Die Ischgl-Chronologie der Tiroler Landesregierung ist fehlerhaft

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By Sebastian Reinfeldt

Es sollte wohl ein medialer Befreiungsschlag werden. Mit einer eigenen Chronologie der Ereignisse rund um Corona in Ischgl will die Tiroler Landesregierung ihre Version der Geschichte erzählen. Tenor, wie gehabt: Alles richtig gemacht! Nur: Der Ablauf, den sie veröffentlicht haben, unterschlägt wichtige Fakten. So ist der berühmte Barkeeper der Kitzloch-Bar mit norwegisch klingendem Namen eben nicht der „erste bestätigte Corona-Fall in Ischgl„, wie sie im Text behaupten. Es gab mindestens drei Fälle vorher, von denen die Tiroler Verantwortlichen seit dem 8. März wissen. Und es gibt wissenschaftlich belegte Tatsachen. Eine davon ist, dass die erste Corona-Infektion in Ischgl auf den 8. Februar datiert. Von Sebastian Reinfeldt.


Land Tirol stellt Ischgl-Chronologie zur Verfügung

In ihrer LANDESINFO-Coronavirus, den die Tiroler Verantwortlichen gestern an Medien versendet haben, erzählen sie ihre Version der Corona-Infektionen in Ischgl. Das ist ihr gutes Recht. Doch ist ihre Geschichte mehr als nur lückenhaft. So beginnt die Tiroler Zeitrechnung zu Ischgl erst am 5. März. Damals erfolgte die erste Information, die via Wien aus Island nach Innsbruck übermittelt worden ist. Dabei stammen die ersten offiziellen Corona-Fälle in Tirol bereits aus dem Februar. Sie werden nicht erwähnt, obwohl mittlerweile bekannt ist, wie schnell das Virus von Mensch zu Mensch weiter geben wird. Verschwiegen wird auch, dass die AGES seit Wochen den ersten Corona-Fall in Ischgl, das dort Cluster S heißt, mit dem 8. Februar datiert. Es handelt sich dabei nicht um den nachträglich korrigierten Fall vom 5. Februar. Hier gab es tatsächlich einen Eingabefehler. Der erste Corona-Fall in Ischgl am 8. Februar ist eine wissenschaftlich belegte Tatsache.

825 von insgesamt 2.018 epidemiologisch abgeklärten Fällen in Österreich sind auf Ischgl zurückzuführen

Die aktuellsten Ergebnisse der „epidemologischen Abklärungen“ der Infektionsketten in Ischgl stammen vom 21. April 2020. In ihrer Zusammenfassung schreibt die AGES sehr deutlich:

Der gegenwärtige Kenntnisstand lässt vermuten, dass mit Ende Februar mehrere Personen zur gleichen Zeit mit SARS-CoV-2 infiziert waren und somit als Infektionsquellen der Clusterfälle in Frage kommen. Der früheste bekannte epidemiologische Fall ist mit 08.02.2020 ermittelt worden: Der Fragebogen wurde am 11.03. von der zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde an die AGES übermittelt. Als Diagnosedatum mittels PCR-basierten RNA Nachweis ist der 08.03. festgehalten und der Erkrankungsbeginn (respiratorische Erkältungssymptome und Druck auf Brustkorb) wurde mit 08.02. angegeben.

Tatsache: Der erste heute bekannte Fall in Ischgl datiert mit 8. Februar

Diese Rekonstruktion des ersten Falls konnte den Behörden zu dieser Zeit natürlich noch nicht bekannt sein. Aber sie sollte in ihrer Chronologie vermerkt sein. Es stellt sich zudem die Frage, warum die Tiroler Landesbehörden bis zum 5. März gar kein Wissen über Corona-Verdachtsfälle in Ischgl hatten? Mussten sie tatsächlich auf Meldungen aus Island warten, um erkennen zu können, dass Ischgl ein Viren-Hotspot ist? Warum hat es keine eigenen Untersuchungen dazu gegeben?

War der Barkeeper wirklich der erste bestätigte Coronafall in Ischgl?


Ausschnitt aus der Ischgl-Chronologie der Tiroler Landesregierung

 

 

 


Wenn eine Behörde Informationen zur Verfügung stellt, dann müssen diese zutreffen. Durch das Unterschlagen wichtiger Fakten werden Mythen statt Tatsachen produziert. So verhält es sich mit der Behauptung in der Chronologie, bei dem Barkeeper aus dem Kitzloch handele es sich um den ersten bestätigten Coronafall in Ischgl. Unterschlagen werden dabei drei positive Fälle, von denen die Landesregierung Kenntnis hatte. Recherchen des Semiosisblogs haben die folgenden positiven Tests vor dem Barkeeper ergeben:

Der erste positive Coronafall datiert in Wahrheit mit 4. März

Am 4. März wurde bei T.T., einem Mann aus Norwegen, ein Rachenabstrich abgenommen und an der MedUni Innsbruck ausgewertet. Das positive Ergebnis stand am 5. März fest. Dieser Mann war zuvor in der Kitzloch-Bar. Er logierte in Pettneu am Arlberg. In der Umgebung von Innsbruck, konkret in Hall, nächtigte N.J.. Der Mann machte seinen Test auf COVID-19 am 6. März und das positive Ergebnis erhielt er bereits an diesem Tag. Auch er hatte das Kitzloch besucht. Und schließlich wurde der Test von H.T. am 6. März abgenommen und an der MedUni ausgewertet. Das Ergebnis für diese Frau lautete ebenfalls auf positiv. Bekannt wurde es am 6. März. Alle drei Personen kommen aus Norwegen. Sie hatten Ischgl und das Kitzloch besucht.

Am 7. März schließlich wurde am späten Vormittag der Test des Kitzloch-Barkeepers abgenommen. Sein positives Resultat gab es am selben Tag um 17 Uhr.

Am 6. März am Abend lagen bereits für drei andere Personen positive Testungen vor – mit Bezug zu Ischgl

Wir haben die Tiroler Landesregierung per Mail am Dienstag, 28. März, mit diesen Tatsachen konfrontiert. Uns sind zudem die vollständigen Namen der drei Betroffenen bekannt.

Die Landesregierung bat sich in ihrer ersten Antwort Zeit für eigenen Recherchen aus. Am 30. April bestätigte sie die von uns recherchierten Angaben. Im Wortlaut führt der Pressesprecher in seiner Antwortmail aus.

Sie wurden am 8. März explizit auf das Kitzloch befragt

Am 6. März am Abend lagen für drei andere Personen positive Testungen vor. Bei den drei Personen handelte es sich ebenfalls um ErasmusstudentInnen, die in Innsbruck bzw. Innsbruck-Land untergebracht waren. Die drei Personen haben im darauffolgenden Contact Tracing angegeben, in den letzten Tagen engen Kontakt zu NorwegerInnen gehabt zu haben, die nach ihrer Rückkehr in Norwegen positiv auf das Coronavirus getestet wurden. Einer der drei ErasmusstudentInnen teilte mit, dass er von einem der NorwegerInnen angerufen und darüber informiert worden sei. Dies war auch der Grund, warum sich die drei ErasmusstudentInnen bei der Gesundheitshotline 1450 gemeldet hatten. Alle drei wurden umgehend auf der Klinik in Innsbruck abgestrichen. In den darauffolgenden Erhebungen des Contact Tracing wurde von den drei Personen vorerst kein Zusammenhang zum Kitzloch genannt. Nach Bekanntwerden der ersten positiven Testung des Barkeepers in Ischgl am Abend des 7. März wurden die drei ErasmusstudentInnen am 8. März nochmals explizit von den Behörden auf das Kitzloch angesprochen und befragt. Daraufhin bestätigten die drei ErasmusstudentInnen am späten Abend des 8. März, dass sie im Kitzloch waren.

Der Barkeeper war nicht der erste Corona-Fall in Ischgl

Unsere Artikel dazu erschien dann am 2. Mai: Der Barkeeper war also definitiv nicht der erste Corona-Fall in Ischgl. Warum die Tiroler Gesundheitsbehörden die drei Betroffenen nicht von sich aus nach einem Ischgl-Bezug gefragt haben, sollte nicht ihr Geheimnis bleiben. Jedenfalls ist die Aussage, dass der Barkeeper der erste bestätigte Coronafall in Ischgl sei, somit in zweifacher Hinsicht falsch: Die epidemologische Abklärung der AGES für Ischgl hat den 8. Februar als Datum der ersten Infektion ergeben. Bei den in Tirol durchgeführten Tests ergibt sich der 5. März als erstes Datum einer Infektion mit Ischgl-Bezug. Dass die Tiroler Behörden die Betroffenen erst Tage später nach Ischgl gefragt haben, darf an den Tatsachen nichts ändern.


Wer also eine vollständigere Chronologie des Geschehens in Tirol lesen möchte, sei auf unsere aktualisierte Chronologie der Ereignisse verwiesen.

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1 Gedanke zu „Die Ischgl-Chronologie der Tiroler Landesregierung ist fehlerhaft“

  1. Der Vollständigkeit halber sollte erwähnt werden, dass die Frau, die lt. AGES mit 8. Feber als positiv getestet gilt, erst am 8. März positiv getestet wurde. Sie hat danach angegeben, ab 8. Feber Symptome zu haben, weshalb das als Datum verwendet wird. Ob das von Beginn an Covid-19 war, kann man nicht mit Sicherheit sagen.

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