„Antisemitismus ist das Bindeglied zwischen unterschiedlichsten Strömungen“ – Interview mit Frederike Schuh (KSV-Lili)

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#AGleaks: In einer WhatsApp Gruppe und auf Facebook haben Mitglieder und FunktionsträgerInnen der ÖVP-Studierendenorganisation AktionsGemeinschaft (AG) antisemitische Karikaturen verbreitet. Und sie für gut befunden. So weit, so schlecht. Natürlich ist Wahlkampf an der Uni, und die Veröffentlichung passiert nicht ganz zufällig in dieser Zeit. Aber: Aus soziologischen Studien wie etwa der Leipziger Mitte-Studie wissen wir beispielsweise, dass rund 20 Prozent der Gesellschaft wieder einen Führer haben wollen. Damit gehen antisemitische Einstellungen einher. Gute Bildung schützt davor nicht. Deshalb haben wir mit Frederike Schuh gesprochen. Sie kandidiert für den KSV-Lili bei den ÖH-Wahlen. Und damit für einen Studierendenverband, der sich gegen jeglichen Antisemitismus wendet.


Die Aufregung ist groß, weil aus einer internen WhatsApp-Gruppe der AG am Juridicum antisemitische Karikaturen auftauchen. Der Falter hat das anonymisiert veröffentlicht. Andere Quellen zeigen auch die Namen der TäterInnen. Bist du überrascht?

Ich bin schockiert und wütend, aber leider nicht überrascht. Vielmehr fügt sich das, was in der AG Jus passiert ist, allzu gut sowohl in die historische Tradition des Juridicums – das Juridicum war bereits in der ersten Republik eine Hochburg der Rechten, und lange die letzte große Bastion des RFS in der zweiten Republik – als auch in das bildungspolitische Auftreten der AG ein.
Erklärtes Ziel der AG – ebenso wie der Junos – ist die Abschaffung des allgemeinpolitischen Mandats der ÖH. Die allgemeinpolitische und antifaschistische Arbeit der ÖH Uni Wien wird wahlweise als überflüssig abgetan, oder direkt als „Scheißdreck“ tituliert. Einerseits drückt sich darin die Unfähigkeit aus, Studentinnen als gesellschaftliche Wesen zu verstehen, andererseits werden dabei gesellschaftliche Zusammenhänge negiert. Die gesellschaftlichen Verhältnisse sind in der Vorstellung von AG und Junos nicht gestaltbar, sondern naturgesetzliche Notwendigkeiten, die es nur möglichst gut zu verwalten gilt.

„Antisemitismus folgt aus dem Bedürfnis, das Politische still zu stellen“

Eine solche Vorstellung von Gesellschaft ist notwendig reaktionär und totalitär, weil sie darauf abzielt ihre Affirmation der Verhältnisse wahr zu machen. Der positive Bezug auf die nationalsozialistische Volksgemeinschaft; Antisemitismus, Hass auf Frauen und Verachtung gegenüber Menschen mit Behinderung, sind gleichzeitig Ursprung und Symptom des Bedürfnisses, „das Politische“ still zu stellen.

Welche offenen Erscheinungsformen für Antisemitismus gibt es?

Antisemitismus beginnt nicht erst bei der Leugnung des Holocausts, oder der Verhöhnung der Opfer der Shoah an, sondern drückt sich in verschiedensten Formen aus; etwa im als „Israelkritik“ getarnten Hass auf alles, was als jüdisch identifiziert wird, in der Gleichsetzung jüdischer Individuen mit „dem Judentum“ oder auch Israel. Immer wieder werden Juden angegriffen, jüdische Schulen bedroht oder Synagogen, jüdische Friedhöfe und Gedenkstätten geschändet bzw. angegriffen.

