Wirecard: Fake it till you make it

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By Sebastian Reinfeldt

Drei Raiffeisen-Banken und vier Österreicher*innen sind in einen der größten Finanzskandale ever involviert. Unter ihnen der Sohn des ehemaligen Bundespräsidenten. Der nunmehr verdächtige Wirecard-CEO Markus Braun galt als Finanz-Wundermann und sitzt im Think-Tank von ÖVP-Kanzler Kurz. Die Osteuropa-Zentrale der Wirecard Bank AG befindet sich in Graz. Zahlreiche österreichische Unternehmen wie die ÖBB oder die Supermarktkette Billa wickeln ihren Zahlungsverkehr via Wirecard ab. Zwei Raiffeisen-Banken haben Millionen-Darlehen an Wirecard vergeben. Doch die gefeierte Erfolgsgeschichte des Top-DAX-Unternehmens entpuppt sich als ein einziger Schwindel. An dem umfassenden Milliarden-Betrug haben offenbar mehrere Personen und Institutionen mitgewirkt. Sebastian Reinfeldt fasst die derzeitigen Erkenntnisse zum Wirtschaftskrimi zusammen. Und er beleuchtet die zahlreichen Österreich-Bezüge. Es gilt die Unschuldsvermutung.


Der Beginn des Skandals: Recherchen der Financial Times

Anfang 2019 erscheinen in den Financial Times die erste Recherche von
Dan McCrum und Stefania Palma. Executive at Wirecard suspected of using forged contracts, lautet der Titel. Beide berichten über mögliche Geldwäsche und Kontenfälschungen. Ein Whistleblower hatte interne Unterlagen zugespielt. Aus den Recherchen geht beispielsweise hervor, dass Wirecard-Transaktionen in Asien nur auf dem Papier stattgefunden haben. So wusste eine Firma, die in den Dokumenten als Kunde genannt wird, noch nicht einmal von der Existenz von Wirecard. Weder würde sie die genannten Produkte – Software – verkaufen, noch hätte sie Kunden in Indonesien (dem angegeben Land) oder würden überhaupt einen Zahlungsdienstleister benötigen. Dem ersten Artikel in der Financial Times folgten vierzig (!) weitere. Wirecard antwortete auf die FT-Serie “ House of Wirecard “ mit Anzeigen gegen die Journalist’innen. Sie behaupteten, diese würden gefälschte Dokumente veröffentlichen. Später meinten sie, die FT-Journalist*innen hätten sich mit Hedgefonds abgesprochen, die an den Börsen auf ein Einbrechen des Aktienkurses von Wirecard gewettet haben. Diese Wetten gab es tatsächlich. Die Absprachen indes nicht.

Klagen und Anzeigen gegen Recherche

Man hätte es also frühzeitig wissen können. Nicht nur die Financial Times, auch das Handesblatt berichtete kontinuierlich über Luftbuchungen in den Bilanzen, über sogenannte Round-tripping-Transkationen und über den Verdacht der Geldwäsche. Statt diesen Berichten nachzugehen, reagierte die zuständige deutsche Bankenaufsicht BaFin (Wirecard hat eine deutsche Banklizenz) sogar mit einer Klage gegen die Recherchierenden. Wörtlich sprach die Aufsichtsbehörde damals sogar von einem “ Medien-Komplott. “ Erfolg lässt eben schnell kritiklose Bewunderung entstehen. Im strahlenden Lichte des Erfolgsunternehmers Braun ließen sich auch der österreichische Bundeskanzler Kurz oder der frühere NEOS-Chef Strolz gerne blicken. Doch der Schein trog.

Ohne die unermüdliche Recherche der Financial Times – deren Mutterkonzern Nikkei Inc. in der Auseinandersetzung mit einem finanzstärkeren Unternehmen zudem ein beträchtliches Risiko einging – würden die Betrügereien von Wirecard immer noch als Erfolgsmodell gelten. Als Zahlungsdienstleister, der über eine hohe Liquidität verfügen musste, ist das Unternehmen eng mit großen Banken und mit den Kreditkartenunternehmen Mastercard und Visa vernetzt.

Raiffeisen Niederösterreich, Oberösterreich sowie Raiffeisen International sind mit Wirecard geschäftlich verbunden

So verfügte Wirecard über Kreditlinien in der Höhe von insgesamt 1,75 Milliarden Euro bei mindestens 15 Banken. Davon seien aktuell rund 800 Millionen Euro ausständig. Zu den größten Gläubigerbanken gehört das Who-is-who der Finanzwirtschaft: ABN Amro, Commerzbank, ING, LBBW, Barclays, Credit Agricole, DZ Bank, Lloyds, Bank of China, Citi und Deutsche Bank. Laut Bloomberg hat Wirecard auch vergleichsweise kleine Kredite bei östereichischen Banken offen, so bei der Raiffeisen-Landesbank Niederösterreich (60 Millionen Euro) und der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich (45 Millionen Euro). Raiffeisen International kündigte noch im Februar 2020 eine Kooperation mit Wirecard an. Trotz der bereits bekannten Vorwürfe gegen den Zahlungsdienstleister hieß es noch in einer APA-Aussendung:

Im Rahmen der Kooperation bieten die beiden Unternehmen Händlern in aktuell 13 zentral- und osteuropäischen Ländern gemeinsam ein komplettes Spektrum an Finanzdienstleistungen über die Wirecard Financial Commerce-Plattform an.

