Was ist rechter Populismus?

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By Sebastian Reinfeldt

Der Begriff „rechter Populismus“ bezeichnet ein politisches Phänomen. In der Politik geht es darum, Macht zu erringen, zu behalten oder diese auszubauen. Ganz allgemein formuliert ist Populismus eine politische Technologie, die Menschen versammelt und anordnet, um genau dies zu tun: Macht zu erringen, zu behalten oder auszubauen. Das gilt natürlich auch für linken Populismus.

Rechter Populismus tut dies auf (s)eine ganz spezielle Weise. Er konstruiert eine positiv bewertete Wir-Gruppe und stellt ihr zwei abgewertete Gruppen gegenüber. Zum einen „die-da-oben“, die Politikerinnen und Politiker an der Macht, und zum anderen eine Gruppe „Nicht-Wir“: Fremde und Ausländer, mit denen die Wir-Gruppe angeblich nichts gemein hat.
Diese Gegenüberstellungen müssen täglich, in verschiedenen Bildern und Geschichten und an unterschiedlichen Orten erzählt – das heißt: wiederholt – werden. Dann „funktioniert“ Populismus wie von selbst – und überschreitet zugleich seine reine Macht-Funktion. Am Ende wird eine völkisch verfasste Gesellschaft kreiert. – Diese Arbeitsweise von rechtem Populismus erläutert Sebastian Reinfeldt anhand des populistischen Vierecks, indem er das vielbeachtete amikale Gespräch zwischen Christian Kern (SPÖ) und HC Strache (FPÖ) analysiert.


Gegen Merkel und ihre Willkommenskultur

Nehmen wir ein einfaches Beispiel, indem es keine skandalisierten Sager gab. Das „amikale“ (=freundschaftliche) ORF-Gespräch zwischen Heinz Christian Strache – dem Oppositionsführer im Parlament sowie Parteichef der rechtspopulistischen FPÖ – und dem österreichischen Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) von Ende November 2016. Die politische Bildungsplattform Neuwal hat es transribiert. Eines der Themen: die Flüchtlingspolitik. Strache meint dazu folgendes:

Dass eine deutsche Bundeskanzlerin damals ohne mit den anderen Staaten zu sprechen, ohne eine gemeinsame Lösung zu suchen, einen sehr einsamen, autoritären Schritt fast gesetzt hat. Nämlich zu sagen: ‚Einladungs- und Willkommenskultur. Wir schaffen das. Kommt zu uns.‘ (Hervorhebung SR)

So leichtfüßig diese Passage daher kommt, so voraussetzungsvoll ist sie im Grunde. Unschwer lässt sich eine grundlegende Entgegensetzung erkennen, die sie aufmacht: Die deutsche Bundeskanzlerin Merkel hat einen einsamen, autoritären Schritt gesetzt. Sie verkörpere damit den Typus Politikerin, die sich über alle – sogar andere Staaten – hinweggesetzt habe, und die die „Einladungs- und Willkommenskultur“ erfunden habe. Solche PolitikerInnen, die nicht auf die eigene Bevölkerung und auch nicht auf die anderer Staaten hören, sind die Zielscheibe eines jeden Populismus.
Das Behauptete der Passage stimmt allerdings rein chronologisch nicht. Die Willkommenskultur bestand, da es ja eine Kultur ist, bereits vor der Entscheidung von Angela Merkel und gänzlich ohne ihr Zutun. Diese war und ist eine gelebte Praxis von einem Teil der deutschen (und auch der österreichischen) Bevölkerung.
In der Erzählung von Strache von der einsamen Merkel wird zugleich ein ganz fremdes „Wir“ eingeführt. Das andere „Wir“ derjenigen, die es schaffen wollen und zu denen die Flüchtlinge eingeladen sind. Ein deutsches „Wir“, das Merkel ganz einsam, herausgehoben und autoritär, aber doch repräsentiert.
Bedeutsam ist hier das Attribut „deutsch“ im Unterschied zu „andere“ und implizit natürlich zu „österreichisch“. Die einsame „deutsche“ Bundeskanzlerin steht hier – im Zitat – Österreich gegenüber. Durch die Absetzung zu Merkel wird unter der Hand ein nationales österreichisches Kollektiv erkennbar, das in Form der bedeutungsoffenen Pronomen“wir“ und „uns“ von der autoritären, einsamen Entscheidung der Kanzlerin mit betroffen ist.