„Im Hass auf die Juden sind sich viele einig“

Antisemitismus ist dabei das Bindeglied zwischen unterschiedlichsten Strömungen, die sonst kaum etwas miteinander verbindet – aber im Hass auf „den Juden“ sind sie sich einig. Er ist ihnen Projektionsfläche, dessen bloße Existenz ihre jeweiligen Vorstellungen der Volksgemeinschaft bedroht, und deswegen in letzter Konsequenz immer vernichtet werden muss.

Wie wird Antisemitismus an der Uni, etwa in Lehrveranstaltungen, behandelt?

Meiner Erfahrung nach findet eine Auseinandersetzung mit der Thematik Antisemitismus kaum statt, abgesehen von prädestinierten Studienrichtungen wie der Zeitgeschichte oder der Judaistik, die aber eben nur einen minimalen Bereich ausmachen. Selbst da wo es sich aufdrängt, z.B. die Verfolgung jüdischer Wissenschaftlerinnen im Nationalsozialismus anzusprechen, wird stattdessen so getan, als wären diese rein zufällig ausgerechnet in den 30er Jahren emigriert.
Wo eine Auseinandersetzung stattfindet ist das meist das Verdienst einzelner Dozentinnen, die sich persönlich dafür einsetzen. Insbesondere im postnazistischen Österreich wäre es dringend geboten, diese Bemühungen strukturell zu verankern.

Der KSV-LiLi ist eine von zwei kommunistischen Hochschulgruppierungen. Engagiert ihr euch auch gegen linken Antisemitismus?

Einer der Gründe dafür, dass es überhaupt zwei kommunistische Gruppen gibt, ist, dass im KSV-LiLi Antisemitismus nicht nur keinen Platz hat, sondern wir auch gegen jede Form des Antisemitismus auftreten. Auch bei sogenannten Linken zeigt sich diesbezüglich das autoritäre Bedürfnis die Pluralität des Politischen still stellen zu wollen. Daraus ergibt sich eine Kapitalismuskritik, die genauso wie die rechte völkische Ideologie nicht zwischen Individuum und Struktur unterscheiden kann und deshalb nicht Kapitalverhältnisse überwinden, sondern Individuen aufknüpfen (respektive essen) will.

„Die Unterscheidung von raffendem versus schaffendem Kapital ist antisemitisch“

Diese ist insofern selbst antisemitisch und völkisch durchsetzt, als dass sie zwischen einem als jüdisch identifiziertem „raffendem“ Kapital und einem dem Volkskörper zuträglichen „schaffenden“ Kapital unterscheidet, und letzteres gegen ersteres meint verteidigen zu müssen.
Hier wiederholt sich die Vorstellung, dass die bloße Existenz alles vermeintlich Jüdischen die imaginierte Volksgemeinschaft schädigt, und deswegen vernichtet werden müsse.
Daher nehmen wir linken Antisemitismus als genauso gefährlich wahr, wie rechten Antisemitismus.
Deswegen engagieren wir uns zum Beispiel im Bündnis „NoBDS“, und unterstützen „BoycottAntisemitism“.

Was sollte die ÖH in Zukunft gegen Antisemitismus tun?

Spitzenkandidatin KSV-Lili
Frederike Schuh

Neben unserer Arbeit in Bündnissen sind wir Teil der Exekutive der ÖH der Universität Wien und veranstalten (Podiums-) Diskussionen und Vorträge, um auf sämtliche Dimensionen des Problems Antisemitismus aufmerksam zu machen und ihm Widerstand leisten zu können.
Wir werden diese Arbeit weiterführen und gerade angesichts der jüngeren Entwicklungen verstärken.
Diese Auseinandersetzung muss auch innerhalb der ÖH geführt werden!
Gegen jeden Antisemitismus! Immer und überall!


Frederike Schuh ist Spitzenkandidatin des KSV-Lili. Sie studiert Philosophie in Wien. * Übrigens: Die Homepage des KSV-Lili ist nach einer DDoS-Attacke derzeit down.

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