Moralisches Greenwashing

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By Sebastian Reinfeldt

Die österreichischen Grünen und die ÖVP verhandeln nun offiziell eine Koalition. Derzeit sieht es so aus, dass diese ungewohnte Konstellation klappen könnte. Bereits die Tatsache solcher Verhandlungen mit der langjährigen, geübten Oppositionspartei könnte für die ÖVP einen positiven Neben-Effekt haben: Sie bugsieren die Volkspartei aus dem Dunstkreis der Ibiza-Affäre heraus. Verblassen soll etwa die Erinnerung daran, wie zu dieser Zeit hinter den Kulissen das Land zwischen den beiden Parteien aufgeteilt wurde. Aber auch die Erinnerung an die damit verbundenen Affären und an die Fälle möglicher Korruption könnte sich abdunkeln. Von Sebastian Reinfeldt.


Praktisch mit der Angelobung der türkis-blauen Regierung im Dezember 2017 begannen ihre Skandale und Skandälchen. Da ist zum einen die überlange Liste so genannter „Einzelfälle“ aus der FPÖ. Damit sind Personen gemeint, die ihre Nähe zum rabiaten Rechtsextremismus nicht verbergen können. Zum anderen geht es um dubiose Postenbesetzungen: Trotz der versuchten Message-Control kam die Vorgängerregierung auch dabei nicht aus den Schlagzeilen heraus. Allerdings hat die ÖVP im Windschatten dieser Skandale ihre beachtliche Machtbasis in den Institutionen Österreichs weiter ausbauen können. Für alle genannten Personen gilt natürlich die Unschuldvermutung.

Sozialversicherungen

Die Besetzung von Leitungsfunktionen bei den Sozialversicherungen ist ein klassisches Beispiel für die Sozialpartnerschaft. Das bedeutet: Dabei wird, völlig legal, parteipolitisch paktiert. Das tat auch türkis-blau, mit dem beabsichtigten Effekt, den Einfluss der SPÖ und der Gewerkschaften in den Gremien zu verringern. Somit wählten sie für die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) den freiheitliche Wirtschaftskammer-Vizepräsident Matthias Krenn als ersten Obmann. Krenn wird zunächst den Überleitungsausschuss und ab 1. Jänner 2020 den Verwaltungsrat leiten. Danach wird er sich mit seinem Pendant auf der Arbeitnehmerseite, dem Gewerkschafter Andreas Huss, im Halbjahresrhythmus abwechseln.

Im Management übernahm die ÖVP das Kommando. Am Auswahlverfahren wurde Kritik geübt, weil es nicht es nicht transparent ablief. So erfolgte kein KandidatInnen-Hearing. Zudem kamen keine Frauen zum Zug. Bernhard Wurzer, der Generaldirektor der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), kommt aus der Jungen ÖVP. Der Stellvertreter Alexander Hagenauer zeigt wiederum die sozialpartnerschaftliche Logik, denn er kommt aus der SPÖ. Georg Sima und Dr. Rainer Thomas sind weitere Stellvertreter.

Beim Dachverband der Sozialversicherungen wählt die Überleitungskonferenz den führenden Posten des Büroleiters. Dort haben die Arbeitnehmervertreter im Verhältnis 3:7 die Minderheit. Zum Zug kam – auf einem FPÖ-Ticket – der Investmentbanker Martin Brunninger als Büroleiter. Sein Stellvertreter ist Alexander Burz, ein früherer Angestellter bei der Industriellenvereinigung. Er war bereits im Büro von Wirtschaftskammer-Präsident und Ex-ÖVP-Minister Harald Mahrer tätig. Die FPÖ hat dabei formal einige hohe Posten für sich beansprucht, aber ihre Leute werden jeweils durch ÖVPler direkt kontrolliert.

Österreichische Notenbank

Die FPÖ hat halt wenig qualifizierte Personen in ihren Reihen, so heißt es. Als Lösung dieses Problems wurde die parteipolitische Logik bei der Postenbesetzung nicht aufgegeben. Sondern: In der zweiten Reihe sitzen ÖVP-nahe Personen, zu deren Gunsten die Kompetenzen verschoben werden. Das Paradebeispiel dafür ist das Personaltableau der Österreichischen Nationalbank. Zwar wurde der FPÖ-Politiker und Burschenschaftler Robert Holzmann deren Gouverneur, aber mit beschnittenen Kompetenzen. Diese sind zu Vizegouverneur Gottfried Haber verschoben worden. Wenig überraschend ist, dass er aus der ÖVP kommt. Durchgesetzt wurde das alles übrigens von Ex-Minister Harald Mahrer. Ebenfalls ÖVP.

Casinos Austria

28. März 2019: In der Aufsichtsratssitzung der Casinos Austria AG wird der neue Vorstand bestellt. Bettina Glatz-Kremsner (ÖVP) wird dem Unternehmen als Generaldirektorin vorstehen. Als weitere Vorstandsdirektoren wurden Martin Skopek und Peter Sidlo (FPÖ) in einer außerordentlichen Sitzung gewählt. So lautete die trockene Meldung damals, die einen türkis-blauen Deal – wie die zuvor genannten – erkennen lässt. Indes: In einer anonymen Anzeige an die Korruptionsstaatsanwaltschaft aus dem Mai 2019 wird von Regierungsabsprachen bei der Postenbesetzung der Casinos Austria berichtet. Weiters steht darin, der als „eng mit Johann Gudenus befreundet“ bezeichnete FPÖler Peter Sidlo sei trotz mangelnder Qualifikation Finanzdirektor der Casinos Austria geworden. Dazu habe es einerseits einen Deal zwischen Gudenus und der Firma Novomatic, die Sidlo nominiert haben, gegeben. Von diesem Deal hätten andererseits auch ÖVP-Finanzminister Löger und ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz Kenntnis gehabt.

Nun gab es in der Angelegenheit bereits zwei Hausdurchsuchungen. Dabei wurden offenbar Chatprotokolle und Dokumente gefunden, die diese Zusammenhänge belegen können. Der Ex-Finanzminister Löger steht plötzlich für eine künftige Regierung nicht zur Verfügung. Zudem hatte HC Strache im Ibiza-Video besonders die Firma Novomatic erwähnt, und ihr Interesse an Glücksspiel-Lizenzen. Die Genannten bestreiten allerdings die behaupteten Zusammenhänge.

Ein moralisches Greenwashing

Diese Besetzungen haben, im Rückblick, einen strengen Geruch. Oder? Das Besondere in den Aussagen im Ibiza-Video war ja, dass ein Spitzenpolitiker und der kommende Vizekanzler HC Strache einen Einblick liefert, wie Politik hinter den Kulissen abläuft. Das geht bis in den strafbaren Bereich. Die Ermittlungen der Korruptionsstaatsanwaltschaft fördern durchaus belastendes Material zu Tage. Ibiza ist keine Fikton, sondern scheint Tatsachen zu politischen Hintergrunddeals zu offenbaren.

Die politische Verantwortung tragen jeweils die dabei handelnden Personen. Das gilt für HC Strache, Johann Gudenus und andere FPÖler. Doch dies gilt ebenso für die Handelnden von Seiten der ÖVP. Ex-Finanzminister Hartmut Löger hat ja bereits Konsequenzen gezogen. Bis vor wenigen Tagen galt er noch als ministrabel unter der kommenden, neuen Regierung. Nun zieht er sich zurück.

Wenn die Verhandlungen mit den Grünen zum Ergebnis haben, dass Ibiza auch für die ÖVP in Vergessenheit gerät, dann wären sie für die ÖVP so oder so positiv. Durch ein von Seiten der Grünen unbeabsichtigtes moralisches Greenwasching.

Dem könnte man übrigens mit einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss entgegen wirken.


Unsere Chronologie zur Ibiza-Affäre wurde nunmehr durch den Themenstrang „Besetzung des Vorstands der Casinos Austria“ aktualisiert. Sie bietet damit einen guten und aktuellen Überblick über die Entstehung des Videos – und über seine Hintergründe und Konsequenzen.

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