Wie geht es weiter mit der Babler-SPÖ?

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By Sebastian Reinfeldt

Am 22. März 2023 hat die Semiosis-Redaktion dazu aufgerufen, der SPÖ beizutreten. Anlass war, dass Nikolaus Kowall seine Kandidatur als Gegenpol zu dem zerstörerischen Duell Doskozil vs. Rendi-Wagner bekannt gegeben hatte. Wir traten ein und unterstützten erst ihn, dann zog Kowall zugunsten von Andreas Babler zurück, somit liefen wir für „den Andi“ – der Rest ist mittlerweile Geschichte. Vor dem Grazer SPÖ-Parteitag am 11. und 12. November 2023 ist eine gute Gelegenheit, eine vorläufige Bilanz zu ziehen.

Unstrittig ist, dass die neuen Mitglieder ihren Anteil an dem innerparteilichen Erfolg von Andreas Babler hatten. Ohne sie hätte er den zweiten Platz bei der Mitgliederbefragung nicht erreicht. Unstrittig ist aber ebenfalls, dass sie in der Partei (noch) nichts zu sagen haben. Unter den Parteitagsdelegierten in Graz werden höchstens eine Handvoll neuer Mitglieder mitstimmen – wenn überhaupt.

Dabei könnten sie bei der Diskussion um die Verbesserung der Lage der Partei, zu dem (vorläufigen) Stillstand der Babler-Mobilisierung und zu den innerparteilichen Fliehkräften einiges beitragen. Nämlich Außensicht und Lebenserfahrung in Bereichen der Gesellschaft, die nicht von Parteipolitik geprägt sind.

Sebastian Reinfeldt versucht so einen Blick auf die Partei. Zugleich beschreibt er seine Erfahrungen als Neumitglied in dieser.

Teil 2 einer Serie zum SPÖ-Parteitag am 11. und 12. November 2023 in Graz.


Ein falsches Vorbild

Ist das unser Corbyn-Moment?, fragten österreichische Linke, die der Sozialdemokratie nahe stehen, im Frühjahr 2023. Die Mobilisierung für den damaligen ’nur‘ Kandidaten um den Vorsitz, Andreas Babler, befand sich auf ihrem Höhepunkt; im Sturm eroberte er die Herzen von Menschen, die die SPÖ zuvor nicht hätte erreichen können. So auch meins. Er kann reden, er geht auf Menschen zu und er setzt soziale Themen dem rechten Kulturkampf ums Gendern, um Migration und gegen angebliche Verbotskultur entgegen. Doch: Lässt sich das mit dem zweitweisen Mobilisierungserfolg des früheren Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn vergleichen?

Momentum: Jeremy ohne Land

Corbyn war und ist ein unpassendes und falsches Vorbild. Denn er hat auf ganzer Linie versagt: moralisch und realpolitisch. Bei letzterem Punkt ist er mittlerweile so tief gefallen, dass er (als ehemaliger Labour-Parteivorsitzender und Oppositionsführer ) von der eigenen Partei suspendiert wurde und nur als Fraktionsloser dem britischen Unterhaus angehört.

How come – wie konnte das passieren?

Zwei Gründe sind für das Scheitern Corbyns – nach einer erfolgreichen Phase der Mobilisierung rund um eine Vorsitzwahl – ausschlaggebend: Seine unklare Haltung zum Brexit (die, wie viele meinen, sogar den Austritt aus der EU mitverschuldet hat). Und, dass er wiederholt und scheinbar unbelehrbar antisemitische Codes verwendet und in der Partei geduldet hat.

Labour und die linken Brexit-Träume

Mit offenem oder verstecktem Antisemitismus – genauso übrigens wie mit Spielarten des Rassismus – mobilisieren zu wollen, kann für progressive Kräfte nicht infrage kommen. Die Strafe heißt immer: Untergang bei Wahlen. Doch kommt im Falle von Jeremy Corbyn noch ein zweiter Aspekt hinzu, das ist seine neutrale Haltung zu dem Thema, das die Konservativen und Rechtsradikalen zum Wahlerfolg verholfen hat: den Brexit. Entgegen der Mehrheit der Mitglieder – und besonders entgegen der Haltung der deutlichen Mehrheit der im Zuge seiner Kampagne Neueingetretenen – setzte sich Jeremy Corbyn n i c h t für ein Remain (für einen Verbleib in der Europäischen Union) ein. Bewusst nahm er keine Gegenposition ein.

Vor dem Brexit-Referendum 2016 hatte sich der Oppositionschef nur halbherzig für den Verbleib in der EU eingesetzt. Danach lavierte er herum, seine Position zum Brexit blieb unklar, sein Kurs schlingerte. Den Wunsch seiner Partei, sich für ein zweites Referendum einzusetzen, hat Corbyn lange ignoriert.

Siobhán Geets, Jeremy Corbyn: Vom linken Kauz zum Rockstar – und retour, Wiener Zeitung vom 18.11.2019

Das konnte nicht gut gehen. Bei den Wahlen 2019 erreicht Corbyn ein historisch schlechtes Ergebnis. Die Partei verlor 7,7 Prozent der Stimmen. Boris Johnson triumphierte.

