Interview zu #ZeroCovid: Damit unsere Regierung diesem Virus nicht ständig hinterher hechelt

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By Sebastian Reinfeldt

Vieles bei der Pandemiebekämpfung geht langsam. Auch unsere Bewußtseinsbildung. Wäre es nicht sinnvoller, die Infektionsraten ganz auf Null zu bringen? Nicht nur Neuseeland hat erfolgreich auf diese Strategie gesetzt. Und in Österreich? Wie gesagt, da geht alles noch langsamerer. Nun gibt es aber auch hier eine Diskussion um #ZeroCovid. Denn: Wenn wir so weitermachen wie bisher, laufen wir mit Anlauf in die nächste Welle und damit in den nächsten Lockdown, befürchtet Daniela Litzlbauer, Mit-Initiatorin des Offenen Briefs von Menschen aus dem Gesundheitsbereich an die Bundesregierung.

In diesem Brief, den schon über 5000 Menschen unterschrieben haben, wird eine  #ZeroCovid-Strategie für Österreich gefordert.  In Kooperation mit Medonline stellen wir diese Initiative vor. Dazu haben wir mit der Initiatorin Dr. Daniela Litzlbauer gesprochen. Medonline hingegen veröffentlicht ein Gespräch mit dem Arzt Dr. Wolfgang Hagen. Unsere Gesprächspartnerin arbeitet als HNO-Ärztin in einer Gruppenordination in St. Valentin. Das Interview führte Sebastian Reinfeldt.


Was will #ZeroCovid?

Aus dem Offenen Brief, der auf Open Petition unterstützt werden kann:

Wir ersuchen Sie, die Bevölkerung und die Gesundheitsmitarbeiter*Innen aufgrund dieser Gefahr effektiv zu schützen. Lassen Sie uns gemeinsam an einer Nocovid-Strategie arbeiten, damit wir gemeinsam mit Impfung, Physical-Distancing, Masken-tragen, Hygieneregeln und funktionierendem Contacttracing diese Pandemie beenden können. Die gesamte Bevölkerung sehnt sich nach einer Normalisierung der Situation – mit der Impfung und gleichzeitiger starker Eindämmung können wir das Beste für unser aller Gesundheit und die wirtschaftliche Situation in unserem Land herausholen.


Daniela Litzlbauer, was war dein Impuls, diesen Brief zu verfassen und in Umlauf zu bringen?

Ich bin seit Anbeginn der Pandemie nicht einverstanden mit den Maßnahmen der Regierung gewesen. Ich habe mit meinem Partner seit Jänner gewarnt: viele Institutionen (Ärztekammer, ÖGK, Gesundheitsministerium,…) durchgerufen, Emails geschrieben, um auf die drohende Gefahr hinzuweisen. Niemand wollte uns hören, wir wurden belächelt. Im Sommer war für mich klar, dass dieser Weg uns im Herbst in eine Katastrophe führen wird – es ist leider wirklich passiert, scheint aber unsere Verantwortlichen nicht sonderlich zu stören. Sie bleiben unbeirrt auf diesem katastrophalen Weg.
Dann habe ich am 1.1.21 gelesen, dass in Australien Gesundheitspersonal über eine ähnliche Plattform an die dortige Regierung einen Appell verfasst hat. 25.000 haben unterschrieben und die Regierung hat wirklich auf einen anderen Kurs umgeschwenkt. Meine persönlichen Gründe waren, etwas Sinnvolles zu tun, den Menschen, die sich die ganze Zeit halten, Angst haben vor dieser Erkrankung eine Stimme zu geben. Ich will mir nicht vorwerfen in ein paar Jahren, ich hätte nichts getan, auch meinen Kindern zuliebe. Ein Zeichen zu setzen.

Woher kommen die Menschen, die den Aufruf erstunterzeichnet haben?

