Flora Petrik: „Die Angst etwas Neues anzugehen, ist hierzulande sehr groß“

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By Sebastian Reinfeldt

Die Partei setzt sich für eine bessere Gesundheitsversorgung und höhere Ausgaben für Bildung und Infrastruktur im Gegenzug für eine Anhebung der Steuern für Reiche und die Einführung einer Immobilienabgabe ein.“ In Island bekommt eine Partei für so ein Programm 16,9 Prozent. So geschehen bei den jüngsten Parlamentswahlen. Die politische Formation heißt übrigens Links-Grüne Bewegung. In Österreich landete – programmatisch vergleichbar – KPÖplus bei 0,8 Prozent. Und die Grünen sind sogar mit 3,8 Prozent aus dem Parlament geflogen. Wir haben mit Flora Petrik über die zahlreichen linken politischen Krisen gesprochen. Petrik hatte als Bundessprecherin der Jungen Grünen die Krise der Grünen zuerst offen gelegt.


Wie schaut eigentlich dein Leben nach dem Wahlkampf aus?

Ich hab endlich wieder ausgeschlafen! Und zwar gleich mal bis 3 am Nachmittag. Neben dem ganz normalen Uni-Stress stehen aber jetzt ganz viele Nach-Wahl-Besprechungen an, gemeinsame Analysen des Ergebnisses und der KPÖ PLUS-Kampagne, die Arbeit an einer gemeinsamen Einschätzung des Wahlkampfs und das Einholen von Feedback. Unsere politischen Perspektiven haben wir schon vor dem Wahlkampf diskutiert, jetzt gibt es aber mehr Zeit und Ruhe zur Reflexion darüber, auch in Anbetracht des Ergebnisses.

Fühlst du eigentlich (mit-)schuldig am Parlaments-Aus der Grünen?

Das Ausscheiden ist natürlich traurig und schwächt die Linke in Österreich. Aber mitschuld sind wir daran nicht – im Gegenteil. Jahrelang haben wir die Partei von innen aufgefordert, die Wahlapparats-Logik zurückzudrängen und sich stattdessen darauf zu konzentrieren, möglichst viele Menschen zu

Wohlfühl-Emotionen statt Politik

organisieren. Jetzt kann sie diesen Kurswechsel nicht mehr aus freien Stücken vollziehen, sondern muss es aus Geldnot tun. Wenn sich die Grünen nicht darüber klar werden, wie sie diese Gesellschaft politisch umgestalten wollen und dabei viele Menschen involvieren können, ist das das Ende ihres Projekts. Kurzfristig sind meiner Ansicht nach viele Faktoren zusammengekommen – die Ruhigstellung der Partei im Van-der-Bellen-Wahlkampf, Glawischnigs ungeplanter Rücktritt, das Antreten von Pilz.
Die tiefere Ursache ist aber die Problematik der Grünen, ausschließlich mit Wohlfühl-Emotionen um die Stimmen der Menschen gekämpft zu haben. Weil die Grünen nicht mehr als Ausdruck der moralischen Überlegenheit gelten konnten, die sie selbst jahrelang propagierten, sondern selbst eine Pannenserie fabrizierten, haben sich viele WählerInnen wieder abgewendet. Der ersehnten Regierungsbeteiligung hat man den mühsamen Kampf um Überzeugung und Beteiligung am politischen Prozess geopfert, der ganz andere Parteistrukturen und Kampagnenorganisation vorausgesetzt hätte. Unsere Kritik daran und unser Pochen auf einen anderen Kurs war letztlich der Grund für unseren Rauswurf. Insofern bestätigt das schlechte Ergebnis der Grünen unsere Kritik sogar ein Stück weit. Es ist jedenfalls bitter, dass es so weit kommen musste. Ich wünsche den Grünen alles Gute dabei, diese Herausforderungen zu meistern.

Wie hast du den KPÖ PLUS Wahlkampf erlebt?

Den Wahlkampf selbst habe ich sehr positiv erlebt: Gemeinsam mit AktivistInnen der KPÖ und mit Unabhängigen aus allen Bereichen der Gesellschaft haben wir Junge Grüne einen breiten Wahlantritt auf die Beine gestellt. Mehrere hundert Aktivist*innen aus allen Ecken Österreichs waren wochenlang von Dornbirn bis Eisenstadt unterwegs und wir haben in Gesprächen auf der Straße sehr viel Zuspruch für unsere sozialen Inhalte und unser Programm bekommen. Das hat gezeigt, dass das Potential für eine soziale Alternative in Österreich groß ist. Auch haben viele Leute rückgemeldet, dass das der professionellste bundesweite linke Wahlkampf seit langem war, das Lob freut uns natürlich.

