Wiener SPÖ verrät die ‚Generation Hauptbahnhof‘

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By Sebastian Reinfeldt

Hätte ich bei den Wiener Gemeinderatswahlen SPÖ gewählt, und das unter anderem, weil sie für eine humane Flüchtlingspolitik eingetreten sind. Dann wäre ich jetzt richtig wütend. Und wenn ich etwa am Hauptbahnhof geholfen hätte, als staatliche Stellen nicht in der Lage waren, für die Geflüchteten Mineralwasser, Essen und Kleidung zu organisieren, dann würde ich mich verraten fühlen. Denn bereits drei Monate später dient sich die Wiener SPÖ der FPÖ an. 
Ich habe nicht SPÖ gewählt. Denn ich war mitverantwortlich für den Wahlkampf von Wien Anders. Wir waren und sind eine linke, bunte Alternative gegen die neoliberale politische Einheit in Österreich. Eine humane Flüchtlingspolitik und eine anständige Willkommenskultur sind und waren uns ein Herzensanliegen, nicht nur im Wahlkampf. Wie viele andere auch, waren AktivistInnen von Wien Anders im Sommer 2015 ehrenamtlich unterwegs und haben am West- und Hauptbahnhof mitgeholfen, sogar Fluchthilfe im Ramen des sogenannten „Schienenersatzverkehrs“ mit organisiert.

Solchermaßen klar positioniert waren wir eines der Ziele der SPÖ-Wahlkampagne, die den WählerInnenverlust zur FPÖ durch einen Zugewinn von links kompensieren wollten. Und deshalb haben sie – zum Schein, wie jetzt offenbar ist – eine linke Wahlkampagne gefahren. „Wir stehen für Humanität, Haltung und Charakter“, hieß es noch im Oktober 2015. Häupl und Schönborn wuzelten mit Flüchtlingen und der Bürgermeister forderte kurz vor der Wahl sogar den Friedensnobelpreis für die Wienerinnen und Wiener.

Und da kann man dann als neue Gruppierung argumentieren und warnen, wie man will. Dass dies nur ein Wahlkampfmove ist. Dass die Wiener SPÖ, so wie andere SPÖ-Organisationen, keineswegs links ist. Noch nicht einmal linksliberal. Dass in Simmering, in Liesing und in Favoriten an der Basis die Sympathie nicht bei den Flüchtlingen liege, sondern beim HC Strache. All das haben wir getan. Der medialen Macht der von der SPÖ finanzierten Gratiszeitungen und der Krone standen wir ohnmächtig gegenüber. Auch wenn es bereits im Juni 2015 ganz klar Anzeichen dafür gab, dass die SPÖ links blinken wird und rechts abbiegen.

Jetzt hat VICE einmal alle Zitate und Indizien der Kursänderung der vergangenen Tage zusammengetragen. In ihrem Beitrag findet sich folgendes Zitat des früheren Menschenfreunds Häupl, der nun in der Krone  ganz anders zitiert wird:

Ich hab den Krieg in Syrien nicht begonnen. Und ich hab auch niemanden eingeladen. Und die Grenze ist dann erreicht, wenn wir den Leuten nicht mehr helfen können. Eine anständige Betreuung geht ab einer bestimmten Menge nicht mehr. Wir können heuer nicht nochmals alleine die gleiche Last schultern wie im Vorjahr.

Vor drei Monaten klang das noch ganz anders, da war von Menschlichkeit die Rede, von Anstand und von Willkomenskultur. Sind seitdem andere Menschen nach Österriech gekommen? Nein! Haben sich die organisatorischen Rahmenbedingungen geändert? Nein! Einzig und allein aus einem neuen Machtkalkül heraus verrät die SPÖ die Generation Hauptbahnhof, so wie sie sie im Herbst 2015 im Wahlkampf benutzt haben.

