Darf eine Ministerin die Unwahrheit schreiben?

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By Sebastian Reinfeldt

Es gibt ein wichtiges Recht der Opposition im österreichischen Parlament: Das so genannte „Interpellationsrecht„: Abgeordnete können Ministerien nach Informationen fragen, die das Handeln des Ministeriums betreffen: Zahlen, Daten, Fakten, Abläufe. Doch was passiert eigentlich, wenn die Antworten der Ministerinnen und Minister nicht korrekt sind? Die Plattform FPÖ Fails hat über das Schicksal eines entwendeten Briefs berichtet: eines unterschlagenen Schreibens des Hauptverbands der Sozialversicherung mit Zahlen und Fakten zum angeblichen e-card Missbrauch, die der Ministerin politisch nicht in den Kram passen. Sebastian Reinfeldt erzählt die Geschichte nach. Und fragt, warum es in einem solchen Fall keine Konsequenzen gibt. Provokant gefragt: Warum dürfen Ministerinnen lügen?


Der entwendete Brief

Die Geschichte von Edgar Allen Poe mit den Originaltitel The purloined letter ist einer der Klassiker der Kriminalliteratur. Sie war zudem Anlass einer paradigmatischen philosophischen Debatte zwischen Jacques Derrida und Jacques Lacan. In der Erzählung entwendet ein Minister einen Brief, dessen Inhalt ihm Macht verleiht, solange er diesen nicht offenbart. Der Brief wurde an einem Ort versteckt, der offensichtlich war. Und dies war sein bestes Versteck.

In der aktuellen österreichischen Version der Geschichte hat Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein ebenfalls einen Brief mit Informationen zum angeblichen Missbrauch von E-Cards durch „Alis“ erhalten, den sie nicht herzeigt. Allerdings wohl deshalb, weil sie ansonsten zugeben müsste, dass ihre Partei mit einem erfundenem Missbrauch politisch hausieren geht. Die FPÖ hatte in einem Propaganda-Video diesen Missbrauch nämlich behauptet.

Die Anfrage der Abgeordneten

Abgeordnete Daniela Holzinger wollte in einer parlamentarischen Anfrage wissen, ob und inwieweit die Ministerin an der Produktion des Propaganda-Videos beteiligt war. In sechs einfachen Fragen. In zwei weiteren Fragen hat sie außerdem die Faktenlage zum behaupteten Missbrauch der e-cards erfragt:

7. Wie viele Missbrauchsfälle mit der bisherigen e-card sind dem Ministerium bekannt? (Bitte um Auflistung nach Bundesland und nach Nationalität der missbräuchlichen Verwender)
8. Wie hoch ist der Gesamtschaden, der durch diese missbräuchliche Verwendung entstanden ist? (Bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)

– und die Antwort der Ministerin

Mit Details und Fakten hält sich die Ministerin in ihrer dürren Antwort vom 11. Januar 2019 nicht lange auf. Obwohl sie als Person in dem FPÖ-Video auftaucht, sei sie in keinster Weise in die Produktion desselben involviert gewesen. Behauptet sie. Und wenn es um die Zahlen und Fakten des behaupteten Missbrauchs geht, verweist sie auf eine Stellungnahme des Hauptverbands von 2017:

Fragen 7 und 8: Ich verweise auf die Stellungnahme des Hauptverbandes vom 21.2.2017, die der Anfragebeantwortung Nr. 11215/AB vom 21. März 2017 der damaligen Bundesministerin für Gesundheit und Frauen als Beilage angeschlossen ist. Diese weist eine Fallzahl zwischen 0 und rund 440 Fälle/ Träger für alle drei Jahre im Zeitraum 2014 und 2016 aus.

Der entwendete Brief des Hauptverbands

Am 29. November 2018  hatte das Ministerium allerdings um 14:36 Uhr in einem Brief, der per Mail übermittelt wurde, aktuelles Zahlenmaterial dazu erhalten. FPÖ Fails liegt eine Kopie dieses Briefes vor, ebenso eine Sendebestätigung. Im Brief – Absender ist der in der Ministeriumsantwort zitierte Hauptverband – wird ein detaillierter Überblick über bekannte missbräuchliche Verwendungen der e-card von 2009 bis 2017 gegeben:

NÖGKK (2012 – 2017): 5 Fälle, 3x Österreich, 1x Bosnien-Herzegowina, 1x unbekannt. Gesamtschaden: € 5.837,94
KGKK (2014 – 2017): 9 Fälle, 8x Österreich, Schaden: € 8.409,72; 1x Ghana (kein Schaden)
SGKK (2011 – 2018): 4 Fälle: 2x Österreich, 1x Rumänien, 1x Türkei, Gesamtschaden: € 1.350,-
SVB (2012): 1 Fall: 1x Österreich, Schaden: € 1.500,-
WGKK – 79 Fälle: Gesamtschaden: € 8.462,- Euro
TGKK: (2014 – 2017): Zwei Fälle (ein Fall eingestellt, ein Fall gerichtsanhängig). Schaden: 15.905, 54
SVA (2014 – 2017): 3 Fälle, Nationalität unbekannt, Schaden. 171,30,-
BGKK – 0 Fälle
STGKK – 0 Fälle
VAEB – 0 Fälle
BVA – 0 Fälle

Interpellationsrecht ohne Wahrheitspflicht

Die Zahlen in der Anfragebeantwortung der Ministerin „(von 0 bis 440)“ waren also falsch. Überdies wurden die Fragen nach dem verursachten Gesamtschaden nicht beantwortet. Ebenso gab es keine Antwort auf die Frage nach der Nationalität der Verursacher. Aktuelle Daten wurden der Abgeordneten Holzinger und damit dem Parlament vorenthalten. Darf die Ministerin lügen? Im entsprechenden Abschnitt der Geschäftsordnung des Parlaments steht lediglich:

4) Der Befragte hat innerhalb von zwei Monaten nach Übergabe der Anfrage an den Präsidenten mündlich oder schriftlich zu antworten. Ist dem Befragten eine Erteilung der gewünschten Auskunft nicht möglich, so hat er dies in der Beantwortung zu begründen. Auf mündliche Beantwortungen finden die Bestimmungen der §§ 19 Abs. 2 und 81 sinngemäß Anwendung.

Die Geschäftsordnung sagt also nicht explizit, dass wahrheitsgemäß  geantwortet werden muss. Wahrscheinlich, weil man davon ausgeht, dass das in einem demokratischen System selbstverständlich sein sollte. Indes: Ist es nicht so, und eine Ministerin lügt oder schreibt nicht die ganze Wahrheit, so hat das  keinerlei Konsequenzen.

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