Impfungen, Medikamente, Prävention: Österreich taumelt ins COVID-Desaster

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By Sebastian Reinfeldt

Es ist ein Standardsatz bei der Beantwortung unserer Medienanfragen: COVID-19 ist seit 1.Juli 2023 keine meldepflichtige Erkrankung mehr. Die Konsequenzen dieser Entscheidung der österreichischen Bundesregierung, namentlich von Gesundheitsminister Johannes Rauch, die das angebliche Ende der Pandemie absichern sollte, sind weitreichend.

So gibt es schlicht kein Pandemiemanagement mehr, die staatlichen Gesundheitsbehörden sind raus, die Bildungseinrichtungen laufen weiter, als sei nichts geschehen. Wir verfügen über keinerlei Vorsorge-Konzepte, keinerlei Präventionsmaßnahmen – sowohl beim Organisieren von Impfterminen als auch des Medikaments Paxlovid ist derzeit jede:r auf sich selbst gestellt.

Erster Anlass unserer Recherchen war der Zugang zu Tests und zu Paxlovid im Falle einer Erkrankung. Seitdem ein guter und angepasster Impfstoffs zur Verfügung steht (allerdings nur einer!), stellt sich zudem die Frage: Wie checke ich mir einen Impftermin?

Sind überhaupt genügend Kapazitäten vorhanden? Warum eröffnen dieses Jahr keine Impfstraßen?

Das Ergebnis: Die COVID-Politik der Regierung ist direkt beim Sozial-Darwinismus angekommen: „Survival of the fittest“ wird hier aber nicht als evolutionäres Prinzip verstanden, sondern als: Krankheitsschutz gibt es nur für die Stärksten. Eine Recherche von Sebastian Reinfeldt


Auf der Suche nach Paxlovid

„Laut meiner Ärztin ist in Österreich nur noch abgelaufenes Paxlovid erhältlich“. Diese Mitteilung erreichte uns Mitte August 2023. Eine Semiosis-Nachfrage beim Sprecher von Gesundheitsstadtrat Hacker, ob man in Wien derzeit nicht abgelaufenes Paxlovid beziehen könne, ergab:

Grundsätzlich ja. Zu beachten ist dabei, dass Paxlovid nach einer entsprechenden Diagnose durch eine niedergelassenen Ärztin auch von dieser niedergelassenen Ärztin verschrieben werden muss, um es beziehen zu können. Danach sollte man sich das problemlos in der Apotheke holen können. Wie aber bei jedem anderen verschreibungspflichtigen Medikament braucht es aber eine Diagnose und ein Rezept einer niedergelassenen Ärztin.

Mail auf Semiosis-Anfrage von Mario Dujaković (Pressesprecher Gesundheitsstadtrat Hacker) vom 18. August 2023

Für die Frage der Haltbarkeit und der österreichweiten Verfügbarkeit verwies Hacker-Sprecher Mario Dujaković auf die Apothekerkammer.

Kann abgelaufenes Paxlovid verabreicht werden?

Das kommt darauf an, lautet ja eine klassisch philosophische Antwort. Eine solche bietet auch die Apothekerkammer auf Nachfrage an, ob auch abgelaufenes Paxlovid eingenommen werden könne:

Abgelaufene Ware darf selbstverständlich nicht expediert werden, allerdings ist zu beachten, dass es im Oktober 2022 eine Verlängerung der Haltbarkeit von Paxlovid Filmtabletten von einem Jahr auf 18 Monate gegeben hat und im Februar 2023 eine nochmalige Verlängerung von 18 Monate auf 24 Monate. Es gibt eine Liste des BASG, in der je nach Chargennummer das aktualisierte Verfalldatum ersichtlich ist.
Somit ist es durchaus möglich, dass Packungen im Umlauf sind die „abgelaufen“ scheinen, aber unter obiger Berücksichtigung der Verlängerung der Haltbarkeit weiterhin verwendet werden dürfen.

