Philippinen: Wo Meinungsfreiheit nicht vor Mord schützt

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By Gastautorin

Wenn eine Gesellschaft von einem autoritären Führer regiert wird, dann steht die Pressefreiheit zuvorderst infrage. Kritische Berichte über Korruption, Willkür und das Verbreiten von Angst sind den Mächtigen ein Dorn im Auge. Unabhängige Medien, wie journalistische Blogs dies sind, werden in ihrer Existenz bedroht. Finanziell, aber auch physisch. Denken wir nur an Daphne Caruana Galizia – die Maltesische Journalistin und Bloggerin, die durch eine Autobombe ermordert wurde. Oder aber an Ján Kuciak, ebenfalls Journalist und Blogger aus der Slowakei, der zusammen mit seiner Freundin in seinem Wohnhaus förmlich hingerichtet wurde.

In unregelmäßiger Folge wollen wir über Kolleginnen und Kollegen berichten, die für ihre kritischen Berichte in ihrer Existenz bedroht werden. Wir beginnen mit den Philippinen. Seit Juni 2016 reagiert dort Rodrigo Duterte. Seitdem wurden 16 Journalist*innen und Blogger*innen ermordet. Unsere Gastautorin Marina Wetzlmaier gibt einen Überblick über die Situation im Land und hat mit Melinda Quintos de Jesus vom „Center for Media Freedom and Responsibility“ gesprochen. (CMFR). Trotz schwieriger Umstände aufgrund der Covid-19-Situation auf den Philippinen war sie zu einem Semiosis-Interview bereit.


Seit Amtsantritt Dutertes: 16 ermordete Journalist*innen

Am 5. Mai 2020 fahren Cornelio Pepino und seine Frau auf einem Motorrad nach Hause. Pepino ist Radioreporter in Dumaguete City, einer Stadt im Zentrum der Philippinen. Zwei Unbekannte nähern sich ebenfalls auf einem Motorrad und schießen. Pepino wird getroffen und stirbt auf dem Weg ins Krankenhaus. Er ist der 16. Journalist, der seit 2016, seitdem Rodrigo Duterte Präsident der Philippinen ist, getötet wurde. Bereits zu Amtsantritt machte Duterte kein Geheimnis daraus, was er von kritischem Journalismus hält:

Nur weil du ein Journalist bist, bleibst du nicht von Ermordungen verschont. Meinungsfreiheit kann dir nicht helfen,

warnte er. Zwei Tage nach dem Tod Pepinos erhält einer seiner Kollegen, der neben dem Radio auch bei CNN Philippines arbeitet, Todesdrohungen. Die Philippinen zählen zu den gefährlichsten Ländern für Journalist*innen. Auf dem Index der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ liegt der Inselstaat auf Platz 136 von 180.



Keine Lizenz für den größten Fernsehsender des Landes

Ebenfalls am 5. Mai passiert das Undenkbare: Der größte Fernsehsender des Landes, ABS-CBN, muss schließen. Zuletzt geschah dies im September 1972, nachdem der damalige Diktator Ferdinand Marcos das Kriegsrecht über das ganze Land verhängt hatte. Duterte schaffte es auch ohne Kriegsrecht sich kritischer Berichterstattung zu entledigen, indem er dafür sorgte, dass die Lizenz des Fernsehsenders nicht verlängert wurde.
Die Liste an Einschränkungen der Pressefreiheit ist schier unerschöpflich: Beginnend bei Drohungen, Einschüchterungen und Gerichtsprozessen, wie jener gegen die Journalistin Maria Ressa, Chefredakteurin der investigativen Plattform Rappler. Ihr Fall wurde international bekannt, das Time Magazine machte sie im Jahr 2018 sogar zur Person des Jahres. Ins Visier der Regierungsbehörden kamen vor allem kritische Berichte über Dutertes „Anti-Drogenkrieg“, der rund 30.000 Todesopfer forderte. Die derzeitige Covid-19-Pandemie ist nun ein weiterer Anlass, um die Journalist*innen mundtot zu machen.
In diesem Klima der Angst veröffentlichen Organisationen unermüdlich Verstöße gegen die Pressefreiheit, u.a. die Journalistengewerkschaft „National Union of Journalists in the Philippines“ (NUJP) und das „Center for Media Freedom and Responsibility“ (CMFR). Gegründet wurde das CMFR von Melinda Quintos de Jesus, die auch Geschäftsführerin der Organisation ist. Das CMFR dokumentiert Fälle von Menschenrechtsverletzungen im Bereich der Pressefreiheit, führt Programme zur Förderung von kritischem Journalismus durch und arbeitet international u.a. mit „Reporter ohne Grenzen“ zusammen. Wir haben mit Melinda Quintos de Jesus, der Gründern des CMFR, gesprochen.