Merkels neuer Berater

Strache weiter:

Und jetzt gibt es einen Berater, einen neuen, der Frau Merkel, der gesagt hat: Die Flüchtlingskrise wäre gänzlich vermeidbar gewesen. Das ist nämlich der Oxford-Ökonom, der Paul Colier. Und der hat als anerkannter Migrationsforscher folgendes gesagt: Dass die sogenannte Flüchtlingskrise von den europäischen Politikern und er hat das – ich zitiere ihn – ziemlich dumm bezeichnet, wie man damit umgegangen ist. Er hat sogar andere Begriffe noch verwende, die ich jetzt nicht zitiere. Er hat europäisch… den europäischen Regierungen vorgeworfen, dass sie ein Denkschema hatten, vom herzlosen Kopfmenschen zum kopflosen Herzmenschen zu werden. Und, dass die Probleme natürlich klar waren, dass da auch radikale Islamisten kommen werden. Mit der Flüchtlingswelle auch Terroristen kommen werden. Und damit natürlich wahnsinnige Probleme bis hin zum Terrorismus entstanden sind, wo zurecht die Bürger heute – ich sage – Angst haben und sich auch bedroht fühlen.
(…)
Also einmal ganz konkret: Wir wissen, dass es nicht im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ist, dass Menschen durch unzählige sichere Länder reisen und an die Wunschdestination Österreich zu erreichen. Das passiert zum Teil bis heute. Und das ist nicht rechtskonform. Da muss man klar und deutlich sagen: Das geht nicht. Und es kann nicht sein, dass Wirtschaftsflüchtlinge zu uns kommen unter dem Vorwand verfolgt zu sein.

Mit einem simplen rhetorischen Trick setzt Strache hier der deutschen Kanzlerin ihren eigenen Berater entgegen, der allerdings zum Zeitpunkt seiner Kritik an der Flüchtlingspolitik im Februar 2016 noch gar nicht Berater für die neue Afrikapolitik der Bundesregierung gewesen war. Entscheidend ist, dass Strache mit Hilfe dieser rhetorischen Figur den Übergang vom Kritiker der Politik Merkels zum Fürsprecher der Bürger, die Angst haben und sich bedroht fühlen, vollzieht. Der von ihm zitierte Kritiker spricht von einem ganz anderen Fehler, dass nämlich die Besten die Länder verlassen würden und somit diese Länder ihre Entwicklungschancen verlieren. Von Terrorismus und Angst spricht der Migrationsforscher Colier, auf den sich Strache nur selektiv bezieht, im Interview vom Februar 2016 überhaupt nicht.
Die Pseudo-Begründung seitens Strache  „(u)nd damit natürlich …“ leitet die Passage ein, in der von „wahnsinnigen“ Problemen zum Thema Terrorismus übergeleitet wird.

Terroristen und Wirtschaftsflüchtlinge

„Natürlich“ ist diese Überleitung allerdings keineswegs, sondern höchst konstruiert. Es ist eine Tatsache, dass die übergroße Mehrheit der Geflüchteten von dem islamistischen Terror flüchtet; islamistischer Terror ist ebenfalls eine Tatsache, er wird aber nicht durch die Geflüchteten quasi „eingeschleppt“, sondern er besteht als weltweites Phänomen schon weit vorher. Wenn islamistische Terroristen auf den Flüchtlingsrouten nach Europa gekommen sind (die meisten der Täter sind in Europa geboren und haben sich in ihren jeweiligen Geburtsländern radikalisiert), dann war diese Route nur eine von anderen Optionen, ihre mörderischen Aktionen vorzubereiten.
Dass diese „natürliche“ Verknüpfung „Flüchtlinge = Terroristen“ nicht sonderlich stabil ist, zeigt sich denn auch im letzten hier zitierten Absatz. Da behauptet Strache, es handele sich gar nicht um Verfolgte, sondern um „Wirtschaftsflüchtlinge“ – das müsse man „klar und deutlich“ sagen. Es geht insgesamt nur darum, einer Personengruppe irgendein starkes Negativimage anzuheften.

Nicht-Wir und Die-da

Die Methode – also die politische Technik – die in diesem Gespräch am Werke ist, liegt uns nun „klar und deutlich“ vor Augen. Um eine neue politische Konstellation – nämlich eine Koalition aus FPÖ und SPÖ – ins Spiel bringen zu können, muss Strache auf direkte Angriffe auf den realen Politiker-da-oben, den Bundeskanzler Christian Kern, verzichten. Also bastelt er mit Angela Merkel eine Art Kern-Sockenpuppe , die nun an Stelle der Politiker im Allgemeinen steht. Erwähnt wird Merkel, gemeint sind viele andere „einsame“ Entscheider. So stellt er den österreichischen Kanzler Kern vor die Wahl: Bist du so einer wie Merkel, oder bist du so einer wie ich?
Der Angesprochene versucht im weiteren Verlauf des Gesprächs, dieser erzwungenen Wahl aus dem Weg zu gehen. Strache verschärft dann auf Nachfrage des ORF-Moderators die Tonart nochmals, indem er Merkels Flüchtlingspolitik „kriminell“ nennt und sie und den italienischen Regierungschef Renzi wiederholt als „staatliche Schlepper“ bezeichnet.

Semiotisches Viereck - Rechtspopulismus
Das populistische Viereck. Sebastian Reinfeldt

Würden man den rechten Populismus nur als rechtsextremes weltanschauliches Phänomen betrachten, so zielte man auf eine ideologische Formation, die am Rande oder außerhalb des politisch Normalen und Tolerierbaren sich befindet. Als zentrale Elemente des Rechtsextremismus gelten allgemein die Ablehnung pluraler Demokratie, der Hass auf Minderheiten und Fremde, das Führerprinzip und Autoritarismus sowie die positive Bezugnahme auf ‚bestimmte‘ Elemente des Nazismus, besonders dessen Antisemitismus. Demnach ist Rechtsextremismus eine Abweichung vom Normalen, und polizeilich zu überwachen und gesellschaftlich zu isolieren.