Join the revolution: Bernie Sanders

Ein weiterer Bezugspunkt, der im Zusammenhang mit der Kampagne von Andreas Babler auftaucht, sind die Kampagnen von Bernie Sanders in den USA. Zwei Mal mobilisierte er für die demokratische Partei diejenigen, die in den USA ansonsten keine Stimme haben. 2015/2016 und 2020 versuchte er, von einer eigentlich aussichtslosen Position startend, Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei zu werden – beides Mal scheiterte er.

Sanders-Kampagne, by Michael Vadon, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=44774494

Im Unterschied zu Corbyn wohnte seinem Scheitern aber ein gewisser Zauber inne. Thematisch bezog er sich auf die enormen Einkommensunterschiede und macht den Kampf um Reichensteuern zum zentralen Issue seiner Kampagnen. Organisiert wurde die Kampagne als Grassrootsbewegung. Er verlieh den Stimmlosen Gewicht, auch innerhalb der demokratischen Partei.

Hier könnte sich ein Anknüpfungspunkt für die SPÖ unter Babler ergeben. Aber Andreas Babler und seine Unterstützer:innen sind ein Sonderfall.

Progressive Bewegungen ohne eigene Agenda

Bereits im kommenden Jahr 2024 stehen zwei entscheidende Wahlgänge für die SPÖ an, die zukunftsentscheidend sind. Für den Aufbau einer Basisbewegung von Ehrenamtlichen, die den SPÖ-Wahlkampf tragen, ist es zu spät. Hinzu kommt, dass die beispielhaft genannten politischen Basis-Bewegungen ohne eigene politische Inhalte auskamen. Sie kopierten und vervielfältigten die Aussagen ihrer „Anführer“ Corbyn oder Sanders. Das Foto oben, das im Rahmen der Sanders-Kampagne 2015 entstand, macht das gut sichtbar.

So ein Vorgehen ist nicht nur autoritär und entpolitisierend, da „mitmachen“ allenfalls „im kleinen Rahmen mitorganisieren dürfen“ bedeutet, aber eben nicht „mitbestimmen“. Bei Demokratie geht es aber um die aktive Gestaltung des eigenen Umfelds und des Gemeinwesens. Dazu zählt auch die Partei, der jemand angehört.

Solch ein Vorgehen von oben herab passt gar nicht auf diejenigen, die im Zuge der Babler-Kampagne in die SPÖ eingetreten sind. Diese 15.000 Neuen, der potentielle Aktivist:innen-Pool also, sind altersmäßig und mehrheitlich keine Jugendbewegung, sondern durchwegs „gestandene Leut'“.

Sie haben Hunger nach politischen Inhalten und sie verfügen über einen Mitgestaltungswillen. Sie wollen eine SPÖ, die anders als bisher funktioniert und die auf allen Ebenen durchlässiger wird. Das Angebot von Babler, des Mitgehens bei einem Stück des Weges, muss daher eine wirkliche Öffnung hin zu den Menschen, die zum Mitgehen bereit sind, beinhalten.

Nicht nur Kosmetik.

Hunger nach politischen Inhalten und Mitgestaltung

Das war doch das Versprechen, das Andreas Babler abgegeben hat: Die SPÖ sei eine Partei, die sich programmatisch und organisatorisch öffnet. Da der Wahlkampf für 2024 de facto bereits läuft, steht vielleicht zu wenig Zeit zur Verfügung, etwa in moderierten Themenforen im Dialog mit Expert:innen politische Inhalte auf breiter Basis zu entwickeln, zu diskutieren und ihr Funktionieren somit gleich zu testen. Aber volle Säle und eine enorme Ausstrahlung wären der Partei sicher, wenn sie sich dann auch dazu verpflichtet, die Ergebnisse in ihre Programmatik einfließen zu lassen und in ihrer Politik umzusetzen. Warum nicht einmal versuchen?

Wer zugehört hat, wie positiv die Mitglieder der Klimaräte über den Prozess geredet haben, mag erkennen, wie groß der Hunger nach politischen Inhalten in der Bevölkerung ist – und wie groß die Enttäuschung, wenn danach buchstäblich nichts mit den Ergebnissen passiert.

Gegen das sich richten wollen

Ein weiterer Punkt ist relevant, um den verloren gegangenen Schwung der Mobilisierung wieder aufzufrischen: Die SPÖ muss einen erkennbaren Bruch mit diesem „Es sich richten können“ in der Partei vollziehen. Der Umgang der Wiener SPÖ mit den Skandalen um die Kleingärtengrundstücke, die in den Parteinetzwerken wie Zuckerl bei einem Kindergeburtstag kursierten, ist abschreckend.

So macht etwa die Donaustädter SPÖ, die mit Ernst Nevrivy den Bezirksvorsteher stellt, einfach weiter, als sei nichts gewesen. Und mauert sich bei Diskussionen um die Deals mit Whataboutism ala „Kleingartengrundstück versus Steuergeschenke für Reiche“ argumentativ ein.

Das Resultat: Rückzüge aus dem aktiven Parteileben. Die Crux dabei ist, dass der Parteiapparat scheinbar mühelos ohne aktive Mitglieder weiter zu funktionieren scheint: Weil er diese eh nur auf dem Papier für die Feststellung der relativen Stimmstärken und Delegiertenzahlen braucht – und nicht als aktiv Mitgestaltende.

Das Risiko bei hohen Erwartungen

Ernüchterung und schlimmstenfalls Enttäuschung hervorzurufen ist das Risiko für diejenigen, die hohe Erwartungen wecken. Das trifft auf den SPÖ-Vorsitz-Kandidaten Andreas Babler im Frühjahr 2023 zu. Seine Mobilisierung wollte und konnte Erwartungen wecken. Nun fehlt ihm die innerparteiliche Schlagkraft, diese alsbald zu erfüllen. Die Neueingetretenen haben (noch) nichts zu sagen – und es sieht es so aus, als ob er keine eigene Hausmacht in der Partei hätte. Die Wiener SPÖ etwa hat ihn nach dem Scheitern von Pamela Rendi Wagner in erster Linie deshalb unterstützt, weil er nicht Doskozil war. Seinen Forderungen nach Demokratisierung der Partei steht sie skeptisch bis ablehnend gegenüber, aus Angst, dass einmal ein populistischer Politiker mittels direktdemokratischer Instrumente die Macht in der Partei übernehmen könnte, so wie dies jüngst der griechischen Linkspartei Syriza mit Kasselakis passiert ist.

Die Parteirechte hingegen arbeitet erklärtermaßen an dem Scheitern der Babler-SPÖ. Sie geht davon aus, dass er mit seinen Themen (Arbeitszeitverkürzung, Kampf gegen Inflation, Reichen- und Erbschaftssteuern, Investitionen in Pflege, Gesundheit, Kinderbetreuung und in ein Klima-Investitionsprogramm) keine Wahlen gewinnen könne.

Nach einer Wahlniederlage werde Schluss sein mit dem linken Gespenst in der SPÖ. Die Parteilinke wiederum steht (No-na-net) voll hinter ihrem Andi, ist aber organisatorisch schwach aufgestellt und programmatisch ziemlich blank.

Medial gehören der Linzer Bürgermeister Klaus Luger und die burgenländische SPÖ zu den hörbaren Kritiker:innen. Wie stark diese Kräfte i n n e r h a l b der Partei wirklich sind, wird der Parteitag in Graz weisen.

Andreas Babler geht mit dem Parteitag also ein hohes Risiko ein. Einerseits. Andererseits wäre er auf einem anderen als einem riskanten Weg auch nie Parteivorsitzender geworden. Wer hätte am 24. März 2023 eine hohe Wette darauf abgeschlossen, dass er Bundesparteivorsitzender der SPÖ wird?

Eben.

So etwas wie den Babler darf es eigentlich nicht geben

Eine Regierung, angeführt von der Babler-SPÖ, oder eine Regierung aus ÖVP/FPÖ. So lautet die schlichte politische Frontstellung im entscheidenden Wahljahr 2024. Bis dahin wird „der Andi“ innerparteilich lavieren müssen, Kompromisse eingehen, die schmerzen. Die Leitanträge im Antragsbuch für den Parteitag geben davon ein beredtes Zeugnis ab. Teils werden große Linien gezeichnet, die in Richtung einer Vision gehen, teils verlieren sich die Texte im nächst folgendem Absatz im Klein-Klein und in schwer nachvollziehbaren Detailforderungen.

Es wird seine, Andreas Bablers, Aufgabe sein, aus diesem Sammelsurium eine tragfähige Vision für die Zukunft des Landes zu basteln.

Dass er das kann, und dass er dabei fasziniert, lesen wir in einem erstaunlichen Beitrag der deutschen Zeitung DIE ZEIT nach. Die Journalisten Robert Pausch und Bernd Ulrich, die sich mit Babler zum Interview getroffen haben, schreiben einen verwunderten und recht begeisterten Text über ihn. Der hier zitierte Satz trifft auch die Stimmung in Teilen der SPÖ ganz gut.

So etwas wie den Babler darf es eigentlich nicht geben, und wenn es ihn nun doch gibt, dann darf er zumindest nicht erfolgreich sein.

Andreas Babler: Huch, ein Arbeiter. Begegnungen mit Andreas Babler, der im nächsten Jahr Bundeskanzler von Österreich werden will.
Von Robert Pausch und Bernd Ulrich, November 2023

Dass er auf einem Parteitag überzeugen kann, und so eine Stimmung ins genaue Gegenteil drehen kann, hat er auf dem Linzer Wahlparteitag schon einmal bewiesen.

Wer weiß, was in Graz passieren wird.


Teil 1 der Serie vor dem Grazer Parteitag: SPÖ: Mehr Außenpolitik wagen! (6. November 2023)

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