Und noch eine persönliche Bemerkung dazu: Seit 18 Jahren arbeite ich mit Menschen, die nicht Deutsch als Muttersprache haben Es ist mein Brotberuf, ihnen die deutsche Sprache und noch einiges mehr beizubringen. Und in dieser Zeitspanne habe ich schon einige Wellen von Rassismus erlebt, ähnlich wie die, die gerade durch Österreich rollt. Und immer war die SPÖ zunächst nicht auf der Seite der Schwachen. Sie stellte beispielsweise in der Vergangenheit oftmals die Innenminister, die dann wegen ihrer restriktiven Asylpolitik von Jörg Haider gelobt worden sind. Ihre Namen: Löschnak, Schlögl zum Beispiel. Und dennoch haben AktivistInnen der Zivilgesellschaft immer wieder ihre Hoffnung an die SPÖ gerichtet, dass sie ihre Haltung ändern könne, und damit auch die Richtung der Politik in Österreich insgesamt. Immer wieder von Neuem hat die SPÖ diese Hoffnung enttäuscht. Und damit soziale Bewegungen, die im Entstehen begriffen waren, zerstört und die aktiven Menschen wissentlich in die politische Passivität gedrängt. Was ich mir in diesem Fall wünsche? Dass die SPÖ endlich einmal die politische Wut von links zu spüren bekommen wird; dass die AktivistInnen ihr das nicht durchgehen lassen. Mal sehen.

Update 22.Januar 2016: Inzwischen hat ein regelrechtes Verwirrspiel eingesetzt. Nun plötzlich soll die Wiener SPÖ gegen diesen Beschluss sein, und von Obergrenzen sei keine Rede mehr. Es ist ja nur von Richtwerten die Rede. Ich gebe hier einen Artikel aus dem Standard wieder. Und bleibe bei meiner Kommentierung:

Nach der massiven SPÖ-internen Kritik der Wiener Stadträtinnen Sonja Wehsely, Renate Brauner und Sandra Frauenberger (alle SPÖ) am Asylbeschluss der Regierung verwies Bürgermeister Michael Häupl am Freitag darauf, dass im Beschluss das Wort „Obergrenzen“ nicht vorkomme. Häupl hatte am Mittwoch den Beschluss der Regierung mitgetragen. Wehsely und Brauner hätten ihre Kritik „zu einem Zeitpunkt gesagt, als sie nur Obergrenzen gehört, aber das reale Papier nicht gelesen“ hätten, sagte Häupl im Ö1-Morgenjournal. Tatsächlich steht im Beschluss das Wort „Richtlinie“. Die ÖVP legt den Beschluss derartig aus, dass 2016 mit dem 37.500. Asylwerber die Obergrenze in Österreich erreicht sei und kein Asylwerber mehr ins Land gelassen werde. Auf die Frage, was mit dem 37.501. Asylwerber geschehe, sagte Häupl: „Das werden uns Rechtskundige sagen.“ Selbstverständlich sei „nach geltender österreichischer Rechtsfassung der Asylantrag anzunehmen“. SPÖ „nicht Partei der offenen Grenzen“ Die SPÖ sei aber „natürlich nicht Partei der offenen Grenzen“. Häupl spricht sich für Grenzkontrollen und für strikte Grenzmaßnahmen aus: „Kontrollieren kann auch abhalten heißen“. Den Asylbeschluss der Regierung, ob „Obergrenze“ oder „Richtwert“, würde die Bevölkerung nicht verstehen. „Das verstehen ja kaum Politprofis.“ Häupl hat das Papier dennoch mitgetragen. „Ich kann ja nicht nur Verträge unterschreiben, die ich kenne.“ Die SPÖ würde trotz der internen Kritik am Regierungsbeschluss, an der sich auch zahlreiche Landesorganisationen beteiligen, „ein Bild der Einigkeit“ abgeben. „Wir rücken das schon richtig.“ (krud, 22.1.2016)

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