Am Flughafen Innsbruck: Wir haben in ständiger Angst unsere Gesundheit aufs Spiel gesetzt

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By Sebastian Reinfeldt

Wer mit dem Flugzeug unterwegs ist, kennt die Sicherheitsprozedur vor dem Einchecken. Wir müssen unsere elektronischen Geräte durchleuchten lassen, auch unsere Taschen und schließlich uns selbst. Diese verantwortungsvolle Tätigkeit leisten Menschen aus der Sicherheitsbranche. Im Falle der COVID-19-Pandemie sind sie aber diejenigen, die selbst einem hohen Risiko ausgesetzt sind. Denn sie müssen den wartenden Passagieren wortwörtlich zu Leibe rücken. Geschützt waren sie und ihre Gesundheit die meiste Zeit nicht. Eine Recherche von Sebastian Reinfeldt über die fehlenden Sicherheitsvorkehrungen für die Menschen, die am Innsbrucker Flughafen für Sicherheit sorgen. [Aktualisierung 17.4.2020]


Es mangelt an Schutzmasken

In Österreich fehlt es an Schutzausrüstung. Besonders Masken nach medizinischem Standard sind weiterhin ein kostbares Gut. Sie werden vorrangig an Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus, an medizinisches Personal sowie an Menschen in der Pflege abgegeben. Denn sie haben tagtäglich und andauernd Kontakt mit Personen, die mit dem Corona-Virus infiziert sein könnten.
Nach dem Tod eines positiv getesteten niedergelassenen Arztes in Niederösterreich kritisierte die Ärztekammer jüngst, dass für diese Ärzte weiterhin Schutzkleidung fehle. Dazu gehören besonders medizinische Masken. Einzig sie schützen vor Ansteckung durch andere.

Abfertigung von Infizierten am Flughafen ohne Schutz

In der öffentlichen Diskussion wurde bislang eine ebenso schutzwürdige Berufsgruppe  übersehen: das Sicherheitspersonal an Flughäfen. Denn auch sie könnten berufsbedingt engen Kontakt mit Infizierten haben. Im Fall der Beschäftigten am Innsbrucker Flughafen lässt sich der Konjunktiv „könnten“ durch den Indikativ ersetzen. Zeitform: Vergangenheit. Und Tatsache. Definitiv hatten sie nahen Kontakt.

Dienstag, 10. März 2020: Auf dem Parkplatz des Innsbrucker Flughafens stehen ungewöhnlich viele Busse mit italienischen Kennzeichen. Sie haben Menschen aus Südtirol zum Flughafen der Tiroler Bundeshauptstadt transportiert. Tags zuvor verkündete die italienische Regierung, dass dort alle Schigebiete am Morgen dieses Tages zusperren würden. Die Spaliere vor den Sicherheitskontrollen am Flughafen sind ein Nadelöhr. Es müssen alle passieren, die mit dem Flugzeug ausreisen wollen. Eine Security-Mitarbeiterin, die Sicherheitskontrollen durchführt, erzählt:

Wir haben zigtausende Passagiere abfertigen müssen., angefangen beim Visitieren (hautnah) Taschenkontrolle usw.. Die Sicherheitsmaßnahmen waren lediglich: Desinfektionsmittel und Handschuhe. Wir haben in ständiger Angst unsere Gesundheit aufs Spiel gesetzt. Es gibt auch positiv getestete Mitarbeiter (auch mit stationärem Aufenthalt).

Keine geordneten Sonderabfertigungen nach dem Verhängen der Quarantäne

14.3.: Wartende vor den Kontrollen

Freitag, 13. März bis Sonntag, 15. März. Die österreichische Bundesregierung verhängt freitags um 14:16 Uhr eine Quarantäne über die Schiregionen Ischgl, Kappl, See und Galtür sowie St. Anton am Arlberg. Ausländische Gäste werden zur Ausreise aufgefordert, meldet der ORF. Die Abreise verläuft nicht nur in den betroffenen Orten chaotisch. Tausende Urlaubende müssen fluchtartig ihre Quartiere verlassen. Sie werden weder untersucht noch getestet. Viele von ihnen stranden am Freitag, Samstag oder Sonntag am Innsbrucker Flughafen.

