Wir züchten neue Corona-Varianten

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By Sebastian Reinfeldt

Eine kleine Reise im Sommer, bei der ich mit meinem Auto in vier Tagen in meine alte Heimat nach Deutschland und wieder zurück nach Wien gefahren bin: Corona-Kontrollen in dieser Zeit gab es keine. Ich wiederhole: keine und nirgends. Auch die Anstrengungen der österreichischen Regierung, im Herbst die Schüler*innen und Schüler vor Infektionen zu schützen, tendieren gegen null. Mit wirksamen mobilen Luftreinigern schützen sie sich nur selbst. Auf diese Weise züchten wir neue VoC, neue Variants of Concern. Durch sie kommt es zu einer höheren Übertragbarkeit (wie wir sie bereits von Delta kennen), zu schwereren Verläufen oder zu einer deutlichen Senkung der Neutralisierungen durch unsere Antikörper. Die Impfungen wirken daher nicht mehr so gut. Auch diesen Sommer bereiten wir den Bodensatz für gefährliche Corona-Mutationen. Wie wir es im vergangenen Sommer mit B1.1.7 getan haben. [Korrektur der Angaben zu den Luftreinigern am 29.7.2021]


Freundlich winkende Polizisten an der Grenze

Meine Mutter gehört aufgrund ihres Alters zu den vulnerablen Gruppen. Daher habe ich sie (und meinen Bruder) seit mehr als 1,5 Jahren nicht gesehen. Nun sind alle geimpft. Auch meine erwachsenen Kinder. Nichts sprach mehr gegen einen kleinen Besuch. Vergangenen Freitag war es dann so weit. Vor der Fahrt nach Deutschland haben wir uns in Wien zusätzlich mit negativen PCR-Tests abgesichert. Wir wollten auf keinen Fall das Virus überbringen. Wir waren sicher:

An der Grenze kommt es zu längeren Wartezeiten. Die kontrollieren doch sicher.

Zeigen wir nun den PCR-Test, das Impfzertifikat digital oder in Papierform? Oder gar alles zusammen?

Unsere Gedanken während der Fahrt waren letztlich überflüssig. Bei der Aus- und Einreise an der Grenze an der Autobahn A8 in Suben begegneten uns auf beiden Seiten der Grenze nur Polizisten, die freundlich winkten. Impf- oder Testbescheinigungen wollte niemand sehen.

Unterwegs in Mainz

Auch in Deutschland hat sich nie jemand für diese Nachweise interessiert. Ja, wir waren safe. Aber was, wenn nicht? Bei einem Restaurantbesuch sollen sich Gäste mit ihrer Luca-App registrieren. Wir Fremde hatten sie nicht. Manchmal lagen dann Zettel herum, auf denen wir unsere Daten hinterlassen konnten. Manchmal auch nicht. Fantasienamen und Scheinadressen wären kein Problem gewesen, da nie jemand die Zettelchen kontrolliert hat. Impfnachweise interessierten ebenso nicht.

Unabhängige Gewerkschafter schreiben sich wegen Schutz der Schulen die Finger wund

Am 31. Mai 2021 nahm Bundeskanzler Sebastian Kurz an einer Videokonferenz teil. Im Bild rechts unten sind mobile Luftreiniger erkennbar. Rechts und links der Pflanze stehen welche. Marke Philips, 2000er Serie. Geräte dieser Art könnten in Schulen effektiv schützen und sie sind offensichtlich auch nicht zu laut. Quelle: BKA

Sie dünnen die Luft aus, durch die das Virus mittels Aerosolen übertragen wird: Zwei mobile Luftreiniger, ähnlich wie sie Bundeskanzler Kurz – hier am Foto erkennbar – verwendet, von der Firma Lux, aber mit höherer Leistung kosten rund 2500 Euro pro Klassenzimmer. Damit ließen sich die meisten Schulklassen in Österreich ausstatten. Zusammen mit Stoßlüften, Maskentragen und PCR-Tests könnten wir so unsere Kinder und Jugendlichen vor Infektionen mit Covid-19 im Herbst wirksam schützen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des US-Centers for Disease Control and Prevention:

Portable HEPA air cleaners can reduce exposure to simulated SARS-CoV-2 aerosols in indoor environments, especially when combined with universal masking.

// Mobile Luftreiniger mit HEPA-Filtern können die Exposition gegenüber simulierten SARS-CoV-2 Aerosolen in Innenräumen reduzieren.

Efficacy of Portable Air Cleaners and Masking for Reducing Indoor Exposure to Simulated Exhaled SARS-CoV-2 Aerosols — United States, 2021

Daher schreibt sich Hannes Grünbichler von der ÖLI-UG Österreichische Lehrer*innen Initiative seit Wochen in E-Mails ans Bildungsministerium die Finger wund. Von dort heißt es zu seinen Argumenten lediglich, man prüfe.

Die Frage einer Förderung für geprüfte Raumluftreiniger, genauso wie die Ausrollung/Weiterentwicklung des Testsystems sind derzeit Überlegungen, die noch mit diversen Stakeholdern diskutiert werden. Ziel ist es einen Lösungsweg zu finden, der einen sicheren Schulbetrieb gewährleistet und eine möglichst hohe Akzeptanz findet.

Hohes Maß an Normalität in den Schulen – wirklich?

Die christlichen Mehrheitsgewerkschafter*innen träumen indes von einem

hohen Maß an Normalität

an den Schulen im Herbst 2021, so wird zumindest Paul Kimberger in den österreichischen Medien zitiert. Normalität meint: keine oder nur wenige Maßnahmen.

