Gespenstische Todesserie unter reichen Russen

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By Redaktion Semiosis

Stand Ende September 2022 gibt es vierzehn rätselhafte Tode von russischen Oligarchen, Beamten und Geschäftsleuten. Bei einigen wurden auch ihre Frau und ihre Kinder mit ausgelöscht. Gemeinsam ist den Männern: Sie hatten führende Funktionen bei russischen Konzernen, Banken und Organisationen oder wurden durch Öl- und Gasgeschäfte reich. Und: Alle sind unter seltsamsten Umständen ums Leben gekommen. Recherche von Arpad Hagyo (Mitarbeit Sebastian Reinfeldt) – [großes Update am 15. September 2022, ein weiteres Update am 30.9.2022]


Subbotin: Tod bei Besuch eines Schamanen

Es wird gefährlich für Tycoons mit Kontakten zum Kreml. Die Serie von Todesfällen unter russischen Topmanagern hört nicht auf. Ein Fall aus dem Mai 2022 scheint besonders skurril zu sein.

Anfang des Monats wird berichtet, dass der milliardenschwere Alexander Subbotin verstorben ist. Er war ein ehemaliges Vorstandsmitglied von Litasco, einer Tochter des Mineralölkonzerns Lukoil. Subbotin suchte am Wochenende in der Industriestadt Mytischtschi bei Moskau einen Schamanen auf und unterzog sich einer ungewöhnlichen Heilbehandlung: einer Kur nach einem schweren Alkohol-Kater. Das Geistheiler-Ehepaar, das er länger kannte, soll ihm das Halluzinogen Bufotenin verabreicht haben, das im Hautsekret von Kröten vorkommt. Davon bekam Subbotin Herzrasen. Die Schamanen alarmierten die Rettung nicht, der Oligarch starb.

Demnach war dieser Tod also eine Art von Drogenunfall.

Gibt es Todeslisten?

Nicht erst dieser bisher letzte kuriose Fall legt nahe, dass es für die Chefetagen staatsnaher Konzerne eine Todesliste geben könnte. Die Karrieren der Russen, die „plötzlich und unerwartet“ aus dem Leben scheiden, weisen große Ähnlichkeiten auf. Ende April 2022 wurden binnen 24 Stunden zwei tote russische Oligarchen und ihre getöteten Angehörigen aufgefunden. Insgesamt sind binnen weniger Monate alleine fünf mit Gazprom in Verbindung stehende Manager verstorben. Die Umstände ihres Todes hätten auch in einem Spionageroman erfunden sein können.

Shulman: Tod im Badezimmer

Die Serie begann schon bevor die russische Invasion in der Ukraine losging, am 30. Januar 2022 im Dorf Leninsky. Dort wird Gazprom-Manager Leonid Shulman, Transportleiter bei Gazprom Invest, tot in einer Hütte aufgefunden. Der 60-Jährige lag im Badezimmer seiner Datscha. An der Badewanne soll ein Zettel angeheftet gewesen sein, der sich wie ein Abschiedsbrief liest. Das hat die Polizei zu der Annahme veranlasste, er sei durch Selbstmord gestorben, so die Meldung der russischen Mediengruppe RBC.

[Update] Nosov: Schlaganfall

Der Generaldirektor der Putin-nahen Russischen Gesellschaft für die Entwicklung des Fernen Ostens und der Arktis, Igor Nosov, starb – öffentlich weitgehend unbeachtet – am 8. Februar 2022 im Alter von 43 Jahren. Es wurde offiziell bekannt gegeben, dass der Tod durch einen Schlaganfall verursacht wurde.

Tyulakov: Erhängt in der Garage

Ende Februar 2022 wird die Leiche des Gazprom-Managers Alexander Tyulakov in der Garage seines Hauses entdeckt: erhängt. Laut der Zeitung Novaya Gazeta soll er Selbstmord begangen haben. Tyulyakov wurde 61 Jahre alt und war seit rund zehn Jahren für Gazprom tätig. Zuletzt übte er die Funktion als stellvertretender Generaldirektor für Unternehmenssicherheit und Personal beim Energieriesen aus. Das Blatt Novaya Gazeta hegt allerdings Zweifel an der offiziellen Todesursache. Auf TVP World wird der Tod als „inszenierter Selbstmord“ bezeichnet.

