Insel der Unseligen

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By Redaktion Semiosis

Was werden die Österreicherinnen und Österreicher wählen? Aller Voraussicht nach wird die Ibiza-Koalition wieder die Mehrheit der Stimmen erreichen. Das verwundert. Oder doch nicht? Unsere Gastautorin Beatrice Frasl (@fraufrasl) analysiert die Haltung, die die Wiederwahl von ÖVP und FPÖ möglich macht. Ihr Text ist eine gute Motivation, an der Wahl teilzunehmen und nicht mehr „more of the same“ zu wählen. Dem schließen wir uns gerne an.


Überraschung! Eine rechte Partei ist rechts

Österreich wählt am Sonntag einen neuen Nationalrat. Drei Jahre verfrüht, denn die letzte Regierung endete, wie jede Regierung mit Beteiligung der Freiheitlichen Partei bisher, frühzeitig.
Nach dem Auftauchen antisemitischer Liederbücher, enger Verbindungen von FPÖ zu Identitären, rassistischen Gedichten, dem zynischen Umbenennen des Aufnahmezentrums für Geflüchtete in “Ausreisezentrum” (um nur ein paar “Einzelfälle” zu nennen), war einer dem Bundeskanzler Sebastian Kurz doch zu viel: Ibiza.

Österreich übt sich seit Jahrzehnten in der wiederholten überraschenden Erkenntnis: die rechte Partei ist rechts. Die rechte Partei tut rechte Dinge. Die rechte Partei verkehrt in rechten Kreisen. Probieren wir halt nochmal, sie in die Regierung zu holen um zu sehen, ob die rechte Partei wieder rechts sein wird.
Es ist nicht möglich, Ibiza, seine Vorbedingungen, seine Nachwirkungen, seine Wirkungslosigkeit in einem Text zusammenzufassen. Hier aber ein paar Eckpunkte:

Das Video: eine b’soffene Gschicht

Freitag, der 17.Mai 2019. Ein Video wird veröffentlicht, in dem HC Strache, der Vizekanzler Österreichs und Johann Gudenus, Klubomann der FPÖ im österreichischen Nationalrat in einer Ferienwohnung in Ibiza betrunken und rauchend einer (wie sich später herausstellen wird: vermeintlichen) russischen Oligarchennichte erklären, wie Gelder am Rechnungshof vorbei über Vereinskonstruktionen in Parteitöpfe geschleust werden können. Sie erzählen ihr von angeblichen Spender_innen, die das bereits tun. Sie schlagen ihr vor, die größte Tageszeitung Österreichs zu kaufen mit dem Ziel über gekaufte vorteilhafte Berichterstattung Wahlen zu gewinnen.
Strache sagt: Es war nur eine “b’soffene Gschicht”. Ich wollte die “hübsche Gastgeberin” beeindrucken. Österreich findet: Wir haben doch alle schon mal Fehler gemacht im Suff. Im Testosteronrausch. Auf Ibiza.

Wir sind so

Da darf man nicht so streng sein. Da sollte man nicht so streng sein. Männer sind doch sowieso alle nur Buben. Die Buben vergessen sich angesichts von Alkohol und Brüsten.
Die Selbstvergessenheit ist prompt vergeben und vergessen.Österreich, katholische Insel der Unseligen, vergibt schnell. Sich selbst vor allem.
Kurz sagt: Ich habe sehr gelitten unter den Einzelfällen. Ich bin der einzige, der euch aus dem Schlamassel holen kann, in das ich euch gezogen habe. Österreich findet: Die Opfer sind Strache und Kurz. Ersterer für die ganz Rechten, zweiterer für die sehr Rechten. Andere gibt es in Österreich fast nicht.
Der Widerspruch zwischen männlicher Macht und Machtanspruch auf der einen und postulierter testosteronbedingter Verantwortungsunfähigkeit wird nicht weiter besprochen.
“Wir sind nicht so” sagt der österreichische Bundespräsident. Ich bin anderer Meinung.

Wir wählen weiterhin die Ibiza-Koalition

Dass wir so sind, konnte man sehr bald nach Ibiza an den Entscheidungen der österreichischen Bevölkerung in der Wahl zum EU-Parlament ablesen: Die FPÖ wurde mit 17, 20% mit etwas weniger Stimmen als erwartet die drittstärkste Fraktion. Die ÖVP, ihre Koalitionspartnerin und die Verantwortungsträgerin für eine Regierungsbeteiligung der FPÖ (einer Partei mit Verbindungen zu rechtsextremen Gruppierungen, einer Partei der ständigen rechten “Einzelfälle”, einer Partei, mit der noch nie eine Koalition gehalten hat, einer Partei, deren Regierungsbeteilung Anfang der Tausenderjahre zu bis heute nicht gänzlich aufgeklärter Korruption geführt hat) wurde mit 34,55% die stärkste Fraktion.
Und HC Strache bekam so viele Vorzugsstimmen, dass er eigentlich Anspruch auf ein Mandat im EU-Parlament hätte.
Bei der bevorstehenden Nationalratswahl könnte die FPÖ nun zweitstärkste Kraft im Parlament werden.

Wir wollen die (alte) Regierung zurück

Politische Expert_innen, Beobachter_innen und Medien sind sich einig, dass der nächste Kanzler bereits fest steht und der alte sein wird, viele sind sich einig, dass es eine Neuauflage der einzelfallreichen und menschlichkeitsarmen Schwarz/Blau-Koalition geben wird.
Weder die Parteien noch die Bevölkerung haben in Österreich von Ibiza gelernt.
Wir sind so.
Jetzt erst recht HC Strache!” sagt HC Strache auf Facebook. “Jetzt erst recht” sagt auch der 17-jährige Nino in der ORF-Dokuserie “Generation Ibiza”. Jetzt erst recht soll FPÖ gewählt werden. Jetzt erst recht rechts – um zu rächen, dass rechts nicht funktioniert hat.
Man darf da nicht so streng sein.
Nicht die Korruption ist der Skandal, sondern dass man sich in seiner Korruptheit erwischen hat lassen.
Wir sind da nicht so streng. Wir sind ja alle ein bisserl so. Wir wären ja alle ein bisserl so, wenn wir könnten.

Wir sagen: Jetzt erst recht!

Auch Videoevidenz hält uns nicht vom Vergessen ab.
Vergessen ist eine österreichische Tugend. Am besten Vergessen schon bevor man sich was gemerkt hat und bevor man was bemerkt hat und vor allem bevor die anderen was bemerken, damit danach nicht einer kommt, der behaupten kann, man hätte was mitgekriegt. Soll nur keiner kommen und behaupten, wir hätten was mitgekriegt. Da könnte ja jeder kommen. Und zu uns kommen soll möglichst niemand.
Wir reichen uns.
Wir bereichern uns. Jetzt erst recht!

Die Generation Ibiza

Samstag nach dem Ibiza-Video. Ballhausplatz. Menschen, viele Menschen, viele junge Menschen feiern das Ende von Schwarz-Blau. Der Ballhausplatz ist voll. Es herrscht große Erleichterung und Ausgelassenheit. “We’re going to Ibiza!” tönt aus Lautsprechern. “We’re going to Ibiza!” wird zum Sommerhit. Kurz darauf werden die Vengaboys am Ballhausplatz auftreten – bei einer der sich wöchentlich wiederholenden Donnerstags-Demo gegen die schwarz-blaue Regierung. Die Donnerstags-Demos wird es vermutlich bald wieder brauchen.
Die Generation Ibiza ist mittlerweile geübt darin laut zu sein, weil sie selten gehört wird.
Nino ist in seiner Generation in der Minderheit, denn bei der vergangenen EU-Wahl gab es unter den Jungwähler_innen (unter 29) eine (knappe) rot-grüne Mehrheit, während Schwarz/Blau gemeinsam lediglich 33% erreichten.

Die letzte politische Generation?

Die “Generation Ibiza” hat also vor allem ein Problem: sie sind zu wenige.
Die “Generation Ibiza” ist gleichzeitig eine, die mit lebensbedrohlichen globalen Krisen konfrontiert ist und politischen Verantwortungsträger_innen, deren Horizont nicht über nationalen Kleingeist, eigennützigen Kurzblick und parteipolitische Taktik hinausgeht.
Von internationalem Rechtsruck und Tendenz zu Postdemokratie, Demagogie und Demokratieabbau über die Klimakrise bis hin zur sich ankündigenden nächsten Finanzkrise – die Probleme, die die Generationen vor ihr verursacht haben, wird die Generation Ibiza ausbaden müssen. Wenn überhaupt noch genug Zeit bleibt.
Der ORF spricht von Ibiza als Politisierungsmoment für Jungwähler_innen. Vielleicht ist die Generation Ibiza die letzte, die überhaupt politisch sein kann. Die Generation Ibiza ist nämlich auch die Generation Greta und die Generation Trump und die Generation Brexit.
Vielleicht ist sie die letzte, die noch in demokratischen Verhältnissen lebt, vielleicht die letzte, die überhaupt einen bewohnbaren Planeten vorfindet.

Dennoch: Wir werden mehrheitlich rechts wählen

Wie die Wahl in Österreich am Sonntag ausgehen wird ist international wenig relevant. Relevant ist allerdings, dass der Backlash in einem internationalen Kontext steht. Relevant ist auch, dass Chauvinismus und Nationalismus ungeeignet sind, globale Krisen und Probleme zu lösen. Weder in Österreich noch sonstwo.
Österreich wird also am Sonntag wählen und es wird mehrheitlich rechts wählen.
Denn:
Österreich ist ein kleines Land. Österreich hält sich für größer als es ist. Tatsächlich groß: der Kleingeist.
Österreich war schon immer Speerspitze des Rechtsruckes.
Vorn dabei nur beim Rückschritt. Und beim Skifahren.
Österreich ist so rechts, dass es Rechte nicht rechts findet. Österreich ist so rechts, dass es Rechtsextreme nicht rechts findet.
Österreich ist so rechts, dass es findet “Jetzt erst recht”!
Österreich ist so. Wird sind so.
(Die Donau ist braun, wenn man genauer hinsieht.)


Beatrice Frasl (@fraufrasl) ist Kulturwissenschafterin und Podcasterin. Ihr feministischer Große Töchter-Podcast gehört mit seinem breiten Themenspektrum zu den besten österreichischen Politik-Podcasts. Außerdem ist sie an dem englischsprachigen She who persistedPodcast beteiligt.

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