SPÖ: Mehr Außenpolitik wagen!

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By Redaktion Semiosis

In den vergangenen Monaten konnte man den Eindruck gewinnen, die Außenpolitik sei eine Achillesferse der SPÖ. So waren die Positionierungen zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine vielstimmig und widersprüchlich. Die unmissverständlichen Aussagen des Vorsitzenden Andreas Babler noch am 7. Oktober 2023 zum terroristischen Angriff der Hamas auf Israel wurden von wirren Stimmen aus dem linken Spektrum der Partei konterkariert.

Über all dem schwebt ein sentimentales Verständnis von Neutralität, das in einer multipolaren Welt wenig Sinn ergibt. Denn die klassische österreichische Neutralität bezog sich auf eine Situation zwischen zwei militärischen und politischen Blöcken, den Alliierten und der Sowjetunion. Diese Blöcke haben sich mittlerweile transformiert. Die dadurch veränderte Weltlage gibt genug Anstöße, Österreichs Außenpolitik aus sozialdemokratischer Perspektive zu überdenken. Österreichs Außenpolitik kann weder am Rande stehen und zuschauen noch der verlängerte Arm der Innenpolitik bleiben. Eine sozialdemokratische Außenpolitik braucht also einen eigenen Boden unter den Füßen.

Wie dieser aussehen könnte, skizziert eine neugegründete Außenpolitikplattform in der Partei namens „Initiative demokratische Außenpolitik“.

Ihr Sprecher ist der ehemalige Botschafter Österreichs in der Slowakei, Helfried Carl. Im Beirat sind Eva Nowotny, Wolfgang Petritsch, Gertraud Auer Borea d’Olmo, Vedran Džihić und Nikolaus Kowall tätig. Semiosis-Redakteur Sebastian Reinfeldt gehört zu den Aktiven der Plattform. Wir dokumentieren hier das Mission Statement der Initiative.

Teil 1 einer Semiosis-Serie zum SPÖ-Parteitag am 11. November 2023 in Graz.


Mission Statement: Wir wollen mehr Außenpolitik wagen!

Wir wollen den Diskurs über die österreichische und europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik innerhalb der österreichischen Sozialdemokratie verbreitern und vertiefen. Dazu bilden wir eine neue Plattform, deren Ziel es ist, dort einen Debattenbeitrag zu leisten, wo uns eine außenpolitische Perspektive der SPÖ relevant erscheint.

Durch die Publikation von Debattenbeiträgen, Working Papers und öffentlichen Wortmeldungen sollen Diskussionen innerhalb der österreichischen Sozialdemokratie angestoßen werden – insbesondere in den Bereichen, in welchen eine klare Positionierung zuletzt ausgeblieben war. Dazu wollen wir auch auf die große Expertise aktiver und pensionierter sozialdemokratischer Diplomat:innen zurückgreifen.

Wir sind aktiv geworden, um die sozialdemokratische Tradition einer aktiven Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik einer kritisch-solidarischen Reflektion zu unterziehen und sozialdemokratische Leitlinien und Grundsätze der Außenpolitik in das 21. Jahrhundert zu übertragen.

Wir streben eine an der Aktualität der Themen orientierte, inhaltlich fundierte, faktenbasierte und dennoch akzentuierte Positionierung an. Dadurch wollen wir es schaffen, einheitliche Maßstäbe an die Bewertung von Ereignissen anzulegen und dabei offen und willens sein, neue Entwicklungen zu inkorporieren.

Die interne Zusammenarbeit erfolgt auf Grundlage von gegenseitigem Vertrauen und Wertschätzung für das Spektrum an eingebrachten Perspektiven. Ein transparenter, demokratischer und fairer Modus der Entscheidungsfindung ermöglicht kohärente, gemeinsame Standpunkte in der Außenwahrnehmung. Damit soll innerhalb der sozialdemokratischen Bewegung, aber auch in der österreichischen Öffentlichkeit ein neuer Anker der außenpolitischen Orientierung entstehen.

