Beatmungsgeräte: Philips-Skandal geht weiter

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By Sebastian Reinfeldt

Es ist eine der größten Skandale bei Medizinprodukten der vergangenen Jahrzehnte. Doch in Europa – und so auch in Österreich – laufen die Informationen über schadhafte und gesundheitsgefährdende Beatmungsgeräte von Philips weitestgehend unterhalb des öffentlichen Radars, während die US- Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde FDA Berichte über 260 Todesfälle überprüft, die durch den Einsatz dieser Geräte verursacht worden sein könnten. Zudem gibt es schriftliche Belege dafür, dass die Herstellerfirma bereits 2018 wusste, dass sich der in den Beatmungsgeräten verbaute Dämmschaum auflösen könne – und dass dessen Fasern gesundheitsgefährdend seien. Unternommen hat die Firma dennoch jahrelang nichts.

Erst 2021 wurde der Skandal öffentlich. Denn die US-Behörde hatte im April des Jahres Hausdurchsuchungen auf dem Firmengelände in den USA durchgeführt und erstmals im Juni 2021 öffentlich gewarnt (Semiosis berichtete). Diese Meldungen zu den Geräten von Philips Respironics hat sie am 17. und am 22. November 2022 aktualisiert. Mit brisanten Details. Denn die ausgetauschten Geräte sind ebenfalls schadhaft und sie können die Gesundheit gefährden. Sebastian Reinfeldt hat die Dokumente gelesen.


Auch bei Austauschgeräten löst sich der Dämmschaum ab

Am 21. November 2022 meldet die deutsche Wirtschaftswoche, dass der Medizintechnik-Hersteller Philips erneut Schwierigkeiten mit Beatmungsgeräten hat. Diesmal gehe es um Geräte, die etwa bei Menschen mit Schlafapnoe zum Einsatz kommen und die in den USA ausgetauscht worden waren. Der darin erneuerte Dämmschaum könne sich ablösen, wodurch sich der Beatmungsdruck verringere. Ein Alarm des Geräts ist dann die Folge.

Außerdem sei in den betroffenen Modellen Philips Trilogy 100/200 Feinstaub in der Beatmungsluft gemessen worden.

Im O-Ton schreibt die US-Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde:

Beatmungsalarm und Feinstaub in der Atemluft

Problem 1: Der neue Silikon-Schallschutzschaum, der in den überarbeiteten Ventilatoren installiert wurde, um den Polyurethanschaum auf Polyesterbasis (PE-PUR) zu ersetzen, kann sich möglicherweise von der Kunststoffrückseite lösen und die Leistung des Geräts beeinträchtigen. Und zwar, indem er möglicherweise den Lufteinlass blockiert und damit den Inspirationsdruck senkt. Wenn der Luftdruck dadurch erheblich beeinträchtigt würde, könnte das Gerät einen Beatmungsalarm ausgeben, z. B. den Alarm „Niedriger Inspirationsdruck“.

Problem 2: In der Luftleitung einiger der überarbeiteten Beatmungsgeräte wurden Spuren von Feinstaub gefunden. Partikelproben wurden zur Auswertung an ein Drittlabor geschickt. Vorläufige Ergebnisse zeigen in einigen Proben PE-PUR und Umweltabfälle, in anderen nur Umweltabfälle.

Quelle: https://www.fda.gov/medical-devices/safety-communications/update-certain-philips-respironics-ventilators-bipap-machines-and-cpap-machines-recalled-due; Übersetzung SR

Die Gesundheitsfolgen können gravierend sein

Bei der FDA sind im Zusammenhang mit diesem Vorfall „Medical Device Reports“, kurz: MDR, zugegangen, also Berichte über Medizinprodukte. Davon stammen rund 30 neue Meldungen von Philips selbst, die allerdings keinerlei Informationen über gesundheitliche Schäden enthalten hätten.

Doch die Berichte von „professionals, consumers, and patients“ – von Profis, Konsument*innen und Patient*innen – sind alarmierend, so die FDA. Seit den Hausdurchsuchungen im April 2021 hat die Behörde mehr als 90.000 solcher Medizinprodukt-Berichte erhalten, darunter Informationen über 260 Todesfälle, die mit dem Zerfall des PE-PUR-Schaums oder dem vermuteten Zerfall des Schaums in Verbindung stehen. Ob die genannten 260 Todesfälle ursächlich mit den Geräten in Verbindung stehen, konnte die FDA bislang nicht verifizieren.

Statistik der einschlägigen Berichte der Medizinprodukte, die die FDA erhalten hat. Quelle: FDA

Seit August 2022 sind mehr als 21.000 neue Berichte hereingekommen

Die US-Agentur FDA überprüft und analysiert gerade die Meldungen, die die Beatmungsgeräte von Philips betreffen. Dabei will sie auch herausfinden, warum seit August 2022 plötzlich so viele neue MDRs aufgetaucht sind.

In diesen Meldungen an die Behörde wird nämlich ein breites Spektrum von Gesundheitsproblemen im Zusammenhang mit den Philips-Geräten beschrieben,

darunter Krebs, Lungenentzündung, Asthma, andere Atemprobleme, Infektionen, Kopfschmerzen, Husten, Dyspnoe (Atembeschwerden), Schwindel, Knötchen und Brustschmerzen.

Quelle: https://www.fda.gov/medical-devices/safety-communications/update-certain-philips-respironics-ventilators-bipap-machines-and-cpap-machines-recalled-due#mdr

2018: Interner Mailverkehr mit dem Dämmschaumhersteller

Ein Rückblick: Bei den Hausdurchsuchungen im Frühjahr 2021 bei Philips hat die US-Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde brisantes Material entdeckt. So hat die Firma Philips im April 2018 ein internes Qualitätsmanagement-Verfahren durchgeführt,

um Beschwerden im Zusammenhang mit einer möglichen Schaumverschlechterung für die Trilogy-Geräte in Australien zu untersuchen und zu bestimmen, welche Maßnahmen ergriffen werden sollten.

Darin berichtet Philips,

dass Einheiten aus dem Feld zurückgebracht wurden, wo sich der Schaum des entfernbaren Trilogie-Luftpfads und der Schaum in der Einlass-Luftpfad-Baugruppe verschlechterte und in den Motor/Luftpfad gelangte, was mindestens 1 Trilogy-Einheit betrifft, die daraufhin defekt wurde.

Quelle: aus den Gerichtsunterlagen zur US-Sammelklage gegen Philips

Nach einem umfänglichen Mailverkehr wurde das Verfahren allerdings beendet. Bei Philips wollte man weiter beobachten. Das war offensichtlich ein Fehler.

Österreich – (wie immer) die Insel der Seligen

Die betroffenen Geräte (siehe unten) sind in Europa und natürlich auch in Österreich verkauft worden. Am 29.Juni 2021 hat das in Österreich zuständige Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) eine Warnung auf seiner Homepage veröffentlicht.

Der Stand der Dinge: In Österreich seien die Beatmungsgeräte ausgetauscht worden. Philips habe eingeschriebene Briefe an die Betroffenen versendet, heißt es. Wie viele diese wirklich erhalten haben, ist unbekannt. Wie viele Geräte bisher ausgetauscht wurden, ebenso. Da sie im Rahmen einer medizinischen Therapie eingesetzt werden, ist dieser Prozess natürlich besonders haklich.

Ob dies als Rechtfertigung dafür ausreicht, dass hier pro-aktiv rein gar nichts unternommen wird und auch keine belastbaren Zahlen verfügbar sind, sei dahingestellt. Immerhin stehen potentiell Menschenleben auf dem Spiel.

Auf Semiosis-Nachfrage teilt das BASG aktuell mit:

Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) stand mit dem Hersteller betreffend der genannten Problematik zu den Trilogy-Geräten bereits in Kontakt.

Laut den vorliegenden Informationen des Herstellers sowie des Vertreibers in Österreich wurde das Austauschprogramm für die Trilogy-Geräte ausgesetzt und bis dato keine betroffenen Geräte in Österreich ausgeliefert

Quelle: Antwort auf Semiosis-Nachfrage

Eigene Ermittlungen dazu stellt das Amt also nicht an. Eine Strafanzeige eines Wieners bei der WKStA gegen Philips wurde von der Staatsanwaltschaft übrigens eingestellt; ein Fortführungsantrag ist zu erwarten.

Der Verbraucherschutzverein unterstützt die Geschädigten mit einer Sammelaktion. Erste Klagen von Betroffenen sind anhängig.

Fest steht: Philips hat ernste Probleme

Die Börsen reagierten indes deutlicher. Seit Bekanntwerden der Vorwürfe ist die Philips-Aktie förmlich abgestürzt. Die Firma muss wegen der Austauschaktion der Geräte und wegen der Klagen dieses Jahr 1,3 Milliarden Euro zurückstellen. Im August 2022 hatte Philips-Chef Frans van Houten vorzeitig seinen Rücktritt bekannt gegeben.

Philips Aktienkurs seit Januar 2021: Quelle: stock3.com

Liste der betroffenen Geräte

Quelle: BASG

Zum Nachlesen

BASG: Das österreichische Nachtwächteramt (Februar 2022)

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