Vielleicht lässt sich diese Kooperation zu diesem Zeitpunkt ja mit dem Einfluss von vier Österreicherinnen und Österreichern auf die Geschicke von Wirecard erklären.

Die Österreich-Connection bei Wirecard

Die Staatsanwaltschaft München ermittelt gegen Markus Braun und gegen drei weitere (Ex-)Mitglieder des Vorstands. Dieser war bis vor kurzem ziemlich rot-weiß-rot gefärbt. Neben dem zurückgetretenen Braun sitzt die Tirolerin Susanne Steidl im Vorstand. Auch gegen sie werde ermittelt, heißt es. So wie Braun, der übrigens für die ÖVP (70.000) und für die NEOS (125.000) Parteispenden springen ließ, pflegte Steidl ihre Österreich-Connections. Beim Tiroler Wirtschaftsforum im November 2020 steht sie (noch) auf der Liste der Vortragenden. Ihr Thema laut Ankündigung: Faszination Fintech – Wie wir in Zukunft bezahlen werden.

Das Geschäftsmodell: Bei jeder Transaktion ein wenig mitschneiden

Bezahlen neu organisieren. Das ist kurz gefaßt das Mantra von Wirecard. Ursprünglich handelte es sich dabei um ein Nischenunternehmen, das Zahlungsdienstleistungen für Online-Glücksspiele und Pornoseiten abwickelte. Dann wurde es sehr schnell sehr groß. Wenn jemand in einem Online-Shop ein Produkt für 100 Euro kauft, dann ist Wirecard oder (oder ein anderes Unternehmen) zwischen geschaltet. Beim Händler kommen bei Zahlung mit Kreditkarte sofort etwa 98,5 Euro an. Von den übrigen 1 Euro 50 geht etwas an den Kreditkartenanbieter, der Rest an die Bank und einen kleinen Teil erhält der Zahlungsdienstleister. Er ist deshalb zwischen geschaltet, um die sofortige Zahlung zu garantieren. Sein Bestreben muss es daher sein, möglichst viele Transaktionen über die eigenen Kanäle abzuwickeln. Eine Theorie, die im Handelsblatt zitiert wird, besagt nun, dass die Bilanz von Wirecard künstliche aufgebläht wurde, um an die wirklich großen Kunden wie etwa Amazon und Uber heranzukommen. In diesem Fall wären die nun „fehlenden“ 1,9 Milliarden Euro mit der Zeit leicht nachverdient worden. Der Betrug wäre nicht aufgefallen: Fake it till you make it, eben.

Markus Braun: Vom kleinen Licht zum Patriarchen

Das Geschäftsmodell von Wirecard ist eng mit dem Namen des Ex-CEO Markus Braun verbunden. Nach dem Studium der Wirtschaftsinformatik an der TU Wien wurde Braun Unternehmensberater. 1998 landete er als Projektmanager bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG in München. Drei Jahre später wurde er Vorstand bei Wirecard. Braun wird zugleich als Arbeitstier und Visionär beschrieben. In seinen vorherigen Jobs sei er indes ein unauffälliger Abarbeiter und „ein kleines Licht“ gewesen, so sagen Ex-Kollegen jedenfalls laut Handelsblatt. Ein kleines Licht allerdings, das gerne groß dachte.

Seine vermeintliche Erfolgsstory mit Wirecard war seit längerem von kritischen Nachfragen und Recherchen begleitet. Bereits 2008 tauchten Vorwürfe auf, die Firmenbilanzen würden nicht stimmen. Das Reaktionsmuster von Wirecard in so einem Fall ist immer gleich: Sie drohen mit der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz und ziehen vor Gericht. Dann engagieren sie renommierte Wirtschaftsprüfungsunternehmen (etwa Ernst Young – EY), die die Bilanzen prüfen und möglicherweise unbeabsichtigt reinwaschen. Der Betrug war deshalb kaum zu erkennen, weil Wirecard über ein schwer durchschaubares Netz von Tochterfirmen verfügte. Das Handelsblatt charakterisiert Braun als einen „Patriarch und Großaktionär.

