Wie selbst seriöse Medien alternative Fakten produzieren

Foto des Autors

By Christoph Ulbrich

„E-Bikes dreimal tödlicher als normale Fahrräder“ titelt die Kronenzeitung. Viele andere deutsche und österreichische Medien brachten am Wochenende ähnliche Berichte, die allesamt auf einer dpa-Meldung beruhen. Darunter auch seriöse Medien wie die FAZ, der Standard oder die Tiroler Tageszeitung. Herausgefunden hat das ein Unfallforschers der Allianz Versicherung. Die Meldungen haben allerdings einen Haken: Sie beruhen auf einer hanebüchenen Fehlinterpretation. Christoph Ulbrich hat genauer nachgelesen.


Glaube keiner Statistik, die du nicht selber…

„Bei einer Fahrt auf dem Elektrorad ist die Gefahr eines tödlichen Unfalls nach Berechnungen der Allianz dreimal höher als auf einem normalen Fahrrad ohne Motor.“ So leitet zum Beispiel Tagesspiegel seinen Bericht zur dpa-Meldung ein. Allerdings: Der Satz ist schlicht falsch. Wie kommen die Medien nun aber zu dieser Aussage?

5% der Fahrräder produzieren 18% der tödlichen Unfälle

Die Autoren der Studie schätzen, dass es in Deutschland 77 Millionen Fahrräder gibt, darunter 4 Millionen E-Bikes. Das sind also ca. 5% aller Fahrräder. Der Anteil an den tödlich verunglückten Radfahren ist mit 18% allerdings 3-mal so hoch. Also stimmt doch alles? Ja, allerdings nur dann, wenn man sämtliche (unmotorisierten) zweirädrigen Kellerleichen mitzählt, die so gut wie nie gefahren werden. E-Bikes sind hingegen meist relativ neu, hochwertig und werden deshalb wesentlich mehr gefahren als unmotorisierte Fahrräder. Durchschnittlich hat ein E-Bike eine ca. 3 mal so hohe Kilometerleistung wie ein normales Fahrrad.

Nona: Wer drei mal soviel fährt, hat drei mal so oft einen Unfall

Diese Information lässt sich sogar, aus der ursprünglichen dpa-Meldung herauslesen. Allerdings: Dieser Teil der Meldung – der die Überschrift widerlegt – wird von vielen Medien (zB Krone, FAZ oder Tiroler Tageszeitung) aus ihren Berichten gestrichen.
Pro Milliarde gefahrener Kilometer verunglücken 11,64 Pedelec-Fahrer tödlich. Bei nicht- motorisierten Fahrrädern werden auf derselben Wegstrecke 8,96 Menschen getötet.
Das heißt bei einer Fahrt mit einem E-Bike ist die Gefahr eines tödlichen Unfalls nicht 3 mal so hoch, sondern „nur“ 30% höher.

Oben drauf eine Horrormeldung

Die Tiroler Tageszeitung verknüpft die statistisch falsche Horrormeldung dann noch mit dem Einzelfall eines Fahrers, der sein E-Bike – rechtswidrig – zu einem Moped umgebaut hat. Ja, das gibt es. Aber was hat es direkt mit der Unfallstatistik zu tun?

Viele Medien übernehmen die Falschmeldung
In vielen Medien findet sich die gleiche – statistisch falsche – Meldung

Hintergründe bleiben ausgeblendet

Völlig unbeleuchtet bleibt, was hinter den Zahlen steckt. Z.B. die Frage, ob die Radfahrer aus eigenem Verschulden heraus verunfallen, oder ob dabei andere Fahrzeuge involviert sind. Oder vielleicht ist die Erklärung auch, dass E-Bikes besonders oft von Pendlern im – gefährlicheren – Berufsverkehr eingesetzt werden, während unmotorisierte Fahrräder im Ausflugsverkehr am Wochenende auf Radwegen bewegt werden. Aber dafür wäre ja Recherche notwendig.

Erschüttertes Vertrauen in die „Systemmedien“

Es mag nur eine Kleinigkeit sein, und es ist davon auszugehen, dass viele Redakteurinnen und Redakteure die Meldung nicht absichtlich verzerrt haben, sondern schnell und einfach Klicks generieren wollten. Dennoch sind solche Fehler nachhaltig schädlich. Denn sie erschüttern das Vertrauen in „seriöse“ Medien und liefern Demagogen Munition für ihren Angriff auf die Systemmedien..

5 Gedanken zu „Wie selbst seriöse Medien alternative Fakten produzieren“

  1. Diese Artikel fügen sich nahtlos in die restliche Berichterstattung zum Thema Radfahren:

    Radfahrer sind prinzipiell „die Bösen“ (die Gefahren verursachen), selbst wenn es aufgrund der Masse und Geschwindigkeit klar ist, daß Autos viel gefährlicher sind.

    Autofahrer sind prinzipiell wenn sie einen Unfall verursachen aus der Verantwortung genommen, indem man den Artikel so formuliert, daß der Autofahrer nur im Passiv vorkommt („Radfahrerin unter LKW geraten“).

    Und wenn, dann ist nicht der Fahrer schuld, sondern das Auto („von LKW getötet“).

    Antworten
  2. E-Bikes werden vorallem von Pendlern gefahren??? Wo soll das sein? In Wien und Umgebung ist es absolut umgekehrt. Für die meist kurzen und risikoreichen, weil im Stadtgebiet zu fahrenden Pendlerstrecken werden defakto keine E-Bikes verwendet sondern klapprige, alte gestelle um die es nicht Schade ist bei einem Unfall oder noch wesentlich häufiger, einem Diebstahl.
    Am Wochenende hingegen fährt man mit dem E-Bike locker und gemütlich eine Runde um den ganzen Neusiedler See anstatt -wie die meisten E-Bike Fahrer – mit einem umotorsierten Rad bei der Hälfte schlapp zu machen. Es ist nicht zu übersehen das E-Bike Fahrer weit weniger Übung haben und mit Sicherheit seltener im dichten Verkehr unterwegs sind. (macht ja auch wenig Sinn). Ich bezweifle ebenfalls das es 3x so Gefährlich ist aber dieser Artikel ist relativierend und spekulativ.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar