Autoritäre Zuspitzung – oder: Die Rückkehr in die Provinz

Foto des Autors

By Sebastian Reinfeldt

Gleich ob in Deutschland, in Frankreich, in Polen, in Ungarn, in Österreich, in Tschechien, in Schweden, in Dänemark oder Norwegen, in Großbritannien oder in den USA: Themen, Schlagworte und Redeweisen rechter populistischer Parteien und ihrer Politikerinnen und Politiker geben den Ton in der Politik an. Nicht nur, dass sie in Wahlen deutlich an Stimmen gewinnen, dass sie die Regierung des Landes stellen oder an ihnen beteiligt sind. Sie beherrschen zudem das öffentliche Gerede über Politik.

Dabei sind „Flüchtlinge“ und Migration das bestimmende Thema. In diesem Kontext wird die Rückkehr in eine bessere Zeit versprochen, eine Zeit nämlich, in der die sozialen Beziehungen noch intakt gewesen seien. Somit „verschieben und verdichten“ sich praktisch alle gesellschaftlichen Fragen in die rechtspopulistischen Redeweisen: Man spricht die Sprache der rechten Populisten, man denkt in ihren Kategorien – und man nimmt die Welt mithilfe ihrer verfälschten Bilder wahr.
Ihre strategischen politischen Mehrheiten bei Wahlen erzielen diese Parteien und Gruppen dabei durchwegs in der Provinz: In den ländlichen Regionen und in den kleinen und mittleren Städten, die am Rande der – oder zwischen den – urbanen Zentren liegen. Auf dem  Jahrescolloquium des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung von 2016 im Tagungshaus auf der Frankenwarte in Würzburg wurde diese Situation beleuchtet. Um jenseits der gängigen Schlagwörter in den Medien zu verstehen, was in dieser Autoritären Zuspitzung vor sich geht, die seitdem versucht wird, werden wir uns also auf den Weg in die Provinz machen müssen.


„Abstiegsängste in einem traditionellen Sektor“

Laut Sebastian Chwalla, Politikwissenschaftler mit mehreren Forschungsaufenthalten in Frankreich, herrschen in der französischen Provinz keine idyllischen Zustände vor. Die Vorsitzende des Front National, Marine Le Pen, liegt bei aktuellen Wahlumfragen bei rund 30 Prozent – damit hat sie die höchsten Zustimmungswerte der Politikerinnen und Politiker im Land. Sie stützt sich hierbei auf eine starke Resonanz in den Regionen, und zwar ausgerechnet in den Gegenden, in denen einmal die Kommunistische Partei in Frankreich eine wesentliche politische Kraft gewesen war.

Für die Situation in Schweden, wo die rechtspopulistische Partei „Schwedendemokraten“ mit 13 Prozent im Reichstag vertreten ist, aber mittlerweile die Meinungsumfragen anführt, stellt die in Göteborg lebende Lektorin für Geschichte, Cordelia Heß, fest:

„Der Frauenanteil ist stark steigend“

Bemerkenswert ist hier – und im Unterschied zur Situation in Frankreich -, dass der schwedische Wohlfahrtsstaat bis heute intakt ist, und dass die sozialen Verwerfungen in der Provinz deutlich abgemildert werden. Trotzdem, oder gerade deshalb, können die Schwedendemokraten dort gut mobilisieren.

„Es gibt so gut wie keine sichtbare Armut in Schweden“

Der Grund: Auch der schwedische Wohlfahrtsstaat zeigt Risse: So besteht eine hohe Jugendarbeitslosigkeit von 25 Prozent. Als Erklärung dafür wird angeführt, dass es im Land keinen Niedriglohnsektor gibt, und die Erstanstellung neuer Arbeitskräfte die Firmen zu teuer käme. Einmal Angestellten könne somit schwer gekündigt werde kann. Da Hire-and-fire also kaum möglich ist, stehen die Jugendlichen auf der Straße.

Wie lässt sich die Zustimmung für die Schwedendemokraten erklären? Es handelt sich nicht um ein einzelnes Thema, das alle anderen überstrahlt, sondern die Partei ist durch eine Bündelung von drei Themen erfolgreich: Verteidigung des Wohlfahrsstaats, Gleichstellung der Frau – aber beides gekoppelt mit dem Thema der Migration, das in letzter Zeit enorm an Bedeutung zugenommen hat:

„Das Thema Migration ist um 7 Punkte gestiegen“

Dieses schwedische Beispiel ist durchaus mit Österreich vergleichbar, da Rechtspopulismus hier wie dort eindeutig als ein Akt der Verteidigung erscheint, als solcher wahrgenommen und popular beantwortet wird: Diejenigen, die von ihm angesprochen werden wollen, befürchten grundlegende negative Veränderungen ihres momentanen Lebensstandards; sie befürchten einen sozialen Abstieg in Zeiten globaler Konkurrenz. Dafür machen sie Die-da-oben verantwortlich, die aktuellen Regierungen gleich welcher Couleur und die Geflüchteten und die MigrantInnen, denen zugeschrieben wird, nicht so wie wir zu sein. Da es keinen anderen Weg gibt, ihr Nicht-mehr-Wollen zu artikulieren, wird regional eine rechtspopulistische Partei wie die FPÖ gewählt, teils aus Überzeugung, teils als Akt der Verteidigung. Auch die WählerInnenkarte Schwedens zeigt bei der Zustimmung zu den Schwedendemokraten ein deutliches Stadt-Land Gefälle.

Im Hintergrund dieser konkreten Gegebenheiten werkt ein grenzüberschreitendes Netz neurechter Intellektueller. Immer wieder tauchen in einzelnen Ländern gleiche Bilder auf. Bei aller lokalen und regionalen Besonderheit in der Entstehung der Parteien und in den Wahlprogrammen lassen sich durchaus unifying principles ausmachen. Die Osteuropaforscherin Larisa Schultz zeigt das anhand des Motivs des „Schwarze Schafs“ auf, das in Europa von West nach Ost und wieder zurück mäanderte. Zugleich wird hier deutlich, wie soziologisch messbare Vorurteile Stück für Stück in Rassismus hinein verschoben werden.

„Verspätete Nationenbildung und unter neoliberalen Vorzeichen als Ursache in Osteuropa“

Larisa Schultz, die dieses Beispielbild des schwarzen Schafs recherchiert hat, führt den Rechtspopulismus und Antiziganismus in Osteuropa auf die – im Vergleich zu Westeuropa – späte Nationenbildung zurück. Diese findet nach ihrer durchwegs neoliberalen Fundierung, also nach den verordneten „Schockthereapien“ in der Transformation vom Staatsozialismus in den Kapitalismus, nun unter autoritären Vorzeichen statt. Besonders Antiziganismus und Antisemitismus sollen dabei den gesellschaftlichen Kitt in Gesellschaften bilden, in denen die soziale Situation besonders angespannt ist. Auf Sinti und Roma werden konstant negative Zuschreibungen projiziert; diese Minderheit wird zu Sündenböcken erklärt. Zudem sind solche Ausschließungen der ideologische Kitt zwischen den bürgerlichen Parteien der rechten Mitte und denjenigen des offenen Rechtsextremismus.

„Die sogennannte gesellschaftliche Mitte schließt sich bereitwillig an“

Das europäische Netzwerk des Rechtsextremismus wächst ebenfalls. Es haben sich explizit rechte Eliten herausgebildet, die europaweit agieren. So wurde in einem weiteren Vortrag berichtet, dass die österreichische, Hipster-rechtextreme Identitäre Bewegung nun die Stadt Dresden zum Schwerpunkt ihrer Aktivitäten deklariert hat. Die rechte Kommunikationsguerillia-Truppe bezieht sich dort auf die Pegida. Diese rechtsextreme soziale Bewegung hält in der sächsischen Hauptstadt bis heute wöchentlich Kundgebungen mit bis zu 3000 Teilnehmenden ab. Für die Identitären sind die Wahlerfolge von FPÖ und AfD allerdings nur Bausteine in ihrem Vorhaben, eine europaweite soziale Bewegung aufzubauen, die von rechten Intellektuellen angeführt wird. Ihr Ziel: Eine Zeitenwende, also eine grundlegende gesellschaftliche Umwälzung unter rechter Vorherrschaft.

