front. Wir beantworten Fragen zu Mülltrennung, zum Schulsystem, zum Sozialsystem. Zu religiösen Bräuchen und Traditionen hier. Wir begleiten Frauen zur Polizei oder Jugendliche zum Jugendamt, wenn sie häusliche Gewalt erleben. Wir rufen in Schulen und Kindergärten an und organisieren Betreuungsplätze. Wir treten in Kontakt mit Vermietern, Sozialämtern und anderen Institutionen. Wir weinen und lachen mit ihnen. Über ihre Erinnerungen und ihre Vergangenheit, wenn sie von ihrer Heimat erzählen. Das meiste davon machen wir in unserer Freizeit. Zwar haben wir SozialarbeiterInnen im Projekt, letztendlich sind wir aber sehr oft die einzigen autochthonen Vertrauenspersonen, die viele unserer Teilnehmer kennen. Es passiert sowohl mir als auch meinen Kolleginnen sehr oft, dass wir beim Bäcker, im Taxi, in Krankenhäusern ehemalige TeilnehmerInnen wieder treffen.

In erste Linie: ein Mensch sein

Wir sind Sozialarbeiterinnen, Therapeutinnen, Sekretäre, Vorbilder, Erziehende, Feinde und Freunde. Wir dienen als Reibungsfläche, wenn das Unbekannte und die Entwurzelung zu massiv werden, wir dienen auch als Identifikationsfiguren, als Mistkübel, wenn sich mal ausgekotzt werden muss Wir sind Lexika, die alles über Sprache, Kultur, Werte, Grammatik „wissen“ und darüber Auskunft geben. Wir sind SchauspielerInnen, die Wörter und Zusammenhänge darstellen, umschreiben, erklären. Wir sind LinguistInnen, wenn wir zwischen den verschiedenen Sprachstrukturen hin- und herwechseln. Als Deutschtrainerin kann man aber nicht nur die Sprache vermitteln, man ist in erster Linie Mensch. Ein Mensch, dem es wichtig ist, den Menschen, mit denen man tag täglich zu tun hat, auf Augenhöhe zu begegnen und die man bei ihrem schwierigen Neustart in einer völlig Fremden Umgebung so gut es geht, unterstützen will.

„Durchs Reden kumman `d Leit zaum“

Unsere tägliche Arbeit ist wichtig. Wichtig für die Teilnehmenden, auch vor allem wichtig für unsere Gesellschaft, für das Land, in dem wir auch leben und arbeiten. Wir sind die erste Verknüpfung zwischen der Herkunftsgesellschaft und der neuen, in der unsere Teilnehmenden Fuß zu fassen wollen.
Alle meine KollegInnen tun ihm Rahmen des ihnen möglichen das Beste, um dieser Aufgabe gewachsen zu sein, die Herausforderungen, mit denen wir tagtäglich konfrontiert werden sowie die Bedingungen, unter denen wir unseren Job machen, hinterlassen natürlich auch Spuren.
Durch die Kürzungen der Integrationsmaßnahmen entsteht nicht nur ein Schaden an uns, die wir wohl „schwer zu vermitteln sein werden“ oder für unsere Teilnehmenden, die ihren Verknüpfungspunkt verlieren, schwieriger einen Job finden und länger in der Mindestsicherung verharren müssen. Der größte Schaden entsteht an unserer Gesellschaft, denn nur „durchs Reden kumman `d Leit zaum“. Und ohne gemeinsame Sprache wird das mehr als schwierig.

Die Kürzungen sind schlicht und einfach dumm und werden sehr sehr teuer

Durch die Kürzungen der Integrationsmaßnahmen entsteht nicht nur ein Schaden an uns, die wir wohl am Arbeitsmarkt „schwer zu vermitteln sein werden“ oder an unseren Teilnehmenden, die ihren Verknüpfungspunkt verlieren. Sie werden schwieriger einen Job finden und länger in der Mindestsicherung verharren müssen.
Der größte Schaden entsteht an unserer Gesellschaft, denn nur „durchs Reden kumman `d Leit zaum“. Und ohne gemeinsame Sprache wird das mehr als schwierig.
Wir lesen in der Zeitung, wie wenig wertgeschätzt unsere Arbeit ist und wissen dabei aber, wie wichtig und wertvoll sie tatsächlich ist. Wir sind daran gewöhnt, dass unser Beruf in der Öffentlichkeit keine Begeisterungsstürme auslöst, dass das, was wir tun, aber als so unwichtig angesehen wird, dass wir und unsere Tätigkeit einfach schnell mal weggekürzt werden, ist ein Schlag ins Gesicht für meine Kolleginnen und mich.

Wir sind SprachexpertInnen, wir sind IntegrationsexpertInnen und wir wissen, welche Auswirkungen diese Kürzungen auf unsere Teilnehmenden haben werden – und welche Auswirkungen das dann a la lounge auch auf das Land haben wird. Dass diese Kürzungen der Republik teurer zu stehen kommen werden, dass diese Kürzungen Paralellgesellschaften fördern und integrationshemmend sind, darüber sind nicht nur meine KollegInnen und ich uns einig, sondern auch – wie bereits oft zu lesen war- viele andere ExpertInnen in diesem Land.

AMS-Deutschkurse als Bindeglied zwischen Herkunfts – und Zielgesellschaft

Durch die Verknüpfung zwischen AMS und Deutschkurs entsteht ein Bogen, der die Teilnehmenden schon von ihrer ersten Deutschstunde weg aus ihrer „Blase“ holt. Die Teilnehmenden werden aktiv aufs Arbeitsleben vorbereitet, in den Kursen müssen Lebensläufe geschrieben werden, die Teilnehmenden lernen sowohl Bewerbungs- als auch Arbeitsprozesse kennen und müssen das Erlernte auch anwenden.
Die Wichtigkeit, diese Sprache zu lernen, wird nun aus der Theorie in die Praxis geholt, das Erlernte muss quasi von Anfang an angewendet werden und es wird den Teilnehmenden deutlich gemacht, dass das Erlernen der Sprache zentral ist, um am Erwerbs- und Gesellschaftsleben in Österreich teilnehmen zu können. Wenn die Kurse nun von andren Trägern veranstaltet werden, dann würde diese wichtige, motivierende Verknüpfung wegfallen.

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