#Aufbruch in Österreich: Raus aus der Komfortzone!

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By Sebastian Reinfeldt

Länger als ein Jahr hat es gedauert, dass aus dem Internetblog Mosaik, der einen Teil der österreichischen Mosaiklinken umfasst, eine politisch sichtbare Bewegung entstanden ist. Mehr als 1000 Menschen aus ganz Österreich, allerdings mit Schwerpunkt aus Wien kommend, haben sich am Freitag und Samstag in Liesing versammelt, um eine Kampagne zu beraten und mit ihrer Umsetzung zu beginnen. Unter dem Motto „Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten“ soll sowohl der rechtspopulistischen FPÖ als auch der neoliberalen Wirtschaftspolitik der SPÖ/ÖVP-Koalition Paroli geboten werden.


„Ein Schnittpunkt vieler Fragen ist die groteske Ungleichverteilung von Vermögen und, damit verbunden, von Lebenschancen in Österreich und darüber hinaus“, so formulierte Benjamin Opratko, einer der Sprecher von #Aufbruch, in einem Gespräch mit Unserer Zeitung. „Unser Anliegen ist es, sichtbar zu machen, dass positive soziale Reformen nur dann machbar sind, wenn wir auch die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums angehen.“

Wer ist #Aufbruch eigentlich?

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Lisa Mittendrein

„Wir wollen das Gemeinsame über das Trennende stellen.“ Sehr oft wurde in den Tagen der Aktionskonferenz #Aufbruch in Wien-Liesing diese Aussage wiederholt. Dieser Umstand verweist darauf, dass die Akteurinnen und Akteure sich darüber im Klaren sind, dass die Linke in Österreich organisatorisch zerfasert war und ist und ideologisch äußerst heterogen zusammengesetzt. Es gibt bislang keinen linken Hegemon, der in der Lage ist, einen organisatorischen und ideologischen Kompromiss zu formulieren und so umzusetzen, dass eine Linke jenseits der SPÖ und den Grünen entsteht, die machtpolitisch relevant wäre. Und genau diese vereinigende politische Kraft soll im Zuge der kommenden Kampagne entstehen – so lautet jedenfalls der Anspruch.
Viele undogmatische Linke, die Realpolitik machen wollen, tun dies derzeit in den Grünen, dort sind sie allerdings machtpolitisch klar in der Minderheit. Der große Rest der österreichischen Linken ist traditionell stark auf die Sozialdemokratie orientiert (von ihrer Jugendorganisation SJ über die trotzkistische SLP, die traditionsbewußte KPÖ bis zur Redaktion Der Funke) – und die organisierte autonome Linke hatte lange Zeit auf Demonstrations-Aktionismus gegen die FPÖ gesetzt.
In diesem Organisations-Mosaik konnten sich allerdings viele politisch Engagierte, die in keiner Organisation eingebunden sind, nicht wieder finden und drohten zu „vereinsamen“, wie es Lukas Oberndorfer eingangs der Konferenz für seinen eigenen Weg formulierte. Besonders durch das enorme zivilgesellschaftliche Engagement für Geflüchtete im Sommer 2015 wurde nach dem Rollback der österreichischen Regierung im Winter 2015 – schmerzlich sichtbar, dass es keine politische Form für diese Art von bottom-up Initiativen gibt. Zwar haben diese Menschen in den Wiener Gemeinderatswahlen 2015 die dortige SPÖ gewählt, aber es stellte sich schnell heraus, dass die Sozialdemokratie keine politische Heimat mehr bieten kann bzw. will. Und die Grünen arbeiten professionell im Parlament mit, doch können (und wollen) sie keine Strahlkraft für eine grundlegendere gesellschaftliche Veränderung entwickeln.
Im #Aufbruch kooperieren jetzt nicht nur Personen aus den genannten Gruppierungen – die vielen ungebundenen politisch Aktiven werden durch die besondere Rolle von Personen, die bei ATTAC-Österreich politische (Kampagnen-)Erfahrung gesammelt haben, in der #Aufbruch-Initiative repräsentiert. Und dieser Mix könnte ein Erfolgsrezept sein. Denn die Schlagworte, die in den Plenums-Wortmeldungen bei der #Aufbruch-Konferenz zur Sprache kamen, decken wohl nicht zufällig das ATTAC-Themenspektrum ab: Vom guten Leben für alle über Wohnen und steigende Mieten bis hin zur Verteilungsgerechtigkeit und zur sozialen Sicherheit und Demokratisierung. Lisa Mittendrein, die bei ATTAC mitarbeitet, hielt dann auch das Input-Referat zur politischen Situation: „Wir werden aufzeigen, warum es so vielen immer schlechter geht und wer davon profitiert. Und wir müssen in den Mittelpunkt stellen, wie es anders geht, wie ein gutes Leben für alle möglich werden kann.“
Aber, so wurde von anderen immer wieder betont, das gute Leben für alle sollte antikapitalistisch sein. Also: Aufbruch wohin?

Aufbruch – doch wohin?