Stefan Klestil: Der Mann für die Neo-Bankenwelt

Stefan Klestil hat ihn bewundert. Das geht jedenfalls aus einem Bericht des Kuriers vom September 2018 hervor. Die Österreicher Klestil und Braun lernten sich im Rahmen einer Ausschreibung kennen. Damals war Klestil noch bei einem anderen Zahlungsdienstleister, bei First Data engagiert, machte sich später selbstständig und ist seit 2009 im Aufsichtsrat von Wirecard. Das Unternehmen Speedinvest, in das Klestil als Lead Partner Fintech involviert ist, finanziert Fintech-Unternehmen wie Bitpanda, die finnische Neo-Bank Holvi und war auch an der Entwicklung der deutschen Neo-Bank N26 beteiligt, die ebenfalls von zwei Österreichern gegründet wurden: Valentin Stalf und Maximilian Tayenthal. N26 hatte sich allerdings frühzeitig von der Bindung an Wirecard losgesagt und eine eigene Banklizenz beantragt. Bei Holvi hingegen sind die Business-Kreditkarten (Mastercard) derzeit gesperrt. Die Konten allerdings funktionieren. Die Wirecard-Produkte boon (eine Bezahl-App) und boon.planet (ein Online-Konto) haben derzeit Schwierigkeiten. Viele Kundinnen und Kunden ziehen ihr Geld ab. Transaktionen gehen nur verzögert durch. Konten der beliebten Kreditkarten-App Curve sind derzeit eingefroren, weil sie Wirecard für den Zahlungsverlehr genutzt haben. Aktuell hat Curve mit Global Processing Service offenbar einen neuen Zahlungsdienstleister gefunden.

Die Wirecard-Blackbox in Asien: Jan Marsalek

Der letzte hier genannte Österreicher, Jan Marsalek, ist der Schattenmann des Asien-Geschäfts. „Marsaleks Bereich war für uns immer eine Blackbox“, so wird ein Kollege im Handesblatt zitiert. Marsalek wurde als erster entlassen und wird nun per Haftbefehl gesucht. Er ist im Jahr 2000 ins Unternehmen gekommen. Im Februar 2010 stieg er in den Vorstand auf. Dort war er für das Geschäft in der Asien-Pazifik-Region verantwortlich, wo wahrscheinlich der geografische Schwerpunkt des Betrugs liegt. Marsalek flüchtete auf die Philippinen und ist derzeit spurlos verschunden. Unklar ist, wie er trotz strenger Einreiseregeln dorthin gelangen konnte. Ihm werden Kontakte zu Präsident Duterte nachgesagt. Die ominösen Treuhandkonten in der Höhe von 1,9 Milliarden Euro sind auf dem Papier auf den Philippinen registriert.

Der Treuhänder auf den Philippinen:Gerade mal genug Geld für ein I-Phone

Diese Konten scheinen aber gar nicht (oder wenn, dann zu einem anderen Zweck) zu existieren. Neben Marsalek zeichnet ein dubioser Treuhänder namens Mark Tolentino verantwortlich. Auch bei Tolentino gibt es eine Verbindung zum Präsidenten Duterte, denn er hat in dessen Diensten gestanden. Außerdem muss es Mittelsleute bei den philippinischen Banken gegeben haben, die Bankdokumente sozusagen im Original fälschen konnten. Das regierungsunabhängige Nachrichtenportal Rappler berichtet, dass die philippinische Bank BPI einen Mitarbeiter suspendiert hat. Bei der Konkurrentin BDO hieß es, es sehe alles danach aus, dass einer ihrer Marketingmitarbeiter ein Bankzertifikat gefälscht habe. Die philippinische Zentralbank stellt fest, die Wirecard-Milliarden seien nicht in ihrem Finanzsystem gelandet.

Der Treuhänder Tolentino, der für die 1,9 Milliarden Euro verantwortlich sein soll, die der deutsche Finanzkonzern angeblich in Asien deponiert hatte, spricht in seiner Stellungnahme von „Identitäts-Diebstahl. Tatsächlich würde er sechs Konten verwalten. Drei davon bei der BDI und drei weitere bei BDO. Doch, so wörtlich:

If you check the bank accounts I opened, the amount there is very small, just enough to buy an iPhone“ .

5 Gedanken zu „Wirecard: Fake it till you make it“

  1. HINWEIS:

    Im Abschnitt „ Der Treuhändler auf den Philippinen:Gerade mal genug Geld für ein I-Phone“ sind die Namen Duterte und Tolentino je einmal falsch geschrieben.

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  2. vielleicht noch ein Kommentar:
    „Er ist deshalb zwischen geschaltet, um die sofortige Zahlung zu garantieren.“
    Ein Acquirer oder Payment Service Provider wie es Wirecard primär war garantiert keine sofortige Zahlung. Er übernimmt die Haftung, wenn der Kunde das Geld zurückfordert und der Händler dazu nicht mehr in der Lage ist….

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  3. Lieber Sebastian Reinfeldt,
    kleine Anmerkung: es gibt keine Treuhändler (was nichts mit der Zuverlässigkeit von HändlerInnen zu tun hat), sondern Treuhänder – weil diese zu treuen Händen etwas verwalten … siehe die unrühmliche deutsche Treuhand
    Liebe Grüße

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