Die braunen Flecken von Wels

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Was unser Gastautor Robert Eiter vom OÖ. NETZWERK GEGEN RASSISMUS UND RECHTSEXTREMISMUS darlegt, geht weit über einen Beitrag zur Lokalgeschichte der oberösterreichischen Stadt Wels hinaus. Diejenigen, die in den 1980er Jahren die braunen Flecken in der Stadt entfernt wissen wollten, sahen sich einer breiten, parteiübergreifenden Ablehnungsfront gegenüber – mit dabei auch führende Genossen aus der SPÖ.

Diese Auseinandersetzung, über die Robert Eiter berichtet, ist somit auch ein Teil der Parteiengeschichte der Sozialdemokratie, wobei die damalige Frontstellung ideologisch bis heute nachhallt. Schließlich trafen im März 1997 in der Löwelstraße ein sozialdemokratischer Freund des Nationalsozialismus und aufrechte sozialdemokratische Antifaschisten aufeinander – und gaben sich nicht die Hand. Der innerparteiliche Konflikt konnte dennoch geschlichtet werden.

Wir übernehmen Robert Eiters Vortrag (mit dessen Einverständnis natürlich), mit leichten Kürzungen und haben Überschriften hinzugefügt. Die Semiosis-Redaktion


Eine ungeplante Gründung

Die Welser Initiative gegen Faschismus ist nicht einfach nur ein Verein – sie ist seit ihren Anfängen eine Bewegung. Und sie ist schon lange eine Institution, die weit über die Grenzen von Wels hinauswirkt.

Seit 2010 ist das schon vorher Geschaffene – vom Elfriede-Grünberg-Preis bis zur Pogromnacht-Kundgebung – bewahrt, weiterentwickelt und durch viel Neues ergänzt worden ist. (…)

Am Anfang der Antifa, Ende März 1984, steht eine Gründung, die gar nicht geplant war – durch eine gemeinsame Aktion von jungen Leuten aus verschiedenen Organisationen gegen ein Neonazi-Treffen im Gasthaus „Kaiserkrone“. Dieses spontane Bündnis hat dann rasch gemerkt, wie viel es zu tun gibt, sich immer mehr gefestigt und immer neue Aktionen gesetzt.

Im Gedenkjahr 1988 wurden die „braunen Flecken“ von Wels ein Thema. Daraus entwickelte sich ein Konflikt, der rund zehn Jahre dauern sollte – in seinen Ausläufern noch einige Jahre länger. Er hatte bundesweite Folgen. Und er fand ein enormes Medienecho. Vorsichtig geschätzt sind dazu etwa 500 Medienbeiträge erschienen: in Österreich, Deutschland, Großbritannien, den USA, Israel und anderen Ländern. (…)

Wels – eine Hochburg des Nationalsozialismus

Wels war eine Hochburg des Nationalsozialismus. Vor genau hundert Jahren, 1924, galt die NSDAP in Österreich noch als bedeutungslose Splittergruppe. In Wels saß sie indes schon im Gemeinderat.

Im April 1931 fand die letzte freie Wahl vor dem austrofaschistischen Ständestaat und der NS-Herrschaft statt, die oberösterreichische Landtagswahl. Landesweit erreichten die deutschnationalen Parteien – die Großdeutsche Volkspartei, der Landbund und die NSDAP – miteinander rund 20 Prozent, in Wels rund 30. Die NSDAP alleine kam in Oberösterreich nur auf 3,4 Prozent, in Wels aber auf 8,1 Prozent, etwa das Zweieinhalbfache. Erst zwei Jahre später gelangte Hitler in Deutschland an die Macht.

Beim „Anschluss“ im März 1938 hatten die Truppen der Deutschen Wehrmacht Wels noch gar nicht erreicht, als in der Stadt schon die Hakenkreuzfahnen wehten und die Polizisten Hakenkreuzbinden trugen. Woher sie diese so schnell nahmen, darüber darf nachgedacht werden.

Wels – auch eine Hochburg des Widerstands

Paradoxerweise war Wels nicht nur eine Hochburg des Nationalsozialismus, sondern auch eine des Widerstandes. Das zeigt sich schon daran, dass das weitgespannte Netzwerk aktiver NS-Gegner zwischen Amstetten und Bad Ischl – vor allem Kommunist:innen, aber auch Sozialdemokrat:innen, Katholik:innen und sogar enttäuschte Nationalsozialist:innen – als „Welser Gruppe“ bezeichnet wurde. Die allermeisten dieser Widerstandskämpfer fielen dem braunen Terror zum Opfer.

Noch am 28. April 1945 ließ Gauleiter August Eigruber 42 Mitglieder der „Welser Gruppe“ im KZ Mauthausen vergasen – damit, so wörtlich, „die Alliierten keine aufbauwilligen Kräfte vorfinden“.

Unter jenen rund 20.000 NSDAP-, SS-, SA- und Gestapo-Angehörigen, die die US-Armee zwischen 1945 und 1948 in der Salzburger Kaserne Glasenbach internierte, befanden sich viele Welser. Die örtliche NSDAP hatte nämlich verabsäumt, ihre Mitgliederkartei vor dem Einmarsch der Amerikaner zu vernichten.

Nach dem Krieg kam der Friede mit den Tätern

In Wels war von 1946 bis 1949 der Widerstandskämpfer Franz Grüttner SPÖ-Bürgermeister. Doch angesichts des beginnenden Kalten Krieges drehte sich der Wind: Die Gesellschaft schloss Frieden mit den Tätern und Mitläufern. Der mutige Antifaschist und engagierte Bürgermeister Grüttner galt plötzlich als „zu links“. Die Welser SPÖ ersetzte ihn durch den Rechtsanwalt und Burschenschafter Oskar Koss. Ein Schmissträger als sozialdemokratischer Bürgermeister – das wäre heute kaum denkbar.

Wie mir ein mittlerweile verstorbenes Gemeinderatsmitglied erzählt hat, war es in nicht wenigen Welser Innenstadtgeschäften noch Mitte der 1960er Jahre üblich, im Hinterzimmer den 20. April – Hitlers Geburtstag – mit Sekt und Torte zu feiern.

In diesem Klima sind die besagten „braunen Flecken“ entstanden: 1955 wurde eine Straße nach Ottokar Kernstock benannt, dem steirischen Heimatdichter und Verfasser des „Hakenkreuzliedes“. 1960 wurde die Turnhalle des Welser ÖTB nach Moritz Etzold benannt, der NSDAP-Kreisschulungsleiter gewesen war. Und 1964 wurde – unter heftigen Protesten von Widerstandskämpfern und NS-Opfern – in der stadteigenen Sigmar-Kapelle eine Gedenktafel der „Kameradschaft IV“, des Traditionsverbandes der Waffen-SS, angebracht.

Bis in die 1990er Jahre hinein war das Establishment der Stadt noch unkritisch zum Nationalsozialismus

Als wir mit jugendlicher Unbekümmertheit die Entfernung dieser „braunen Flecken“ forderten, hatten wir keine Ahnung, in welches Wespennest wir stachen. Um 1990 lebten noch viele Welserinnen und Welser, die NSDAP-Mitglieder oder jedenfalls vom Nationalsozialismus überzeugt gewesen waren. Und so traten wir zwangsläufig gegen den Großteil des Establishments der Stadt an. Der Riss ging durch die politische Landschaft von Wels: Die Grünen waren gegen die „braunen Flecken“, die FPÖ verteidigten sie – und letzteres taten auch die überwiegenden Mehrheiten von SPÖ und ÖVP, allerdings ohne die jeweilige Parteijugend. Bekennende Antifaschisten wie der SPÖ-Nationalratsabgeordnete Georg Oberhaidinger, der SPÖ-Bezirkssekretär Raimund Buttinger und der ÖVP-Kulturstadtrat Andreas Gruber kamen bald unter Druck.

An die Spitze der vehementen Verteidiger stellte sich der damalige SPÖ-Bürgermeister Karl Bregartner. Schon die alten Römer haben gemeint, man solle über die Toten nur Gutes sagen. Aber Personen der Zeitgeschichte müssen sich auch nach ihrem Ableben eine kritische Beurteilung gefallen lassen. Karl Bregartner hat sich zweifellos viele Verdienste um die Stadt erworben. Doch war er, geprägt in den 1950er und 1960er Jahren, der tiefen Überzeugung, dass der Frieden der Gesellschaft und seiner Partei mit den Tätern und Mitläufern des Nationalsozialismus nicht gefährdet werden dürfe. Dieser Überzeugung ordnete er vieles unter – auch die Grundwerte der SPÖ und den antifaschistischen Auftrag der Bundesverfassung.

Und so standen wir uns gegenüber. Einerseits ein populärer, seiner Machtfülle bewusster und zum Dialog nicht bereiter Bürgermeister, der die Forderungen „einiger Jugendlicher“ problemlos auszusitzen glaubte.

Andererseits eine hartnäckige Initiative, die eigentlich keine Chance hatte, aber einfach nicht aufgab.

Rückblickend betrachtet ist die Entfernung der „braunen Flecken“ eine schlichte Tatsache, während des zähen Konflikts war sie aber sehr unwahrscheinlich. Freilich hätte es den Verteidigern eine Warnung sein müssen, dass die Antifa schon seit Beginn der Auseinandersetzung prominente Unterstützung fand – etwa von Dietmar Schönherr, Werner Schneyder, Willi Resetarits, Hans-Henning Scharsach und Anton Pelinka, aber auch von angesehenen Historiker:innen wie Erika Weinzierl, Wolfgang Neugebauer, Reinhard Kannonier, Rudolf Kropf und Michael John. Mit Hans-Henning Scharsach und Reinhard Kannonier war auch Karl Öllinger immer ein verlässlicher Unterstützer der Antifa.

Dirty Campaigning, purer Antisemitismus und Morddrohungen

Mit zunehmender Dauer des Konflikts geriet das Agieren mancher Verteidiger der „braunen Flecken“ zu dem, was man jetzt „dirty campaigning“ nennt. Die absurdesten Gerüchte wurden ausgestreut – so behauptete ein Funktionär des ÖVP-Seniorenbundes, der Regisseur und damalige ÖVP-Kulturstadtrat Andreas Gruber habe sich der Forderung der Antifa ja nur angeschlossen, weil er sich „Aufträge von den Filmjuden in Hollywood“ erhoffe.

Gruber und seine Familie erhielten anonyme Morddrohungen, ebenso Werner Retzl. Mir keuchte ein offenbar asthmatischer Altnazi ins Telefon, man werde mit mir abrechnen. Sogar an meinem Arbeitsplatz wurde interveniert – erfreulicherweise erfolglos. Mehrere Jahre lang waren Andreas Gruber und ich die bestgehassten Leute der Stadt. Zwei oder drei willfährige Journalisten bemühten sich nach Kräften, uns alle paar Wochen zu diffamieren. Der übelste Sudler wurde übrigens später FPÖ-Bezirkssekretär.

Warum tust du dir das an?

Nun könnte ich Euch erzählen, dass wir diese Attacken lächelnd ignoriert haben. Aber das wären antifaschistische Götter- und Heldensagen. Und die will ich Euch nicht zumuten. Ein solches Trommelfeuer macht schon etwas mit einem. Es ist, kurz gesagt, nicht vergnügungssteuerpflichtig.

Die Menschen, die mir nahestanden, haben mir zugeredet: „Warum tust Du Dir das an? Wegen einer Steintafel, einem Hallen- und einem Straßennamen?“ Und das war ja die Wahrheit, wenn auch nicht die ganze. Denn hinter dem Streit um die Symbole verbarg sich die Frage, ob Wels seine NS-Geschichte weiter verdrängen oder endlich aufarbeiten sollte.

Zwei-, dreimal habe ich daran gedacht, mich aus dem Konflikt zurückzuziehen. Dass ich es doch nie getan habe, liegt vielleicht an einem Teil meiner Vorfahren. Die Eiter kommen ursprünglich aus dem Pitztal. Und die Bewohner der Tiroler Alpentäler gelten gemeinhin als unterdurchschnittlich verhaltensflexibel. Der Volksmund sagt: „Des san ziemlich sture Hund!“. Es kann schon sein, dass etwas davon in meiner DNA steckt.

Der Welser SPÖ-Bürgermeister fordert das Wieder-Anbringen einer NS-Gedenktafel

Und so ging es trotz des Trommelfeuers weiter, Jahr für Jahr. Womit niemand gerechnet hatte: Der Antifa gelang es, ihrer Kritik immer mehr Gehör und Akzeptanz zu verschaffen – besonders in den überregionalen Medien und in der SPÖ, der Partei des Bürgermeisters. Nicht nur der damalige Bundeskanzler und SPÖ-Bundesvorsitzende Franz Vranitzky zeigte sich über die Verteidigung rechtsextremer Symbole durch die Welser Stadtpartei äußerst irritiert.

