„Die Verteilungsfrage ist mir immer noch ein Anliegen“ – Bruno Rossmann, Budgetsprecher der Liste Pilz.

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By Christoph Ulbrich

Bruno Rossmann, Budgetsprecher der Liste Pilz
Bruno Rossmann, Budgetsprecher der Liste Pilz

Was läuft seiner Meinung nach falsch in der Finanzpolitik? Wir haben mit Bruno Rossmann, dem Budgetsprecher der Liste Pilz gesprochen: über Vermögensverteilung, Erbschaftssteuern, Globalisierungsverlierer, Steuerflucht und die EU. Und warum dem Ex-Grünen-Politiker die Verteilungsfrage immer noch ein Anliegen ist. 


Herr Rossmann, Sie waren insgesamt 7 Jahre Nationalratsabgeordneter für die Grünen. Wie schwer war die Entscheidung, „Ihrer“ Partei den Rücken zu kehren?

Ich erzähle Ihnen eine kleine Anekdote: „Als die Grünen 1986 in den Nationalrat eingezogen sind, hat mich der Peter Pilz angerufen und gesagt: „Du Bruno wir brauchen jemanden, der sich beim Budget auskennt.“ So hat unsere Geschichte begonnen. Zur Frage: Von den Grünen wegzugehen ist mir offen gesagt nicht leicht gefallen. Man verlässt nicht so mir nichts dir nichts eine Partei, in der man viel versucht hat, wo manches gelungen und manches nicht gelungen ist. Was mich letztlich zum Wechsel veranlasst hat, waren die Themen Steuerflucht und Steuerhinterziehung, in denen ich mir in den letzten Jahren viel aufgebaut habe. Da möchte ich weiter machen. Außerdem will ich die Verteilungsfrage weiter forcieren. Zumal diese bei den Grünen zu kurz gekommen ist. Beide Themen will ich in unserem Projekt mit aller Kraft weiter verfolgen.

Die Verteilungsfrage ist bei den Grünen zu kurz gekommen.

Sehen Sie also durchaus einen Platz für sich neben den Grünen, die ja jetzt wieder sehr auf ihre „klassischen“ Themen wie etwa den Umweltschutz setzen.

Ja natürlich. Nehmen Sie zum Beispiel die Erbschaftssteuer. Die Grünen und ich sind immer dafür eingetreten. Wenn es eine zweite Partei gibt, die das Thema forciert, ist das sicher gut.

Keine politische Eintagsfliege

Die Liste Pilz wird ziemlich sicher mit über 10 MandatarInnen im nächsten Parlament vertreten sein. Team Stronach, BZÖ, LIF oder Liste Fritz. Alle sind mehr oder weniger von der Bildfläche verschwunden. Wie sieht aber die mittel- und langfristige Perspektive für die Pilz-Liste aus?

Das ist natürlich eine große Herausforderung. Da müssen wir als Klub Regeln schaffen, dass wir uns nicht zerstreiten. Denn eines ist schon klar: Die Liste Pilz soll keine politische Eintagsfliege sein. Ob uns das gelingt, weiß ich nicht. Den Versuch ist es aber wert.

Die Austeritätspolitik der EU hat zu einem verlorenen Jahrzehnt geführt

Auf der Website der Liste Pilz heißt es – übrigens nicht gegendert: „Unsere Kandidaten sind unsere Programme“. Welches Programm sind Sie?

Dass das nicht gegendert ist, ist eine unserer Anfangsschwierigkeiten. Das wird noch kommen. Das ist mir auch wichtig. Mein Programm im Nationalrat wird 3 Schwerpunkte haben.
Erster Punkt: Die europäische Wirtschafts- und Budgetpolitik. Der überzogene Sparkurs auf europäischer Ebene muss gestoppt werden. Die Austeritätspolitik der EU seit der Finanzkrise 2008 hat uns ein verlorenes Jahrzehnt beschert. Mit gravierenden Folgen: hohe und teilweise immer noch ansteigende Arbeitslosigkeit und ein deutlicher Anstieg der Armut. Das kann doch nicht sein, dass die Budgetkonsolidierung wichtiger ist, als die Schaffung von Arbeitsplätzen oder die Beseitigung der Armut von Menschen.

Glauben Sie an die Steuerunion?

Eine Steuerunion wäre zwar wünschenswert – wird aber so schnell nicht umsetzbar sein. Da gibt es zu viele Staaten, die blockieren. Zuversichtlicher bin ich da bei einer Sozialunion mit einer europäischen Arbeitslosenversicherung als ersten Schritt. Das könnte gelingen und wäre angesichts der permanenten Angriffe auf den Sozialstaat – etwa durch die ÖVP und FPÖ – dringend notwendig. Ich will versuchen, diese Angriffe abzuwehren..
Deswegen kämpfe ich ja auch gegen die Austeritätspolitik auf der einen Seite und für eine Sozialunion auf der andern Seite, übrigens schon seit vielen Jahren.

