Wie Kunst hilft, mit dem Krieg umzugehen

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Eine Ausstellung in Wien zeigt, wie nach Österreich geflüchtete Ukrainer:innen auf den Krieg blicken. Nebenbei erfährt man viel über ihr Leben fernab der Heimat – und auch einiges über ihr derzeitiges Leben in Österreich. Eine Reportage zum Jahrestags der „full scale“-Invasion Russlands in die Ukraine von Florian Bayer.


Die Plastik eines blutigen Köpers, der verwundet ist, vernarbt, stellenweise auch heilt. Eine lebensgroße Puppe, mit langem Haar aus Zeitungsschnipseln und einer Halskette mit den Buchstaben „Raketenterror“. Ein Graffiti, auf dem eine Mischung aus Kamerastativ und Maschinengewehr zu sehen ist.

Hélène Litorelle vor ihren Werken, u.a. der Puppe, die ein Kleid aus Zeitungsschnipseln trägt (c) Litorelle

Diese und andere Perspektiven auf den Krieg in der Ukraine sind in der Ausstellung „February – Two Years of Solidarity“ zu sehen. Wie lebt es sich im Spannungsfeld zwischen Krieg und Alltagsleben? Welche Rolle spielt Kunst im Umgang mit dem Unfassbaren?

All diese Fragens schwingen mit in den Arbeiten der 21 gezeigten ukrainischen Künstler:innen, die mittlerweile in Österreich leben. Die Ausstellung findet noch bis Samstag, 24. Februar 2024, im Wiener Exhibit (Eschenbachgasse 11) statt. Die Initiative kam von Office Ukraine, einer kurz nach Kriegsbeginn gegründeten Plattform zur Vernetzung von österreichischen und ukrainischen Kulturschaffenden. Anfänglich ging es vor allem um die Vermittlung von Unterkünften. Mittlerweile sind die Themen andere, von Stipendien und Aufträgen über Hürden am Arbeitsmarkt bis hin zum Aufenthaltsstatus.

Viele der rund 70.000 nach Österreich geflüchteten Ukrainer:innen – überwiegend Frauen und Kinder – wissen noch nicht, wie es nach Ende der derzeitigen „Blauen Karte“ ab März 2025 weitergeht. Eine Lösung muss in Brüssel gefunden werden, heißt es. Bei der Wohnungssuche ist dies mitunter ein großer Nachteil, denn viele Eigentümer wollen nur langfristig vermieten.

Künstler Ihor vom Socia Collective vor seinem Graffiti-Bild. Er arbeitet mit seinem Bruder aus der Ferne zusammen, der in Kyjiw geblieben ist (c) Florian Bayer
Künstler Ihor vom Socia Collective vor seinem Graffiti-Bild. Er arbeitet mit seinem Bruder aus der Ferne zusammen, der in Kyjiw geblieben ist (c) Florian Bayer

In der Ausstellung geht es vor allem darüber, was der Krieg auf einer persönlichen Ebene mit einem macht. „Die Kunst hilft mir, weiterzumachen. Mit dem Schmerz umzugehen, dass ich nicht in meiner Heimat sein kann“, sagt die Designerin Hélène Litorelle aus Kyjiw. Von ihr stammt die ausgestellte Puppe, die ein Kleid aus Zeitungsschnipseln trägt, die in verschiedenen Sprachen über den Krieg berichten. Auf der Brust der Puppe prangt die ukrainische Flagge, ein Symbol für die Fruchtbarkeit der Ukraine auch als Kornkammer für die Welt. Eine schwarze Hand direkt darunter greift danach – eine Referenz auf Putins Kriegsmaschinerie, wie Litorelle erklärt:

Der Krieg geht nun schon zwei Jahre und keiner konnte ihn bisher beenden. Jeden Tag gibt es Tote, wir bezahlen einen hohen Preis. Das sollten die Mächtigen berücksichtigen, wenn sie diskutieren, ob sie uns helfen oder nicht.

Hélène Litorelle
Anastasiia Vasylchenko mit ihrer ersten von mehreren Skulpturen – Skulptur noch relativ intakt, später zunehmend vernarbter – (c) Florian Bayer

Ähnlich sieht es Anastasiia Vasylchenko, die vor allem mit Keramik arbeitet und eine abgeschlossene Psychologie-Ausbildung aus Kyjiw hat. „Mir geht es vor allem darum, die Ereignisse zu dokumentieren. Damit man später weiß, wie wir Künstler den Krieg wahrnehmen.“ Ihre Plastiken zeigen abstrakte Körper, aus denen Wunden klaffen und symbolisch Blut fließt. Zu sehen sind drei Skulpturen, die die Künstlerin im Verlauf des Kriegs geschaffen hat. Die später entstandenen sind stärker versehrt, manche der Wunden sind aber auch schon zugewachsen oder vernäht.

Die beiden Frauen blicken mit viel Dankbarkeit auf Österreich, auch wenn sie gewissermaßen zwei Leben parallel leben müssen, wie sie sagen. Über das Handy hängen sie nach wie vor an den Nachrichten aus der Ukraine, auch sind sie in ständigem Kontakt mit ihren Freunden zuhause. In Österreich fühlen sie sich wohl – Vasylchenko lebt in St. Pölten, Litorelle in Wien. Sie merken, dass Kultur hierzulande einen hohen Stellenwert hat. Immer wieder würden sich Passanten erkundigen, was es hier im Ausstellungsraum zu sehen gibt.

Auch Office Ukraine helfe ihnen sehr, berichten die Frauen. „Immer wieder bekommen wir Besuch aus Polen, den Niederlanden oder Spanien und hören dabei, dass es dort nichts Vergleichbares gibt“, sagt Mitarbeiterin Natalia Gurova, geboren in Belarus und aufgewachsen in Russland. Sie lebt seit 2014 in Wien und ist auch selbst Künstlerin. Natürlich gebe es beschränkte Ressourcen, man könne nicht allen helfen, sagt Gurova.

Unser Fokus ist die Bildende Kunst. Für Musiker etwa, egal ob DJ oder Opernsängerin, können wir nicht so viel anbieten. Aber wir versuchen trotzdem, Kontakte herzustellen oder Dinge möglich zu machen.

Ein Problem für viele sind mangelnde Deutschkenntnisse, die ja für viele Berufe – auch außerhalb der Kunst – vorausgesetzt werden. Obwohl die Österreicher oftmals gut Englisch sprechen, gebe es eine gewisse Scheu, es auch zu benutzen. Ein anderes sind fehlende Anerkennungen von früheren Ausbildungen und Studien. Dass etwa Anastasiia Vasylchenko hier als Psychologin arbeiten kann, bringt gewisse Hürden mit sich. Schwerer noch wiegt die Frage, ob und wann man wieder in die Heimat zurückkehren kann. Auch dieser Spagat wird thematisiert in dieser sehenswerten Ausstellung.


Unser Titelfoto stammt von Valerie Maltseva

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