Wie wir mittlerweile wissen, sind nicht wenige von ihnen mit Corona infiziert. Die Passagiere sollten eigentlich Masken tragen und geordnet zur Abfertigung gebracht werden. So lautet zumindest die Vorabinformation an das Sicherheitspersonal. Zwar gibt es tatsächlich Passagiere, die mit Masken kommen. Nicht wenige warten aber ohne Schutz, wie auch die Fotos hier zeigen. Der Grund dafür muss nicht Unachtsamkeit sein. „Viele haben einfach keine Masken erhalten“, berichten die Sicherheitsleute. Eine geordnete Sonder-Abfertigung der Urlaubsgäste in separaten Reihen hat es an diesen Tagen am Innsbrucker Flughafen jedenfalls nicht gegeben.

Das Sicherheitspersonal schützt sich mit Handschuhen

An diesem Wochenende gab es auch keine besonderen Schutzmaßnahmen für das Sicherheitspersonal. Sie tragen Handschuhe, wie üblich. Und sie benutzen Desinfektionsmittel für sich und für große Flächen. Bei möglichen Visitationen – dem Abtasten von Passagieren – kommt es zu engem körperlichen Kontakt. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berichten von hustenden Passagieren. Das Infektionsrisiko ist hoch.

„Wir betteln jeden Tag um Schutzmasken“

Donnerstag, 19. März. Der Innsbrucker Flughafen ist noch in Betrieb. Es werden auch sogenannte “Sondermaschinen” abgefertigt. Das sind Flüge außerhalb des regulären Flugplans, wie es sie in Europa zu dieser Zeit häufiger gibt. An Bord: Personen, die aufgrund der Corona-Situation nach Hause fliegen müssen. Möglicherweise selbst infiziert. Aber auch reguläre Flüge starten noch von Innsbruck. Zum Beispiel eine Maschine der russischen Fluggesellschaft S7, Code S7 3720, Ziel: Moskau.

Die russische S7 fliegt am 19.März von Innsbruck nach Moskau

Wir betteln jeden Tag um Schutzmasken,

berichten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Statt Masken bekommen sie die Auskunft, dass ihnen das Tragen von Masken sogar untersagt sei. Es sei nämlich ein, so wörtlich, “falscher Schutz”, heißt es nun.

Der genaue Tag der Information durch Tiroler Behörden ist nicht mehr nachvollziehbar

Die Firma, bei der das Sicherheitspersonal angestellt ist, ist die Securitas Sicherheitsdienstleistungen GmbH. Ihre Antwort auf Nachfrage des Semiosisblogs nach dem aktuellen Sicherheitsstandard am Flughafen lautet:

Es gibt mit dem Flughafen abgestimmte „Verhaltensregeln Hygienemaßnahmen COVID 19“. Hier wird die Meldepflicht COVID 19 und weitere Maßnahmen wie Verringerung Personaleinsatz, Abstand einhalten, Hygienemaßnahmen wie Benutzen von Desinfektionsmitteln (Hände- und Flächendesinfektion) etc. den SECURITAS MA angewiesen. Tragen von Handschuhen und Schutzmasken beim Kontrollvorgang. Dazu die Vorgabe, den gesetzlich vorgeschriebenen Körperkontakt bei einer evtl. erforderlichen händischen Visitierung von Passagieren zeitlich möglichst kurz zu halten.

Wann wurden die Firma Securitas von den zuständigen Behörden darüber in Kenntnis gesetzt, dass über den Innsbrucker Flughafen Corona-infizierte Passagiere abfliegen?

Als beauftragtes Unternehmen wird die Firma SECURITAS durch die TFG [Tiroler Flughafenbetriebsgesellschaft] informiert. Der genaue Tag ist für uns nicht mehr nachvollziehbar.

Nachfrage: Wann wurden besondere Sicherheitsmaßnahmen wegen des Corona-Virus für das Sicherheitspersonal am Innsbrucker Flughafen eingeführt?

Unverzüglich, ab Kenntnis der sich in Tirol ausbreitenden Pandemie.

Wer ist verantwortlich? Antwort: ein österreichisches Ringelspiel

Nun, allerspätestens mit der Quarantäne für die Schigebiete sollte diese Kenntnis einer sich ausbreitenden Pandemie vorhanden gewesen sein. Die Realität am Flughafen war allerdings eine andere. Und was meint die Tiroler Flughafenbetriebsgesellschaft zu dem Problem? Ihr Prokurist Patrick Dierich antwortet so:

Bzgl. der Sicherheitsvorkehrungen für das Personal bei den Sicherheitskontrollen müssen Sie sich an die Fa. Securitas wenden. Hierzu kann ich Ihnen keine Auskunft geben.

