Vor der Nationalratswahl: Polit-Umsturz, damit sich nichts ändert

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Wir kennen das aus der Werbung: Eine Marke wird schwächer und deshalb weniger gekauft. Sofort gibt es einen Spot im Fernsehen: XY ist jetzt neu. Das neue XY ist jetzt viel besser als das alte. In der Produktwerbung funktioniert dieses Spiel. Deshalb hat es die Politik übernommen. Auf einmal gibt es Die Neue Volkspartei mit Sebastian Kurz – und seit einem Jahr schon die SPÖ Neu mit ihrem Plan A und Kanzler Christian Kern.

Die Verpackung der Politik ändert sich, damit sich der Inhalt nicht ändern muss. Und der Inhalt heißt Sozialabbau. Ein Beitrag von Franz Stephan Parteder.


Die Parteien können ihre Versprechen nicht mehr halten

Die Halbwertzeiten in der Politik werden immer kürzer. Der Grund dafür ist nicht in der Politik selbst zu suchen, sondern in ihren Grundlagen, in der gesellschaftlichen Entwicklung. Die Parteien können ihr Versprechen nicht mehr halten, das sie den Wählerinnen und Wählern gegeben haben: Eine sichere, sozial ausgewogene Entwicklung. Im Gegenteil: Die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer, die Altersversorgung ist in Gefahr, das Gesundheitswesen wird zu Tode reformiert, die dritte Welt wandert in die Metropolen ein, Krieg und Terror sind zum Alltag geworden.

In Rekordzeit vom Hoffnungsträger zur tauben Nuss

Nur eine Politik, welche das Gesellschaftssystem, das solche Krisen produziert, in Frage stellt, könnte die drohenden Katastrophen abwenden. Die herrschenden Parteien agieren aber nicht autonom, sie sind von den Herren des Geldes abhängig. Deshalb nützen sich die Helden von gestern immer schneller ab, in den meisten Staaten des Westens, aber auch in Österreich. Obama versprach Hoffnung und brachte Enttäuschung, der französische Präsident Hollande wurde in Rekordzeit vom Hoffnungsträger für sozialen Wandel zur tauben Nuss.
Von Faymann zu Kern, von Mitterlehner zu Kurz: Auch in Österreich kann man diese Entwicklung sehen. Im Augenblick hat die ÖVP die Nase vorn: Alles redet über Sebastian Kurz und über die Neue Volkspartei. Damit will man die Nationalratswahl am 15. Oktober gewinnen.

Wir dürfen den politischen Versprechen nicht glauben

Warum? Zuerst einmal, um die wichtigsten (und lukrativen) Posten im Land zu besetzen. Wichtig ist aber auch etwas anderes: Die Demontage unseres Sozialsystems und noch bessere Rahmenbedingungen für die Großkonzerne sollen sehr schnell durchgesetzt werden. Blaupausen für diese Pläne kann man in den Papieren der EU nachlesen.
Darüber redet man vor der Wahl nicht so gerne, weil man die Stimmen der Leute braucht. Dass man nach der Wahl durch die konkrete Regierungspolitik entzaubert werden wird, spielt dabei keine Rolle. Es ist in der Politik wie in der Produktwerbung: Man darf nicht daran glauben, was versprochen wird.

„Schließlich brauchen alle ein Dach über dem Kopf, nicht nur Sebastian Kurz und Christian Kern“

Wir haben das bei der Gemeinderatswahl am 5. Februar in Graz erlebt. Bürgermeister Nagl versteckte das Parteisymbol der ÖVP, er versprach, ein „Bürgermeister für alle“ zu sein, seine Plakate waren in grüner Farbe gehalten. Und danach? Danach machte er Schwarz-blau und leitete den Abbau von Sozialleistungen ein.

Wohnen darf nicht arm machen
Wohnen darf nicht arm machen. Kampagne der KPÖ. https://www.kpoe-steiermark.at/kpoe-startet-kampagne-fuer-leistbares-wohnen.phtml

Die KPÖ stellt sich gegen diese Entwicklung. In Graz mit Erfolg. Auf Bundesebene ist das schwieriger. Es gibt aber ein Zeichen der Hoffnung: Alle reden über Sebastian Kurz. Nur die KPÖ redet vom Wohnen und sammelt in diesen Tagen Unterschriften für eine soziale Mietrechtsreform.
Das ist vielleicht nicht so attraktiv wie die Werbesprüche der Großparteien. Das geht aber von den Interessen der Bevölkerung aus. Schließlich brauchen alle ein Dach über dem Kopf, nicht nur Sebastian Kurz und Christian Kern.

