AGO – Chronik einer (geplanten?) Pleite

Foto des Autors

By Christoph Ulbrich

In den 1990er Jahren begann das „New Public Management“ in der Stadt Wien. Im eigens dazu gegründeten Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) sollten „Qualität, Effizienz und Effektivität“ Einzug halten, so die Generaldirektion. Der KAV selber ist eine pseudoprivatwirtschaftliche Organisation, in der die zuständige politische Stadträtin – derzeit ist das Sonja Wehsely – Finanzchefin ist. Mit seiner Gründung entstanden neue Geschäftsmodelle, in dem öffentliche Leistungen an Private ausgelagert wurden. Ein Beispiel für eine Firma mit einem solchen Geschäftsmodell ist der Akademische Gästedienst Österreichs (AGO). Die Stadt Wien war lange sein Hauptauftraggeber.

Ende 2015 schlitterte der AGO in die Pleite. Wie kam es dazu? Und warum war die Pleite lange absehbar – und vielleicht sogar Teil des Geschäftsmodells gewesen? Wir haben die Geschichte von undurchsichtigen Auftragsvergaben, Auslagerungen und Einsparungen auf Kosten tausender Beschäftigter nachrecherchiert. Und wie die AGO-Geschäftsführer und die Stadt Wien davon profitiert haben. Vom Semiosis-Team, zusammengetragen von Christoph Ulbrich.


Kostenersparnis durch Auslagerung und Lohndumping

Bis 1993 waren die Wiener Spitäler quasi Behörden, geleitet von den Magistratsabteilunge 16, 17 und 23. Die MitarbeiterInnen waren somit Magistratsbedienstete, die angemessen gut bezahlt wurden und Anspruch auf Zulagen (für Nacht- und Feiertagsdienste etc.) entsprechend dem sogenannten Nebengebührenkatalog des Magistrats der Stadt Wien hatten.

Dann lagerte die Stadt die Spitäler in den Krankenanstaltenverbund (KAV) aus. Der KAV bekam nun von der Politik die Vorgabe, Einsparungspotentiale zu finden und zu nutzen. Zudem war der KAV, der nun keine Magistratsabteilung mehr war, sondern ein selbstständiges Unternehmen im Eigentum der Stadt Wien, damit der politischen Kontrolle durch die Opposition weitgehend entzogen. Als betriebswirtschaftlich geführtes Unternehmen kam das KAV-Management bald auf die Idee, dass es am besten ist, bei den Personalkosten zu sparen. Da auch die KAV-MitarbeiterInnen noch Ansprüche nach dem Nebengebührenkatalog hatten, musste eine weitere Auslagerung her. Und so entschied man sich Personal an private Dienstleister auszulagern, die in der Folge auch wie Pilze aus dem Boden schossen. Betroffen waren laut Kurier-Artikel „rund 1300 Pfleger, EDV-Mitarbeiter und Reinigungskräfte, die das AKH extern „zukaufte“, um das Personal aus dem kostspieligeren Gehaltsschema der Gemeindebediensteten herauszunehmen.“ Man könnte das auch schlicht Lohndumping im Dienste der Stadt Wien nennen!

