Das Intoleranz-Netzwerk und Österreichs Beitrag

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By Sebastian Reinfeldt

Dass die catholica unica, die Einheit der (katholischen) Kirche, auch durch den Einsatz weltlicher Macht erhalten werden muss, ist in der Geschichte des Katholizismus keine Neuigkeit. Ebenso verspüren Evangelikale einen klaren politischen Auftrag, wie man in Brasilien und in den USA beobachten kann: stramm rechts, gegen die Rechte von LGBTIQ-Menschen, gegen Abtreibung, für erzkonservative Werte. In Europa haben 2013 kirchennahe rechte Zirkel eine zivilgesellschaftliche Plattform ins Leben gerufen, die Einfluss auf Politiker*innen und die politische Meinung nehmen soll: Sie nennt sich CitizenGO.
Die Startfinanzierung der rechten NGO kam von russischen Oligarchen im Umfeld Putins. Themen und Personen aus Österreich spielen auf der Plattform eine wesentliche Rolle. Darunter auch die österreichische Abgeordnete und ÖVP-Menschenrechtssprecherin im Parlament, Gudrun Kugler. Wikileaks hat rund 17.000 Dokumente unter dem Titel Das Intoleranz-Netzwerk online gestellt. Sebastian Reinfeldt hat sich davon solche mit Österreich-Bezug angesehen und nachgefragt.


Das Intoleranz-Netzwerk

Die einflussreichste europäische Mobilisierungswebsite für Kampagnen der sogenannten Lebenschutz- und Familienrechtsbewegung sollte es werden. Christlich inspiriert dazu. So schreibt der Initiator Ignacio Arsuaga von CitizenGO im April 2013 an den russischen Oligarchen und potentiellen Geldgeber Konstantin Malofejew. Mit dessen finanzieller Hilfe wollen rechte Zirkel die Politik in Europa beeinflussen: Politiker*innen unter Druck setzen und Öffentlichkeit herstellen. Malofejew und ein weiterer russischer Oligarch, der Chef der russischen Staatsbahnen, Wladimir Jakunin, wollen bei der Plattform einsteigen. In einem internen Papier heißt es dazu auf Spanisch: In der kommenden Woche wird es zu einer Entscheidung über 100.000 Euro von Konstantin Malofejew kommen; mit Natalia Jakunina werde ebenfalls verhandelt. Dies berichtet ein Alexey Komov.

Konstantin Malofejew stellt 100.000 Euro in Aussicht. Mit der Frau von Wladimir Jakunin soll kommende Woche verhandelt werden. Kontaktperson für beide Oligarchen: Alexey Komov. Dokument vom 23. März 2013

Dieses spanischsprachige Dokument findet sich in einem umfangreichen Datensatz zu CitizenGO, den WikiLeaks vor kurzem veröffentlicht hat. Die tageszeitung (taz) hat in Kooperation mit weiteren Medien in Spanien, Italien und Mexiko die 17.000 Dokumente vorab einsehen und auswerten können. Die Echtheit der Dokumente ist unbestritten.

Wie die Leaks entstanden sind

Der Angriff auf die Server von CitizenGO, von dem dieser Ausschnitt stammt, fand 2017 statt. Eine Hackergruppe hat ihn durchgeführt und Wikileaks übergeben, so berichtet die taz. Die Gruppe begründet ihre Aktion damit, die Menschenrechte von Schwulen, Lesben, Queers, trans- und inter Personen (LGBTIQ) verteidigen zu wollen. Die Dokumente von Arsugas Festplatte über CitizenGO und die Anti-Gender Plattform HazetOir enthalten Adresslisten, Finanzberichte und Strategiepapiere vom Anfang 2000 bis 2017.

