Tirol: Eine gehudelte Ausschreibung und eine gehudelte Firma

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By Sebastian Reinfeldt

Wenn jemand eine Reise tut, dann kann er was erzählen. So heißt es in einem bekannten Liedtext. Wenn Sie öffentlich ausschreiben, dann können Sie was erleben!, so könnte es für das Land Tirol heißen. Nach dem Test-Desaster mit HG Labtruck schreibt das Land Tirol nämlich seine PCR-Testerei nunmehr öffentlich aus. Indes ändern die Verantwortlichen dabei fortlaufend die Bedingungen. So haben sie das Auftragsvolumen mittlerweile mehr als verdoppelt. Ursprünglich waren für den Auftrag 16 Millionen Euro im Topf. Mittlerweile soll in Tirol für maximal 38,88 Millionenen Euro PCR-getestet werden. Die zigfachen Änderungen lassen eine gehudelte Ausschreibung erkennen. Der Favorit auf den Gewinn dieser Ausschreibung schaut wie eine dahingehudelte Firma aus, die es gerade mal seit 8. April dieses Jahres gibt. Eine Recherche im Tiroler Test-Sumpf von Sebastian Reinfeldt


Viel Frust bei den Tiroler Laboren – und kein Neuanfang

Wer sich bei Tiroler Covid-Testlaboren umhört, hört bei dreien von ihnen viel Frust über die Landesregierung. Wie das Land Tirol mit den etablierten und durchwegs seriösen medizinischen Speziallaboren umgeht, (nämlich praktisch gar nicht), stößt dort auf Unverständnis. Dass man sich seit Beginn der Pandemie nur einmal im Tiroler Landhaus mit den Verantwortlichen zusammen saß, ist schwer nachvollziehbar. Schließlich wären die Covid-Testkapazitäten im Land vorhanden. Warum ausgerechnet mit so einer windigen Firma wie mit HG Labtrucks ohne Ausschreibung zwei Verträge für Covid-Tests abgeschlossen wurden, kann auch die Liste Fritz Abgeordnete Andrea Haselwanter-Schneider in einer Pressekonferenz nicht erklären. Jedenfalls musste nach Unregelmäßigkeiten nun die Innsbrucker Virologie einspringen und die wissenschaftliche Aufsicht über die Testauswertungen übernehmen.

Haselwanter jedenfalls fordert einen Neuanfang. Und seriöse Partner. Aber nach beidem sieht es derzeit nicht wirklich aus.

Eine Ausschreibung nach Billigstbieterprinzip

Auf dem EU-weiten Portal TED findet sich unter der Nummer 2021/S 105-276846 die Ausschreibung Land Tirol – Rahmenvereinbarung „Laborleistungen für COVID-19-Testungen“ . Dort heißt es:

Das Land Tirol beabsichtigt den Abschluss einer Rahmenvereinbarung mit mehreren Unternehmen für folgende ausschreibungsgegenständlichen Leistungen:

  • die Analyse von behördlich angeordneten „COVID-19-PCR-Tests“ mittels PCR-Verfahren,
  • die Analyse von positiven COVID-19-PCR-Proben auf Mutationen mittels Spezial-PCR,
  • Probenlogistik,
  • Datenaufbereitung und -übermittlung,
  • Statistische Auswertungen,
  • stationäres Labor / mobile Laboreinrichtung.

In der ersten Version dieses Textes, datiert auf den 28. Mai 2021, sollte dieser Auftrag ab 1. Juli 2021 bis zum 30.6.2022 mit maximal 16 Millionen dotiert werden.

 


Dabei gelte das Billigstbieterprinzip. Das bedeutet, dass diejenigen sieben Unternehmen zum Zug kommen werden, die die Tests pro Stück am günstigsten auswerten können.

Eine öffentliche Ausschreibung als work in progress

Der Rahmen von ursprünglich 16 Millionen stellt eine Obergrenze dar. Was bedeutet es aber, wenn diese Obergrenze im Verlauf der Ausschreibung permanent nach oben hin verschoben wird? In der ersten Version auf dem Vergabeportal beträgt das Volumen noch 16 Millionen Euro. In der Tiroler Regierungsvorlage vom 27. Mai (die zeitlich vor der Veröffentlichung auf dem Portal beraten wurde) ist dann von deutlich mehr, nämlich von 32,4 Millionen Euro die Rede. 3,24 Millionen Euro maximal können die Labore monatlich in Rechnung stellen, heißt es dort.

Regierungsvorlage Tiroler Landesregierung vom 27.Mai 2021

Nur ist der Zeitrahmen in der Regierungsvorlage auch ein anderer. Dort sollte beschlossen werden, den Vertrag von Juli 2021 bis April 2022 laufen zu lassen. 10 Monate je 3,24 Millionen Euro, das macht in Tirol 32,4 Millionen Euro gesamt. So wurde es dann beschlossen, inklusive einer etwaigen Barvorlage von 30 Millionen Euro.

Dann wurde geändert und korrigiert

Seitdem die Landesregierung diese von Sanitätsdirektor Franz Katzgraber unterzeichnete Vorlage im Landhaus beraten und beschlossen hat, wurde nochmals einiges geändert. Nunmehr wird sogar auf 38,880 Millionen ausgeschrieben und das mit einer Laufzeit auf ein Jahr. Zusätzlich verlangt das Land Tirol besondere Bestimmungen für die Betriebshaftpflichtversicherung und sie hat die Frist für die Abgabe der Angebote vom 15. Juni auf den 18. Juni 2021 verlängert. Dass im Verlauf einer Ausschreibung die Bedingungen derart stark geändert werden, kommt schon vor. Aber so viele, doch gravierende Korrekturen deuten auf eins hin: Da wird gehudelt.

