Wien: Im Labyrinth der (politischen) Baustellen

Foto des Autors

By Sebastian Reinfeldt

Wiener Stadtpolitik: Der große Umbau, den Bürgermeister Häupl angekündigt hatte, blieb aus. Letztlich wurde es eine kleinere Personalverschiebung im SPÖ Regierungsteam. Häupl musste sich wohl den einzementierten Kräfteverhältnissen in der Partei beugen – ändern konnte er sie nicht. Geblieben sind indes die Baustellen. Und zwar sowohl die wörtlichen – die Baustellen Krankenhaus Nord und Eislaufverein etwa. Und auch die bildlichen – unerledigte politische Aufgaben.

Dass diese Baustellen zumindest für die Wiener bestehen, machen aktuelle Umfragen für Wien deutlich: Die FPÖ hält derzeit bei 37 bis 38 Prozent. Rot-grün hätte demnach keine Mehrheit mehr. Wer meint, dass liege nur an der momentanen Konjunktur des Flüchtlingsthemas, irrt. Es geht dabei auch um die Wiener Baustellen, meint Sebastian Reinfeldt. Woanders wären solche Werte ein Grund, die Politik zu ändern. Nicht so für die Wiener SPÖ.


Baustelle Krankenanstaltenverbund: Patienten und Beschäftigte sind Leidtragende

Die Umstellung in der Stadtregierung war nach dem Weggang der umstrittenen Gesundheitsstadträtin Wehsely notwendig geworden. Auf Wehsely, die zum SPÖ-Auffangbecken Siemens (in dem Fall Siemens Healthcare GmbH) wechselt, folgt die frühere Bildungsstadträtin Sandra Frauenberger, die wiederum durch Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky ersetzt wird.

Sicherlich waren nicht nur die winterlichen Gangbetten und die überbordenden Ausgaben für externe Beratungen, die dann eh nur Personalbau und Auslagerung rieten, für diesen Schritt ausschlaggebend. Die Baustelle KAV heißt Missmanagement durch falsche Personalentscheidungen in der Führung des KAV. In Häupl-Speak: „Wir müssen das Vertrauen zu den Ärzten und dem Pflegepersonal wieder herstellen.“ Er vergaß dabei die Patientinnen und Patienten zu erwähnen, die beispielsweise monatelang auf wichtige Krebsbehandlungen warten müssen. Oder krank auf den Gängen des Wilhelminenspitals liegen.

Baustelle Krankenhaus Nord: Gewurschtel wie beim Berliner Flughafen

Außerdem geht es hier um bedeutend mehr als bloß ums Vertrauen. Alles in der Wiener Gesundheitsversorgung lief nämlich auf die Fertigstellung des Krankenhaus Nord hinaus. Die Wiener Spitalskrise hat hier ihren Ursprung, denn der Bau hat sich zum Wiener Flughafen BER entwickelt. Nicht nur, dass die Errichtungskosten explodieren. Insgesamt werden sie sich wohl verdoppeln. Auch wird das Krankenhaus Nord sicher nicht 2017, sondern wohl erst 2020 fertig. Und bis dahin: „Versorgungsstau“. Die interen Planungen von Juni 2016 über die Verlegung von Stationen ins Krankenhaus Nord sind mittlerweile Makulatur. Eine Reihe von Stationsverlagerungen sollten ursprünglich bis zum 2. Quartal 2018 erfolgen. Nun muss wohl darüber hinaus improvisiert werden. Ob dieses Gewurschtel dann 2020 endet, ist ebenso fraglich wie der angekündigte Termin. Eine echte Berliner Großbaustelle also, mitten in Wien.

Das Ganze reißt zudem ein Finanzloch in den Wiener Haushalt und in den des Krankenanstaltenverbunds. Mit dem Resultat, dass dieser größte Arbeitgeber Wiens – zugleich der größte Gesundheitskonzern Europas – ausgegliedert werden soll. Ein Privatisierungsprojekt, das sogar innerhalb der SPÖ-nahen Gewerkschaften umstritten ist.

Baustelle Immobilienspekulation – oder doch Dilettantismus als Kostenersparnis?

Eine rote, also linke (!) Politik in diesen Zeiten müsste sich eigentlich dem Kampf gegen Spekulation und Wohnungsleerstand verschreiben. Aber was tut die SPÖ-geführte Stadtregierung? Sie befeuert die Spekulation noch weiter. Als Beispiel dafür lässt sich das Krankenhaus Nord hernehmen. Das Sub-Subunternehmertum auf der Baustelle führte schon zu zahlreichen Konkursen, bei denen die Beschäftigten die Leidtragenden waren. Zudem führen diese Konkurse zu zusätzlichen Kosten durch die Bauverzögerung. Planung und Bau sollten ursprünglich in den Händen der bekannten „guten Freunde“ aus der Wiener Bauwirtschaft liegen. Doch der KAV wollte alles selber machen, um einen günstigen Kredit der Europäischen Investitionsbank zu bekommen. Un so nahm das Chaos seinen Lauf: Planungsfehler entstanden, weil man die Kosten für einen Generalunternehmer einsparen wollte.

Hochhaus im Unesco-geschützten Zentrum? Hand in Hand mit Dichand

Das eigentliche Zauberwort, um die vom Rathaus angetrieben Spekulation zu ergründen, ist der „Investorenstädtebau“. Der geplante „multifunktionale Komplex samt Spielcasino“ am Eislaufverein, der rund um das marode Hotel Intercontinental entstehen soll, verträgt sich nicht nur nicht mit den Vorgaben zur Bauhöhe des UNESCO-Weltkulturerbes. Er ist auch der Bereich, in dem Bürgermeister Häupl sich gerne persönlich einschaltet. So entsteht sich ein enges Geflecht von Abhängigkeiten, persönlich und politisch. Die Tageszeitung „Die Presse“ listet dabei genüsslich das Who-is-who des Wiener Establishment auf, das an diesem Monsterprojekt Interesse hat:

Förderlich für ihr gutes Gesprächsklima könnte sein, dass Michael Tojner sein Hotel-&-Casino-Konzept im Intercontinental gemeinsam mit „Krone“-Herausgeber Christoph Dichand verfolgt. Der Finanzjongleur und die Familie Dichand sind bereits über das Auktionshaus Dorotheum wirtschaftlich miteinander verbunden, das sie gemeinsam mit den Bautycoons Erwin und Hanno Soravia in der Ära von FPÖ-Finanzminister Karl-Heinz Grasser – laut Rechnungshof ungewöhnlich günstig – dem Staat abgekauft hatten. Kenner der heimischen Politik wissen, dass sich ein Wiener Bürgermeister besser nicht gegen die „Kronen Zeitung“ und ihren Gratis-Ableger „Heute“ beziehungsweise gegen die Geschäftsinteressen der Familie Dichand stellt. Dagegen kann deren Wohlwollen politisch durchaus hilfreich sein.

Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass auch hier die Stadtgesellschaft, beileibe nicht nur die FPÖ, mit Kritik nicht spart. So zum Beispiel die überparteiliche Initiative Denkmalschutz in mehreren Aussendungen und Stellungnahmen.

Die gemeinnützigen Genossenschaften: Wo sich die Geschäftsführer selber günstige Wohnungen verkaufen können

Und schließlich sind da auch noch die gemeinnützigen Wohnbauträger, die nach Plänen der Wiener SPÖ seit Jahrzehnten den Gemeindebau ersetzen. Auch sie sind fest in Parteihand. Hier reicht die Liste von der Sozialbau über die Gesiba bis hin zur Neuen Heimat. Ob auf dem Gelände des Otto Wagner Spitals oder in den Genossenschaftsbauten, es wird ohne Rücksicht auf Kritik und Proteste gebaut. Für das einfach Volk in den untereren Etagen, für die Besserverdienenden im Penthouse. Diese Wohnungen werden dann über Tochterfirmen am freien Markt abgesetzt. Die besten Wohnungen sind dabei verdienten Genossinnen und Genossen vorbehalten. Auch hier wächst das Unverständnis in der Stadtgesellschaft, weil die Handelnden so dreist vorgehen. Bekannt wurde 2015 der Fall des Obmanns des Verbands der gemeinnützigen Bauträger und Chefs der GEWOG/Neue Heimat. Hatte er es doch fertig gebracht, insgesamt fünf Wohnung an sich selbst zu verkaufen – zu günstigen Konditionen, versteht sich. Unrechtsbewußtsein? Fehlanzeige. Konsequenzen? Ebenso.

Baustelle Klientelismus: Viele Hände waschen einander

Das alles läuft am Ende auf den für Wien typischen Klientelismus hinaus. Viele Hände waschen einander. Häupl wirkt derzeit als Opfer seines eigenen Systems. Loyalität und Unterstützung durch Zuwendungen und Begünstigungen erkaufen, ist dann keine langfristige Strategie, wenn sie quasi die Regierungsweise ausmacht. Da wird nicht „ab und zu etwas“ beiseite geschafft; nein, das hat System. Am Ende steht man einfach zu vielen im Wort und verfängt sich im Netz, das man selber ausgeworfen hat. Insofern hat die Namensgebung der SPÖ-Arbeitsgruppe, um diese Probleme zumindest parteiintern auszutarieren, durchaus eine gewisse Ironie. Sie heißt „Harmonie“.

Ach ja, fast übersehen: Die Grünen sind ja auch noch in der Stadtregierung vertreten. Sie verlangen die Begrenzung der Gehälter in stadtnahen Gesellschaften. Niemand solle mehr verdienen als der Bürgermeister, meint Vassilakou. Dabei ist das exorbitante Gehalt von KAV-Chefs Udo Janßen, auf das die Forderung zielt, doch nur das Symptom des Symptoms. Insofern würde auch seine – dringend notwendige – Ablöse wenig am System des Ganzen ändern.

Wird es die Stadtgesellschaft schaffen, dieses System zu ändern? Hat sie die Kraft und den Willen dazu? Zu viele Menschen sind beruflich und sozial von diesem Netz abhängig. Sich davon zu emanzipieren, würde einen enormen Fortschritt bedeuten. Erfolgt der nicht, dann wird die FPÖ nicht nur die Wahlen gewinnen, sondern ein gleichartiges Netz über die Stadt ausbreiten. Nur halt in Blau.

Schreibe einen Kommentar