Warum die Linke nicht aus der EU ausziehen sollte

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By Sebastian Reinfeldt

„Im Zweifel ist man in Europa bereit, ganz viel Macht und Gewalt einzusetzen, wenn die neoliberale Wirtschaftspolitik bedroht ist. Wenn das der Kern des europäischen Projekts ist, dann bin ich froh, wenn diese EU nicht handlungsfähig ist.“ Diese pointierte Aussage der österreichischen ATTAC-Sprecherin und Aufbruch-Mitinitiatorin Lisa Mittendrein in der ORF-Diskussion Im Zentrum bringt nicht nur eine berechtigte Kritik an der realen Politik der Union unter neoliberaler Ägide zum Ausdruck. Sie gibt auch – und das ist nicht zum ersten Mal aus diesem Umfeld – ein linkes Signal zum Verlassen der EU. Ihre Bedingungssätze lassen sich jedenfalls auch in diese Richtung lesen. Eine solche politische Positionierung wäre fatal, denn sie zwinkerte der radikalen Rechten Europas zu, die die EU seit ihrer Gründung als liberales „Völkergemisch“ und bürokratischen „Superstaat“ bekämpft hat. Und das wäre besonders in Österreich eine katastrophale Haltung, meint Sebastian Reinfeldt.


Werden die 1930er Jahre wieder aufgeführt?

Es gibt offenbar in der Linken eine Vorliebe dafür, die 1920er und 1930er Jahre im politisch Imaginären nachzuvollziehen. Die politische Krise des Liberalismus und die ökonomische Krise des Kapitalismus führten damals zu einer revolutionären Situation. So jedenfalls nahm es die Mehrheit der KommunistInnen und LinkssozialistInnen in Europa wahr. Die Demokratie, die in ihren Augen nur eine Verkleidung der grundlegenden Klassenherrschaft gewesen sei, könnte überwunden werden. Eine soziale Revolution werde die bürgerliche Herrschaft hinwegfegen und an ihre Stelle würde eine Räterepublik gegründet, die dann in Allianz mit der Sowjetunion dem US-Imperialismus entgegen trete. Das war kurz gefasst die vorherrschende strategische Option.

Von der Sozialfaschismusthese in die Niederlage

Ähnlich positionierte sich aber auch die NSDAP, wenn auch aus ganz anderen Gründen. Für sie war die Demokratie ebenso eine Verkleidung der Herrschaft, und zwar des jüdischen Kapitals, des undeutschen Liberalismus und der Kommunisten. In Deutschland bekämpften also sowohl die KPD als auch die Nazis die Weimarer Demokratie, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Aufgrund der analytisch und politisch-strategisch falschen Sozialfaschismusthese, die Ernst Thälmann aufgriff, fungierte die Sozialdemokratie als Hauptgegner der kommunistischen und linkssozialistischen Linken. Die Machtfrage wollte man offenbar in der Folge des Zusammenbruchs des „Systems“ mit den Faschisten ausschießen. Das historische Resultat dieser falschen Analyse und der Serie politischer Irrtümer und Fehleinschätzungen ist bekannt. Ihre Wiederholung ist in keinster Weise wünschenswert – und zum Glück auch nicht möglich. Den Faschismus haben wir „hinter“ uns, wir können ihn im Nachhinein nicht mehr besiegen.

Die EU ist kein neoliberales Projekt

Die Europäische Union ist per se kein neoliberales Projekt, ihre politische und ökonomische Form war und ist bis heute umkämpft – in ihrem „Wesenskern“ ist sie aber nicht neoliberal. Historisch ist sie als fordistisches Nachkriegsprojekt einer Wirtschaftsunion entstanden („Montanunion„), und als ein politisches Projekt, um Deutschland in einer Westbindung einzufrieden und somit Kriege in Europa zu verhindern. Für die Linke in Europa eröffnete die Europäische Union die Möglichkeit, den immer wieder proklamierten „Internationalismus“ in eine konkrete politische Form zu bringen. Die Alternative dazu war der nationale Weg zum Sozialismus. Wer diesen ablehnte, fand sich irgendwo in einer eurokommunistischen oder links-sozialdemokratischen Linie wieder. Schlussendlich sollte es darum gehen, um eine Erweiterung der EU um eine soziale Union zu kämpfen. Der Macht des in Europa organisierten Kapitals sollte auf europäischem Niveau mit einer gesellschaftlichen und politischen Gegenmacht begegnet werden, um auf diese Weise eine europäische linke Option zu entwickeln. Nichts weniger als die Überwindung des Nationalismus stand und steht dabei auf dem Spiel. Schließlich ist dieser als entscheidender kriegstreibender Faktor für zwei Weltkriege in Europa ausgemacht worden.