Jetzt wurde es für die Fans der „braunen Flecken“ enger. Als unbekannte Täter eines Nachts die Waffen-SS-Tafel aus der Sigmar-Kapelle entwendeten (gegen die Intention der Antifa, die eine politische Entfernung forderte), erklärte Bürgermeister Bregartner, er befürworte die Anbringung einer neuen Waffen-SS-Tafel! Daraufhin stellte der damalige Bundesvorsitzende der Sozialistischen Jugend, Karl Delfs, den Antrag, Bregartner aus der Partei auszuschließen. Weshalb der Ersatztafel-Plan rasch abgeblasen wurde. (…)

Showdown in der Löwelstraße

Nach Recherchen der Antifa veröffentlichte das Nachrichtenmagazin „profil“ im Februar 1997 einen großen Artikel über einen regelmäßigen Stammtisch von Bregartner und anderen Welser SPÖ-Funktionären mit Robert Wimmer, einem Millionär sowie berüchtigten Neonazi-Unterstützer und Holocaust-Leugner. Wimmer war auch seit Jahren Mitglied des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbandes und Sponsor des Welser Polizeisportvereins gewesen. Die SJ beantragte wiederum den Parteiausschluss, diesmal von allen SPÖ-Funktionären in der Stammtischrunde.

Und so kam es im März 1997 in der Löwelstraße, der SPÖ-Bundeszentrale in Wien, zum Showdown. Unter der Leitung des damaligen Nationalratspräsidenten Heinz Fischer trafen die Konfliktparteien aufeinander. Bregartner wollte mir nicht die Hand geben, musste aber doch tun, was er jahrelang verweigert hatte: mit den Antifaschisten reden.

Das Resultat der Runde, über das die „ZiB2“ und viele andere Medien berichteten, war ein Durchbruch der Initiative. Die SJ zog ihre Anträge zurück. Dafür wurde wenig später die „Kernstockstraße“ auf „Thomas-Mann-Straße“ umbenannt, dann die „Moritz-Etzold-Halle“ auf „Turnhalle Wels“. Erreicht wurde auch eine Einladung der Stadt an ihre vertriebenen jüdischen Bürgerinnen und Bürger. Die Zusage, die Geschäftsbeziehungen der Welser Messe mit dem bekannten Rechtsextremisten Ludwig Reinthaler zu beenden, hielt Bregartner allerdings nicht ein. So hatte der Konflikt ein längeres Nachspiel, bis Reinthaler seine mit NS-Devotionalien gespickten Flohmärkte einstellen musste.

Dann kam das Welser Modell,

1999 trat Karl Bregartner aus gesundheitlichen Gründen als Bürgermeister zurück. Mit seinem Nachfolger Peter Koits, ebenfalls von der SPÖ, kam es bald zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit, die „Welser Modell“ genannt wurde. In 15 Jahren realisierten Stadt und Antifa mehr als 60 gemeinsame Projekte. Damit wurde die heute gerne vertretene These widerlegt, dass die Entfernung rechtsextremer Symbole zur „Auslöschung von Geschichte“ führe. (…)

… das die FPÖ wieder aussetzte

Seit Andreas Rabl nach internen Problemen der Welser SPÖ blauer Bürgermeister wurde, ist das „Welser Modell“ ausgesetzt – weil er sich von den unzähligen rechtsextremen „Einzelfällen“ seiner Partei nie distanziert, ja selbst für eine ganze Reihe dieser „Einzelfälle“ gesorgt hat. Was ihn nicht gehindert hat, allen Ernstes als Vize-Vorsitzender der „Freunde von Yad Vashem“ zu kandidieren …

Sie werden nicht durchkommen

Einmal mehr ist heute die Kampfkraft, die Konsequenz und die Kreativität der Antifa gefordert. Und die Bereitschaft der Welser Oppositionsparteien zu klaren Worten und klaren Taten!

Leider sind österreichweit die Aussichten am Beginn dieses Wahljahres eher düster. Sollte Kickl mit seiner rechtsextremen Truppe stärkste Kraft werden und eine andere Partei umnachtet genug sein, ihn zum „Volkskanzler“ zu machen, droht ein System ähnlich jenem in Ungarn. Daraus macht der FPÖ-Führer gar kein Hehl. Doch mein gelehrter Freund Wilhelm Achleitner zitiert zu Recht gerne Hölderlin: — „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“

Das Rettende in Gestalt der schon erwähnten antifaschistischen Massenbewegung. (…)

Und so schließe ich mit den berühmten Worten von Dolores Ibárruri, genannt „La Pasionaria“:

„Steht auf, verteidigt die Republik, verteidigt die Freiheit und die demokratischen Errungenschaften des Volkes! ¡No pasarán! – Sie kommen nicht durch!“


Auszüge aus der Rede von Robert Eiter anlässlich der Präsentation der Festschrift „Zum Konflikt um die ‚braunen Flecken‘ von Wels“ am Samstag, 24. Februar, Bildungshaus Schloss Puchberg


Link zur Literaturliste: Zum Konflikt um die „braunen Flecken“ von Wels by ARGE Jugend – Issuu

Unser Titelfoto ist aus dem Stadtarchiv Wels. Link: Stadt Wels Verwaltung

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