Völkische Kollektive

Der Begriff des rechten Populismus hingegen fasst diesen als eine komplexe soziale und politische Erscheinung in Zeiten „nach-liberaler“ Demokratien auf. Rechter Populismus tritt mit dem Ziel auf, die politische und soziale Mitte zu erobern, sie politisch mit seinen Themen und Bildern zu infizieren und somit eine andere Denk- und Machart des Staates durchzusetzen, besonders hinsichtlich der demokratischen Verfahren und Prozesse. Hier wird die liberale Demokratie (inklusive Minderheitenschutz, rede- und Pressefreiheit) durch ein simples „Die Mehrheit bestimmt die Norm, der sich alle zu fügen haben“ ersetzt und plebiszitär durchgesetzt. Die politische Tat leitet sich aus der Erfüllung eines unterstellten homogenen Volkswillens ab. So wie im Nationalsozialismus hat dieser Wille eine reale Basis; er ist nicht nur eine bloße Propagandaerfindung.

Rechter Populismus erschafft ein Wir-Kollektiv. Wer sich mit diesem und den darin enthaltenen Zuschreibungen identifiziert, gehört dazu. Er oder sie wird dann aber nicht nur die Partei, FPÖ oder die AfD, wählen, sondern ist durchaus auch bereit, selber aktiv zu werden und zur Tat zu schreiten.
Der Weg zum Mitglied des Kollektivs ist allerdings kein leichter, sondern auf Seiten des neuen Volksgenossen das Resultat einer Ent-Idenfitifzierung mit „dem System“ einerseits, und einer neuen Identifizierung als Teil de Kollektivs der Anständigen und Fleißigen andererseits. Zur Wir-Gruppe zu gehören umfasst halt mehr als nur eine Wählerstimme abzugeben, es ist ein aktives Tun! Denn wenn beide Entgegensetzungen – die gegen die Politiker-da-oben und die gegen Fremde – als richtig angesehen werden, finden sich die betreffenden Personen im Viereck links unten wieder, im Slot Nicht-die-da. Dort schauen die „besorgten Bürger“, die „Angst haben“, aus der Froschperspektive nach oben. Um zum völkischen Kollektiv der anständigen und fleißigen Österreicher zu gehören, müssen sie geliftet werden. Genau das ist nun die Arbeit der populistischen charismatischen Führer – und der Sinn der täglichen Wiederholung des immer-gleichen Schemas. An einer anderen Stelle desselben Interviews durchläuft Strache das populistische Viereck in einem einzigen Absatz. Er wiederholt es übrigens im gesamten Gespräch mehrfach, wie eine tibetanische Gebetsmühle.

Wir sind Patrioten im besten und positiven Sinn des Wortes. Das hat nichts mit Nationalismus zu tun. Ich sage, wir sind… oder… meine Partei ist eine Freiheitspartei. [Wir] Auch eine Partei, die seit Jahrzehnten gerade in Österreich versucht, eben auch verkrustete Strukturen – auch das Proporzsystem [Die-da] – aufzubrechen. Auch eine gewisse Vormachtstellung ehemaliger Großparteien, die sich dieses Land aufgeteilt haben… sozusagen auch das aufzubrechen und eine neue demokratische Qualität [Nicht-die-da] ins Land zu bringen. Ja, und natürlich gibt es da oder dort Gemeinsamkeiten zu den genannten Personen. Aber auch trennendes. Wir stimmen ja in vielen Fragen auch mit den anders zuvor genannten Personen ja da oder dort auch nicht überein oder unterscheiden uns. Aber, wir haben zur Kenntnis zu nehmen: Es gibt, auf Grund der angesprochenen Probleme, und das sind vielschichtige. Gerade auf Grund der Globalisierung [Nicht-Wir] ist auch die Armut [Nicht-die-da] durchaus ein Thema. Und wir haben heute in unserer Gesellschaft [Wir] eine Entwicklung, wo – ja, ich sage – die Schere zwischen Arm [Nicht-die-da] und Reich [Die-da-oben] weiter auseinandergeht. Und immer mehr Menschen eben an der Armutsgrenze auch in Österreich leben müssen. Wir eine Rekordarbeitslosigkeit haben im Land, die schlimmer man sich nicht vorstellen hätte können und eigentlich nicht für möglich gehalten hätte vor wenigen Jahren.

*Danke an Neuwal für die Transkripte, die so jemandem wie mir viel Arbeit ersparen.  Das Titelfoto ist eine offen rassistische Karikatur [Wir versus Nicht-Wir] aus der sächsischen Zeitung.

Literatur: Sebastian Reinfeldt, Nicht-Wir und Die-da, Wien 2000 und Wir für euch, Duisburg 2013.

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