„Die AfD ist ein Abkömmling der Eliten, die die Partei zu bekämpfen vorgibt“

Mit der ironischen Formulierung „unsere alten Freunde von der Neuen Rechten“ bezieht sich Helmut Kellershohn auf die langjährige Beobachtung und Analyse der ideologischen Entwicklung neu-rechter Intellektueller seit 1980 durch das Duisburger DISS. Sehr früh war absehbar gewesen, dass hier eine Neuformierung stattfindet. Im programmatischen Kompromiss der deutschen AfD ist, so Kellershohn, die Idee eines starken Staates vorherrschend, kombiniert mit einem Programm der Renationalisierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Geprägt ist ihre Programmtik außerdem von der Fiktion einer ethnisch-homogenen Bevölkerung in Deutschland, der Idealisierung der bürgerlichen Kleinfamilie, in der die Frau dem Mann zugeordnet ist. Ferner verfolgt die AfD den Plan, den Staat in ein präsidiales autoritäres Regime umzubauen. Wohl nicht zufällig entspricht dieser ideologische Zuschnitt ziemlich genau dem Profil der österreichischen FPÖ.
Wie Margret Jäger, Regina Wamper und Isolde Aigner in ihren kritischen Beiträgen zum vorherrschenden politischen Diskurs in Deutschland aufgezeigt haben, hat sich dieser in den vergangenen Jahren deutlich nach rechts verschoben – und dies als organisierte Gegen-Reaktion auf die breite Solidaritätswelle mit Geflüchteten übrigens. Es sind diese Verschiebungen, die die AfD möglich machen.

„Demobilsierung als republikanische Strategie“

Zu den USA und dem Wahlerfolg von Donald Trump führt Wie Stacey Blatt aus, ist es auch dort so, dass die urbanen Zentren mehrheitlich demokratisch abgestimmt haben, und die ländlich geprägten Randregionen mehrheitlich republikanisch. Diesmal habe aber das Wahlsystem für Trump den Ausschlag gegeben, immerhin hat Hillary Clinton bi den Präsidentschaftswahlen in Summe mehr Stimmen bekommen als Trump. Der Gewinn durch eine geschickte regionale Verteilung ist aber kein Zufall. So sei es eindeutig eine Wahlstrategie der Republikaner gewesen, die Beteiligung nicht-weißer Gruppen an Wahlen zu erschweren. Diese Strategie bezog sich besonders auf potentielle migrantische Wählerinnen und Wähler, von denen deutlich mehr in den USA leben als 1970. Je höher nämlich deren Wahlbeteiligung ist, desto besser stehen die Chancen für demokratische KandidatInnen. In vielen Staaten der USA wurden rechtliche und organisatorische Barrieren aufgebaut, um das Wählen zu erschweren.

„Linke hat Kampf um die Hegemonie gerade verloren“

Die soziologischen und politikwissenschaftlichen Analysen, die auf dem Colloqium vorgestellt worden waren, sahen sich überraschend ähnlich: Die rechtspopulistischen Parteien sind bei Wahlen stark in der Provinz: besonders in Regionen, die mittlerweile de-industrialisiert sind und in landwirtschaftlich geprägten Gegenden. Wo man zur Arbeit pendeln muss und auch ökonomisch darauf angewiesen ist, dass es einen minimalen sozialen Zusammenhalt und tragfähige regionale ökonomische Strukturen gibt. Das sind im übrigen oftmals Gegenden, in denen in der Regel weniger MigrantInnen leben.

Der Kampf um die gesellschaftliche Hegemonie hat die Linke grade verloren, und das in Zeiten akuter und sich forsetzender ökonomischer Krisen. Der Sozialforscher Timo Heim wies auf die ungelösten kapitalistischen Krisen hin. Tatsächlich geht eine Welt und eine Weltordnung zugrunde, ohne dass etwas Neues entsehen könne, so charakterisiert Antonio Gramsci solche Krisensituationen. Mehr als fraglich ist allerdings, ob die rrechtspopulistische Welle wirklich nur eine Zeit des Interregnums ist, eine Zwischenregierung. Denn sie ist bislang die einzig sichtbare Alternative zu den alternativlosen Konzepten des Neoliberalismus. Der rechten Stärke entspricht – auch – die linke Schwäche, und das betrifft auch handfeste Dinge. Es gibt wenig übergreifende Organisation, kaum gewerkschaftliche und betriebliche Aktivitäten jenseits spontaer Arbeitskämpfe, die hier und dort auflodern und somit fehlt die materielle Basis für einen funktionierender Gegendiskurs, der die realen sozialen Fragen und Abstiegsszenarios aufgreift und auf einen anderen Fokus hin verdichtet und verschiebt.


Jetzt Neu: Semcast – Ein Podcast des Semiosisblogs

Zum Anhören und Herunterladen auf Podbean: Autoritäre Zuspitzung.

und in der Android-App Castbox: Autoritäre Zuspitzung.

1 Gedanke zu „Autoritäre Zuspitzung – oder: Die Rückkehr in die Provinz“

Schreibe einen Kommentar