Aus dem Leben in der Privatinsolvenz

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By Sebastian Reinfeldt

Im ersten Halbjahr 2015 gab es in Österreich 5022 Privatinsolvenzen, für 2016 ist diese Zahl um 3,5 Prozent auf 4845 gesunken, berichtete vor kurzem unter anderem der Standard. Gestiegen hingegen ist die Zahl von Firmenkonkursen, und hier besonders die der kleiner Unternehmen. Was für viele Menschen abstrakte Zahlen sind, beschreibt meine Lebensrealität. Seit Januar 2015 bin ich als Privatperson insolvent. Seitdem kontrolliert eine Masseverwalterin mein Konto. Sie teilt mir monatlich etwas Geld zu (manchmal auch nicht), oder bezahlt meine Rechnungen (oder auch das nicht). Wie lange dies noch so weiter geht, das weiß ich nicht. Seitdem ich aber recherchiert habe, wie dies bei Firmeninsolvenzen abläuft, etwa im Fall des Beckley.Institutes  (Geschäftsführer und Eigentümer setzen sich einfach ins Ausland ab, wo sie die Firma bereits neu gegründet haben), bin ich wütend. Und frustriert. Daher habe ich mich entschieden, mal über ein anderes Beispiel zu schreiben. Ein Bericht aus dem Unterdeck also.

„Es zeige sich, dass die öffentliche Hand wieder vermehrt Insolvenzanträge stelle, um offene Abgaben hereinzubringen,“ heißt es im Standard-Bericht erläuternd. In meinem Fall war es das Wiener Finanzamt, das den Konkursantrag gestellt hat. Die Steuerschulden sind aufgrund meiner wechselnden freien Dienstverhältnisse angestiegen; Unterhaltszahlungen und ein Kredit taten ihr Übriges. Und ja, ich kann gut schreiben, ich bin ein passabler Politikwissenschafter und ich unterrichte leidenschaftlich gerne. Aber Geld ist nicht so mein Ding, das stimmt schon. Und meine Branche ist auch keine, wo man Geld scheffeln könnte. Dennoch hatte ich bereits einen tragfähigen Deal mit meinem Finanzamtsbetreuer ausgemacht – doch wurde der von oben kassiert. Dann kam der Konkursantrag.

Ich will nicht jammern. Am Ende ist es meine Schuld, wessen sonst? Ich möchte nur darstellen, wie es denjenigen Menschen ergeht, die normalerweise nicht darüber reden oder schreiben, aus Scham oder aus Angst – oder aus beidem. Die sich zurückziehen, weil sie kein normales Leben mehr leben können. Denn das habe ich Gottseidank nicht getan.

Natürlich ist es mühsam und kostet Überwindung, wenn man gestehen muss: Ich habe dafür im Moment kein Geld, und erklären, warum dies so ist. Ohne die Hilfe meiner Freundinnen und Freunde wäre ich ganz tief abgestürzt, denn die Masseverwalterin kennt keine Gnade. Wenn nicht genügend Geld auf dem Konto liegt, wird nichts ausbezahlt. Ob mein Handy funktioniert? Ob ich Internet habe? Ob meine Jahreskarte bezahlt ist? Ob ich meinen Kindern zwischendurch eine Kleinigkeit zu essen oder zu trinken kaufen kann? Ob wir mal kurz irgendwohin fahren können? – Das ist alles unwichtig. Zentral sind die Interessen der Gläubiger, also die des Finanzamtes und die der Banken. Alles andere ist nicht so wichtig.

Dieses tägliche Gefühl, dass heute (und nicht abstrakt, irgendwann) all das weg sein könnte, was ein Mensch als Minimum braucht, nur um zu überleben, wird wie ein fremder Freund. Ich schätze seither viel mehr als zuvor jede Mahlzeit, die ich zu mir nehme, jedes Getränk, das ich trinke, auch die Vorzüge meiner viel zu kleinen Wohnung (denn noch habe ich sie) – ja sogar der Arbeitsplatz erscheint weniger als eine Last und mehr als eine Brücke in ein anderes Leben, in der diese Geldsorgen auf ein normales Maß reduziert sind. Normales Maß? Keine Ahnung, ob dieser Ausdruck wirklich passt und ob es das überhaupt gibt. Über Geld spricht man ja nicht, das gilt besonders in Österreich. Sicher geht es noch mehr Menschen so, dass sie still und heimlich eine solche Last mit sich herumschleppen. Sie sind insolvent, oder kämpfen monatlich dagegen an. Beim Hofer beobachte ich oft, dass auch andere sich einen fixen Betrag in die Hosentasche gesteckt haben. Und nur das kaufen, wofür dieser Betrag ausreicht. Und das keinesfalls nur am Monatsende.

Wie lange das noch so gehen wird? Das weiß ich nicht. Das entscheiden andere. Als jemand, der in seinem Leben gelernt  hat, selbst zu handeln und zu entscheiden, ist dieses Gefühl das schlimmste. Ich kann nur versuchen, normal weiter zu leben und zu arbeiten Und hoffen, dass dies den anderen, die über mein Leben derzeit bestimmen, irgendwann ausreicht. Das ist mir eine Lehre. Wirklich. Und die positivste Sache daran: diese für Intellektuelle oft typische Überheblichkeit den Menschen gegenüber, die im Unterdeck der Gesellschaft leben, ist bei mir verschwunden. Denn ich lebe jetzt dort. Gut ausgebildet – und arm.

 

1 Gedanke zu „Aus dem Leben in der Privatinsolvenz“

  1. Als werkverträglicher Tagelöhner (moderner Unternehmer einer ich-AG) konnte ich mich als Arbeitskraft nicht mehr leisten. Die Krankenkasse betrieb Kunkurs gegen mich.

    Der Masseverwalter versilberte meinen kärglichen Besitz um den Gläubigern 34% abzugelten. Außerdem zahlte er mir mein Existenzminimum aus. Ich machte als ich-AG weiter und kannte mich auch nicht so gut mit dem Geld aus – der Masseverwalter schon. Weder Sozial- noch Fiananzabgaben sind existenznotwendige Ausgaben, deswegen wurden die auch nicht abgeführt.

    Das Jahr darauf sagte der Staat: „Wo sind ihre Abgaben?“
    „ich kann doch dieses Geld nicht einmal theoretisch haben“
    „dann müssen sie halt wieder in den Privatkonkurs gehen“

    Staat und Kapital unterstellt uns deren Zweck. Da müssen wir uns nicht schämen, in diesem Herrschaftsverhältnis nicht zu Erfolg zu kommen.

    Wenn Staat und Geld unser Problem ist, dann sollten wir sie los werden

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