Lindner (SPÖ): Der Kündigungsbeschluss ohne ehrliche Diskussion im Parteivorstand ist völlig inakzeptabel

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By Sebastian Reinfeldt

Der SPÖ-Politiker Mario Lindner, der Mitglied des Parteivorstandes der Bundespartei ist, kritisert im Semiosis-Interview die Kündigung der 27 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesgeschäftsstelle scharf. Offenbar kam diese Entscheidung ohne Diskussion mit und in dem SPÖ-Parteivorstand zustande. Lindner äußert sich auch zur Krise seiner Partei: Hier fordert er unter anderem eine „radikale Demokratisierung„. Mario Lindner war im ersten Halbjahr 2016 übrigens der erste offen schwul lebende Bundesratspräsident Österreichs.


Mario, du bist kein Abgeordneter im Nationalrat mehr. Vermisst du diese Tätigkeit?

Natürlich, ich war mit Herz und Seele Parlamentarier – zuerst als Präsident im Bundesrat, dann im Nationalrat. Es gibt kaum eine Tätigkeit, in der man soviel für die Menschen in Österreich weiterbringen kann – nicht nur durch Gesetze und Beschlüsse, sondern auch durch die Rolle als Abgeordneter selbst, in der man Vernetzen und Menschen zusammenbringen kann. Für mich ist es der spannendste Job der Welt!

Womit verbringst du deine Tage jetzt?

Es gibt wirklich mehr als genug zu tun. (lacht) Ich bin weiterhin für die Gewerkschaftsbewegung tätig und wurde gerade als Vorsitzender der sozialdemokratischen LGBTIQ-Organisation SoHo wiedergewählt. Vor allem bin und bleibe ich aber als Sozialdemokrat aktiv – es braucht in dieser Krise der SPÖ jede und jeden von uns, unseren Mut und unsere Ideen, um die Sozialdemokratie wieder aufzubauen.

Zur steirischen Landtagswahl: Das Ergebnis der SPÖ war ja nicht gut. Wo siehst du die Gründe für das schlechte Abschneiden?

Das Ergebnis vom Sonntag ist wirklich ein trauriger Tag. Und bei der Suche nach den Ursachen müssen wir selbstkritisch sein. Zuallererst gilt aber auch den unzähligen Menschen zu danken, die ehrenamtlich einen beeindruckenden Wahlkampf auf die Beine gestellt haben. Das Ergebnis ist aber schlecht, daran gibt’s nichts zu rütteln. Und ehrlich gesagt ist es für mich vor allem ein Symptom einer SPÖ, die nicht mehr erklären kann, wo unsere Gesellschaft in 10 Jahren sein soll. Diese Entwicklung geschieht bundesweit und wird leider schlimmer statt besser.

Wie könnte ein Weg aus der Krise der SPÖ aus deiner Sicht aussehen?

Da kann ich gleich an der vorigen Frage anschließen: Wir brauchen einen radikalen Aufbruch in der SPÖ, eine Revolution wie sie Peter Kaiser am Sonntag gefordert hat. Wir müssen uns wieder trauen, mutig zu sein. Niemand steht für ein billigeres Öffi-Ticket auf, auch wenn die Forderung super ist, aber sie kann immer nur ein kleiner Teil einer großen Vision sein. Am Weg zu dieser Vision braucht’s einerseits eine radikale Demokratisierung der SPÖ. Andererseits braucht’s den Mut, kontroverse Forderungen zu stellen und wieder um die Hegemonie in der öffentlichen Diskussion zu kämpfen. Schauen wir uns an, für wen wir Politik machen wollen: In österreichischen Krankenhäusern werden jeder Jahr 20.000 Kinder geboren, deren Eltern schon lange hier leben, aber die keine Staatsbürgerschaft und damit keine Mitsprache bei Wahlen haben. Oft sind das die untersten wirtschaftlichen Schichten. Aber wir trauen uns als SPÖ nicht glasklar zu sagen: Wir wollen das alle Menschen, die lange hier leben, auch mitbestimmen können und dass der Weg zu einem fairen Zugang zur Staatsbürgerschaft viel einfacher werden muss. Das muss sich ändern, denn es ist eine Frage der Gerechtigkeit!

27 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der SPÖ-Bundesgeschäftsstelle sind gerade gekündigt worden. Ist so ein Brain-Drain gut für die Partei?

Ganz klar: Nein! Ich habe schon öffentlich gesagt, dass ich für diese Vorgehensweise kein Verständnis habe und dabei bleibe ich. So ein Beschluss ohne ehrliche Diskussion, vor allem im Parteivorstand, ist völlig inakzeptabel. Wenn wir bei jenen Menschen, die nicht wegenhoher Gehälter, sondern auch Überzeugung für uns arbeiten, die Erfahrung und Know-How haben, sparen, dann ist das nicht nur menschlich, sondern auch für die Zukunft unserer Partei eine Katastrophe.

Die Neuwahlen wurden durch die Ibiza-Affäre notwendig. Wer ist aus deiner Sicht für diese Affäre verantwortlich?

Die Personen, die in dem Video zu sehen sind! Aber auch die Kultur der FPÖ, die das ermöglicht hat. Und die ÖVP, die mit dieser Partei wissentlich koaliert hat. Denn dass die FPÖ keine Partei ist, die Regierungsverantwortung haben darf, das wissen wir nicht erst seit diesem Video.

Warum kann die SPÖ von Ibiza politisch nicht profitieren? Was läuft bei der Bearbeitung derselben falsch?

Es geht gar nicht darum, die Krise der schwarz-blauen Ex-Regierung auszunutzen, sondern Wählerinnen und Wählern eine glaubwürdige Alternative – ein anderes Bild von Österreich – zu bieten. Und das haben wir nicht umfassend genug geschafft. Profitiert hat die ÖVP, die inzwischen ja weitergehend dieselbe Politik wie die FPÖ macht, sie aber anders verpackt. Die Sozialdemokratie muss dazu eine mutige, breite Alternative sein. Und bisher sind wir das noch nicht.

Warum tut sich die SPÖ mit einem Untersuchungsausschuss zur Casinos Affäre so schwer?

Ich gehöre ja nicht mehr dem Nationalratsklub an, daher fehlen mir – auch als Mitglied des Parteivorstandes – die genauen Informationen. Die SPÖ steht zu einem U-Ausschuss. Aus der Erfahrung der letzten Jahre weiß ich aber auch, dass die genauen Details zur Einsetzung, die Fragestellung und der Untersuchungsgegenstand sehr präzise definiert werden müssen. Im Sinne der bestmöglichen Aufklärung ist es, glaube ich, keine Katastrophe, wenn das ein paar Wochen länger dauert.

Wie sieht deine politische Zukunft aus? Wo möchtest du dich weiter wie einbringen?

Ich bin als SoHo-Vorsitzender ja weiterhin Mitglied des SPÖ -Vorstandes und werde mich weiterhin mit voller Kraft, für eine Erneuerung der SPÖ einsetzen. Unsere Bewegung hat immer in den größten Krisen gezeigt, wozu sie imstande ist. Ich werde mit jeder Faser meines politischen Lebens für diese Erneuerung kämpfen. Ganz spezifisch geht’s mir natürlich um das Thema Vielfalt als soziale Frage.

Letzte Frage: Welche Socken trägst du heute?

In Regenbogen-Farben, was sonst! 😉


Mario Lindner wurde 1982 in Leoben in der Steiermark geboren. Von 2015 bis 2017 war der gelernte Elektroinsallateur Bundesratsmitglied für die SPÖ und dadurch turnusgemäß im ersten Halbjahr 2016 Präsident des österreichischen Bundesrates. Von 2017 wurde der Sozialdemokrat in den Nationalrat gewählt und war bis 2019 der einzig offen schwule Parlamentarier dort. Er hatte sich – kurz bevor er das dritthöchste Amt in Österreich übernahm – geoutet.


Zum Titelfoto: Es ist ein Screenshot eines Bildes, das via Twitter verteilt wurde. Wir konnten den Urheber/die Urheberin nicht ausfindig machen. Wir hoffen, dass sie oder er uns dieses Foto überlässt. Danke! Die Person, die da herauslugt, ist laut Medienberichten übrigens eine Mitarbeiterin der SPÖ. Sie hat diese Aktion über einen längeren Zeitraum hinweg gemacht.

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