„Die Menschen haben Angst, dass sie ein Polizist jederzeit töten könnte und ungestraft bleiben würde“

Wie würden Sie die Situation für Journalist*innen unter der Präsidentschaft Rodrigo Dutertes beschreiben, speziell im Vergleich zu den vorhergehenden Regierungen?

Keine andere Regierung hat die Presse so direkt und öffentlich bedroht, sie aller Arten von Gesetzesübertretungen beschuldigt und sie mit allen möglichen Vorwürfen vor’s Gericht gebracht, wie in den Fällen von Rappler, Inquirerund ABS-CBN.
Bisher haben alle Präsident*innen ihre Abneigung gegenüber einigen Journalist*innen ausgedrückt und eine geringe Toleranzgrenze für Kritik gezeigt. Aber niemand hat so reagiert wie jetzt Duterte. Joseph Estrada [Präsident von 1992 bis 1998, Anm. MW] brachte seine befreundeten Kinobetreiber dazu, keine Inserate mehr in der Manila Times zu schalten, die kritisch über ihn berichtet hatte. Allerdings tat er das nie mit anderen Medien.

Duterte schaffte es, den Menschen Angst zu machen, aufgrund seines Rufs in Davao, wo er Bürgermeister war, und der großen Anzahl an Todesopfern in seinem sogenannten „Anti-Drogenkrieg“. Die Menschen haben Angst, dass sie ein Polizist jederzeit töten könnte und ungestraft bleiben würde. Den selben Effekt hat Dutertes Politik auf die Presse. Vielleicht ist das ein Grund, warum Medien dem Präsidenten nicht mehr die Stirn bieten und auch andere nicht mehr kritisieren, die seinem Beispiel folgen und die Presse zurückweisen oder die Fragen von Journalist*innen einfach ignorieren.

Wir bei CMFR haben in Bezug auf viele Themen ein Schweigen der Medien festgestellt, die fürchten den Zorn der Behörden auf sich zu ziehen. Während also einige Gruppen und Einzelpersonen weiterhin kritisch bleiben und Fragen stellen, konnte leider ein Großteil der Presse erfolgreich ruhig gestellt werden.

Social Media Kanäle fluten

Mit welchen Herausforderungen haben Journalist*innen noch zu kämpfen?

Zu den oben genannten Herausforderungen, kommen Social Media Kanäle hinzu, die von bezahlten Duterte-Anhänger*innen dominiert werden. Sie konnten damit die öffentliche Meinung beeinflussen. Laut Umfragen hat Duterte immer noch konstant hohe Zustimmungsraten. Das ist auch ein Grund, warum gewisse Sektoren still halten. Die Zeit der Corona-Pandemie und Ausgangssperren hat aber viele Bürger*innen dazu gebracht sich kritisch zu äußern. Wir werden sehen, ob sich das in den nächsten Umfragen widerspiegelt.

Im März 2020 hat der philippinische Kongress ein Gesetz verabschiedet, das angesichts der Covid-19-Krise den nationalen Notstand erklärt und daher dem Präsidenten mehr alleinige Befugnisse einräumt. Wie wirkt sich das auf die Pressefreiheit aus?

