„Die Personalsituation ist fahrlässig“ – Wiener Krankenhäuser werden eingespart

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By Sebastian Reinfeldt

Der riesige Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) ist eine der größten Gesundheitseinrichtungen Europas. 1993 übernahm er die Aufgaben der damaligen Magistratsabteilungen 16, 17 und 23. Er ist ein Unternehmen der Stadt Wien und wird vom Gemeinderat kontrolliert. Dieses bürokratische Monster steuert und verwaltet 2016 elf Spitäler, drei Geriatriezentren sowie acht Pflegewohnhäuser mit rund 30.000 MitarbeiterInnen. Seit seiner Gründung ist der KAV die Zielscheibe andauernder Kritik seitens der FPÖ. Die rechtspopulistische Partei prangert politische Skandale an.
Weniger beachtet wurde bislang das Schwarzbuch Kranker Anstaltenverbund, das die unabhängige Gewerkschaft KIV/UG vorgelegt hat. In ihm sprechen die Beschäftigten in den Einrichtungen des KAV über ihren Arbeitsalltag. Sie berichten von Arbeitszeiten von bis zu 400 (!) Stunden pro Monat, vom andauernden Hackeln am Limit, von Ausbeutung per Dienstplan und Ignoranz der Verantwortlichen für ihre Situation. Deren Antwort lautet nämlich: Wir müssten weiter sparen, abbauen und zentralisieren. Im Oktober dieses Jahres wird übrigens mit der Geburtenstation des WGKK-Krankenhauses Hanusch im 14. Bezirk die nächste Krankenhaus-Station in Wien geschlossen. Ärztekammer, Gewerkschaft und der KAV haben sich zudem auf eine Kürzung von 328 Posten für Ärztinnen und Ärzte bis 2018 geeinigt.
Eine Recherche zum Wiener Gesundheitssystem von Sebastian Reinfeldt.


Normal ist: 100 Stunden die Woche arbeiten

Die Alten finden es normal, bis zu 100 Stunden die Woche zu arbeiten – das sind mehr als 400 Stunden im Monat!,

erzählt eine junge Assistenzärztin in der Unfallchirurgie. Sie arbeitet in einem Krankenhaus des KAV. Da noch in Ausbildung, fragt sie sich:

Wie sollen wir etwas lernen, wenn dazu nicht genügend Personal da ist?

Über die Situation der Ärztinnen und Ärzte wird in den Medien immer wieder berichtet. Sie sind dazu angehalten, keine Überstunden mehr zu machen – bei gleichbleibenden Aufgaben und weniger Personal. Äußern sich einzelne ÄrztInnen allerdings öffentlich kritisch dazu, so wird ihr Vertrag einfach nicht verlängert. So ist es Gernot Rainer passiert, dessen Engagement in einer eigenen Ärztegewerkschaft den Oberen nicht in den Kram gepasst hat. Er würde sich mit den „Gesamtinteressen der Stadt Wien und der Dienststelle“ nicht genügend identifizieren, so der negative Passus in seiner Beurteilung, die zur Nicht-Verlängerung seines Vertrags führte. Der Fall ist nun vor Gericht. Dort wurde bekannt, dass dieses Kriterium in den vergangenen 12 Jahren kein einziges Mal zur Anwendung kam. Nur der kritische Arzt wurde entsprechend beurteilt. Von einer Kommission übrigens, in der Gerold Oberhauser, der Ehemann der Ministerin Sabine Oberhauser, als sozialdemokratischer Personalvertreter sitzt und entscheidet. Fachlich ist der inkriminierte Arzt nämlich eine Eins.

„Ich könnte im Stehen schlafen

Über die Belastungen des Pflegepersonals liest man dann schon weniger. Aus den Berichten im KAV-Schwarzbuch ergibt sich allerdings ein erschreckendes Bild. Eine Krankenschwester der Unfallchirurgie erzählt etwa:

Ich könnte im Stehen schlafen, so müde bin ich; ich bin eigentlich nur noch im Zug, im Bett oder in der Arbeit. Ich bin absolut am Limit. Ich schleppe seit einem Monat eine Erkältung mit mir herum und kann mich nicht auskurieren. Auf meiner Station gibt es viele Kündigungen und extrem viele Krankenstände, die Leute sind einfach völlig erschöpft!

Der hohe ethische und soziale Anspruch, den die Pflegenden haben, wird offenbar ausgenutzt, um falsche Planungen und unlösbare Vorgaben zu erfüllen. Im Mai 2016 erreichte sämtliche Primare der KAV-Spitäler eine Mail, in der sie ultimativ zum Sparen aufgefordert wurden. Absender: KAV-Generaldirektor Udo Janßen. Mehr als 24 Millionen Euro müsse der KAV einsparen; für die Primare heißt das, sie haben „im Gesamtausmaß von mindestens zehn Prozent des Ihrem Bereich zur Verfügung stehenden Gesamtausgabenrahmens“ einzusparen. Im Verwaltungsdeutsch wird dies als „Konsolidierungsnotwendigkeiten“ bezeichnet, für die Beschäftigten bedeutet diese eine weitere Runde in Arbeitsverdichtung. Und damit eine weitere Runde von Burn-outs.