Apothekerkammer-Kommunikation per Mail am 25. August 2023

Was passiert, wenn wir die Nummer 1450 wählen? Nix

Mittlerweile (Ende September 2023) steigen die Infektionszahlen wieder. Zumindest sagen uns das die Erkrankungen im persönlichen Umfeld und die Zahlen aus dem Abwassermonitoring. Was passiert eigentlich, wenn wir – wie vergangenes Jahr – bei typischen Covid-Symptomen und einem positiven Antigen-Test jetzt die 1450 wählen? Antwort:

1450 ist nicht mehr zuständig und verweist in dem Fall an eine niedergelassene Ärztin bzw. an einen Arzt.

Wie bei jeder anderen Krankheit auch entscheidet die niedergelassene Ärztin darüber, ob ein PCR-Test auf COVID-19 durchgeführt wird und falls ja, und dieser positiv ist, ob Paxlovid verschrieben wird.

Mail auf Semiosis-Anfrage von Mario Dujaković (Pressesprecher Gesundheitsstadtrat Hacker) vom 18. August 2023

Präventive Antigen-Test müssen selbst bezahlt werden; PCR-Test sind nurmehr über einen Arzt bzw eine Ärztin zugänglich. 1450 jedenfalls tut nichts mehr.

Ist Paxlovid verfügbar?

Ob abgelaufen und verlängert: Ist bei einer möglichen kommenden harten Infektionswelle in Österreich genügend Paxlovid vorhanden?

[Wir] haben keine Infos zu Lagerbeständen, wir haben aber letzte Woche die Info erhalten, dass die PHAGO bestätigt, dass mehr als genug Ware vorhanden ist.

Apothekerkammer Kommunikation per Mail am 25. August 2023

„Mehr als genug“ ist offenbar ein dehnbarer Ausdruck. Am 25. September 2023 fragen wir direkt bei der PHAGO, das ist der Verband der österreichischen Arzneimittelhersteller, nach. Dort gibt uns dessen Generalsekretärin Monika Vögele die Auskunft, dass für die nächsten vier Monate ausreichend Paxlovid vorhanden sei. Mit dem Zusatz:

Für weiter in die Zukunft kann ich nichts sagen.

Mail von Monika Vögele vom 25. September 2023

Sind Impfungen verfügbar?

Um Infektionen zu verhindern, sollte ausreichend Impfstoff vorhanden sein. Bestellt wurden insgesamt rund 1,9 Millionen Dosen des auf die aktuell grassierende Variante angepassten Impfstoffes Comirnaty von Biontech/Pfizer. Doch wie kommen wir an diese Impfungen? In den Medien wird berichtet, dass derzeit Termine bis Mitte November ausgebucht sind. Das für Österreich Übliche Hin- und Herschieben der Verantwortung für diesen Missstand hat bereits begonnen. Fakt ist: Wir sind nicht ausreichend vorbereitet. In Wien sieht es etwa so aus:

Wir haben in TownTown nur ein kleines Kontingent, das wir mit dem Personal vor Ort stemmen können. Das sind alleine im Oktober 4.260 Termine. Nur zum Vergleich: Das von Gesundheitsminister Rauch erwähnte neue „Impfzentrum“ in Vorarlberg ist – so nennen sie es selbst – eine Impfordination.

Mail auf Semiosis-Anfrage von Mario Dujaković (Pressesprecher Gesundheitsstadtrat Hacker) vom 25. September 2023

Impfstraßen sind so unter keinen Umständen denkbar

Die naheliegendste Lösung scheint doch zu sein, Impfstraßen einzurichten. Sie haben – besonders in Wien – gut funktioniert. Doch, und hier sind wir wieder bei den Konsequenzen aus der Entscheidung, COVID-19 zur normalen Krankheit runterzustufen: Impfstraßen sind, wie es die Gesundheitsbehörden ausdrücken, finanziell nicht darstellbar.