Zweiter Punkt: Steuern auf Arbeit runter, Steuern auf Vermögen rauf: Viele Menschen haben in den letzten 15 Jahren Verluste bei den Realeinkommen hinnehmen müssen – obwohl Österreich insgesamt reicher geworden ist. Das ist unerträglich. Und für diese – sagen wir mal – „Globalisierungsverlierer“ will ich mich einsetzen. Aber nicht so, wie das die ÖVP vorschlägt, durch eine Senkung der Lohn- und Einkommensteuer. Viele Menschen mit so niedrigen Verdiensten zahlen ja schon jetzt gar keine Lohnsteuer. Deswegen will ich für die niedrigen Einkommen die Sozialversicherungsbeiträge deutlich senken.

Arbeits- und Kapitaleinkommen gleich besteuern

Dazu braucht es faire Beiträge der Reichen. Österreich ist eines der wenigen Länder, das weder eine Vermögen- noch Erbschaftssteuer hat. Zunächst bin ich dafür, dass jedes Einkommen gleich besteuert wird. Es kann doch nicht sein, dass Arbeitseinkommen mit bis zu 55% besteuert wird, aber Einkommen aus Aktien nur mit 27,5%. Das kommt bestverdienenden 10% zugute, weil sich die Einkommen aus Kapitalerträgen dort konzentrieren – genau so wie beim Vermögen. Und zusätzlich fordere ich eine progressive Erbschafts- und Schenkungssteuer für Erbschaften bzw. Schenkungen über 500.000 Euro. Mit diesem Freibetrag erreiche ich, dass die untersten 90% nicht betroffen sind.
Kurz gesagt: Es geht mir um eine Entlastung des Faktors Arbeit für die niedrigen Einkommen mit einer Gegenfinanzierung durch fairere und höhere Beiträge der reichsten 10%.
Dieser Grundsatz lässt sich übrigens auch für den Klimaschutz anwenden: Ökosteuern rauf und im Gegenzug niedrigere Sozialversicherungsbeiträge.

Sie treten damit für eine Steuersenkung in einem Bereich ein. Aber auch für Steuererhöhungen in einem anderen Bereich. Von ÖVP, FPÖ und Neos wird da eingeworfen, dass die Abgabenquote in Österreich eh schon sehr hoch ist. Ist eine niedrigere Abgabenquote für Sie nicht erstrebenswert?

Nein, eine niedrige Abgabenquote ist nicht per se erstrebenswert. Auch die Behauptung, dass eine niedrigere Abgabenquote höheres Wachstum mit sich bringt, ist empirisch nicht belegt. Entscheidend ist nicht die Höhe der Abgabenquote, sondern die Struktur der Abgabenquote. Also wer zahlt wie viel?

Wer ein so großes Vermögen erbt, soll einen fairen Beitrag leisten.

Nochmals zur Erbschaftssteuer. Ein oft genanntes Beispiel ist der Erbe des Zinshauses. Ein Zinshaus in Wien hat ja schnell einen Wert von 5 Millionen Euro. Wenn Sie da alles über 500.000 Euro besteuern und das dann zum gleichen Steuersatz wie Arbeitseinkommen, dann sind das ja schnell eine Million Euro oder mehr.

Ja dazu stehe ich: Wer ein so großes Vermögen erbt, soll einen fairen Beitrag leisten.

Das führt aber dann dazu, dass die Erben das Zinshaus verkaufen müssen, nur um die Steuer zu zahlen.

Nein, da sehen wir in unserem Modell Stundungsmöglichkeiten vor, sodass die Steuer in Raten gezahlt werden kann – in Ihrem Beispiel mit Teilbeträgen aus den Mieteinnahmen. Das gilt übrigens auch für Unternehmen. Wenn das ein florierendes Unternehmen ist, dann wird es kein Problem darstellen, die Erbschaftssteuer zu zahlen. Wenn das Unternehmen keine Erträge abwirft, ist es ohnehin kaum etwas wert.

Trifft eine Erbschaftssteuer nicht auch den Mittelstand, der vielleicht das Elternhaus an die nächste Generation weiter gibt.

Das ist das Argument, das immer wieder von der ÖVP kommt. Das ist ein Unfug. Alle Vermögensstudien zeigen, dass Vermögen in Österreich sehr stark bei den oberen 10% und innerhalb dieser bei den oberen 5% konzentriert ist. Entscheidend bei der Betrachtung von Vermögen ist nie die Mitte, sondern immer nur die Pole. Die obersten 10% haben 67% des gesamten Vermögens, die unteren 50% haben hingegen nur rund 2,5%. In der Mitte gibt es kein Vermögen.

Damit komme ich zum dritten Punkt meines Programms: Die Bekämpfung der Steuerflucht und Steuervermeidung.

Geht das überhaupt? Die EU scheitert doch schon Jahrzehnte daran, die Steuerflucht der Konzerne zu bekämpfen.

