Johannes Voggenhuber: Für eine weitere stinknormale Partei besteht kein Bedarf

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Es war ruhig geworden um Johannes Voggenhuber die letzten Monate. Fast schien es so, als hätte ihn die Krise der Grünen kalt gelassen. Nun meldet er sich zu Wort. Der Gastkommentar basiert auf einem Facebook-Posting. Voggenhuber gehört zu den Urgesteinen der grünen Bewegung. Seine Abrechnung mit dem Funktionärsapparat ist unvollständig, wie er zugibt. Doch nicht minder deutlich.


Manche haben sich gewundert und manche haben besorgt nachgefragt, warum ich den ganzen Wahlkampf lang geschwiegen habe. Mein Schweigen hatte zwei Gründe:

Gründe für mein Schweigen

Ich wollte als einer der Gründer der Grünen und langjähriger ungehörter Kritiker ihrer Entwicklung an ihrer Selbstzerstörung keinerlei Anteil haben, keinerlei Rolle spielen in ihrem schauerlichen Spaltungs-und Auflösungsprozess.
Auch zu Kurz und Strache hatte ich nichts mehr zu sagen, seit ich erkennen musste, dass jegliches rationale oder ethische Argument gegen sie längst müssig geworden ist, die Ohren ihrer Anhänger gar nicht mehr erreicht und wenn doch, sie nur weiter aufputscht. Wer immer wissen wollte, wer die beiden sind, wofür und vor allem wogegen sie stehen und welche Kräfte sie repräsentieren, konnte es wissen, musste es wissen und hat es auch gewusst.

Zwei rechte Parteien machen 60 Prozent

Meine letzte klägliche Hoffnung war, dass dieser letzte besondere Augenblick in der Wahlzelle, in der jeder und jede ganz für sich ist und allein verantwortlich, dass die Würde und die Nüchternheit dieses Augenblicks, nicht wenige doch noch zurückzucken lassen würde. Vorbei.
Am Höhepunkt von Haiders Aufstieg, sagte man mir, ich müsste mich einfach damit abfinden, dass eine rechte Partei, mit autoritären, nationalistischen und xenophoben Tendenzen in Österreich nun einmal ein Stimmenpotential von knapp dreißig Prozent habe. Diese Wahl hat mir die Augen geöffnet für den Abgrund dieser spezifisch österreichischen Mathematik: Eine rechte Partei bekommt in Österreich bis zu dreißig Prozent der Stimmen. Zwei rechte Parteien machen also 60 Prozent der Stimmen. In der Sozialdemokratie sind Leute wie Niessl und Doskozil inzwischen zuversichtlich, dies gelte auch für eine dritte rechte Partei.

Der Funktionärsapparat hat ein historisches Projekt einfach abgefackelt

In dieser Situation ist es dem Funktionärsapparat der Grünen gelungen ein politisches Projekt von historischer Dimension, das vor über drei Jahrzehnten aus der Mitte der Gesellschaft entstanden war und für Umwelt, die Freiheitsrechte jedes Menschen, Demokratie, Friede und soziale Gerechtigkeit stand, einfach abzufackeln – genau in dem Augenblick für den es geschaffen wurde, als Alternative zu den einstürzenden, morsch und zerrüttet gewordenen politischen Altbauten der Nachkriegsgeschichte.

Ein Blitz aus Zorn und Enttäuschung

Nun stehen die führenden Funktionäre der Grünen da, als hätte sie der Blitz getroffen aus heiterem Himmel. Befragt über die Ursachen eines sich seit Monaten abzeichnenden Absturzes quälte sich die Spitzenkandidatin und zahlreiche Nachplapperer bloß die klägliche Formel ab: „Ja, ich gebe zu, es ist im letzten Dreivierteljahr nicht alles optimal gelaufen.“ Dafür erfrechten sie sich (bei einem Umfragestand von 6 Prozent Stimmenanteil), eine Wahl der Grünen gar als „die einzige Garantie gegen eine blaue Regierungsbeteiligung“ anzupreisen.
An die Verantwortlichen der Grünen: Ja, es hat Euch der Blitz getroffen, der des Zorns und der Enttäuschung Eurer Wähler und Wählerinnen. Aber nicht aus heiterem Himmel. Viele Jahre habt Ihr die Gewitterwolken nicht wahrnehmen wollen: das Donnergrollen mit buntlustigen, infantilen Events, von Plakatwänden blökenden Lämmern und Sprechblasen übertönt und habt das Wetterleuchten einfach geleugnet.