Watford: Erhängt in der Garage

Ebenso Ende Februar 2022 wird die britische Polizei zum luxuriösen Anwesen Wentfort Estate in der Umgebung Londons gerufen. Dort findet sie den leblosen Körper von Mikhail Watford in seiner Garage. Auch er: Erhängt. Gerufen hat sie der Gärtner, der den toten Unternehmer entdeckt hatte. Watford, der sich von Tolstosheya nach Watford umbenannt hatte, war ein russischer Milliardär, Öl-Tycoon, Investor und Unternehmer.

Die Umstände seines Todes seien allerdings nicht verdächtig, hieß es vonseiten der britischen Polizei.

Melnikov: Familienmord und Tod durch Erstechen

Am 24. März 2022 meldet die Zeitung Kommersant den Tod des steinreichen Oligarchen Vassily Melnikov. Der 41-Jährige wurde tot in seiner Luxuswohnung in der Großstadt Nischni Nowgorod, zusammen mit seiner Frau Galina und zwei Söhnen aufgefunden.

Den Erhebungen der Kriminalpolizei zufolge waren alle durch Stichverletzungen getötet worden. Die Tatwaffen wurden am Ort des Verbrechens gefunden. Die Zeitung Kommersant berichtete, dass die Ermittler zum Schluss kamen, dass Melnikov seine ebenfalls 41-jährige Frau und seine zehn- und vierjährigen Söhne erstach. Danach tötete er sich selbst. Nachbarn und Verwandte glauben diese Version indes nicht. Laut dem ukrainischen Medienunternehmen Glavred dürfte Melnikovs Unternehmen nach den westlichen Sanktionen in die Insolvenz geschlittert sein. Laut den zitierten Quellen entdeckten Polizisten in der Wohnung der Melnikovs keine Spuren, die auf einen Kampf hinweisen würden. Die Kinder lagen im Kinderzimmer; Melnikovs Frau im Schlafzimmer.

Nach offizieller Darstellung habe sich Melnikov die Schlagadern aufgeschnitten. Er war der Besitzer des Arzneimittelunternehmens MedStom.

Avayev: Familienmord und Tod durch Erschießen

Vladislav Avayev, ehemaliger Vizepräsident der Gazprombank, also des drittgrößten Geldhauses des Landes, lag am 18. April 2022 tot neben seiner ebenfalls ums Leben gekommenen Frau und seiner Tochter in einer Luxuswohnung in Moskau. Ein Verwandter hatte Nachschau gehalten, weil er tagelang keinen Kontakt mit der Familie aufnehmen konnte. Er entdeckte die Leichen. Die Wohnung soll von innen versperrt gewesen sein. In den Händen Avayevs wurde angeblich eine Pistole gefunden. Das führte die Ermittelnden zur Theorie eines „erweiterten Selbstmordes“, der zufolge Avaev seine Frau und seine 13-jährige Tochter erschossen habe, bevor er sich selbst tötete. Auch hier sind Zweifel an der amtlichen Darstellung aufgekommen, die Untersuchungen dauern an.

Protosenya: Familienmord und Tod durch Erhängen

Am 19. April 2022 wird Sergey Protosenya gemeinsam mit seiner Frau und der 18-jährigen Tochter tot aufgefundenen. Familie und Freunde des Gas-Magnaten sprechen sich eindeutig gegen die Theorie eines erweiterten Selbstmords aus. Protosenya arbeitete als Vizechef bei Novatek, einem Unternehmen, an dem Gazprom beteiligt ist. Er starb neben Frau und Tochter in Lloret de Mar bei Barcelona. Auch hier sprechen russische Stellen von Suizid. Die spanische Polizei hält allerdings Fremdverschulden für wahrscheinlich. Protosenya hing stranguliert in seiner Finca, während seine Frau und Tochter mit einer Axt erschlagen worden waren.

Sein 22-jähriger Sohn Fedor hält die Selbstmordtheorie für ausgeschlossen.