Vorerst wurde ein Vorschlag für die Organisierungskampagne vorgestellt, mit deren Umsetzung in Arbeitsgruppen und lokalen Aufbruchgruppen bereits begonnen worden ist. Unter dem Konzept „Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten“ soll von links eine gesellschaftliche Diskussion über „Reichtum“ angeregt werden. „Hören wir auf uns die Reichen zu leisten, wenn genug für alle da ist,“ so erläuterte Hanna Lichtenberger im Plenum die Zielsetzung der Kampagne. Das bedeutet aufzuzeigen, „wer in unserer Gesellschaft reich ist und wer diesen Reichtum eigentlich schafft“, so wird es im schriftlichen Konzept dann formuliert. Kernaspekt wird die Umverteilung von „Unten nach Oben“ sein. Das Konzept steht auf drei Säulen, „Gutes Wohnen und Mobilität für alle!“, „Gute Arbeit für alle!“, „Gute Gesundheitsversorgung für alle und ein dichtes soziales Netz“. Diese enthalten etwa die Forderung nach einem Mindestlohn von 10 €/h, ein Aus für MaklerInnengebühren, mehr Rechte für MieterInnen, Demokratische Mitsprache im Betrieb und verbesserte Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen und in der Pflege. Weiters lässt das Papier Spekulationen zur Vergesellschaftung von Energieversorgung, Leerstand und privater Versicherungsträger zu. Klar ist allerdings, es sollen keine zentralen Vorgaben geschehen wie diese Forderungen Österreichweit umgesetzt werden sollen, sondern es soll hier Spielraum für die lokalen Aufbruch Gruppen sein, denn „Gutes Wohnen bedeutet etwas anderes in Braunau als in Ottakring“, meinte Luca Tschiderer bei der Vorstellung des Kampagnenkonzeptes..
Die anwesenden AktivistInnen hatten in der Folge in 100 Arbeitsgruppen zu je 8 Personen die Möglichkeit diesen Vorschlag und vor allem die Möglichkeiten zur aktivistischen Realisierung einer solchen Kampagne zu diskutieren. Daraus ergaben sich in einem bottom-up Prozess Zielvorgaben wie „In einem Jahr soll uns ganz Österreich kennen“, „Wir wollen radikal verständlich sein und klassenbewusste Politik machen“. Und bei den Aktionsformen entspannte sich ein breites Spektrum von Ideen, vom „Stammtischschummler“ bis hin zur Leerstandsbesetzung.

Antikapitalismus? Radikaler Reformismus?

Eine Konferenz mit rund tausend TeilnehmerInnen durchzuführen, und das alles auf ehrenamtlicher Basis, ist eine enorme organisatorische Herausforderung, die die TrägerInnen des #Aufbruchs gut bewältigt haben. Zwei Moderatorinnen und ein Moderator haben den #Aufbruch-Prozess professionell gestaltet und es so ermöglicht, dass so viele Menschen miteinander kommunizieren konnten, was eine Leistung ist. Dies zeigt, dass es bereits einen professionellen Quantensprung in der österreichischen Linken gibt, was besonders in Hinblick auf eine mögliche Beteiligung an der kommenden Nationalratswahl einen enormen Pluspunkt darstellt.
Allerdings wurde dafür ein Preis bezahlt, dessen Höhe und dessen Auswirkung sich in den kommenden Monaten zeigen wird. Denn mögliche Kontroversen kamen bislang offen nicht zur Sprache und sind nur indirekt sichtbar geworden. So wurde am Freitag Abend die Forderung nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen erhoben, wozu nur etwa die Hälfte der Anwesenden Beifall klatsche, dies aber sehr eindringlich. Und am Samstag kam der Ruf nach einem Kommunismus 2.0 auch nur bei der Hälfte der Anwesenden gut an. Es gilt daher Wege zu finden, wie grundlegende Unterschiede in ein demokratisches Verhältnis zueinander gebracht werden können. Das #Aufbruch-Kernteamsetzt hier auf „Ausverhandlungsprozesse“, wie Alexandra Stricker gegen Ende der Veranstaltung betonte. Das ist sicherlich ein Weg, wenn es darum geht, Aktionsideen und passende Aktionsinhalte in lokalen Gruppen zu entscheiden. Doch bei großen Richtungsentscheidungen, die irgendwann einmal zu treffen sind, kann dies nur auf eine transparente und demokratische Weise gelingen.
Noch hat der #Aufbruch keine juristische Struktur, er soll nun von unten nach oben stattfinden – ausgehend von Lokalen Gruppen und Themengruppen, die Delegierte in das Planungstreffen entsenden, in dem dann unter anderem die politische Linie festgelegt wird, SprecherInnen bestimmt werden und so weiter. Als Ziel wird genannt, dass immer ein Konsens zu suchen ist, man will sich „nicht niederstimmen“. Aus dieser Gruppe wiederum wird eine Koordination gewählt, die über den gesamten #Aufbruch-Prozess den Überblick behalten soll. So einfach und übersichtlich, wie die Struktur des #Aufbruchs nach eigenen Angaben sein soll, ist sie jedenfalls nicht. Es bleibt offen, wie sie sich mit Leben erfüllen wird. Eine weitere offene Frage ist, wie viele Menschen bereit und zeitlich in der Lage sind, den #Aufbruch in ganz Österreich geschehen zu lassen. Wenn am Ende nur die Organisierten übrig bleiben, dann wäre der #Aufbruch-Impuls verloren gegangen. Die selbst gesteckten Ziele sind hoch: Wenigstens in 15 Gemeinden stabile Kampagnen-Gruppen bilden; 10.000 Gespräche mit Menschen auf der Straße führen und dokumentieren, mindestens 300 Aktionen auf die Straße bringen und ein Netzwerk von 10.000 Menschen innerhalb eines Jahres weben. Während der Aktionskonferenz sind bereits 25 Gruppen entstanden. Nun also wird es Ernst.

*Ich danke Simon Fischer und Noah Schermann für die Mitarbeit. @Fotos: Simon

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