Ämterhäufung und Kritikresistenz

Viele Jahre schon seid ihr gegen jegliche Kritik resistent.
Ihr habt Euch nicht davon abhalten lassen, Versprechen, Prinzipien und Ideale der Gründerzeit in zynischer Überheblichkeit über Bord zu werfen. Ihr habt Euch nicht abhalten lassen, regelmäßig den Erhöhungen der ohnehin weltweit höchsten Parteienfinanzierung zuzustimmen (mit der „Gegenleistung“ der Verlängerung der Legislaturperiode des Parlaments). Ihr habt Euch nicht abhalten lassen, den Klubzwang und die Parteisteuer für Abgeordnete einzuführen, diese mehr und mehr zu entmündigen und sie durch eine aufgeblähte Bürokratie der Fraktionsführung zu gängeln, einen sinistren Hofstaat um die Parteispitze zu bilden, neue Abgeordnete klein zu halten und nach williger Gefolgschaft anstelle der Qualifikation zu wählen. Ihr habt den Bundeskongress, einstmals demokratische Basis der Grünen aus unabhängigen Aktivisten zu einer Versammlung von abhängigen Funktionären und zu einem Intrigenstadel der Parteispitze gemacht. Auch die Ämterkumulierung, die wir Jahre lang als Wurzel vieler Übel angeprangert haben, wurde mir nix Dir nix zur grünen Selbstverständlichkeit. Frau Glawischnig war Bundessprecherin, Spitzenkandidatin, Klubobfrau, III. Nationalratspräsidentin und Mitglied im Österreich-Konvent. Und es gab landauf landab nicht einen Pieps von Kritik.

„Erwartungssteuerung“ statt Politik

Ihr habt die innerparteiliche Demokratie abgewürgt, wie auch jeden innerparteilichen Wettstreit um die besseren Ideen und die besseren Lösungen. Die höchsten Ämter und Spitzenkandidaturen werden wie bei den Altparteien inzwischen vom Vorstand „designiert“. Sie werden ohne Gegenkandidaten gewählt. Schon unter Van der Bellen wurde daraus eine simple „Hofübergabe“, um keinen Deut anders als bei den ÖVP-Landeshauptleuten, die wir dafür verhöhnt haben. „Eine grüne Regierungsbeteiligung“ war Euer einziges Ziel. Dafür habt ihr ganz ungeniert Eure so genannte „Erwartungssteuerung“ betrieben, kurz gesagt: „Nur keine Erwartungen wecken, nur keine politischen Ideen vertreten, die dem im Weg stehen.“ Medien und präsumptive Koalitionspartner konnten Euch damit nach Belieben gängeln.

Programmarbeit eingestellt

Ihr habt seit vielen Jahren jede Programmarbeit und jede gesellschaftspolitische Analyse eingestellt. Im Österreich-Konvent habt Ihr nicht einmal mehr einen grünen Gegenentwurf für eine neue österreichische Verfassung zusammengebracht. Für Europa mitten in einer Massenkarambolage von Krisen habt Ihr schon lange keine Antworten mehr. Mitten in der Finanz-und Wirtschaftskrise habt Ihr (unbemerkt von der Öffentlichkeit) klammheimlich dem Europäischen Stabilitätsmechanismus und seinem grausigen Austeritydiktat gegen die Schwächsten zugestimmt, obwohl Ihr durch die notwendige Verfassungsmehrheit die historische Macht in Händen gehabt hättet, seine Verbesserung zu erzwingen: ein historisches Versagen.
In den Ländern habt ihr gar einer Absenkung der Mindestsicherung für Flüchtlinge zugestimmt. Immer öfter treffen Euch konkrete Krisen und auftauchende Konflikte in der Gesellschaft unvorbereitet. Europa, DIE Herausforderung der Zukunft, war in Eurem Wahlkampf nicht mehr als eine Duftmarke.

Warnende Stimmen wurden zum Schweigen gebracht

Je mehr Eure Überzeugungsarbeit in der Gesellschaft versandet ist, desto höher schnellten die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit und PR Eures Spitzenpersonals. So unvollständig diese Diagnose grüner Fehlentwicklungen ist, so drastisch belegt sie doch, dass die ständige öffentliche Attitüde der allseitigen moralischen Überlegenheit durch ihre Parteispitze schon lange keinerlei Rechtfertigung mehr besitzt in ihren eigenen Taten.
Warnende Stimmen habt Ihr zuerst versucht zum Schweigen zu bringen und dann einfach beseitigt. Dagegen konnten führende Grüne schon vor Jahren unwidersprochen Ihre Absicht verkünden, aus den Grünen eine „stinknormale Partei“ zu machen. Warum wundert es Euch, dass es immer mehr zu stinken begonnen hat. An einer weiteren „stinknormalen Partei“ besteht in der Bevölkerung kein Bedarf. Noch immer nicht begriffen? Grün war ein anderes Versprechen!
Diese Partei, gedacht als Spielbein einer Umwelt-Demokratie-Sozial-Frauen und Friedensbewegung und heute auch einer Bewegung für die politische Einigung Europas konnte nur deshalb an einem einzigen Tag zusammen stürzen wie ein Kartenhaus, weil Ihr es vorher zu einem Kartenhaus gemacht habt.