Arbeitsverdichtung auch in der Spitalsküche

Dieses „verdichtete“ Arbeiten am Limit setzt sich übrigens an allen Arbeitsplätzen in den Krankenhäusern fort. Wie die Sozialpädagogin auf einer Kinderstation berichtet, müssten auch Kinder darunter leiden:

Die Personalsituation auf der Kinderstation ist einfach nur noch fahrlässig – und eigentlich wird die Aufsichtspflicht gegenüber den Kindern fast täglich verletzt.

Sogar in den Kantinen und Küchen der Spitäler herrscht Verzweifelung und Überarbeitung. Eine Hauptköchin in einer Krankenhaus-Zentralküche meint:

Diese ganze Situation in der Küche wird sich von alleine auch nicht wirklich verbessern. Wir haben zurzeit extrem viele Krankenstände: Viele MitarbeiterInnen können einfach nicht mehr. Diejenigen, die sich durchbeißen, werden immer müder und das hat Unkonzentriertheit und Unachtsamkeit zur Folge, was in einer Küche gefährlich werden kann.

Alle Berichte, die sich in dem Schwarzbuch finden, sind von Perspektivlosigkeit für die Beschäftigten gekennzeichnet. Da ist kein Licht am Ende des Tunnels erkennbar, im Gegenteil erscheint es so, als würde der Arbeitsverdichtungstunnel ad infinitum weiter verlängert.

KAV-Krankenhausbauten vernichten Geld

Und an dieser Stelle kommen die politischen Skandale zum Tragen. Ohne diese könnten die Beschäftigten wohl menschlichere Arbeitsbedingungen vorfinden. Zum Beispiel das KAV-Prestigeprojekt Krankenhaus Nord. Das modernste Spital Europas (drunter macht es die Stadt Wien ja nicht mehr) wurde für 825 Millionen Euro kalkuliert, und sollte 2015 seinen Betrieb aufnehmen. Nun, im Sommer 2016, wird vom Jahr 2018 als Starttermin gesprochen, und die Kosten könnten einem Bericht der Presse zufolge auf 1,5 Milliarden Euro hochschnellen. Und dabei ist weder das an die GESIBA zur kosmetischen Kostenreduktion ausgelagerte Gesundheitszentrum noch sind die Kreditfinanzierungskosten mit eingerechnet worden.
Vier Millionen Euro gab der KAV im Jahr 2015 für Beratungen aus, beim gescheiterten Deal um das Areal des Otto Wagner Spitals verlor der KAV rund 5 Millionen Euro. Und auch der Verfasser des KAV-Sparmails von Mai dieses Jahres hat auf Kosten des KAV kräftig gespart – bei seiner eigenen Miete. Erst nachträglich musste er seine Miete von 370 Euro (!) für mindestens eine KAV-Sozialwohnung auf eine „ortsübliche Miete“ erhöhen. Den tatsächlichen Betrag hat man dabei nie erfahren.

Ist Zentralisieren alleine schon ein Konzept?

Die Wiener Politik scheint bezüglich des Wiener KAV kein wirklich durchdachtes Konzept zu verfolgen. Jahrelang gab es keinen Generaldirektor, dann wurde mal hier gespart, mal dort Leistungen an sogenannte Personaldienstleister wie die AGO ausgelagert (und das unter dubiosen Umständen); das Großprojekt Krankenhaus Nord krankt. Im Jahr 2016 wurde dann das Wiener Spitalskonzept mit der Zielvorgabe 2030 vorgestellt: Bis dahin sollen sieben konzentrierte Schwerpunktkrankenhäuser in drei Wiener Regionen die Gesundheitsversorgung der Bevökerung übernehmen. Es ist mehr als fraglich, ob sich dadurch die Situation für die Beschäftigten und für die PatientInnen wirklich verbessern wird. Zentralisierung per se ist nämlich kein Garant für bessere Leistungen und für bessere Arbeitsbedingungen – und der KAV hat seine Fähigkeit für effizientes und soziales Wirtschaften bislang nicht gerade unter Beweis gestellt.

Und an diesem Punkt erweist sich die Ausgliederung von 1993 als problematisch. Auf dem Papier hätte der Gemeinderat tatsächlich Kontrollmöglichkeiten. Stadtnahe Unternehmen sind aber keine demokratisch kontrollierbare Unternehmen, solange die Nicht-Regierungsparteien keinen Einblick in die Bücher und Vorgänge haben.

1 Gedanke zu „„Die Personalsituation ist fahrlässig“ – Wiener Krankenhäuser werden eingespart“

  1. Wichtiger Kommentar, nur eine Anmerkung –
    Dass das KH Nord zu einem weiteren Skandal wird, war vorher abzusehen – schuld daran sind die Vergabegesetze der Stadt (ursprünglich gute Idee gegen Proporz) . Es hat der Billigstbieter beauftragt zu werden, der bewusst viel zu niedrig kalkuliert, dann versucht, die Kosten nicht ins Übermaß zu treiben – mit schlechter Qualität (siehe Stadthallenbad) . Das Resultat: Kostenexplosion,Skandal…
    Auch da braucht es Änderungen.

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