Ohne Freiheit kein Frieden

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Dieses Wochenende wird ein als „Peace Summit“ getarnte Pro-Putin Propaganda-Veranstaltung in Wien über die Bühne gehen. Zwar nicht, wie geplant, in den Räumen des ÖGB, sondern an einem anderen Ort. Zu den Organisator:innen des Events gehören ausschließlich linksgerichtete Organisationen. Dieser falschen und fatalen Haltung widersprechen nun – erstmals – Einzelpersonen sowie ein Netzwerk aus dem progressiven Lager. Als ein Beispiel für ihre Kritik an dem „Peace Summit“ veröffentlichen wir einen Beitrag des Journalisten und Stadtanthropologen Moritz Groß. Er betreibt die Gründung eines österreichischen Ukraine-Solidaritätsnetzwerks mit. Auch Semiosis unterstützt diese Initiative. Genauere Infos dazu finden sich am Schluss dieses Textes.



Seit Beginn des Überfalls der russischen Föderation auf die Ukraine ertönen in Westeuropa nach Frieden mahnende Stimmen, die es den Angegriffenen ab dem ersten Tag nahelegten, doch aufzugeben und sich gefälligst mit ihrer Rolle als Besiegte abzufinden. „Das Blutvergießen stoppen“, heißt es, wäre die oberste Prämisse. Ob nun „vom Rathaus die eine oder die andere Flagge“ wehe, wäre sekundär, wenn dadurch Leben geschützt werden, tönte etwa ein Friedensdemonstrant. Und, dass „echter“ Widerstand der Ukrainischen und der russischen Arbeiter:innenklasse „unter Besatzung im Untergrund“ organisiert werden müsse, legten marxistische Friedensfreunde auf einer Diskussionsveranstaltung im vorigen Jahr dar.

Immer zurück, nie nach vorn

All diese Beispiele zeugen zwar von einer grundtiefen Empathielosigkeit und Zynismus, entlarven doch aber zumindest die intrinsische Rückwärtsgewandtheit einiger Teile der Friedensbewegung sowie der Linken, die sich auch über drei Jahrzehnte nach Ende der Sowjetunion und ihrer Kommunistischen Partei nicht von jenen zu emanzipieren in der Lage weiß.

Dabei ist es richtig, die (groß-)deutsche Kapitulation am 8. Mai zu feiern, denn, wie es Wolfgang Pohrt bereits in seinem 1981 erschienenen Artikel Ein Volk, ein Reich, ein Frieden schrieb, verdankt man es „hier weitgehend unbehelligt leben [zu] können […] dem Sieg der Alliierten“.

Auch wenn Pohrt vieles überspitzte, übertrieb und gemeinhin als streitbarer Intellektueller gilt, verstand er als früher Ideologiekritiker, dass man sich dabei auch bei den Westalliierten bedanken musste:

Mögen anderswo dem amerikanischen Kulturimperialismus die tradierten Lebensformen ganzer Nationen zum Opfer gefallen sein – in Deutschland aber begann mit [ihm] nicht die Barbarei, sondern die Zivilisation. In diesem Land ist jede weitere Filiale der McDonald-Hamburgerkette eine neue Insel der Gastfreundschaft und eine erfreuliche Bereicherung der Eßkultur.

In der West-Linken sah man das freilich anders, was nicht nur an großzügiger Finanzierung aus Moskau und Ost-Berlin lag. Neben aufrichtigem Antiimperialismus schlug und schlägt sich ebenso offener Antiamerikanismus seine Bahn. Entgegen dem Geiste der Aufklärung und der Debatte, lehnt man Komplexität und Widerspruch ab.

„Yankee go home“ diente als antiaufklärerischer Slogan, der sich in der Kontinuität des NS-Staates nun eine starke Partei wünschte, die die Geschicke der Massen lenken solle. Den Autonomen nahm man hingegen derartige Parolen eher ab, schließlich wussten diese mit strammer Parteipolitik, Märschen und Paraden nichts anzufangen. Dass man sich im Westen jedoch in besetzte Häuser zurückziehen konnte und außer einiger Schikanen nichts weiter passierte, im Osten jedoch als Arbeitscheue:r in Haft genommen wurde, stieß allerdings kaum auf.