Das grüne Wohlfühlprojekt

Nein, Ihr seid nicht innerhalb eines Jahres unversehens von den lichten Höhen einer siegreichen Präsidentenwahl abgestürzt. Ihr habt gar nicht gemerkt, dass „Eure Stimmen“ gar nicht Euch gegolten haben. Sie kamen durch eine Allianz der Demokraten und Demokratinnen quer durch die Gesellschaft gegen Rechts, gegen Rassismus, gegen Nationalismus und gegen autoritäres und antieuropäisches Denken zustande. Es war nicht Euer Sieg. Im Gegenteil: Ihr habt diese demokratische und soziale Allianz schon unmittelbar danach im Stich gelassen und Euch wieder in Eurem persönlichen Wohlfühlprojekt eingerichtet. Das beweist auch Eure eklatante Schwäche in den Monaten danach. Ihr hattet sie damit nur kurz zugedeckt.

Wer wird wieder Vertrauen erwerben?

Und nun? Nun bleibt Euch nur die Aufgabe, ohne acht Millionen Parteienfinanzierung aber mit vielen Schulden, ohne Ressourcen und ohne Mitarbeiter und ohne Spindoktoren und Marketingabteilungen und ohne klingende Titel, aber wieder mit den Ideen und Werten, mit Visionen und konkreten Lösungen, mit Mut und Überzeugungskraft das verlorene Vertrauen wieder zu erwerben und das wieder aufzubauen, was Ihr zerstört habt. Wer wird sich dafür finden?

Johannes Voggenhuber

Johannes Voggenhuber
Johannes Voggenhuber

Johannes Voggenhuber, geboren 1950 in Salzburg war von 1977 bis 82 Sprecher der Salzburg Bürgerliste.Von 1982 bis 1987 war er als Stadtrat von Salzburg verantwortlich für Stadtplanung, Altstadtsanierung, Verkehr, Umwelt und die Baubehörde. Von 1988 bis 1991 war er Bundesgeschäftsführer der Grünen Alternative, von 1990 bis 1996 Abgeordneter zum österreichischen Nationalrat. Von Jänner 1995 bis 12009 war er Abgeordneter der Grünen im Europäischen Parlament. Am 30. Jänner 2009 wurde auf einer Sitzung des erweiterten Bundesvorstandes der Grünen beschlossen, dass Johannes Voggenhuber nicht auf der Liste der Grünen für die Europawahl 2009 kandidieren (und um Vorzugstimmen werben) darf.

2 Gedanken zu „Johannes Voggenhuber: Für eine weitere stinknormale Partei besteht kein Bedarf“

  1. Wenn ich jetzt lese, dass 110 – in Worten: HUNDERTZEHN – MitarbieterInnen der Grünen vor der Kündigung stehen, dann frage ich mich, warum haben wir von denen so wenig bemerkt? Nicht einE einzigE MitarbeiterIn war z.B. mit den Agenden der Eerwerbsarbeitslosen voll befasst und hätte VON SICH AUS die Arbeit der Erwerbsloseninitiativen unterstützt. 500.000 Erwerbsarbeitslose waren kein Thema. So schön es ist, ab und zu einen kleinen Antrag einzubringen, oder eine Anfrage zu machen, ersetzt das nicht die sonstige POLITISCHE Arbeit die von einer Grünpartei zu erwarten wäre. Wenn ich nur an die ArbeitsMARKTpolitischen Enqueten der Parlamentsgrünen denke, wo die bei ROTSCHWARZ bzw. den Sozialpartner reingeschleimt haben und die Erwerbsarbeitlosen nicht einmal als PUBLIKUM, geschweige denn als REFERENTINNEN, eingeladen haben, dann ist die Abwahl der Grünpartei nur allzu gerechtfertigt !!! (In Tirol und Vorarlberg haben die Grünen Verschlechterungen bei der Minisicherung zugestimmt, in Wien tun die Grünen nix dagegen, dass den invaliden systematisch die Dauerleistung aberkannt wird !!!). Die abgehobenen gutbürgerlichen Selbstdarstellen haben zurecht ihre Watsche bekommen, wenngleich die eher der Angstmache vor schwarzblau – die sich als voller Selbstleger herausgestellt hatte, auch für die KPÖ !!! – zu verdanken ist (2 x so viele Stimmen wanderten zur SPÖ als zu Pilz & CO!)

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