Gerechte Strafe für Impfstraße im Stephansdom

Was tut CitizenGO derzeit? Ein Blick auf die Plattform offenbart Petitionen zu Themen der anti-feministischen und homophoben Propaganda in Europa der vergangenen Monate. Sie wenden sich gegen Regenbogenfarben in Fußballstadien, plädieren für die Unterstützung der Linie Ungarns (Schutz der Kinder vor angeblicher LGBQT-Indoktrination) bis hin zu Abtreibungskritik. Auch Impfgegner*innen kommen neuerdings zu Wort. Auffällig sind zudem eine Reihe von Kampagnen zu österreichischen Themen. Etwa eine, die Impfungen im Stephansdom verhindern will. Wörtlich heißt es in der Petition, die 6.585 Personen unterzeichnet haben:

Bitte fordern Sie Christoph Kardinal Schönborn durch Unterzeichnung der beistehenden Petition auf, den Missbrauch des Stephansdoms als ‚Impfstraße‘ noch abzuwenden!

Der Petitionstext erinnert sogar daran, dass der kirchliche Codex Iuris bei der Entweihung eines heiligen Ortes eine ‘gerechte Strafe’ vorsehen würde.

Österreichische Kampagnen auf CitizenGO

Eine Petition, die über eine gerechte Strafe für Christof Schönborn nachdenkt? Das klingt steil, ist aber nur ein Highlight aus der bunten Themenwelt reaktionärer rechter Netzwerke in Europa. Lanciert wird diese Petition von einer Gruppe, die sich Katholiken Österreichs nennt. Es ist ihre erste. Es gibt aber auch eine reguläre Österreich-Sektion namens CitzenGO Austria. Sie hat bislang 11 Kampagnen aufgesetzt. So soll die Ehe in Österreich gerettet werden (also nur verschieden geschlechtlich möglich sein), was 4128 Personen unterstützen. Oder sie fordert ein christliches Kreuz im Wiener Klinikum Nord. Das wollen 8472 Menschen. CitizenGO rühmt sich, dass über 15 Millionen Menschen bei ihnen aktiv sind.

Der Auftrag: CitizenGo aktiv in den relevanten deutschsprachigen Netzwerken einklinken

https://wikileaks.org/intolerancenetwork/?q=Kugler&count=50&sort=0#searchresult

Wie kommen die österreichischen Themen zu CitizenGO? Wer auf Wikileaks unter „The Intolerance Network“ in der Suchfunktion den Namen Kugler eingibt, erhält 127 Treffer. Damit sind die ÖVP-Abgeordnete und Menschenrechtssprecherin Gudrun Kugler und ihr Mann Martin Kugler gemeint. Kuglers Mann war übrigens Pressesprecher von Opus Dei in Österreich. Beide haben beim Aufbau der Plattform mitgewirkt.

Unter den entsprechenden Dokumenten findet sich unter anderem ein Entwurf für einen Vertrag von CitizenGO mit den Kuglers und mit Johannes Graf, einem konservativen Kolumnisten bei kathnet. Dabei wird der österreichischen Seite Zugang zu den Personendaten von CitizenGO zugesichert. Im Gegenzug dazu sollen die Österreicher*innen CitizenGO aktiv in den deutschsprachigen Netzwerken einklinken.

Partnership between CitizenGO and Johannes Graf together with Gudrun and Martin Kugler

CitizenGO obligations:

  • To give the Partner access to the personal data of the signers of petitions in the language it manages
  • To pay for the petitions and appeals as specified: 100 Euro per appeal and 100 Euro per 1000 signatures.

// Partnerschaft zwischen CitizenGO und Johannes Graf mit Gudrun und Martin Kugler. Verpflichtungen von CitizenGO:

  • Den Partnern Zugang zu den persönlichen Daten der Unterzeichner von Petitionen in den jeweiligen Sprachen zu geben
  • Für die Petitionen und Appelle wie folgt zu bezahlen: 100 Euro pro Appell und 100 Euro für 1000 Unterschriften

Die Verpflichtungen seitens des Vertragspartners belaufen sich unter anderem darauf, pro Monat zwei Petitionen pro deutschsprachigem Land in Umlauf zu bringen sowie

  • To actively engage CitizenGO in the relevant networks in the German speaking countries

// CitizenGO aktiv in den relevanten deutschsprachigen Netzwerken einzuklinken

Ausriss aus dem Vertragsentwurf (ohne Jahresangabe) in der Wikileaks-Datenbank

Gudrun Kugler: Zusammenarbeit mit CitizenGO wurde 2015 beendet

Die ÖVP-Politikerin Gudrun Kugler, eine Vertragspartnerin der Vereinbarung, ist nicht erst durch die Leaks öffentlich bekannt. Mit ihrem Mann engagierte sie sich schon vor ihrem Einzug in den Wiener Gemeinderat 2015 für verfolgte Christ*innen weltweit. Bereits 2011 problematisiert sie auf einem interreligiösen Familienkongress das angebliche Lobbying von LGBTQ-Gemeinschaften gegen reaktionäre Familienwerte. Ihr Mann betreibt eine Art katholisches Parship, die Partnervermittlungsagentur kathtreff. Diese hat sie mitinitiiert. Gudrun Kugler bestätigt auf Semiosis-Nachfrage, dass es eine Zusammenarbeit mit der Plattform CitizenGO gegeben habe.

Die Zusammenarbeit mit CitizenGo wurde bereits vor meinem Einzug in den Wiener Gemeinderat beendet (welcher 2015 stattfand)

Ich habe und hatte keinen Einfluss auf die Inhalte der Petitionen von CitizenGo.

Russische Oligarchen und ihr Geld für einen rechten Kulturkampf gegen Menschenrechte

Menschenrechte gelten universal. Ausnahmslos jedes menschliche Wesen besitzt aufgrund ihrer Existenz unveräußerliche Rechte, die nicht verhandelbar sind. Diese Allgemeingültigkeit ist all jenen ein Dorn im Auge, die aus ideologischen Gründen die Rechte einzelner Gruppen beschneiden wollen. Seien dies Sinti und Roma oder Homo- oder Transsexuelle, seien dies jeweils Ungläubige und Menschen mit unerwünschter politischer Meinung sowie Minderheiten aller Art. Dies passiert in Russland, in Polen, in Ungarn oder in Brasilien. Die herrschende Politik dort wendet sich explizit gegen die sogenannten westlichen Werte. Sie finden dabei Unterstützung bei mächtigen russischen Oligarchen. Einige von ihnen vertreten eine explizit christlich-orthodoxe Agenda und verknüpfen diese mit einem universellen Machtanspruch Russlands. In einem Atemzug lehnen sie Menschenrechte und eine Demokratie westlicher Prägung zugunsten autoritärer Staatsformen ab. Zwei von ihnen haben die Gründung von CitizenGO unterstützt: Malofejew und Jakunin. Über beide existieren Dokumente in den Wikileaks.

Stiftungen sponsern vor-politische Aktivitäten

Finanztechnisch läuft das so ab: Die Oligarchen transferieren einen Teil ihres unglaublichen Reichtums, der oft aus zwielichtigen Geschäften stammt, in Stiftungen. Dort wird es dann vorgeblich karitatives, also scheinbar sauberes Kapital. Die Stiftungen haben einen vor-politischen Auftrag, etwa die Basilius-Stiftung von Konstantin Malofejew oder aber die St. Andreas Stiftung bzw. der sie finanzierende Istoki Fund von Wladimir Jakunin. Ihr politische Programm ist unverkennbar: Sie sind gegen den Westen und seine Werte gerichtet. In einem Interview mit dem profil legt einer der Finanziers von CitizenGO seine Intentionen völlig offen:

Malofejew: Alle Nöte in Europa hängen damit zusammen, dass es von Gott abgefallen ist. So lange die Europäer nicht zu ihren christlichen Wurzeln zurückkehren, werden sie in dieser schwierigen Lage sein.

Wenn die EU an der gleichgeschlechtlichen Ehe festhält, warum schämt sie sich dann dafür? Wer findet, dass Sodomie gut ist, sollte dazu stehen und sagen: Ja, wir sind die EU, und wir sind Sodomiten, die irgendwelche Perversen zum Song Contest schicken!

Mit der Stiftung ‚St. Basilius der Große‘ haben wir den größten privaten orthodoxen Fonds in Russland, aber wir finanzieren keine politischen Projekte, nur Wohltätigkeitsprojekte. Unser einzig pseudo-politisches Projekt war die humanitäre Hilfe für die Donezker Volksrepublik. Wofür ich ja jetzt auf der Sanktionsliste stehe.

Quelle: https://www.profil.at/ausland/oligarch-malofejew-sagt-wir-eu-sodomiten-6394808

Kugler: Davon habe ich nichts gewusst

Die Konsequenzen dieser Ideologie sehen wir beispielsweise in Russland, in Weißrussland, in China und in Ungarn. Die Einschränkung der Menschenrechte – da vorgeblich nur westliche Werte – macht nicht bei den Rechten von Minderheiten halt. Jede Person mit abweichender Meinung wird daran gehindert, diese öffentlich zu äußern. Die Inhaftierung Nawalnys in Russland unter absurden Vorwänden ist nur ein Sinnbild für ein autoritäres Regime, das auf Menschenrechte pfeift. Wie kann eine Politikerin, die in einem Umfeld wie CitizenGO agiert, Menschenrechte in Russland verteidigen, haben wir Gudrun Kugler direkt gefragt. Ihre Antwort:

Ich weise jede Nähe zum Putin-Regime aufs Schärfste zurück!!!! Über die Finanzierungen von CitizenGo habe und hatte ich keine Kenntnis.

Ebenso prangere ich laufend Menschenrechtsverletzungen in Russland und der ganzen Welt an. Mein Engagement ist vielfältig.

Die Programmatik von CitizenGO deckt sich mit Kuglers politischer Agenda

World Congress of Families Newsletter July/August 2011

Sie habe also keine Kenntnis darüber gehabt, meint Kugler Semiosis gegenüber, dass der finanzielle Anschub für CitizenGO aus Russland kam.

Dabei sind die Netzwerke, in denen die Plattform agiert, nicht so kompliziert. Alexey Komov sitzt im Board of Trustees von CitizenGO. Er verhandelte das Engagement der russischen Oligarchen Malofejew und Jakunin (siehe das spanische Dokument oben). Zudem repräsentiert er die russische Sektion des reaktionären World Congress of Families, von wo das ‚Familienfoto‘ hier stammt. Kugler traf ihn vor CitizenGO-Gründung zumindest einmal persönlich, und zwar am 7. Dezember 2011 in Wien auf einer interreligiösen Konferenz zum Thema Family in Crisis. Dort referierten Kugler und Komov in einer Session über Familienrecht. Kardinal Schönborn hatte dabei übrigens den Vorsitz.

Konferenz: Familiy in Crisis, Wien, Dezember 2011. Zusammenfassung laut THE RUSSIAN
ORTHODOX CHURCH DEPARTMENT FOR EXTERNAL CHURCH RELATIONS

The second session of the conference chaired by Cardinal Schoenborn was devoted to the law concerning family relations. Ms. Gudrun Kugler shared an experience of opposing the LGBT community’s lobbying. Mr. Komov, a member of the Russian delegation, related a story of how opponents of the traditional family substitute the notion of husband and wife and mother and father seeking to promote anti-family norms in international legislation.

aus: Interreligious conference on Family in Crisis opens in Vienna, THE RUSSIAN
ORTHODOX CHURCH DEPARTMENT FOR EXTERNAL CHURCH RELATIONS

Kugler führte aus. Herr Komov ergänzte.

Ideologisch decken sich die Themen von CitizenGO mit dem, was Gudrun Kugler auf ihrer persönlichen Agenda stehen hat,

meint Ewa Ernst-Dziedzic, die Menschenrechtssprecherin der Grünen, über die Aktivitäten ihrer Kollegin. Diese hat auf Semiosis-Nachfrage übrigens gemeint, dass sie sich für die sofortige Freilassung des Putin-Regimegegners Nawalny einsetzen würde.

Sie könnte dazu ja eine Petition auf CitizenGO starten. Denn The proof of the pudding liegt ja bekanntlich: in the eating.

[Nachtrag: Bis heute, 29. April, findet sich dort keine entsprechende Petition.]

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