Ein handwerklich guter Wahlkampf alleine reicht nicht

Negativ ist natürlich das Wahlergebnis – daraus müssen wir auch lernen. Es reicht eben nicht, einen handwerklich guten Wahlkampf zu machen. Es ist etwas anderes, Zuspruch zu Positionen wie leistbarem Wohnen für alle zu bekommen, die eigentlich Selbstverständlichkeiten sein müssten, als das Vertrauen zu bekommen, diese Interessen vieler Menschen auch zu vertreten. Und es muss auch um mehr als Interessensvertretung gehen: Wir müssen das Vertrauen gewinnen, dass wir gemeinsam eine bessere Gesellschaft aufbauen können.

Was sind die Gründe für die Wahlniederlage aus deiner Sicht?

Die Ausgangsbedingungen für KPÖ PLUS bei dieser Wahl waren nicht leicht: Die SPÖ hat sich als kleineres Übel inszeniert – wie bei jeder Wahl in den letzten Jahren, und das erfolgreich. Zum Schluss spitzte sie ihren Wahlkampf darauf zu, sich als Alternative zu Schwarz-Blau zu inszenieren, obwohl sich ihre Politik der letzten Jahre kaum von der, die uns nun bevorsteht, unterscheidet. Auch wurde viel um Protestwähler*innen gebuhlt: Die Liste Pilz und Gilt! haben versucht all jene zu erreichen, die vom politischen System frustriert sind, ohne ihnen jedoch eine grundsätzliche Alternative anzubieten.

Die Logik des kleineren Übels

Uns ist es leider nicht gelungen, die Logik des kleineren Übels zu durchbrechen und ein starkes, kohärentes Wahlmotiv für KPÖ PLUS zu liefern. Gleichzeitig waren die Planungen des Wahlkampfes relativ kurzfristig. Und anders als Parteien mit Millionenbudgets, die teilweise das 20fache je eine Stimme ausgegeben haben, können wir knappe Zeit nicht mit Geld ausgleichen. Sicher tut es deshalb auch finanziell weh, die 1%-Hürde verpasst zu haben, die 120.000 Euro Wahlkampfbudget werden nicht rückerstattet. Aber mit diesen Feststellungen können wir uns aber nicht selbstzufrieden zurücklehnen. Denn die Ausgangslage wird für eine linke Kraft in den nächsten Jahren sicher nicht einfacher werden.

Passte der Spitzenkandidat von KPÖ Plus zur Kampagne?

Ja! In meinen Augen verkörpert Mirko die Beharrlichkeit und Parteilichkeit für die Interessen vieler Menschen. Die Zusammenarbeit war zugleich professionell und freundschaftlich. Wenn es um die Frage geht, wie wir unsere Positionen gut transportieren können und andere dazu motivieren, sich bei uns einzubringen und mitzuarbeiten, haben wir alle noch viel zu lernen. Das hat weniger mit dem Spitzenkandidaten als vielmehr damit zu tun, eine zeitgemäße Konfliktbestimmung zu finden. Unsere Politik muss sich dadurch auszeichnen, Menschen zu ermächtigen und ihnen die Ohnmacht gegenüber ihrer Probleme zu nehmen.

Es geht darum, ein gemeinsames politisches Subjekt herauszubilden

Das fängt schon damit an, wie man diese Probleme darstellt und erklärt. Die Linke hat sich lang zu sehr darauf konzentriert, den Menschen Identitätsangebote zu machen. Es geht aber darum, wieder ein gemeinsames politisches Subjekt herauszubilden. Da haben wir in den nächsten Monaten und Jahren viel zu tun.

Wie wird es jetzt politisch mit der KPÖ und mit PLUS weiter gehen?

Mit PLUS, Plattform unabhängig und solidarisch, starten wir nun einen umfassenden Organisationsaufbau in ganz Österreich. Wir wollen mit den Menschen vor Ort für ihre Interessen arbeiten und so ein dichtes Netz von Zusammenarbeit, Selbstermächtigung und gemeinsamen Lernen schaffen. Gemeinsam mit der KPÖ und mit vielen unabhängigen AktivistInnen müssen wir langfristige Strategien in den Blick nehmen, aber auch ganz unmittelbar überlegen, wie wir kommende Wahlen nutzen wollen, um linken, sozialen Positionen Gehör zu verschaffen und unsere lokale Verankerung voran zu treiben.

