Zur Erinnerung, warum lechts und rinks nicht zu velwechsern sind

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Wortbedeutungen haben ihre Geschichte, sie ändern sich je nach Art der wiederholten Anwendung und verlieren Gewicht, je wahlloser sie gebraucht werden. Eine kurze historische Rückschau soll helfen zu verstehen, inwieweit man, mit Ernst Jandl gesprochen, rinks und lechts velwechsern kann. – Der Beitrag wurde am Freitag, den 17. Mai 2019 wenige Stunden vor der „Ibiza-Affäre“ fertiggestellt. Von Christian Zolles


Konservative Revolution – ein Oxymeron

Es ist offensichtlich, dass die sogenannte Neue Rechte im Denken hundert Jahre zurückliegt und sich auf Intellektuelle der Weimarer Republik bezieht. Es sind Autoren der „Konservativen Revolution“, eines Oxymorons. Hugo von Hofmannsthal, der große aristokratische Zweifler am modernen Sprachverständnis, hat den Begriff aufgegriffen, die Nationalsozialisten haben ihn instrumentalisiert, nach dem 2. Weltkrieg ging er in den Diskurs ein, um den Faschismus zu entschulden. Der Staatsrechtler Carl Schmitt hat dafür die historische Folie vorgegeben: In Zeiten der Katastrophe und des Bürgerkriegs, wie die politische Situation nach dem 1. Weltkrieg empfunden wurde, kann nur eine autoritäre Staatsmacht Ordnung aufrechterhalten. Nur sie kann verhindern, dass homo homini lupus wird, der Mensch dem Gegenüber zum Wolf, wie es der 30-jährigen Krieg gezeigt hatte. Am Ende, hinter der liberalen Demokratie, stehen also immer unweigerlich diktatorische Entscheidungen über einen anarchischen Ausnahmezustand.Diese Gedanken stehen hinter der Schlussfolgerung, dass das Recht in letzter Instanz immer der Politik zu folgen hat.

Rechte Staatsdenker propagieren daher bewusst Bedrohungslagen oder Katastrophenszenarien, um den Menschen in dauernder Alarmbereitschaft zu halten: Historisch leitet man sich gerne von Ereignissen ab, die an einen Abwehrkampf erinnern: Andreas Hofer, Türkenkriege, Tempelritter, Sparta bekommen vor dieser Folie einen gemeinsamen, christlich-abendländischen Sinn. Für historische Kontingenz, für einen anderen Blick auf die Geschichte und ihre Wandelbarkeit, Zufälligkeit und Irrationalität herrscht keinerlei Bewusstsein.

Der Gegenentwurf: Das Rote Wien

Diesem Herrschaftsverständnis gegenüber steht die im Roten Wien besonders wirkmächtige linke Idee eines Sozialstaats. Sie beruht nicht auf einer apokalyptischen, sondern eher einer messianischen Vision: Nicht zufällig war die ArbeiterInnenbewegung in Wien besonders stark von der jüdischen Intelligenz mitgetragen. Staatliche Einrichtungen haben für die BürgerInnen da zu sein, Vorsorge zu leisten und aufzuklären. Da im Zuge der kapitalistischen Industrialisierung auch die Reichs- und Staatsgrenzen brüchig geworden sind, braucht die inklusive Internationale im politischen Denken keine Grenzen nach außen (ein exklusives Wir, das die Anderen sind). Im Faschismus des erzkatholischen Ständestaates und des Nationalsozialismus sollte diese Vision mit Stumpf und Stiel getilgt werden. Wahlweise hieß es politisch zurück zum Heiligen römischen Reich deutscher Nation oder vorwärts ins Dritte Reich. Der Industrie hat dies alles andere als geschadet.

Mehr linke Bewegung als in der Sozialdemokratie war in Österreich kaum möglich. Das mag die Fluktuation zwischen den Extremen erklären. „Bürgerliche Kraft“ fällt schließlich auch in die Kategorie Oxymoron. Mit der „anderen“ Kraft hingegen, die nicht im Diskurs vorkommt und also nicht repräsentiert wird, hat man sich immer extrem schwer getan (man denke an die Zurschaustellungen in Ulli Gladiks jüngstem Film „Inland“). Rhetorische Schwerarbeit ist es für die Parteien, diesen ‚undemokratischen‘ Ton demokratisch richtig zu treffen, oder es wird provoziert (die unterdrückte Kraft brüllt).

Misstrauen gegen die Republik

Das soll aber nicht davon ablenken, dass es im Grunde um das Vertrauen in die republikanische Staatsform geht – insofern sind die Ereignisse des 20. Jahrhunderts noch hochaktuell. Auch die bürgerliche Mitte hat ihr nie so richtig getraut: Einer der Begründer des Neoliberalismus, der österreichische Ökonom Friedrich August (Edler von) Hayek, führte im Namen der individuellen, unternehmerischen Freiheit sämtliche totalitären Entwicklungen auf Ideen des Staatssozialismus zurück. Der Siegeszug dieser Deutung, die Forderung nach einem entschlackten Staat und einer schrankenlosen Wirtschaft, welche angeblich die Arbeitsplätze schafft, lässt sich kritisch u.a. bei Stephan Schulmeister nachlesen. Paradoxerweise wurde sie in den vergangenen Jahrzehnten vor allem von den sozialdemokratischen Regierungen mitgetragen. Staatliche Infrastrukturen wurden geschwächt, die Einkommensschere geht unweigerlich auseinander, das Prekariat wird unter einer strikten Unternehmensführung zur Norm.

Nationen können dem Markt keine Identität abkaufen. Gerade für Österreich, mit seinem fragilen, bipolaren Selbstbewusstsein, kann sich das als äußerst dramatisch erweisen. Man sollte sich mit Ernst Jandl jedenfalls bewusst sein, welcher „lichtung“ man folgt. Ist an der angeblich von Thomas Bernhard festgestellten österreichischen Punschkrapfen-Mentalität („Außen rot, innen braun und immer ein bißchen betrunken“) nach wie vor etwas Wahres dran, dann führt an der Gretchenfrage wohl nichts vorbei: Wovor muss man mehr Angst haben – vor den Wölfen nebenan oder den Werwölfen des Mehrwerts?

Christian Zolles ist Literatur- und Kulturhistoriker am Institut für Germanistik der Universität Wien.

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