Ein Tiroler Ringelspiel der Verantwortlichkeiten also. Die Sicherheitsfirma verweist als beauftragtes Unternehmen auf die TFG und die wiederum verweist auf die Sicherheitsfirma zurück. Das Land Tirol ist übrigens zu 24,5 Prozent an der TFG beteiligt; die Mehrheitsanteile liegen bei den Innsbrucker Kommunalbetriebe IKB, die mit dem Unterschied von einer Aktie zwischen der Stadt Innsbruck und der Tiroler Wasserkraft AG TIWAG aufgeteilt sind.

Am 23. März schließt der Flughafen

Auch wenn der Flugbetrieb offiziell ruht, heben noch Maschinen von Innsbruck ab. Am Samstag, 28. März, müssen zwei Sondermaschinen nach Großbritannien abgefertigt werden. An Bord gehen unter anderem Urlauber aus Ischgl, aus dem Zillertal bzw. aus dem Ötztal. Das zumindest wird den Sicherheitsleuten von den Urlaubern erzählt. Offizielle Informationen über die Herkunft der Passagiere hat zu dieser Zeit niemand von ihnen. Werden bei der Arbeit Masken getragen? Nein, denn nunmehr sind schlicht keine verfügbar.

Es gibt keine Vorgaben zum verpflichtenden Tragen von Masken

Frage an die Geschäftsführung von Securitas: Seit wann sind am Innsbrucker Flughafen Schutzmasken für das Sicherheitspersonal im Einsatz?

Es gibt aktuell keine Vorgabe zum verpflichtenden Tragen von Masken für Sicherheitskontroll-Personal auf Flughäfen. Nachdem es aber seitens der Regierung entsprechende Regelungen für z.B. Lebensmittelhandel gibt, lassen sich hier bestimmte Handlungsweisen auch für unseren Bereich am FH ableiten, zumal wir bei der Visitierung von Passagieren den sinnvollen Abstand zwischen Personen unterschreiten. Daher haben wir frühzeitig versucht Masken zu bekommen und diese umgehend nach Verfügbarkeit für unser Personal zum Einsatz gebracht. Ein genaues Datum haben wir nicht aufgezeichnet.

Mittlerweile sind also Masken verfügbar, ihr Einsatz ist aber nicht verpflichtend. Trotz geschlossenem Flughafen findet ausnahmsweise Flugverkehr statt. Zum Beispiel für Flüge der Tyrol Air Ambulance, für die auch Sicherheitskontrollen vorgeschrieben sind.

Schutzmasken für das Sicherheitspersonal. Ablaufdatum: August 2011

Die Masken für die Sicherheitsleute stammen offenbar aus dem Bestand der Grippemasken, die die frühere Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat 2006 angeschafft hat.

Auf der Masken-Verpackung prangt das Ablaufdatum: 08/2011

Besser als nichts. Aber offenbar viel zu spät. Drei Kollegen des Sicherheitspersonals seien Corona infiziert. Mindestens einer von Ihnen war zur Behandlung im Spital. Das sei eine ganz geringe Zahl, meint die Geschäftsführung von Securitas dazu auf Nachfrage.
Aber mit rund 30 Prozent seien die Krankenstände im März verdächtig hoch gewesen, meinen die Sicherheitsleute. Möglicherweise haben die Kolleginnen und Kollegen die Krankheit einfach verdeckt bekommen. Oder sie haben sich kommentarlos selbst in Quarantäne begeben.


Aktualisierung 17.4.2020: Mittlerweile haben die Betroffenen am Innsbrucker Flughafen ordentliche Schutzmasken erhalten. Das freut uns. Was jetzt noch fehlt? Eine Prämie dafür, dass sie im März ihre Gesundheit aufs Spiel setzen mussten. Für die Sicherheit im Flugzeug.


Die Personen des Sicherheitspersonals sind der Redaktion namentlich bekannt.

1 Gedanke zu „Am Flughafen Innsbruck: Wir haben in ständiger Angst unsere Gesundheit aufs Spiel gesetzt“

  1. In allen Branchen sind überall dieselben rücksichtsslosen Leute in Führungspositionen, die ihre eigenen Mitarbeiter Risiken aussetzten, von denen sie selber schon lange wussten.Jetzt sperren sie sich selber in ihren Büros ein oder bleiben zu Hause, um ja nicht angesteckt zu werden.Wie können solche Personen sich morgens noch in den Spiegel schauen ohne Gewissenbisse zu haben?Schämt euch.

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