Gartenzwerge im Kulturvorgarten

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By Gastautor

Die Anton Bruckener Privatuniversität ist ein „offenes, innovatives Haus der Künste“. So stellt sie sich jedenfalls auf ihrer Homepage vor. Die Studierenden werden in den Bereichen Musik, Schauspiel und Tanz ausgebildet: als KünstlerInnen und KunstvermittlerInnen. Dabei ist das Spannungsverhältnis einer künstlerischen privaten Universität zwischen der Kunst, der Politik und der Wirtschaft von vorneherein entschieden: Die Hypo lädt gerne zum Dinner ins Haus ein. Dann müssen die Studierenden ihren Hort der Kunst allerdings über den Hinterausgang verlassen. Die Kantine schließt dann bereits um 15 Uhr. Ebenso wurde der Landeshauptmann a.D. Pühringer gebührend verabschiedet. Musikalisch ansprechend umrahmt. Dabei war wiederum die künstlerische Anwesenheit der Studierenden quasi Pflicht. Und auch die Junge ÖVP nutzt die Räume gerne für ihre parteipolitischen Veranstaltungen mit Frontmann Sebastian Kurz. Unser Gastautor und „Ziehharmonikerspieler“ Paul Schuberth setzt sich mit seiner Ausbildungsstätte in Zeiten des Neoliberalismus kritisch auseinander.


Oberösterreich: Wenn die Realität die Satire übertrifft

Dem interessierten Beobachter musste, was sich am 6. Mai in der neuen Linzer Bruckneruni zutrug, wohl wie ein Ausschnitt aus einer typischen österreichischen Satire-Serie vorgekommen sein. Bisher hatte ich gedacht, dass die salonfähige österreichische Satire schon seit längerer Zeit die Aufgabe hätte, eine Welt zu kritisieren, die es nicht gibt und das Publikum mit extravagant-schrulligen Charakteren sowie maßlosen Übertreibungen zu versorgen, um so – anstatt des Begreifens – das Vergessen des realen, aber viel öderen Wahnsinns zu erzwingen. In Oberösterreich aber existiert so eine Welt wirklich!

Dankeskonzert für Landeshauptmann a. D. Josef Pühringer

Denn an jenem 6. Mai waren all diese übertrieben gezeichneten Charaktere in natura anwesend: schief grinsende Sänger, Altprofessoren, Vizerektorinnen, Funktionäre, übereifriges Sicherheitspersonal, von der eigenen Dankbarkeit sichtlich gerührte Verantwortliche und vor allem ehrgeizige Studenten; alle darum bemüht, sich in den spendierfreudigen Arsch des Landesfürsten zu singen, zu spielen, zu bedanken, zu entschuldigen, zu tanzen und zu schauspielern. Mögen meine bisherigen Beschreibungen des von der Bruckneruni veranstalteten „Dankeskonzerts für Landeshauptmann a.D. Josef Pühringer“ übertrieben gewesen sein – dass sich einer der Dirigenten des Abends bei seinem Dankesbekenntnis vor Pühringer verneigte, ist nichts als die volle Wahrheit.
Bis auf die potentiell gefährliche Jazzabteilung durfte jedes Institut Pühringer, nunmehr Altlandeshauptmann, seine Ehre erweisen. Teilweise hatte Dr. Pühringer das Programm sogar selbst gestaltet. Als Dank dafür, dass die Studenten seine Wünsche willig und vor allem unbezahlt ausführten, bekamen er und seine Gattin von der Rektorin auch noch persönliche Geschenke überreicht.

Neutralisierung der Kunst

Aber, höre ich schon KritikerInnen einwerfen, vor allem oberösterreichische Künstler und Künstlerinnen, was soll daran schlimm sein? Gerade wir Künstler sollten uns über die tolle Kulturpolitik Pühringers freuen! Er hat uns die neue Uni gebaut, also lasst uns dankbar sein. Zur Beantwortung der Frage, was es mit der besagten Kulturpolitik auf sich hat, dürfte jenes Zitat des Landeshauptmanns beitragen, das am 6. Mai am Programmzettel abgedruckt war: „Kultur kostet Geld, Unkultur kostet noch mehr.“ Dieser Satz erheischt genauere Betrachtung, denn mit ihm ist schon alles gesagt. Zwei Lesarten dieses Bonmots drängen sich auf. Bei der ersten Variante, der rücksichtsvolleren, ist „Unkultur“ mit „Fehlen von Kulturförderung“ zu übersetzen. Soll heißen: Fördert ruhig die Dichterlinge und Musikanten, die Intendanten und Dramaturgen, denn sie werden, anstatt es uns heimzuzahlen, brav zurückzahlen und den Wirtschaftsstandort Oberösterreich in einen Kulturwirtschaftsstandort ausbauen. Die Profiteure der Tourismusbranche und der Gastronomie, sowie Managergattinnen, die sich gerne mal eine Mozart-Oper ansehen, freut‘s. Und mit Anton Bruckner und Phillip Glass, mit Musiktheater und Lentos-Museum hat man dem Südburgenland und dem Böhmerwald einen Standortvorteil voraus, den es zu nützen gilt. Zum Rädchen im gut geschmierten Kulturwerk degradiert zu werden, macht den Künstlern nichts aus, da es kaum Erhebenderes gibt, als nicht nur im Namen der Freiheit, der Kunst und des guten Geschmacks, sondern auch im Namen der positiven Bilanz des Heimatbundeslandes zu kulturbetrieblern. Die Funktion dieser Variante von Kulturpolitik ist die Neutralisierung der Kunst. Denn wenn selbst wahrhaft kritische Kunst und zum Beispiel Avantgarde-Musik auch nur die Aufgabe haben, für ein scheinbar progressives kulturelles Klima zu sorgen, ja, einen kulturellen Schleier hochzuziehen, hinter dem wieder unbeobachtet und ungestört Zelte von Roma-Familien abgefackelt, Obdachlose und Bettler schikaniert und Straßenmusiker drangsaliert werden können, dann hört Avantgardekunst auf, eine zu sein. Neben den Vorteilen, die ein zum Kulturwirtschaftsstandort gewachsener Standort bietet, bleibt der Kollateralnutzen, dass die kritischen Künstler, die dank der Kulturförderung ihr (prekäres) Auslangen finden können, so ihre aufklärerischen Ideen nicht ins Herz der Gesellschaft tragen müssen.