Die linken nationalen Karten

Es ist nicht nur der „Gewalt“ des Neoliberalismus zuzurechnen, dass die Linke europaweit so schwach ist. Vielmehr ist es auch dem andauernden Ausspielen nationaler Karten von links geschuldet, dass es weder auf gewerkschaftlicher noch auf parteipolitischer Ebene gelungen ist, diese europäische „Gegengewalt“ zur neoliberalen „Gewalt“ aufzubauen. Die politischen Mehrheiten in den Gewerkschaften verteidigten bislang den relativen Wohlstand „ihrer“ Mitglieder – auch gegen Arbeiterinnen und Arbeitern aus anderen europäischen Ländern. Dies gilt besonders für die Kernländer der neoliberalen Politik, wo ein realer Wohlstand vorhanden ist, der zu verteilen ist und der daher umkämpft wird. Dort gab und gibt es tatsächlich etwas zu verteidigen – jedenfalls für einen relevanten Teil der Mehrheitsbevölkerung. Die linke Skepsis der EU gegenüber bedeutete realpolitisch also, auf die Nation als „Schutzschirm“ gegen die Globalisierung zu setzen. Und das beutet im Endeffekt, eine rechte Verteidigungspolitik des Wohlstands, aber von links, betreiben zu wollen. In Österreich ist hierfür die politische Linie der steirischen KPÖ beispielgebend, die für ein neutrales Österreich eintritt, das kein EU-Mitglied mehr sein sollte.

Es gibt keine revolutionäre Situation in Europa

Es ist richtig, dass keine der politischen Optionen, die Vorherrschaft der neoliberalen Spar- und Verelendungspolitik in Europa zu durchbrechen, bislang funktionierten. Sie alle stehen wohl nicht zufällig in der Nachfolge des eurokommunistischen Aufbruchs: Syriza in Griechenland, Podemos-Unidos in Spanien, der linke Block in Portugal – sie alle blieben relativ erfolglos, weil zu schwach. Bei einer nüchternen Analyse hätte dies bereits 2015 klar sein können. Warum? Viele Linke und engagierte Menschen glaubten wohl, dass das massive griechische Votum von 2015 gegen die neoliberale Politik eine grundlegende Trendwende herbeiführen könnte. Besonders, weil tatsächlich soziale Basisbewegungen vor Ort entstanden waren, die die relativ guten linken Wahlergebnisse erst ermöglicht hatten. Das war ja auch der Kern der eurokommunistische Absage an das Sowjetmodell: Stattdessen ein Bündnis mit Basisbewegungen einzugehen und auf diese Weise Demokratie weiter zu entwickeln. Die realen politischen Kräftverhältnisse innerhalb der EU haben aber niemals eine andere Option als die eines erzwungenen Austritts oder die der Unterwerfung unter die neoliberale Doktrin erlaubt. Denn es fehlte ein Gegenstück zum Protest im Süden – in den EU-Kernländern nämlich. Dort geht der soziale Protest eindeutig nicht nach links. Vielmehr beherrscht eine rechte, nationale Verteidigungspolitik bis heute die Protest-Szenerie, etwa in Frankreich, Großbritannien und Deutschland. Und natürlich in Österreich, und das bereits seit Jahrzehnten.

Bildet Bündnisse!

Im Rahmen eines Blogtextes kann eine andere politische Option als die eines Auszugs aus der EU oder die eines Protest-Mimikrys natürlich nur angerissen werden: Es geht darum, Bündnisse in den EU-Kernländern zu bilden, die nicht versuchen, dem rechten Protest den Rang ablaufen zu wollen. Denn das ist erwiesenermaßen sinnlos – und wird regelmäßig scheitern. Solche Bündnisse stehen daher vor der Herausforderung, eine neuartige soziale Politik zu entwickeln: Nicht die vergangenen, angeblich goldenen 1970er und 1980er Jahre zu verklären und zurückholen zu wollen, sondern soziale Netze zeitgemäß zu weben. Also solche, die weder auf geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung beruhen, noch systematisch Bevölkerungsgruppen ausschließen oder gar auf Mechanismen von Überwachen und Strafen zurückgreifen müssen, weil es ihnen um Disziplinierung geht. Zudem muss ein Recht auf preiswertes Wohnen wirksam – und ein möglichst freier Zugang zu Kunst und Kultur ermöglicht werden. Damit wir uns unser Leben wieder leisten können werden.

Foto: Max P. – besten Dank!

 

 

 

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