Das sind Ärzte und Gesundheitspersonal quer durch Österreich, die ich direkt angeschrieben habe und gefragt habe, ob sie diese Sache unterstützen möchten. Mittlerweile sind wir über 5000. Und es werden mehr.

Gibt es denn nicht schon genug harte Lockdowns in Österreich?

Gefühlt ja, aber es war leider nur einer effektiv genug, nämlich der im Frühling 2020. Damals haben wir es geschafft, die Zahlen in den einstelligen Bereich zu drücken. Damals haben auch alle mitgemacht, leider gab es von seiten der Regierung dann sehr widersprüchliche Aussagen (die berühmten 3, 4 oder 5 Gründe das Haus zu verlassen – die dann widerrufen wurden, weil es wär ja eh immer erlaubt gewesen, jemanden zu besuchen). Das war, glaube ich zumindest, ein Knackpunkt bei der Bevölkerung. Da kam man sich veräppelt vor, auf keine gute Weise nämlich. Viele Verordnungen, die der VfGH aufgehoben hat usw..

Was sollte die Regierung also anders machen?

Es wär wichtig, klare Botschaften zu formulieren, Ziele zu definieren, die auch eingehalten werden. Klar zu machen, dass ein Nichteinhalten der Quarantäne kein Kavaliersdelikt ist zum Beispiel. Contact-Tracing auch digital anzubieten, wo man seine Kontakte eingeben kann. Das würde viel Telefoniererei ersparen, Stichwort Corona Warn App..
Oder auch: Volksschulkinder nicht per se als K2 (Kontaktpersonen zweter Ordnung) zu definieren, das macht das Bild, Kinder können eh nichts weitergeben, was aber grundfalsch ist. Warum wurden nicht schulfremde Gebäude angemietet, es stehen doch zahlreiche Hotels leer, Vereinslokale,…?
Maskentragen in allen Innenräumen, wenn man mit haushaltsfremden Menschen Kontakt hat. Verpflichtendes Homeoffice. Warum muss die Supermarktkassierin eine Maske tragen, Mensch, die im mit Kollegen im Büro sitzen aber nicht?

In Österreich kommt die Aerosolbotschaft viel zu wenig an bzw. es wird von den Verantwortlichen viel zu wenig darauf hingewiesen.


Cartoon von Stefanie Sargnagel. Danke für die freundliche Erlaubnis!


Und die Wirtschaft?

Es leidet nicht nur die Bevölkerung unter den Lockdowns. Klar auch die Wirtschaft – das muss alles einmal jemand bezahlen.
Wirtschaft oder Gesundheit zu retten ist aber kein Widerspruch. Länder, die die Pandemie besser gemanagt haben, stehen auch wirtschaftlich viel besser da als wir. Die Pandemie, nicht der Lockdown schädigt unser aller Leben.

Wie schätzt du die österreichische Impfstrategie ein?

Die Mutationen in Tirol (B.1.135) sowie die von UK (B.1.1.7) sind ansteckender und bei der südafrikanischen Variante kommt noch ein Immunescape dazu. Das bedeutet, daß Reinfektionen möglich sind, also keine dauerhafte Immunität besteht. Damit ist auch unsere Impfstrategie gefährdet, weil bei dieser Variante die Impfstoffe möglicherweise weniger wirksam sind. Die Impfstoffe können zwar angepasst werden, aber das dauert.

Wir haben nun eine Virusvariante im Land, die einerseit auf eine teilweise immunologisch naive Bevölkerung trifft. Menschen, die bereits mit Sars-Cov2 infiziert waren, sind aber gegen diese Variante auch nicht immun und die Imfpungen wirken nicht ausreichend – eine große Gefahr, die uns weit zurückwirft. Es hätte frühe und strenge Massnahmen gebraucht, die leider nicht ergriffen wurden und auch wie es scheint nicht ergriffen werden.
Die einzig gute Nachricht: Auch bei diesen Varianten helfen Lockdowns und die AHA-Regeln.