Festung Kultur

Die zweite Lesart geht bloß einen Schritt weiter, und weiß doch schon, dass „Unkultur“ ganz nach Art des Stammtischressentiments auch mit „Kultur, die nicht unsere Kultur ist“ zu übersetzen ist. Was nicht gefördert wird, ist nicht nur nicht förderungswürdig, sondern potentiell bedrohlich: Wenn Unkultur „noch mehr kostet“, wird ihr ein zersetzender Charakter zugeschrieben, der die echte Kultur angreife. Auf der einen Seite haben wir Musiktheater und Brucknerhaus, die zwar viel kosten; auf der anderen Seite steht aber das nicht förderungswürdige Neue-Musik-Festival, die Off-Theater-Produktion, die unabhängige Galerie, die mit Sanktionen belastete Straßenmusik, die uns allesamt gefährlich werden können, selbst, wenn wir sie nicht fördern.
Wenn Pühringer sagt, Kultur überwinde alle Grenzen, dann meint er nur jene zwischen verschiedenen nationalen Kulturbetrieben. So können Austauschprojekte, Gastvorstellungen und Sammlungsleihgaben organisiert werden. Im Lichte der oben angestellten Überlegungen erscheinen nun Kulturförderungen als Mittel zum Zweck, ein Bollwerk der offiziellen Kultur gegen die vermeintliche Unkultur zu errichten. Und schafft es doch einmal ein Stück dieser Unkultur in den Palast der offiziellen Kultur, so ist es um sie geschehen, und ihr Potential, das Bestehende noch irgendwie zu kritisieren oder zumindest zu belasten, getilgt.

Gehorsame Dankbarkeit

Ich möchte zwei möglichen Missverständnissen vorbeugen: Zum einen ist es wichtig, auf den fundamentalen Unterschied zwischen einer Kritik am Kulturbetrieb, die die Kunst vor der Kultur retten will, und dem kunstfeindlichen Ressentiment der Rechten, das die Kunst durch die Volkskultur ersetzen will, hinzuweisen; zum anderen soll betont werden, dass es mit einer bloß moralischen Kritik, wonach jene Künstler, die Förderungen in Anspruch nehmen, sich schon schuldig machten, nicht getan ist.
Ich für meinen Teil würde mich nicht schämen, ein 15.000-Euro-Stipendium des Landes Oberösterreich anzunehmen. Zumindest für ein Jahr nicht auf belastende Lohnarbeit angewiesen, würde ich endlich Zeit haben, über die Dialektik von staatlicher Kunstförderung nachzudenken, die Landesregierung zu kritisieren, mehr zu üben und mehr zu schreiben, und vielleicht auch einen Ausflug in die Wachau zu machen.
Das Paradoxe an öffentlicher Förderung besteht auch darin, dass diese eigentlich den Luxus bieten könnte, zu den Förderern auf Distanz zu gehen. In Oberösterreich bestünden für die meisten Kunstschaffenden, abgesehen von Pühringers Kulturpolitik, auch genug Gründe für eine solche Distanz: Die Hofierung der Rechtsextremen in Oberösterreich durch die Landesregierung ist bekannt, und die rassistische Politik, wie etwa die Kürzung der Mindestsicherung für Asylsuchende, ohnehin. Solch eine Distanzierung bleibt, zumindest auf institutioneller Ebene, meist aus. Um dem Verdacht, noch eigene Interessen zu haben, zu entgehen, wagt es auch kein Kunstschaffender mehr, öffentlich auf diesen zu bestehen – oder gar zu verlangen, dass Kunstförderung keine private, gutmütige Spielerei eines mächtigen Mannes, sondern eine öffentliche Angelegenheit und in einer anscheinend fortschrittlichen Demokratie eine Selbstverständlichkeit sein sollte.

„Ja, lasst mir meinen Vogel!“

Der besagte Abend in der Bruckneruni bot ein anschauliches Beispiel dafür. In Pühringers Rede fiel der Satz: „Natürlich werde ich auch von Parteikollegen heftig für meinen Einsatz für die Kultur kritisiert. Aber ich sage immer: Ja, lasst mir meinen Vogel!“ Die darauffolgenden Standing Ovations sind auch schon der Freibrief für Pühringers Nachfolger Thomas Stelzer, künftig was auch immer mit der Kunst & Kultur aufzuführen. Irgendein Grund für gehorsame Dankbarkeit wird sich schon finden lassen! Wir waren zwar gerne die niedlichen Zwerge in Pühringers privatem Kulturvorgarten; in Stelzers Gartenschuppen verfrachtet zu werden, macht uns aber nichts aus, solange er nur das Musiktheater stehen lässt. Und Haimbuchner wird sich ab 2021 als Dank dafür, kritische Künstler nicht lange einzusperren, Privatkonzerte gefallen lassen müssen.

Bruckneruni: Obdach für Banken und …

Die Bruckneruni indes muss, um nicht in Ungnade zu fallen, nicht nur der Politik, sondern auch der Wirtschaft wohlgesonnen bleiben. Um „künstlerische Projekte finanzieren zu können“, werden seit dem Bestehen des neuen Gebäudes dessen Räumlichkeiten, wie etwa der große und der kleine Saal, regelmäßig an Unternehmen und Banken vermietet. Die besondere Ironie, dass gerade dadurch Möglichkeiten für Studenten, in diesen Sälen zu proben oder zu konzertieren, unterbunden werden, geht kaum jemand auf. Dass Banken die Bruckneruni für einen geeigneten Ort für Veranstaltungen halten, mag zum einen an deren besonderem Flair liegen, der dem einer veterinärmedizinischen Klinik gleicht. Zum anderen aber auch an der Akustik der Konzertsäle, die wenn schon nicht für klassische Musik, so doch für Sprechveranstaltungen, Symposien und Preisverleihungen perfekt zu sein scheint. Einen besonderen Höhepunkt stellte eine Großveranstaltung der Hypo Vorarlberg im November 2015 dar. Davor noch hatte die Vizerektorin alle Studierenden und Bediensteten gewarnt:

Aufgrund der Veranstaltung müssten „ab 15 Uhr die Sitzmöglichkeiten bei [der Kantine] weggeräumt werden, […]
Wir würden auch bitten, den Ausgang über das Stiegenhaus 2 zu benutzen, wenn das Haus nach 20:30 Uhr verlassen wird, da ab diesem Zeitpunkt das Essen der Hypo im kleinen Saal und im Foyer beginnt.“

Gleichzeitig wurde diese Veranstaltung als besondere Werbung für die Bruckneruni gepriesen.
Diese und ähnliche Veranstaltungen kommen natürlich selten ohne künstlerische Beiträge seitens der Bruckneruni aus. Die Studierenden können sich allerdings das Geld, das sie bei solchen Auftritten nicht verdienen, da sie oft nur mit der Ehre in den Hosentaschen nach Hause geschickt werden, gerne als Hilfskellner am gleichen Abend wieder erarbeiten. Die Botschaft ist klar: Geht den Bankern und Unternehmern in eurer eigenen Universität ja aus dem Weg, es sei denn, ihr habt billige kulinarische oder musikalische Leckerbissen anzubieten.

… Parteien?

Nun ist es wenig verwunderlich, dass auch die ÖVP „ihre“ Uni für spezielle Zwecke zu verwenden weiß. Der Landesparteitag der Jungen ÖVP Oberösterreich fand 2016 unter Anwesenheit von Sebastian Kurz im großen Saal der Bruckneruni statt. Schon am Nachmittag davor hatten Plakate mit der Aufschrift „Schwarz – was sonst?“ sowie etliche Cartoon-Porträts von Pühringer mit Sonnenbrille das Foyer geziert.
Die neue Bruckneruni ist ein manifestes Symbol für alles Falsche innerhalb österreichischer Kulturpolitik: Eine Architektur, die zwar das Interesse von Unternehmen und Blicke von zahlenden Pensionstengruppen, die durchs Gebäude geführt werden, erregt, aber kaum elementarste Funktionen wie eine angemessene Akustik erfüllt, bezeugt das Primat des Prestiges vor der Kunst und der Ausbildung. Die Großveranstaltungen der Unternehmen und Banken stehen für die tödliche Konvergenz von wirtschaftlichen und scheinbar künstlerischen Interessen. Zu guter Letzt lässt die Abhaltung von Landesparteitagen der ÖVP im Gebäude der Hochschule die Bezeichnung „Privatuniversität“ in einem neuen Licht erscheinen.
Auf meine Anfrage, den Bundeskongress meines anarchistischen Bündnisses „Terroristische Ziehharmonikerspieler für den Umsturz“ im Hörsaal 4 abhalten zu können, warte ich bis heute vergeblich auf eine Antwort.

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