Wunschdenken vor Auseinandersetzung mit Realität

Auch wenn sich die Begleitumstände im Laufe der Jahre leicht geändert haben, ist die Dialektik des Problems dieselbe. Jene, die nach Frieden rufen, verorten den Feind in Washington. Die entscheidende Differenz ist jedoch, dass man heute durchaus mit Betroffenen in Osteuropa – ja sogar dort lebenden Linken – reden könnte.

Nicht nur kann man sich seit dem Zerfall der Warschauer-Pakt-Staaten frei bewegen, auch das Internet bietet unzählige Möglichkeiten für die Wahrnehmung osteuropäischer Perspektiven und Narrative.
Für die Menschen in der Ukraine ist Aufgeben keine Option. Selbst wer sich aus nationalen Identitäten nichts macht, dem sollte klar sein, dass eine Besatzung durch die russische Föderation das Ende der freien Meinungsäußerung und einer Vielzahl weiterer Bürgerrechte wäre. Mögen diese in der Ukraine noch so imperfekt und unvollständig sein, so sind sie doch real und vor allem erkämpft.

Lieber schlechte Demokratie als gute Diktatur

Die Ukrainerinnen und Ukrainer ziehen es nun einmal vor in einer schlechten Demokratie zu leben, als in einer Diktatur. Die kleine politische Linke im Land ist sich hier einig. Seit Kriegsbeginn stellt man eigene Einheiten bei der Armee oder hat sich in bestehende Truppenverbände integriert. Verstärkt wird man dabei von internationalen Freiwilligen, von denen ein nicht geringer Anteil russische und belarussische Staatsbürger:innen sind, die bereits vor Jahren ins Exil gezwungen wurden.

Die Verluste sind dabei verheerend: Vor wenigen Wochen fiel der ukrainische Sozialist und Anthropologe Evgenij Osiewskij, nur kurz davor die Anarchisten Dmitry Petrov (Russland), Cooper Andrews (USA) sowie der Ire Finbar Cafferkey. Sie alle einte der Glaube an Gerechtigkeit und ein unbändiger Freiheitswille.

Oder anders gesagt: sie wussten, dass es jetzt die „falsche“ Freiheit des sogenannten Westens zu verteidigen galt, um nicht aller Freiheit beraubt zu werden – vor allem nicht der Freiheit für eine Gesellschaft der Gleichen zu kämpfen. Ihnen allen gilt es Respekt zu zollen und Frieden zu den Konditionen des Aggressors entschieden zurückzuweisen.

Pressekonferenz: Ohne Freiheit kein Frieden – Dienstag, 6. Juni 2023

Kein naiver Friedenswunsch, sondern Delegitimierung

Veranstaltungen wie der sogenannte „Peace“ Summit in Wien delegitimieren dabei die in der Ukraine lebenden Menschen als aktiv handelnde und selbstbestimmte Subjekte. Erneut kommt es zu einer Täter-Opfer-Umkehr, die jedoch aus purem Kalkül und nicht etwa aus Naivität erfolgt. Auch Wolfgang Pohrt kam vor über 40 Jahren zur selben Erkenntnis, die uns heute als Beispiel dafür dienen sollte nicht auf jeden noch so schön klingenden Lockruf nach Frieden einzugehen:

So könnte man fragen, argumentieren, erklären – wenn die Matadore der Friedensbewegung statt routinierter Veteranen unwissende Anfänger wären. So könnte man Irrtümer aufdecken und korrigieren [und] manierlich diskutieren – wenn jene Linken wenigstens windige Opportunisten und durchtriebene Taktiker wären und nicht aufrechte, grundehrliche, treu- und reinherzige Überzeugungstäter.


Semiosis lädt zur gleichnamigen Veranstaltung „Ohne Freiheit kein Frieden“, am 10. Juni 23, um 18:00 im Amerlinghaus, Stiftgasse 8, 1070 Wien, ein. Zu Gast vor Ort und zugeschaltet sind die Organisationen Solidarity Collectives und Sostsialnyi Rukh, Good Night Imperial Pride sowie die Russländische Sozialistische Bewegung, die von ihrer Arbeit der letzten Monate berichten und mit denen wir in einen konstruktiven Dialog treten möchten.



Moritz Groß (Jg. 1987) ist Politikwissenschaftler und Stadtanthropologe und arbeitet als Journalist. Seine Interessensgebiete sind Internationales, Stadtforschung sowie Soziale Bewegungen.

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