Weitere Impfstraßen können wir mit den jetzigen Regelungen, die zur Verfügung stehen, nicht anbieten. Es ist nunmal jetzt Regelversorgung und nicht mehr Pandemiemanagement.

Mail von Mario Dujaković vom 25. September 2023

Das ist allerdings keine neue Erkenntnis. In seiner Stellungnahme des Bundeslands Oberösterreich (!) zum COVID-19-Überführungsgesetz schreibt der dortige Landesamtsdirektor Erich Watzl am 1. Juni 2023 (!) überdeutlich:

Auch mit dem nunmehr vorgesehenen Betrag ist eine Bereitstellung eines Impfangebots für Länder und Gemeinden unter keinen Umständen denkbar. Die Gebietskörperschaften verfügen über keine ausreichenden Strukturen, die es ermöglichen würden, eine COVID-19-lmpfung zu Kosten von 20 Euro flächendeckend und niederschwellig anzubieten.

https://www.parlament.gv.at/PtWeb/api/s3serv/file/497d3bdf-c287-47f2-b70b-2e4c6db7a59e

Gibt es Prävention?

Bleibt noch das Thema Prävention. Wie wollen wir verhindern wir, dass es in Österreich zu Infektionswellen kommt? Die Antwort ist einfach: Gar nicht. Menschen, die in geschlossenen Räumen und in öffentlichen Verkehrsmitteln freiwillig Masken aufsetzen, werden angefeindet und angepöbelt. Die Politik traut sich über das Thema nicht drüber. Sollen die Vorsichtigen doch selbst sehen, wo sie bleiben. Und was passiert in den Schulen?

Es gibt kaum einen Experten oder eine Expertin, der/die nicht der Meinung wäre, dass Luftfilter in Schulen und Kindergärten sinnvoll sind. Saubere Luft beugt nicht nur Infektionen vor, sie steigert auch die Lernfähigkeit.

Und was passiert in Österreich?

Hier ist ausgerechnet der Bildungs- und Wissenschaftsminister Martin Polaschek ein Wissenschaftsskeptiker. Der Standard titel am 22. März 2023:

Polaschek sprach sich schon vor Beginn einer von ihm beauftragten Studie gegen Luftfiltergeräte aus,

https://www.derstandard.at/story/2000144798689/der-kampf-um-saubere-luft-in-schulklassen

Das Bildungsministerium meint noch forschen zu müssen, wo doch international feststeht, dass mobile oder fest installierte Luftfilter höchst wirksam sind. Eine aktuelle Überblicksstudie kommt zu dem Ergebnis:

Lüften ist eine wichtige Maßnahme zur Reduzierung des Risikos einer über die Luft übertragenen Infektion in Schulen. Es ist von größter Bedeutung, die Verweildauer von Krankheitserregern in den Klassenräumen zu verkürzen. Schulen sollten über ein gut funktionierendes mechanisches oder natürliches Belüftungssystem verfügen, um durch die Luft übertragene Infektionen generell zu vermeiden

The Influence of Ventilation Measures on the Airborne Risk of Infection in Schools: A Scoping Review
by Sandra N. Jendrossek,ORCID,Lukas A. Jurk 2ORCID,Kirsten Remmers 2ORCID,Yunus E. Cetin 3,Wolfgang Sunder, Martin Kriegel 3ORCID andPetra Gastmeier

Die „Initiative Gesundes Österreich“ bietet auf ihrer Homepage alle relevanten Studien zu dem Thema an. Vielleicht mögen die zuständigen Herrn Minister Johannes Rauch und Martin Polaschek ja dort mal nachsehen.


Bildnachweis für unser Titelfoto: Presse- und Informationsdienst (PID) der Stadt Wien.

3 Gedanken zu „Impfungen, Medikamente, Prävention: Österreich taumelt ins COVID-Desaster“

  1. Sehr guter Artikel, man sollte ihn den Verantwortlichen mehrmals täglich vorlesen. Es tut richtig weh, diese geballte Aufzählung von Dingen, die nicht funktionieren und allen egal sind.

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