Der Parlamentsklub der Grünen meint auf Semiosis-Nachfrage:

Luftfilter können aus Sicht der Grünen ein guter Baustein für den Corona-Schutz sein. Aber sie sind kein Allheilmittel und sie können andere Maßnahmen nicht ersetzen: impfen, testen, lüften, Abstand halten. Zu bedenken sind bei Luftfiltern auch mögliche kontraproduktive Effekte: z.B. schlechte Wartung, Lärm, oder dass in den Räumen seltener die Fenster geöffnet werden. Die direkte Übertragung von Corona zwischen Kindern kann auch durch Luftfilter nicht verhindert werden.

Das klingt jedenfalls nicht nach großer Sachkenntnis. Denn zwei technisch bessere Luftreiniger als die von Kanzler Kurz auf dem Foto, etwa mit einem höheren CADR-Wert von 1530 Kubikmeter pro Stunde (das reicht für einen 65 Quadratmeter großen Raum) können bei einem Geräuschpegel unter 45 Dezibel betrieben werden. Dies ergäbe alleine durch den Betrieb einen 6-fachen Luftwechsel ohne Lüften (und mit Lüften einen 8-fachen Luftwechsel) binnen einer Stunde. So könnten wir die ungeimpften Kinder bis 12 Jahre und die Jugendlichen effektiv schützen. Das meint jedenfalls die Deutsche Forschungsgemeinschaft in ihrem aktuellen Positionspapier zum Thema.

Die Inzidenzen zeigen einen guten Nährboden an

Die Inzidenzen in Österreich steigen deutlich an.

Quelle: Erich Neuwirth, https://twitter.com/neuwirthe/status/1420307708117504001/photo/1 (28. Juli 2021)

Damit schaffen wir mal wieder einen idealen Nährboden für das Entstehen von Variants of Concern. Für die Delta Variante stellt die Studie SARS-CoV-2 B.1.617.2 Delta variant emergence, replication and sensitivity to neutralising antibodies am Beispiel der indischen Stadt Mumbai fest:

Bayesian modelling indicates that the growth advantage of B.1.617.2 in Mumbai was most likely explained by increased transmissibility and immune evasion from previous infection.

// Modelle aufgrund der Bayes-Statistik zeigen an, dass der Wachstumsvorteil von B.1.617.2 [=Delta Variante] in Mumbai sehr wahrscheinlich durch seine erhöhte Übertragbarkeit und durch eine Umgehung des Immunschutzes vorheriger Infektionen erklärt werden kann.

Eine wichtige Rolle bei der Bildung neuer VoCs könnten übrigens immunsupprimierte Patient*innen spielen. Da ihre Immunantwort auch nach Impfungen schwach ist, funktionieren sie in der Pandemie als ein mögliches Reservoir für Mutationen.


Wir hättem also Gründe genug, die Zahl der Infektionen so niedrig wie möglich zu halten. Am besten bei Null.

Was wir gerade tun, ist allerdings das genaue Gegenteil: Wir tun alles, um neue Corona-Varianten für die nächste Virus-Runde zu züchten.


Studien zur Wirksamkeit von Luftreinigern

Efficacy of Portable Air Cleaners and Masking for Reducing Indoor Exposure
to Simulated Exhaled SARS-CoV-2 Aerosols — United States, 2021

Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG: Coronavirus-Pandemie: Wie lassen sich Infektionen durch Aerosole verhindern? Ein wissenschaftliches Positionspapier (Juli 2021)

Studien zur Bildung von VoC (eine Auswahl)

SARS-CoV-2 B.1.617.2 Delta variant emergence, replication and sensitivity to neutralising antibodies (Preprint)

Persistent SARS-CoV-2 infection and increasing viral variants in children and young adults with impaired humoral immunity


Fotonachweis: Unsplash https://unsplash.com/photos/PC91Jm1DlWA, Foto von MChe Lee, published under Unsplash License.

7 Gedanken zu „Wir züchten neue Corona-Varianten“

  1. Sehr geehrter Herr Reinfeld, grundsätzlich ein sehr guter und interessanter Artikel, ich würde Sie jedoch ersuchen, in Hinkunft techn. besser zu recherchieren, sie attestieren Geräte Leistungen, die diese überhaupt nicht haben.

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  2. Die Eltern sollten Beschaffung und Finanzierung der Luftreiniger selbst in die Hand nehmen – im Sinne einer gefühlten Vormundschaft über indifferente und handlungsunfähige Entscheidungsträger. Ein Volksschulkind der Eigenverantwortung zu überlassen, entspricht dessen Alter in keiner Weise. Die Eltern müssen tätig werden. Es sind ihre Kinder, um die es geht und die im Herbst einem „hohen Maß an Normalität“ ausgesetzt werden. Wir kennen die Normalität noch vom Vorjahr.

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    • Sehr geehrte Frau Pecile, ich gebe Ihnen zu 100% recht mit Ihrer Aussage, dass die Eltern die Sache selber in die Hand nehmen sollen, sie würden es auch vieler Ort gerne tun, aber der Schulträger untersagt die eigeninitiative von Eltern bzgl. Anschaffung von Luftreinigern. So schon etliche male persönlich erlebt, leider.

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      • Sehr geehrter Herr Ganz,
        das ist ein unerhörtes Dilemma. Die Kleinen der Eigenverantwortung überlassen, den Eltern die Verantwortung verwehrt.

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