Ihre Skepsis ist mehr als angebracht. Man muss aber auch sehen, dass in den letzten Jahren Einiges passiert ist. Wir haben jetzt z.B. den automatischen Datenaustausch im Bereich der Steuern – eine wichtige Maßnahme, die übrigens gerade Österreich sehr lange blockiert hat. Eine unrühmliche Geschichte. Es wurden auch Transparenzbestimmungen beschlossen. Meine Erfahrung ist aber leider auch, dass bei jeder Regelung immer irgendein Steuerschlupfloch gefunden wurde und dass Transparenzmeldungen nicht öffentlich gemacht werden müssen.

Für Google und Co. müssen wir „digitale Betriebsstätten“ schaffen

Das Modell zur Steuervermeidung ist ja immer das gleiche, nämlich die Verschiebung der Gewinne in Niedrigsteuerländer und Steueroasen – so lange bis die Steuern gegen Null tendieren. Ich habe mir das letztes Jahr das Beispiel Google angeschaut. Google hat eine GmbH in Österreich. Aber wenn Sie in Österreich Leistungen bei Google kaufen, bekommen Sie von Google eine Rechnung aus Irland, wo auch der Gewinn versteuert wird.
Das Ziel muss aber sein, dass der Gewinn dort versteuert wird, wo er entsteht.
Entscheidend ist, ob Google in Österreich eine Betriebsstätte hat. Aber da beginnen die Unklarheiten. Ist es der Serverstandort? Der ist aber vielleicht in Südafrika oder sonst wo. Ich habe deswegen bereits im Vorjahr das Modell einer „digitalen Betriebsstätte“ vorgeschlagen. Dieser Vorschlag wird gerade im Finanzministerium und vom Europäischen Rat der Finanzminister geprüft.

Sie sprechen sehr viel von der europäischen Ebene. Da stellt sich die strategische Frage: Mit welcher Fraktion im Europa Parlament will sich die Liste Pilz vernetzen? Wäre das dann die Europäische Linke?

Darauf kann und will ich Ihnen keine Antwort geben – das müssen wir noch diskutieren.

Ich habe viel gemeinsam mit Sahra Wagenknecht

Apropos Linke. Wenn Sie von der Verteilungsfrage sprechen, klingen Sie ja schon ein bisschen wie Sahra Wagenknecht oder Gregor Gysi (Anmerkung: Vorsitzender der Europäischen Linken).

(lacht) Also ja, ich habe viel gemeinsam mit Sahra Wagenknecht. Die Verteilungsfragen sind halt der Grund, warum ich in die Politik gegangen bin. Ich bin jetzt 65, natürlich könnt ich den Hut drauf hauen. Mache ich aber nicht: Die Verteilungsfrage ist mir immer noch ein Anliegen, für das es sich zu kämpfen lohnt.

Ein anderes Thema: Braucht es eine Finanztransaktionssteuer?

Absolut. Das ist ein erbärmliches Schauspiel, das wir in den letzten 9 Jahren seit Ausbruch der Finanzkrise erleben mussten. Es ist eine Schande, dass wir 9 Jahre nach der Pleite von Lehmann Brothers immer noch keine Finanztransaktionssteuer haben (Anm.: Die Pleite der Investmentbank war Auslöser der Finanzkrise). Nach den letzten Aussagen von Emmanuel Macron befürchte ich, dass die Finanztransaktionssteuer nun wirklich endgültig tot ist – auch für die willigen zehn Staaten in der EU. Viele (z.B. der deutsche Finanzminister Schäuble) sagen, dass man die Steuer global auf Ebene der G20 einführen muss. Das stimmt schon. Aber man sollte halt mal in der EU damit anfangen.

Sebastian Kurz als „Kandidat der Konzerne“

Peter Pilz und Sie haben vor kurzem Sebastian Kurz als „Kandidat der Konzerne“ bezeichnet. Die Steuerpläne der ÖVP sein das „unverschämteste Geschenk in der Geschichte der 2. Republik“. Können Sie das kurz erklären? Wird der Gewinn entnommen, wird er versteuert, wird er nicht entnommen kann er ins Unternehmen investiert werden. Wo ist also das Problem?

Mit der Abschaffung der Besteuerung auf nicht entnommene Gewinne werden vor allem der Großindustrie mit einem Schlag 4 Mrd. Euro geschenkt. Wird noch weniger als bisher ausgeschüttet, könnten es 6 Mrd. Euro oder mehr sein. Damit verkommt die Körperschaftsteuer (derzeit 8 Mrd. Euro) zu einer freiwilligen Spende. Zusätzlich verliert der Staat Einnahmen aus der Besteuerung der Aktienerträge. In Summe also ein 7 Mrd. Euro Geschenk an die Industrie.
Damit aber nicht genug. Mit dieser Maßnahme wird die ehemalige Steuerbegünstigung der Privatstiftungen wieder eingeführt. Das eingebrachte Vermögen kann sich in einer Holding steuerfrei vermehren, da erst die Entnahme zur Besteuerung führt. Bei der Entnahme von Teilen der Erträge gilt: Je höher die Erträge, desto niedriger ist der Steuersatz. Das ist eine tolle Sache für Reiche und Superreiche, aus Sicht der Verteilungsgerechtigkeit aber die größte Sauerei der 2. Republik.

Herr Rossmann, Danke für das Gespräch.

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