Wir alle sind verdächtig. Ein Überblick zum Überwachungspaket

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Innenminister Sobotka und Justizminister Brandstetter drängen auf ein neues Überwachungspaket. Grund dafür sei die Terrorbedrohung in Europa. Dabei bleiben die beiden Minister die Belege dafür schuldig, dass diese massive Einschränkung unserer Freiheit tatsächlich zur Sicherheit beitragen kann. Was bedeuten die geplanten Maßnahmen und welche Folgen haben sie? – Ein Überblick über die Maßnahmen von Erwin Ernst Steinhammer (epicenter.works).

Das „Überwachungspaket“ besteht aus mehreren Gesetzen und enthält zahlreiche Einzelmaßnahmen. Einige, wie die Abschaffung von anonymen SIM-Karten, sind laut Studien schlichtweg wirkungslos. Sie hätte sogar den negativen Effekt, dass Prepaid SIM-Karten teurer werden, da kleine Anbieter keine Infrastruktur für die Erfassung der Ausweise besitzen. Andere Gesetzesvorschläge haben noch viel schwerwiegendere Folgen. So bedrohen Bundestrojaner oder Netzsperren die Sicherheit der Allgemeinheit.

Der Bundestrojaner bedeutet: Der Staat arbeitet an Sicherheitslücken

Im Entwurf von Justizminister Brandstetter findet sich der so genannte „Bundestrojaner“. Dies ist ein Computervirus, den der Staat auf Computersystemen – etwa Smartphones – der Betroffenen installiert. Dieser Trojaner soll dann eingesetzt werden, um übertragene Nachrichten von Verdächtigen abhören zu können. Dafür muss der Staat jedoch Informationen über Sicherheitslücken (Zero Day Exploits) haben oder diese zukaufen. Damit fördert er mit Steuergeld aktiv einen Schwarzmarkt, der natürlich bestrebt ist, dass die Softwareanbieter diese Sicherheitslücken nicht entdecken und Updates zu ihrer Schließung anbieten können. Kurz gesagt: Der Staat finanziert die Unsicherheit von IT-Systeme, die von Millionen genutzt werden und trägt so zu Katastrophen wie jene um die Erpressungssoftware WannaCry bei, von der neben Privatpersonen und Unternehmen auch Krankenhäuser betroffen waren.

Netzsperren ohne Rechtsschutz für Betroffene

Was bei den neuen Vorhaben besonders überrascht, sind die Netzsperren. Auch sie finden sich im Entwurf von Innenminister Sobotka. Über diese gab es bislang keine öffentliche Debatte. Konkret soll der Entwurf Internetprovidern erlauben, nach eigenem Gutdünken Seiten zu sperren, etwa wenn sie pornographische Inhalte enthalten oder wenn sie urheberrechtlich bedenklich sind. Dabei sind für betroffene Anbieter und für Nutzerinnen und Nutzer keinerlei Rechtsschutz und keine Beschwerdemöglichkeiten vorgesehen.

Verstärkte Videoüberwachung ignoriert Verfassungsgerichtsurteile

Das Innenministerium will Zugriff auf die Video- und Tonüberwachung aller „öffentlichen und privaten Einrichtungen mit Versorgungsauftrag“ bekommen. Damit kann der öffentliche Raum komplett überwacht werden. Für den Zugriff auf diese Daten braucht es keinen konkreten Verdacht. Als Begründung reicht die Vorbeugung wahrscheinlicher Angriffe. Die Sicherheitsbehörden können mit einem einfachen Bescheid eine zweiwöchentliche Vorratsdatenspeicherung der gesamten Videoüberwachung eines Anbieters verlangen. Damit werden mehrere höchstgerichtliche Erkenntnisse ignoriert, die eine Speicherung von Daten auf Vorrat für unverhältnismäßig und grundrechtswidrig halten.

Vollüberwachung auf Österreichs Straßen: AutofahrerInnen stehen unter Generalverdacht

Auch die Videoüberwachung auf Straßen soll ausgeweitet werden. Hier sieht der Gesetzesentwurf vor, von jedem Auto sowohl die Lenkerin oder den Lenker, das Kennzeichen, Marke als auch Typ und Farbe des Fahrzeugs zu erfassen. Diese Daten können 48 Stunden lang zentral im Innenministerium gespeichert werden. Damit entsteht eine ganz neue Form der anlasslosen Massenüberwachung. Alle Autofahrerinnen und -fahrer werden unter Generalverdacht gestellt.

Vorratsdatenspeicherung 2.0 – Quick Freeze

Mit Quick Freeze findet sich auch eine abgemilderte Form der Vorratsdatenspeicherung im Entwurf. Auf Anordnung der Staatsanwaltschaft soll ein Telekombetreiber künftig wieder Daten für bis zu einem Jahr speichern müssen. Im Arbeitsprogramm der Regierung fand sich hier noch eine Pflicht, fälschlicherweise überwachte Personen nach Abschluss der Maßnahme über ihre Überwachung zu informieren. Diese Verpflichtung findet sich nicht mehr im Entwurf. Stattdessen kann der Betroffene offenbar lediglich ein Auskunftsbegehren nach Datenschutzrecht stellen. Das wiederum stellt keinen adäquaten Ersatz dar.

Ausweispflicht beim Kauf von Prepaid SIM-Karten

Beim Kauf von Prepaid SIM-Karten soll künftig ein Ausweis verlangt werden. Diese Maßnahme würde nicht nur zu einer Verteuerung von Telefonie führen, da kleine Anbieter nicht die Infrastruktur haben, um diese Ausweiskontrollen durchzuführen. Zudem haben zahlreiche Länder wie Großbritannien und auch die EU-Kommission sich ausdrücklich gegen die Einführung dieser Ausweiskontrollen ausgesprochen, weil sie schlicht ins Leere laufen.

IMSI-Catcher: Überall kann jemand mithören

IMSI-Catcher sind technische Einrichtungen, die Kommunikationsinhalte überwachen können. Sie simulieren eine Mobilfunkstation, in die sich das entsprechende Handy einwählt und darüber mit dem echten Provider kommuniziert („Man in the Middle“). Damit erhält der Betreiber des IMSI-Catchers nicht nur, wie im Gesetzestext steht, Zugriff auf die entsprechenden Standortdaten, sondern auch auf übertragene Inhalte. Nach dem neuen Gesetz gäbe es dafür allerdings keine Rechtsgrundlage. Also schlägt das Ministerium eine Maßnahme vor, die wesentlich mehr kann, als sie eigentlich darf.

Lauschangriff im Auto

Weiters ist im Entwurf vorgesehen, dass künftig der große Lauschangriff an deutlich geringere Beschränkungen geknüpft sein soll als bisher, wenn das Abhören in einem Fahrzeug stattfindet. Bisher ist der große Lauschangriff, eine der schwersten Überwachungsmaßnahmen, die die StPO zur Verfügung stellt, nur für Straftaten zulässig, die mit mehr als zehn Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind. Der aktuelle Gesetzesvorschlag sieht deutlich niedrigere Hürden für den Einsatz dieser Maßnahme vor. Und zwar schon Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bedroht sind. Dies stellt einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die Grundrechte dar. Die Beschränkung auf Fahrzeuge erscheint hinsichtlich des Grundrechtseingriffs willkürlich, denn Gespräche in einem privaten, geschlossenen Fahrzeug sind kaum weniger schutzwürdig als Gespräche in einer privaten Wohnung.

Was kann man dagegen tun? Sich in der Begutachtung kritisch äußern

Im Moment befindet sich die Gesetzesentwürfe zu Novelle der Strafprozessordnung und des Sicherheitspolizeigesetzes in der parlamentarischen Begutachtung. In diesem Verfahren können Vereine, Unternehmen, Behörden aber auch Bürgerinnen und Bürger Meinungen und Analysen, in Form von Stellungnahmen abgeben. Die Grundrechtsorganisation epicenter.works macht diesen Prozess zugänglicher und bietet auf http://überwachungspaket.at/ ein Tool an, mit dem es ganz einfach ist, sich zu entscheiden, gegen welche Maßnahmen man aktiv werden will. Die Textvorschläge für die Stellungnahme können vor Absenden an das Parlament und das jeweils zuständige Ministerium geändert und erweitert werden. Mehr als 6.000 Menschen haben diese Möglichkeit schon genutzt.


Erwin Ernst Steinhammer
Erwin Ernst Steinhammer epicenter.works

Erwin Ernst Steinhammer ist netzpolitischer Aktivist und Software Consultant. Er behält für epicenter.works die netzpolitischen Entwicklungen, im Parlament und in der Regierung, genau im Auge.


Fotocredit Titelbild: 24.06.2017, Wien. Aktionstag gegen das Überwachungspaket (#UePa), epicenter.works. // Fotocredit: Karola Riegler

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