Die problematische Vergabe an den AGO beschäftigt die Justiz

So wurden die Reinigungsaufgaben vom KAV 2004 und 2009 ausgeschrieben. Beide Male kam der Akademische Gästedienst Österreichs unter dubiosen Umständen zum Zuge. Die für die Vergabe zuständigen MitarbeiterInnen im KAV sollen mehrfach von AGO lukrativ eingeladen worden sein und später gut dotierte Consulting-Verträge erhalten habe. Als Gegenleistung sollen sie die Ausschreibung manipuliert haben. Die Staatsanwaltschaft hat die Zuständigen KAV-Mitarbeiter deswegen 2015 wegen Untreue und schwerem Betrug angeklagt. Die Beschuldigten wurden schließlich in erster Instanz freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft meldete gegen das Urteil umgehend Nichtigkeitsbeschwerde an. Ein anderer Prozess rund um den AGO endete hingegen bereits mit rechtskräftigen Verurteilungen. Der Sohn eines AGO-Geschäftsführers hatte seinen Zivildienst nur nur am Papier im AKH abgeleistet. Tatsächlich als Zivildiener gearbeitet hat er nie. Drei KAV-Mitarbeiter wurden deswegen wegen Untreue verurteilt. Nachdem sich die Skandale häuften, wurde der öffentliche Druck irgendwann zu groß. Mit Ende 2013 kündigte der KAV schließlich den Vertrag mit der AGO. Hunderte Reinigungskräfte verloren ihren Job. Nicht gekündigt wurde allerdings der Vertrag über rund 200 IT-MitarbeiterInnen.

Gesetzwidriges Lohndumping

Nach dem Verlust des Reinigungs-Auftrags braute sich weiteres Unheil für den AGO zusammen. Der Betriebsrat und die Gewerkschaft starten im April 2013 – als klar ist, dass mit Ende 2013 der Vertrag mit AGO ausläuft – unter dem Titel „Übernahme statt Fremdvergabe“ eine Kampagne, die die Situation der Leiharbeitskräfte thematisierte. Zudem wird eine Klage eingebracht, die das gesamte Geschäftsmodell von AGO zunichte machen würde. Kurz gesagt begehren die Beschäftigten, dass die im AKH tätigen AGO-Mitarbeiter zu denselben Bedingungen angestellt und bezahlt werden, wie die direkt beim KAV angestellten. Einsparungeffekte zulasten der Beschäftigten wären damit dahin, ebenso die Gewinnspanne der Firma. Die gesamte Auslagerung der Reinigungs- und IT-Dienstleistungen hätte damit – aus Sicht des KAV – ihren Zweck verfehlt.
Dass die AGO-Beschäftigten gute Chancen hatten, das Verfahren zu gewinnen, muss allen Beteiligten von Anfang an klar gewesen sein. Das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz (AÜG) lässt bezüglich der Entlohnung überlassener Mitarbeiter kaum Zweifel. Die Wirtschaftskammer erläutert das auf ihrer Homepage so:

Für die Dauer der Überlassung kommen auch wichtige Bestimmungen des Kollektivvertrages der Branche des Beschäftigerbetriebes zur Anwendung. Dies gilt für das kollektivvertragliche Entgelt, wenn es während der Überlassung höher als jenes nach dem Kollektivvertrag für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung ist, sowie für die arbeitszeitrechtlichen Bestimmungen.

Kurz gesagt: Wer im AKH arbeitet, hat Ansprüche auf Bezahlung nach dem KAV-Gehaltsschema und dem Nebengebührenkatalog des Magistrats der Stadt Wien. Auch wenn als Dienstgeber am Lohnzettel AGO steht.

Vor der vorhersehbaren Pleite werden 2 Millionen Euro aus dem Unternehmen gezogen

Dass die AGO-Mitarbeiter früher oder später wohl Anspruch auf Nachzahlungen haben werden, müsste dem AGO-Management also bewusst gewesen sein. Ausreichende Rückstellungen wurde dafür aber keine gebildet. Zur Kündigung des Putzauftrags, die dem AGO-Management seit November 2012 bekannt ist, sagt Geschäftsführer Michael Gross nach der Insolvenz zu orf.at „Der Verlust diesen Riesenauftrags habe sich freilich als Verlust in der Bilanz 2014 niedergeschlagen.“
Obwohl also seit Ende 2012 klar war, dass der AGO einen Großauftrag verliert und die wirtschaftliche Zukunft nicht rosig ist, gewährt AGO einem Schwesterunternehmen ein Darlehen von 2 Millionen Euro. Nämlich der Medical Implant Competence GmbH (MIC). Diese errichtet eine Zahnklinik, die schließlich im Juni 2014 unter der Marke „smile4life“ in der Wiedner Hauptstraße 49 Tür an Tür mit dem AGO-Hauptsitz den Betrieb aufnimmt. Die öffentlichen Gelder die AGO vom KAV bekommen hat wurden so zuerst in Rücklagen von AGO und schließlich in einen privaten Kredit umgewandelt. Einen Kredit der möglicherweise schlicht den Zweck hatte Geld aus einem Unternehmen in ein anders zu verschieben. Denn sowohl AGO als auch MIC gehören zu jeweils 75% der SLG Holding. SLG-Eigentümer und Geschäftsführer sind Michael Gross und Heinrich Lachmuth. Gross ist dabei auch Geschäftsführer der AGO, Lachmuth auch Geschäftsführer von MIC. Weiterer 25% Eigentümer der MIC ist der Zahnarzt Kaan Yerit. Skurriles Detail am Rande: Die MIC wurde laut Firmenbuch 2010 als „VIENNA JETEXPRESS Bedarfsluftfahrt GmbH“ gegründet. Wann und warum aus dem vermeintlichen Luftfahrtunternehmen der Betreiber einer Zahnklinik wurde ist nicht feststellbar. Operativ tätig wurde die MIC laut alpenländischem Kreditorenverband (AKV) jedenfalls erst ab 2014.
Am 11. Jänner 2016 – nur einen Monat nachdem das Insolvenzverfahren über die AGO eröffnet wurde und gerade einmal 18 Monate nach Eröffnung der Zahnklinik – gibt das Handelsgericht die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens der MIC bekannt. Laut AKV ist zu diesem Zeitpunkt die Fortführung des Unternehmens geplant. Allerdings: Am 29. Februar ordnet das Handelsgericht die Schließung an. Größter Gläubiger der MIC ist wegen des 2-Millionen-Darlehens nun wieder die AGO. Wieviel AGO aus der Liquidation von MIC erlöst hat, ist (noch) nicht feststellbar. Das Insolvenzverfahren ist bis heute nicht abgeschlossen.

Zweifelhafte Gründe für die Insolvenz der MIC

Als Begründung für die Insolvenz der MIC heißt es auf der Hompage des AKV „Nach Angaben der Antragstellerin wurde das angebotene neuwertige Implantationsmodell nicht angenommen.“
Diese Begründung dürfte allerdings nicht ganz der Wahrheit entsprechen. Am 12. Mai 2016 wird nämlich die PK Solutions GmbH ins Firmenbuch eingetragen. Alleiniger Eigentümer und Geschäftsführer ist ein alter Bekannter: Kaan Yerit, der auch schon Eigentümer der MIC war. Die PK Solutions GmbH betreibt nun wieder unter dem Markennamen smile4life die Zahnklinik in der Wiedner Hauptstraße. Dass der Schritt von MIC zu PK Solutions ein relativ kleiner war, lässt sich nicht abstreiten. Auf dem Bild auf der Startseite der smile4life-Homepage (unser Beitragsbild) ist nach wie vor das MIC-Logo zu sehen. Lediglich das Impressum wurde geändert.
Damit ist der frühere 25%-Eigentümer der MIC nun 100%-Eigentümer einer modernen, auf seine angeblich erfolglose Implantat-Technik abgestimmten Zahnklinik. Erworben aus der Insolvenzmasse der MIC – und das vermutlich zu einem günstigen Preis. Es ist nicht anzunehmen, dass die InteressentInnen Schlange gestanden haben, um eine Zahnklinik zu übernehmen, die auf eine neuwertiges Implantatmodell spezialisiert ist, das laut Geschäftsführer „nicht angenommen“ wird.

Zurück zu AGO: Schnell in die Insolvenz!

Am 28. Oktober 2015 entschied der OGH – erwartungsgemäß – gegen den AGO. Den zu diesem Zeitpunkt noch rund 280 MitarbeiterInnen wurde jahrelang zu wenig Gehalt ausgezahlt. Sie haben nun – selbst wenn einige der Ansprüche schon verjährt sind – Anspruch auf umfangreiche Nachzahlungen. Doch 4 Wochen nach dem OGH-Urteil meldet AGO Insolvenz an. Die Mitarbeiter bekommen für November keine Gehälter und auch kein Weihnachtsgeld mehr ausbezahlt, von den Nachzahlungen ganz zu schweigen. Per Presseaussendung fordert der Vorsitzende der Gewerkschaft younion, Christian Meidlinger, die Stadt Wien auf, für die betroffenen Mitarbeiter Dienstposten direkt beim KAV zu schaffen und die Dienste nicht erneut an externe Firmen auszulagern. Wie glaubwürdig diese Kritik ist, sei dahin gestellt: Meidlinger ist nämlich nicht nur Vorsitzender von younion, sondern seit 2007 auch SPÖ-Gemeinderat und hat als solcher die dubiose Privatisierungs-Politik der Stadt mitgetragen.

Am Ende haftet der KAV doch für AGO

Der OGH hat mit seinem Urteil der KAV-AGO-Lohndumping-Konstruktion einen Riegel vorgeschoben. Allerdings ist der Arbeitgeber AGO nun insolvent. Woher bekommen also die Mitarbeiter ihre ausständigen Gehälter und die Nachzahlungen für die letzten Jahre. Auch das ist im Arbeitskräfteüberlassungsgesetz geregelt. Auf der Homepage der WKO heißt es dazu:

Für die Auszahlung des Entgelts und die Abfuhr der Sozialversicherungsbeiträge ist eine Mithaftung des Beschäftigers gesetzlich vorgesehen.

Kurz gesagt: Der KAV haftet, wenn der AGO nicht zahlen kann. Im Falle der Insolvenz des Überlassers springt für ausstehende Gehälter allerdings der Insolvenzausgleichsfonds ein. Das dürfte jedenfalls für die offenen Gehälter der Fall sein. Anders könnte es bei den Jahre zurückliegend nicht ausgezahlten Zulagen aussehen. Da hier der KAV von der Umgehung des Arbeitsrechts profitiert hat, könnte am Ende erst wieder die Stadt Wien für die Auszahlung der Zulagen, die sie sich eigentlich ersparen wollte, gerade stehen müssen.

Dann hieße es aus Sicht der Stadt wohl: Außer Spesen nichts gewesen.

1 Gedanke zu „AGO – Chronik einer (geplanten?) Pleite“

  1. Ich bedauere keine Sekunde, dass es AGO erwischt hat.
    Habe mich einst mehrmals dort beworben, und nur ein Bewerbungsgespräch gehabt.
    Irgendwann einmal bekam ich eine Absage nur wenige Stunden/Minuten nach meiner eingegangen Bewerbung via E-Mail.
    Auf Rückfrage ergab sich, dass gewisse Bewerber die für gewisse Kunden eine Absage bereits ein anderes Mal erhielten automatisch nicht berücksichtigt werden.
    Und das ganz egal ob 1 Jahr oder mehr dazwischen lagen.

    Kenne Firmen, die haben kein Problem wenn man mehr als einmal ein Bewerbungsgespräch bei Ihnen absolviert.
    Ich finde den Punkt, dass man Bewerber wie auch Arbeitgeber ablehnen kann die nicht passen ok.
    Allerdings finde ich die Praxis automatisch eine Absage zu erhalten weniger gut. Es wird sicher Bewerber gegeben haben, die das nicht wussten.
    Inzwischen findet man auf seiten der wko das impressum von marina personal mit dem logo von ago. Eine Übernahme? Oder Umbenennung. Jedenfalls ist die Telefonnummer dieselbe.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar