Technisches Gebrechen? Wirklich? Fragen zum Wahlkarten-Debakel

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By Sebastian Reinfeldt

Ein „technisches Gebrechen“ der Wahlkarten sei Schuld daran, dass die Stichwahl des Bundespräsidenten verschoben werden muss. Doch: Wie kann es eigentlich zu solch einem „Gebrechen“ kommen? Mittlerweile wissen wir, dass drei verschiedene Kleber auf den Wahlkarten zum Einsatz kamen, von denen einer fehlerhaft war.

Das Drucken von amtlichen Unterlagen ist eine hoheitliche Aufgabe, die in Österreich ausgelagert wurde, nachdem die Staatsdruckerei privatisiert worden war. Der Auftrag ging längerfristig an die Druckerei kbprintcom.at, die im oberösterreichischen Vöcklabruck beheimatet ist, die aber auch einen Wiener Standort betreibt. kbprintcom wirbt auf ihrer Homepage mit einer Reihe von Zertifizierungen, darunter auch die wichtige ISO 9001:2015. Die Anwendung dieser Norm sollte bestimmte Qualitätsstandards sicher stellen, das ist offenbar nicht passiert. Semiosis hat hier nachrecherchiert, Sebastian Reinfeldt hat die Ergebnisse zusammen getragen.


Ist die ISO 9001-Zertifizierung eh nur ein Schmäh?

Neben den politischen Grundsatzfragen – warum wurde gerade diese Druckerei mit einem langfristigen Auftrag für behördliche Drucksorten bedacht? – stellen sich eine Reihe technischer, chemischer und prozeduraler Fragen. So meinte etwa Innenminister Wolfgang Sobotka auf seiner Verschiebungs-Pressekonferenz gestern, dass die Firma den Kleister von „verschiedenen Firmen bezieht“. Wie kann ein Unternehmen, das nach ISO 9001:2015 zertifiziert ist, solch einen Fehler begehen?
Wann fand dort eigentlich das letzte vorgeschriebene Audit statt? Dass jedenfalls heute bereits eine Zertifizierung nach der erst seit Herbst 2015 gültigen Fassung ISO 9001:2015 besteht, ist doch auffällig – und kann wiederum bei dem hier vorliegenden Fehler eigentlich kaum wahr sein. Oder wirbt die Firma zu Unrecht bereits mit der neuen Norm? Oder wurde und wird dabei nur der Standort Wien auditiert? Wie ist dieser dann in das ebenfalls notwendige Qualitätsmanagement-System nach der ISO-Norm eingebunden?

ISO 9001:2015 – Der risikobasierte Ansatz

Auf „Quality Austria“ wirft der Vorfall ebenso kein professionelles Licht. Denn in der Novelle für ISO 9001:2015 sind die Kriterien eine gute Stufe schärfer als in der Vorgängerversion formuliert. Beispielsweise sind Risikoanalysen vorgeschrieben und müssen nachweisbar sein.

Risikobasierter Ansatz
Der risikobasierte Ansatz zieht sich durch die gesamte Norm. Risiken müssen identifiziert und bewertet werden und geeignete Maßnahmen zur Vorbeugung und Vermeidung müssen ergriffen werden. Risiken können auch Chancen sein, auch diese müssen Berücksichtigung finden. Maßnahmen zum Umgang mit Risiken und Chancen müssen definiert werden.

Wäre im Fall dieses – sicherlich sehr wichtigen – Auftrags eine solche Risikobetrachtung erfolgt, dann hätte dabei die Klebung und der Transport der Wahlkarten als eines der Produktionsrisiken auftauchen müssen. Doch hat es eine solche Risikoanalyse überhaupt gegeben? Falls ja, welches Ergebnis hatte sie und wie wurde den Gefahren begegnet? Von einem professionellen Unternehmen dürfe man erwarten, dass es seine Prozesse im Griff hat, Lieferanten (wie von Klebstoffen) nicht per Zufall auswählt, ferner entsprechende Tests, Freigaben und so weiter vornimmt,  die Produktion kontrolliert sowie am Ende Freigabetests durchführt.

Wurden hoheitliche Aufgaben an irgendwelche Bieter ausgelagert?

Dem schließen sich die nächsten Fragen an: Sie richten sich nun direkt an die Auftraggeberin, die Republik Österreich. Nach welchen Kriterien vergibt diese Aufträge, die hoheitlicher Art sind? Hätte diese Druckerei vielleicht auch Geldscheine oder Briefmarken drucken dürfen?

Sofern Aufgaben dieser Art an nicht-staatliche Stellen vergeben werden, stellen sich die oben genannten Fragen nach Qualität und Sicherheit verschärft. Nicht weniger aber auch, wenn staatliche Stellen diese Aufgaben selbst wahrnehmen. Denn bei Fehlern sind am Ende immer der Steuerzahlenden dran. Wie träumte schon Kurt Tucholsky: „Und noch ne Million, und noch ne Million.“

Ohne Kontrolle: Und noch ne Million, und noch ne Million!

Was fordern die Behörden hier von ihren Lieferanten? Welche Kontrollen führte das Land selbst bei seinem Lieferanten durch? Gab es hier jemals ein Audit oder dergleichen? Die Bundespräsidentschaftswahlen kamen ja nicht überraschend, und Wahlkarten für die Briefwahlen wurden nicht das erste Mal gedruckt. Mit welchem Ergebnis? Inwieweit kommt der Auftraggeber seinen Kontrollpflichten nach, die er selbstverständlich ebenfalls hat? In der Welt der ISO 9001 – wenn sie denn in Österreich wahr wäre – hätte es nämlich Audits seitens des Auftraggebers geben können und sollen.
Die Herstellung solcher Briefe hätte, wenn es halbwegs gründlich zuginge, genau geprüft werden müssen. Die Frage nach A- und B- Supplieren, nach Papier, Tinten und Klebern wäre dabei automatisch aufgetaucht, ebenso wie die Frage nach Testdrucken, Druckfreigaben und diversen qualitätssichernden Maßnahmen – bis hin zu Kontrollen beim fertigen Wahlkartendokument. Dabei haben die Kunden – hier die österreichischen Behörden – die Pflicht, die Produkte zumindest stichprobenartig zu prüfen. Diese resultiert bereits aus § 377 UGB.

(1) Ist der Kauf für beide Teile ein unternehmensbezogenes Geschäft, so hat der Käufer dem Verkäufer Mängel der Ware, die er bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang nach Ablieferung durch Untersuchung festgestellt hat oder feststellen hätte müssen, binnen angemessener Frist anzuzeigen.

(2) Unterlässt der Käufer die Anzeige, so kann er Ansprüche auf Gewährleistung (§§ 922 ff. ABGB), auf Schadenersatz wegen des Mangels selbst (§ 933a Abs. 2 ABGB) sowie aus einem Irrtum über die Mangelfreiheit der Sache (§§ 871 f. ABGB) nicht mehr geltend machen.

(3) Zeigt sich später ein solcher Mangel, so muss er ebenfalls in angemessener Frist angezeigt werden; andernfalls kann der Käufer auch in Ansehung dieses Mangels die in Abs. 2 bezeichneten Ansprüche nicht mehr geltend machen.

Hat es überhaupt irgendwelche Prüfungen gegeben? 

Bis diese Fragen öffentlich nicht beantwortet werden, besteht der Verdacht, dass alle an diesem Debakel Beteiligten ihren Teil an Verantwortung tragen. Die Druckerei, bei der sich auch die Frage stellt, ob eine Werbung mit einer ISO-Zertifizierung zu Unrecht erfolgt, zumindest aber, dass bei diesem Auftrag wesentliche qualitässichernde Maßnahmen nicht erfolgt sind. Bei der Auftraggeberin, der Republik Österreich, stellt sich die Frage, wann und wie hoheitliche Aufgaben nach Außen vergeben werden dürfen und welche Pflichten dem Staat dennoch verbleiben. Damit verbunden ist die Frage nach der politischen Verantwortung bis hin zu persönlicher Verantwortung Einzelner. Unsere Recherchen gehen weiter.

* Ich danke einer Expertin für ISO 9001:2015 und Qualitätsmanagment für die fachkundige Beratung.

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