Das Gesetz stellt die Verbreitung von „fake news“ über die Covid-19-Pandemie unter Strafe. Die Polizei reagiert darauf, in dem sie Netzbürger*innen, die sich kritisch äußerten, ohne Haftbefehl aufgreift. Das betraf auch einige Radioreporter*innen.

Hat das die Art der Berichterstattung über Covid-19 beeinflusst?

Die Berichterstattung über Covid-19 läuft eher mechanisch ab. Es mag einige herausragende Berichte und gute Journalist*innen geben, aber allgemein beschränken sich Artikel auf eine Aneinanderreihung von Zitaten, ohne die notwendigen kritischen Analysen.

Keine kritischen Spots mehr im Fernsehen

Befürchten Sie, dass sich die Covid-19-Maßnahmen langfristig auf die Demokratie auf den Philippinen auswirken werden?

Die Maßnahmen haben die Polizei weiter ermutigt, die nun in einem Feld arbeitet, wo sie keine Kompetenzen haben. Etwa wenn es darum geht zu beurteilen, ob Inhalte staatsfeindlich oder beleidigend sind. Bis zum Ende der Duterte-Präsidentschaft wird die Situation wohl so bleiben.

Am 5. Mai 2020 musste der größte Fernsehsender des Landes, ABS-CBN, aufgrund einer politischen Entscheidung schließen. Warum gerade ABS-CBN?

Duterte missfiel die Ausstrahlung kritischer Spots über ihn. Ein anderer Grund war, dass vor den Präsidentschaftswahlen 2016 wegen der späten Einreichung nicht alle Wahlkampfspots Dutertes ausgestrahlt werden konnten. Da aber bereits dafür bezahlt worden war, bemühte man sich das Geld zu retournieren. Duterte hörte jedoch nicht auf dem Sender Vorwürfe zu machen. ABS-CBN dokumentierte außerdem die Fälle von Personen, die im „Anti-Drogenkrieg“ getötet wurden. Das sind sichtbare Gründe für Dutertes Missfallen.

Newsrooms sollen den Präsidenten nicht verärgern

Gibt es Befürchtungen, dass auch weitere Medien von Schließungen betroffen sein könnten?

Journalist*innen sprechen darüber, dass Newsrooms vorsichtig mit Themen sind, die den Präsidenten verärgern könnten. Medien-Inhaber*innen verfolgen Interessen, die immer ins Visier des Präsidenten geraten können.

Welche Herausforderungen erleben Sie bei CMFR?

Als NGO [Nichtregierungsorganisation] sind wir von Förderungen abhängig, die wir jedes Jahr neu aufstellen müssen. Wir beschäftigen junge Journalist*innen, können ihnen aber keine große Karriere anbieten. Sie bleiben daher vier bis fünf Jahre bei uns und suchen danach Möglichkeiten mehr zu verdienen. Mit dem Effekt, dass der ganze Einsatz in ihre Ausbildung wo anders hin wandert und wir wieder von vorne beginnen. Unsere Arbeit, Freiheit und Verantwortung der Presse zu fördern, gelangte noch nicht in den Mainstream, da die soziale Infrastruktur für eine freie Presse fehlt.


Die Erlaubnis, das Titelfoto und das Beitragsfoto zu verwenden, hat uns dankenswerterweise die philippinische Journalistengewerkschaft National Union of Journalists of the Philippines (NUJP) gegeben. Sie halten die Rechte an diesen Fotos.


Politikerklage gegen Semiosis

Semiosis wird von Franz Hörl geklagt. Der ÖVP-Nationalrat ist mit unseren kritischen Fragen zum Zillertal nicht einverstanden. Diese Klage bedroht uns in unserer Existenz. Daher bitten wir euch um Spenden. Danke sehr!

Oder direkt aufs Spendenkonto: IBAN: AT10 1420 0200 1097 3466, BIC: EASYATW1

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