Die Zahlen sinken derzeit leicht, im europäischen Durchschnitt der vergangenen sieben Tage liegt Österreich bei der Inzidenz ganz gut. Warum müssen wir noch weiter herunter?

Weil funktionierendes Contact-Tracing bei täglich 1000 bis 1500 Neuinfektionen nicht schaffbar ist. Die ominöse 7-Tages-Inzidenz ist nicht die einzige Zahl,  wir müssen auch auf den Reproduktionsfaktor, auf die KH-Zahlen und leider auch auf die Todeszahlen schauen.
Das ist ein ständiges Spiel mit dem Feuer bei so hohen Zahlen. So laufen wir mit Anlauf in die nächste Welle und damit in den nächsten Lockdown.
Derzeit sind in Ö folgende Bezirke mit einer Inzidenz über 200: Jennersdorf (345), Hermagor (326), Wr. Neustadt (277), Lienz (244), Mistelbach (215), Hollabrunn (211), St. Johann i. Pongau (217), Tamsweg (227). Das ist einfach zu hoch, dort gelten aber die gleichen Öffungsregeln wie in anderen Bezirken, wo die Zahlen niedriger sind.

Können die Betriebe, die EPUs und die Kulturinitiativen, die derzeit mit großen Problemen zu kämpfen haben, eine #ZeroCovid-Strategie wirtschaftlich überleben?

Da muss der Staat mit Hilfen einspringen, das ist ganz klar. Man darf in dieser Situation niemanden zurücklassen.

Gibt es Länder auf der Welt, die derzeit so eine Strategie fahren?

Ja, und zwar Neuseeland, Australien, Vietnam und Südkorea.

Wäre es denn nicht sinnvoll, auf der politischen Ebene Mitstreiter*innen zu finden? Gibt es schon Nationalrät*innen und/oder Politiker*innen, die die Initiative unterstützen?

Mir sind keine bekannt, es haben viele Wissenschafter, Ärzte und Gesundheitspersonal unterschrieben, aber auch quer durch die Bevölkerung, ich hab bei meiner täglichen Arbeit von sehr vielen PatientInnen durchwegs positive Signale bekommen. Viele ältere Menschen haben direkt in der Ordination unterschrieben, da sie kein Internet verwenden können.
Grundsätzlich wollte ich mich auch von keiner politischen Partei vereinnahmen lassen, es soll eine Plattform für die allgemeine Bevölkerung sein, ein Zeichen zu setzen, damit unsere Regierung endlich richtig handelt und diesem Virus nicht ständig hinterher hechelt.

Anmerkung: Medonline und Semiosis haben auch die Gesundheitssprecher*innen der Parlamentsparteien zu ihrer Haltung befragt. Ihre Antworten sind hier nachzulesen.


Daniela Litzlbauer ist 1971 in Linz geboren. Nach ihrem Medizinstudium in Wien hat sie ihre Ausbildung bei den Barmherzigen Schwestern in Linz gemacht. Später absolvierte sie ihre Ausbildung zur HNO-Fachärztin. Schwerpunkt: Cochleaimplantationen. Stolz meint sie: Ich bin die erste Frau Österreichs, die das gemacht hat.
Bis 2012 war sie in einem Krankenhaus tätig. Seit 2012 arbeitet sie mit ihrem Lebensgefährten in einer HNO-Gruppenpraxis. Zudem lebt sie in einer Patchworkfamilie mit 4 Kindern.


Unser Titelbild ist ein Cartoon von Stefanie Sargnagel, den sie uns geschenkt hat. Herzlichen Dank! Unabhängig davon empfehlen wir ihr tolles neues Buch zur Lektüre, und zwar:

Stefanie Sargnagel: Dicht. Aufzeichnungen einer Tagediebin. Rowohlt Verlag (2020). ISBN 978-3-498-06251-4

 

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