Wir müssen Organisation und Wahlkampf anders machen

Wir haben noch viel zu tun, wenn wir die Verhältnisse zum Tanzen bringen wollen. Und dafür braucht es uns alle. Wir verfügen nicht über die finanziellen Mittel, Politik als Wahlapparat zu machen und das ist auch nicht unser Anspruch an Politik. Das heißt aber auch, dass wir Kampagnen und Organisation anders machen müssen. Da können wir einiges schon ganz gut, vieles muss aber noch besser werden. Denn um in den kommenden Kämpfen nicht nur gesellschaftlichen Widerstand aufzubauen, sondern auch den Aufbau einer linken Kraft voranzutreiben, müssen wir viele sein.
Dieser Wahlkampf war ein erster Schritt, viel an Handwerk fehlt uns noch und müssen wir uns noch aneignen. Mit einem etwas besseren Wahlergebnis wäre auch noch wenig gewonnen. Mit den Erfahrungen des Wahlkampfs aber schon sehr viel. Und diese Erfahrungen werden wir gerade in Anbetracht des hassvollen Klimas brauchen, das von Kurz, Strache und Co. aufgezogen wird.

Ist nicht eine Konsequenz aus der Wahlniederlage der Linken, dass etwas Neues her muss?

Wir müssen vor allem viel mehr Menschen erreichen und organisieren. Und dafür müssen wir ganz neue Angebote und ein neues Verständnis von Politik schaffen und die Hoffnung stark machen, dass eine ganz andere Gesellschaft möglich ist.

Die Linke hat sich zu lange bedingungslos auf die Sozialpartnerschaft verlassen

Wenn eine Gesellschaft in den letzten Jahren so weit nach rechts rückt, wie es in Österreich der Fall ist, liegt es auf der Hand, nicht weiter auf “the same old” zu setzen. Aber die Angst etwas Neues anzugehen ist hierzulande sehr groß. Zu lang haben wir uns an den Schein gewöhnt, dass die SPÖ die linke Landeshälfte repräsentiert. Von links wurden keine Mittel gefunden, der aufgekündigten Sozialpartnerschaft zu begegnen. Diese Konstellation hat in Österreich den neoliberalen Kahlschlag milder ausfallen lassen als in anderen Ländern. Aber sie hat auch dazu geführt, dass die Linke sich bedingungslos auf diese Partnerschaft verlassen hat. Deshalb wird ein neuer Weg sicher steinig, aber ich bin überzeugt, dass wir zusammen erfolgreich sein können.

In EU-Ländern wie in den Niederlanden oder in Dänemark sind Formationen namens Grün-links erfolgreich. Könnte sowas in Österreich das beste aus den beiden Welten zusammenbringen?

Ich glaube, es muss nicht immer gleich darum gehen, im demokratischen Wettbewerb die verschiedenen Ansätze organisatorisch zusammenzuführen. Dem momentanen Stand der Linken entsprechend scheint mir eine arbeitsteilige Vorgehensweise sinnvoller. Sollten wir von Seiten der Sozialdemokratie oder den Grünen politisierende Impulse bemerken, kann das für eine Eröffnung linker Alternativen zum herrschenden System nur von Vorteil sein. Aber ich sehe auch, dass wir vieles anders machen müssen, als es die Apparatslogik von SPÖ und Grünen vorsehen. Und solche Differenzen lassen sich oft leichter aus einem neuen Wurf beantworten als im langsamen Übereinkommen schrittweiser Veränderungen. Die ökologische Katastrophe ist neben der sozialen Krise eine brennende Frage. Aber wir müssen nicht die Grünen heißen, um Systemwechsel und Nachhaltigkeit zusammenzudenken.

1 Gedanke zu „Flora Petrik: „Die Angst etwas Neues anzugehen, ist hierzulande sehr groß““

  1. > Die Linke hat sich lang zu sehr darauf konzentriert, den Menschen
    > Identitätsangebote zu machen. Es geht aber darum, wieder ein gemeinsames
    > politisches Subjekt herauszubilden.

    Den Rest des Interviews fand ich, wie vieles auf dieser Seite, durchaus lesenswert, aber das klingt mir doch zu sehr nach Phrase und ich hätte es interessant gefunden, wenn das noch hier noch ausgeführt worden wäre. Wo ist denn der Widerspruch zwischen Identitätsangeboten und politischem Subjekt?

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