Eine Festlegung ist mittlerweile völlig gestrichen worden

Dafür spricht auch eine erste kritische Stellungnahme in Frageform, die eine potentielle Bieterin an die Landesregierung gerichtet hat. Sie hatte sogar zur Folge, dass eine gesamte Passage aus dem ursprünglichen Tiroler Call ersatzlos gestrichen worden ist:

Frage Im Dokument finden sich auf S. 11/30 im letzten Absatz Vorgaben, die so weder kalkulierbar noch einhaltbar scheinen. Jedwede Änderung am Format bzw. Inhalt der zu übermittelnden Daten solle binnen 7 Kalendertagen umgesetzt werden. Da grundlegende Änderungen im Datenformat, wie beispielsweise ein Systemwechsel, auch einen deutlich längeren Zeitraum für eine Umsetzung benötigen, ohne dass dies vom Auftragnehmer verschuldet ist, bitten wir um das Streichen oder die Präzisierung des Absatzes. Bieterseitig können derartige Änderungen nicht vorhergesehen und damit auch nicht kalkuliert werden.

Antwort Die von der Frage 6 umfasste Festlegung in Punkt 2.1.4. „Datenaufbereitung und -Übermittlung“ betreffend den letzten Absatz auf Seite 11: „Der Auftragnehmer verpflichtet sich, Änderungen am Format bzw. Inhalt der an das Land Tirol bzw. den Bund zu übermittelnden Daten innerhalb von längstens 7 Kalendertagen ab Kenntnis der Änderung umzusetzen“ wird ersatzlos gestrichen.


Eine dubiose Neugründung und die Innsbrucker Uni-Virologie

In Tirol munkelt man, dass die Ausschreibung wohl eine bislang unbekannte Firma namens Novatium gewinnen könnte. Der Standard hat das bereits ausgezeichnet recherchiert:  Verwirrung um HG-Labtruck-Nachfolger bei PCR-Test-Neuausschreibung in Tirol Demnach tritt die Firma, die ein gewisser Kemal Cakar gegründet hat, im Duo mit der renommierten Innsbrucker Virologin Dorothee von Laer an. Die Insbrucker Uni-Virologie ist eine von vier Tiroler Laboren, die solche Auswertungen durchführen kann. Die anderen drei könnten sich zu einer Bietergemeinschaft zusammenschließen und als Tiroler Lösung dagegen antreten, was ziemlich wahrscheinlich erscheint. Doch warum wird ein künstlicher Konkurrenzkampf geschürt, bei dem immer das Risiko besteht, dass er zu Lasten der Qualität der Analysen führt?

Dorothee von Laer ist in erster Linie an vielen positiven PCR-Proben interessiert, die sie nach Virus-Varianten (variants of concern) screenen und analysieren kann. Sie ist Wissenschaftlerin und keine Unternehmerin. Dafür ist ihr kolportierter Partner ein unbeschriebenes Blatt.

Ist das nur ein Auffangbecken oder ein Geschäftsmodell?

Die Firma Novatium erblickt laut Notariatsakt am 8. April 2021 das Licht der Welt. Ihr Geburtsort ist Mödling. Der Geschäftsführer war bei diesem Formalakt gar nicht zugegen. Das Gründungsdokument trägt nämlich die Unterschrift eines Notars, der von Cakar beauftragt wurde, die formalen Dinge zu erledigen. Das ist alles rechtens, aber doch bemerkenswert. Der Gegenstand des Unternehmens laut Gründungsdokument lautet:

  1. die Dienstleistung im Zusammenhang mit der Koordinierung von COVID-Teststationen samt Ausstattung und Einrichtung von Laboren und mobilen Stationen
  2. der Handel mit Waren aller Art,
  3. der Verkauf und Vertrieb sowie
  4. das entsprechende Marketing

Was die Firma derzeit tut? Man weiß es nicht genau. Laut Standard sagt die Tiroler Landesregierung, Novatium übernehme lediglich IT-Dienstleistungen im Zusammenhang mit den Tests, die die Virologin Dorothee von Laer ja derzeit auswertet. Solche Dienstleistungen lassen sich allerdings nicht im Portfolio des Neueinsteigers erkennen. Die Gründung wirkt so wie die Unterlagen des Landes Tirol: hingehudelt nämlich.

Und die Frage bleibt: Warum greift die Tiroler Landesregierung nicht auf die vorhandenen Tiroler Ressourcen zurück?


Eine Semiosis-Anfrage an das Amt für Öffentlichkeitsarbeit der Tiroler Landesregierung blieb bislang unbeantwortet. Sobald sie einlangt, werden wir den Artikel entsprechend ergänzen.


Zum Titelfoto: Screenshot der Homepage der HG Lab Truck, abgerufen am 9. Juni 2021.

1 Gedanke zu „Tirol: Eine gehudelte Ausschreibung und eine gehudelte Firma“

  1. So wie es aussieht, wird wieder ein „Freund“ des Hauses bedient. Man kann es sich ja richten. Falls es wieder schief geht wie bei Lab Truck ist niemand schuld auf keinem Fall unser Platter. ‚Es geht schon lange nicht mehr um die Tiroler Bevölkerung eine abgehobene realtätsferne Truppe von Politikern der nur eines wichtig ist, sie selbst und Ihre Freunde.

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