Krukowski: Sprung vom Felsen

Anfang Mai 2022 stürzte Andrej Krukowski, 37 Jahre alt und Direktor des Skigebiets des Industrie-Giganten Gazprom von einem Felsen. Er war auf dem Weg zur Festung Achipsinskaya bei Sotchi. In Moskau spricht man offiziell von einem tragischen Unfall. Krukowski soll ursprünglich schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht worden sein, wo er nicht mehr zu retten gewesen sei. Das von ihm geleitete Skigebiet Krasnaya Polyana ist eines der berühmtesten Russlands und war Austragungsort der Olympischen Winterspiele 2014. Das waren übrigens die Winterspiele, bei denen rund 50 österreichische Unternehmen gut verdient haben.

[Update] Maganow: Fenstersturz

Am 1. September 2022 fiel der Öl-Oligarch und frühere Lokoil-Chef Ravil Maganov aus dem sechsten Stock eines Fensters in einem Moskauer Krankenhaus. Newsweek erwähnt „unbestätigte Berichte“, die besagen, dass Maganov geschlagen und aus dem Fenster geworfen wurde. Er hielt sich im Krankenhaus zur Behandlung auf.

Maganov hatte sich kritisch zur Ukraine-Invasion geäußert.

[Update2] Woronow: Tot in seinem Pool

Der Körper von Juri Woronow, 61 Jahre alt, ist am 5. September 2022 tot erschossen in dem Pool seines Hauses in einem luxuriösen St. Petersburger Vorort aufgefunden worden. Er hatte offensichtlich einen Kopfschuss bekommen. In der Nähe der Fundstelle lag eine Pistole. Woronow war der CEO von Astra-Shipping, einem profitablen Subunternehmen der Gazprom.

Offiziell stehe sein Tod im Zusammenhang mit einem angeblichen Streit unter Geschäftspartnern, berichtet TVP World.

[Update] Peschorin: Sturz aus einem Boot?

Iwan Peschorin, 39 Jahre alt, war Chef der Russischen Gesellschaft für die Entwicklung des Fernen Ostens und der Arktis. Er leitet verantwortlich die Erschließung von Bodenschätzen in der Arktis und die Modernisierung russischen Luftfahrt; unter den Bedingungen von Sanktionen heikle Missionen. Medien berichten, dass er am Samstag, 10. September 2022, von seiner Privatjacht nahe der Russki-Insel bei Wladiwostok gefallen sei. Das Boot sei in voller Fahrt gewesen, als er von Bord ging. Der Unfallort befindet sich knapp 10.000 Kilometer östlich von Moskau.

Seine Leiche wurde am 12. September im Wasser gefunden.

Peschorin trat laut Daily Mail noch wenige Tage vor seinem Tod auf dem Eastern Economic Forum auf, das vom 5. bis zum 8. September in Wladiwostok abgehalten wurde. Im Februar 2022 verstarb mit Igor Nosov bereits der CEO derselben Putin-nahen russischen Arktis-Gesellschaft.

[Update] Sungorkin: Schlaganfall bei Recherche-Reise

Die rätselhafte Toderserie unter reichen Russen betrifft einen weiteren Putin-Treuen: Wladimir Sungorkin war Chefredakteur der russischen Zeitung „Komsomolskaja Prawda“, die in der Sowjetunion das Zentralorgan der Komsomol war und bis heute eine hohe Auflage vorweisen kann. Sungorkin starb während einer Recherchereise in der Region Primorje im Fernen Osten Russlands, so die Zeitung. Todesursache: Schlaganfall.

Wladiwostok ist das Verwaltungszentum von Primorje. Die plötzlichen Tode von Sungorkin und Peschorin spielten sich also in derselben Gegend Russlands ab.

[Update2] Pchelknikov: Selbstmord auf dem Balkon

Der Direktor eines Subunternehmens der staatlichen russischen Eisenbahnen, Pavel Pchelnikov, ist tot auf seinem Balkon aufgefunden worden. Unbekannt ist noch, ob es einen Abschiedsbrief gegeben habe. Pchelnikov kam in die Kritik, weil er für die erfolgreichen ukrainische Hackerangriffe auf die Infrastruktur der russischen Staatsbahnen verantwortlich gemacht wurde.

Es gibt Berichte, wonach er im Rücken sieben Messerstiche hatte. Auch die Schussverletzung sei ihm von hinten zugefügt worden.

TopCargo200, die Open-Source-Quellen verarbeitet, berichtet von einem Tod durch eine Schussverletzung.


Arpad Hagyo ist freier Journalist

Titelbildquelle: https://www.youtube.com/watch?v=xd_M_cby5dg

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