Eine Alphabetisierungskampagne an der Basis

Während man die klugen und die weniger klugen Stellungnahmen von verschiedenen Linken zur Ausrufung der vorgezogenen Neuwahl kaum mehr zählen kann, geht es nämlich um etwas anderes. Die oben benannten gesellschaftlichen Ursachen haben dazu geführt, dass sich immer mehr Menschen von der Politik abwenden. Gerade in den Regionen, in denen sehr viele sozial benachteiligte Menschen leben, sinkt die Wahlbeteiligung, während sie beispielsweise auch in Graz am 5. Februar in den „besseren“ Vierteln deutlich höher ist und sogar ansteigt. Es gibt eine große Schranke, die unsere Bewegung daran hindert, sich mit den großen Massen der Werktätigen zu verbinden. Es ist dies der Zusammenbruch selbst von rudimentären Elementen des Klassenbewusstseins und selbst des Klasseninstinkts bei großen Teilen der Werktätigen – und vor allem bei den aus dem Produktionsprozess ausgegrenzten Teilen der Bevölkerung. Dazu hat die Bewusstseinsindustrie, haben die im Eigentum und/oder unter Kontrolle der großen Konzerne stehenden Massenmedien nicht unwesentlich beigetragen.
Wir müssen bildlich gesprochen als Marxisten hier mit einer Alphabetisierungsarbeit beginnen.

Konkrete Unterstützung für Menschen in Not

Wie soll das aber gehen? Eine vorläufige Antwort auf diese Frage ist der große Stellenwert, den die steirische KPÖ der konkreten Unterstützung von Menschen in Not gibt. Manchmal begegnen wir der Auffassung, dass diese Hilfe zwar sinnvoll sei, aber der eigentlichen politischen Arbeit untergeordnet werden müsse. Ich halte diese Meinung für falsch.  Im Gegenteil: Nur durch diese Kontakte können wir Vertrauen schaffen und im Idealfall Kollektive bilden, die beginnen, organisiert für ihre eigenen Interessen einzutreten.

Ganz unten beginnen

Es gibt in Österreich erste Ansätze dazu: Den Mieternotruf in Graz, die breite Bewegung gegen die Kürzung der Wohnbeihilfe in der Steiermark, die Initiativen im Pflege– und Sozialbereich (vor allem in Wien), die Plattform „Rettet die Mur“, um nur einige aufzuzählen. Von diesen Bewegungen ist es ein weiter Weg zu bewussten Massenaktionen, die über den Kapitalismus hinausweisen. Ohne solche wirksame politische Aktionen ist es aber nicht möglich, diesen Weg zu beschreiten. Dazu braucht es nämlich viel mehr als das Abfassen von politisch korrekten Manifesten und Flugblättern – und auch viel mehr als das ständige Nutzen der „sozialen Medien“.

Die KPÖ sollte bundesweit mit einer offenen Liste kandidieren

Aus all diesen Bewegungen kann eine politische Kraft entstehen, die in der Lage ist, langfristig auch in vielen Gemeinden, in allen Landtagen und im Parlament die Interessen der „99 Prozent“ zur Sprache zu bringen.
So weit sind wir noch lange nicht. Aber die Nationalratswahl steht vor der Tür. Deshalb halte ich den Vorschlag der KPÖ für praktikabel, der – wie ich weiß – von der steirischen KPÖ unterstützt wird, diesmal mit einer offenen Liste anzutreten und vor allem auf SprecherInnen der oben genannten Initiativen zuzugehen und sie als KandidatInnen zu gewinnen.
Eines ist nämlich auch klar: Es sind nicht nur die fehlenden finanziellen Mittel, die es unseren Bewegungen verbieten, mit den Methoden der Produktwerbung um Stimmen zu kämpfen, wir müssen uns „ganz unten“ – dort wo weder Sebastian Kurz noch Christian Kern hinschauen – das Vertrauen erarbeiten.


PS: Ich habe in diesem Artikel ganz bewusst die Rolle und die Funktion der FP in Österreich ausgeklammert. Zu diesem Thema gibt es schon sehr viele Arbeiten, welche die Strache-Partei umfassen analysieren. Nur so viel: Die ersten Wochen von schwarz-blau in Graz haben gezeigt, dass die FP die Beschleunigung des Sozialabbaus sehr aktiv unterstützt.

PPS: In der Produktwerbung gibt es einen weiteren Begriff, der sehr gern verwendet wird: Die Revolution. Wir haben schon Revolutionen bei Mittelklasseautos, bei Zahnbürsten und Allzweckreinigern erlebt. Vielleicht werden die Herrschenden schon bald Revolutionen in ihren Parteien ausrufen, damit sich nichts Entscheidendes ändert. Wer weiß?


Franz Stephan Parteder
Franz Stephan Parteder (Foto: KPÖ Steiermark)

Franz Stephan Parteder wurde 1947 in St. Peter-Freienstein (Bezirk Leoben) geboren. 1973 trat er aus der SPÖ aus und in die KPÖ ein. Er bekleidete verschiedene Funktionen in der KPÖ Steiermark. Von 1991 bis 2009 war er ihr Landesvorsitzender. Außerdem war er Erster Bezirksvorsteherstellvertreter im Bezirk Innere Stadt in Graz.

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