Christian Kern: „Der Held den Österreich verdient – nicht der, den es braucht“

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By Sebastian Reinfeldt

Ein Blatt aus Simons Bestiarium. Von Simon Fisker.

Es ist die dunkelste Stunde, in der sich Österreich befindet, die soziale Zerrüttung spüren wir an jedem Ort, in jeder Faser dieses einst so glücklichen Lands. Ein großer Kanzler hat uns verlassen (um sich dem Lobbying hinzugeben), dafür aber stieg ein Held herab zu uns: Christian Kern. Aber er ist nicht der Held, den wir brauchen, sondern lediglich jener, den wir verdienen. 

Auf dem Bundesparteitag der SPÖ ist Christian Kern mit einem soliden Ergebnis von 96.8% zum Bundesparteivorsitzenden gewählt worden. Fragmente seiner Rede geistern seitdem durch den digitalen Äther und versetzen einst enttäuschte SPÖ AktivistInnen, FunktionärInnen und SympathisantInnen in helle Aufregung. Frenetisches Klatschen, großer Applaus hallt durch jede Spalte unseres vielfach gespaltenen Landes. Da merkt sogar ein Zyniker wie ich, etwas Großes ist gerade im Entstehen.
Unter Christian Kern soll die Partei wieder ihre frühere Bedeutung erringen und nicht weniger als ein sozialdemokratisches Zeitalter soll anbrechen. Aber wie soll das funktionieren? Ein oft geteiltes Fragment gibt Aufschluss:

Zum einfachen Menschen hat die SPÖ bisher gesagt: Diese Menschen müssen sich weiterbilden, Multikulti super finden, keine politisch unkorrekten Witze erzählen und ihren Kindern Gedichte vorlesen. Da haben wir uns zu sehr abgehoben von diesen Menschen und die hat alle die FPÖ abgeholt.

Ich kann sehen, warum hier einige aus dem linken Spektrum sagen: „Na endlich“. Im Fokus sollen ArbeiterInnen, GeringverdienerInnen usw. stehen. Ich glaube wir verstehen uns da alle, „diese Menschen“ sind da gemeint. Und natürlich, da sind wir uns alle einig und es versteht sich von selber – das sind „einfache Menschen“. In den weitläufigen Gehegen in der Vorstadt sind sie zuhause, die „einfachen Menschen“.

Hier wo sich Tier und Mensch noch sehr nahe sind und in einer Symbiose leben. Oft nicht nur gedanklich einfach, sondern oft auch physisch sehr simpel gestrickt.

Dicke Bäuche, Lichtungen in der lausigen Kopfbehaarung, wurstige, aufgedunsene Gliedmaßen, verschwommene Gesichtszüge. Ganz anders eben als die vollendeten Formen von Körpern, die wir in den erhobenen Schichten bewundern dürfen.

Trainierte Körper, markante Gesichtszüge. Aristokratische Abstammung, ein Fest der Völker. Der Mythos vom „einfachen Volk“. Vom „einfachen Menschen“. Dabei sind doch oft auch die ganz „einfachen Menschen“ schon sehr kompliziert. Lange haben wir überlegt, analysiert und nachgedacht, bis wir endlich erkannt haben was diese „einfachen Menschen“ eigentlich wollen.
Nur haben wir jetzt klare Verhältnisse. Und die sollen auch in der Linken geschaffen werden. Da sind sich die immer Gleichen sofort einig: Aus mit dem Feminismus und Multikulturalismus in der Linken. Binnen I macht die Sprache nur unschön und die Ausländer sollen sich anpassen. Gemeinsam an einer neuen Kultur arbeiten? Über das Eigene hinauswachsen? Oder verharren im ewigen Stillstand einer fix gegossenen Menschenmasse? „So wie es jetzt ist, ist es richtig. Und so soll es sein, versucht nicht die Menschen zu ändern, das ist ihre Natur“. So klingen manchmal auch Linke.
Wenn wir als Progressive, Bewegung, Partei, Menschen … den Anspruch ablegen unser Selbst weiter zu entwickeln, wenn wir in der Paralyse verharren, uns zufrieden geben damit, andere Menschen wie Dreck zu behandeln, die Wünsche und das Leben anderer missachten und den Planeten zerstören, dann können wir uns wirklich als „einfache Menschen“ bezeichnen.

Was wir aber auf keinen Fall zulassen dürfen, ist, dass uns andere Menschen mit Scham überziehen und wir diese Scham verinnerlichen und andere damit strafen. Niemand auf der Welt hat das Recht uns wegen unserem Geschlecht/unserer Geschlechtsidentität, unserer Herkunft, unserer Körperform, unserem Verstand, unserer Krankheiten – schlicht, wegen allem, was wir sind, mit Verachtung zu überziehen. Dagegen müssen wir ankämpfen. Dieses Ziel erreichen wir nicht, wenn wir die Bedürfnisse einiger über die anderer stellen, sondern nur, wenn wir gemeinsam dafür kämpfen.

Geschlechtergerechte Sprache, Transgenderklos, gerechte Bezahlung und gesellschaftliche Teilhabe gehören zusammen: Das alles sind keine Gegensätze, sondern kleine Teile unserer Selbstbefreiung von der Fremdherrschaft. Und solange sich auch nur ein Mensch geknechtet fühlt, sind wir nicht wirklich frei.

Das schreibe ich raus, aus meinen wurstigen Fingern, mit meinem Mindestgehalt, mitten in der Vorstadt von Wien, wo sich Tier und Mensch noch sehr nahe sind.
Und Christian Kern sagt ja nicht nur das eine, sondern auch das andere:
„Wir müssen nicht ‚raus zu den Leuten‘ – wir SIND die Leute, wir gehören zu ihnen und sie zu uns!“
Und weil Christian Kern mit seinem Alabasterkörper auch nur so einer ist wie ich, mit meinem Dickbauch, ist er der Held, den wir verdienen. Vorerst einmal.

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