Diese Kernaspekte bestimmen unser gemeinsames Engagement:

Regelbasierte Ordnung internationaler Beziehungen

Frieden, Sicherheit, ökologische Nachhaltigkeit und Wohlstand in der Welt beruhen auf einer regelbasierten Ordnung internationaler Beziehungen auf dem Fundament des Völkerrechts. In der sozialdemokratischen Tradition des Internationalismus stellen wir uns gegen das Recht des Stärkeren und aktiv und solidarisch auf die Seite der Stärke des Rechts und der Schwächeren.

Ausweitung der Menschenrechte

Wir befürworten die Ausweitung von Menschenrechten, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung, ökologischer Nachhaltigkeit und Wohlfahrtsstaatlichkeit innerhalb der EU-Staaten, auf unionseuropäischer Ebene sowie im globalen Rahmen. Das sind aus unserer Perspektive die Eckpfeiler einer wertebasierten Außenpolitik.

Primat der Politik

Das Primat der Politik gilt für uns nicht nur im Verhältnis von Demokratie und Wirtschaft, sondern auch in den außenpolitischen Beziehungen. Es gilt die Devise: So viel interessengeleitete Außenpolitik wie nötig, so viel wertebasierte Außenpolitik wie möglich. Dieser Zugang präzisiert auch unseren thematischen Fokus. Ohne ökonomische Fragen auszublenden, konzentrieren wir uns auf den politischen Kern der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Für einen breiten Begriff von Sicherheit

Die Verteidigung und der Ausbau des von der europäischen Arbeiterbewegung erkämpften europäischen Modells der wohlfahrtsstaatlichen Demokratie erfordert Sicherheit in einem breit verstandenen Sinne: der menschlichen Sicherheit. Dabei geht es um die militärische, politische und soziale Sicherung unserer Gesellschaft in den internationalen Beziehungen – kein Aspekt soll gegen den anderen ausgespielt werden. Wir wollen aktiv für die Sicherung der dazu notwendigen Ressourcen werben und gleichzeitig politische Rahmenbedingungen dafür definieren – etwa eine demokratische Kontrolle der europäischen Rüstungsindustrie.

Primat des Völkerrechts – Starker österreichischer Einsatz bei Blauhelmmissionen

Wir stehen für das Primat des Völkerrechts, eine Stärkung des Multilateralismus (or allem UNO, ILO, Europarat, OSZE), und regelbasierte Governance auf europäischer und globaler Ebene. Auf beiden Ebenen befürworten wir die Nutzung aller Möglichkeiten eines neutralen Mitglieds der Europäischen Union. Ein starker österreichischer Einsatz im Rahmen der UN-Blauhelmmissionen ist ein Beitrag zur internationalen Sicherheit.

Europäische Union ist die zentrale Bezugsgröße österreichischer Außenpolitik

Im Bereich der klassischen Außen- Sicherheits- und Verteidigungspolitik liegt unser Fokus auf dem Engagement Österreichs für die aktive Mitgestaltung und Weiterentwicklung der Europäischen Union. (z.B. GASP und GSVP).

Für Beziehungen zu Drittstaaten und damit für die gesamte globale Ebene ist die Europäische Union unsere zentrale Bezugsgröße. Das gilt für die Herstellung fairer Handelsbeziehungen – Stichwort Lieferkettengesetz -, und die Zähmung der Globalisierung – Stichwort “Europäische Souveränität” – genauso wie für die Schaffung europäischer Resilienz bei Minimierung geopolitischer Risiken – Stichwort strategische Autonomie.

Wir setzen uns für das Primat der Politik der Europäischen Union gegenüber den Weltmärkten ein, ebenso wie für das Primat der Politik in den europäischen Außenbeziehungen – auch gegenüber wichtigen Handelspartnern. Nationale Initiativen, die im Sinne einer wertebasierten Außenpolitik über europäische Initiativen hinausgehen, begrüßen wir explizit.

Für eine Demokratisierung der Europäischen Union

Wir setzen uns aktiv für eine Demokratisierung der EU ein, die automatisch eine Vertiefung der Integration mit sich bringt. Die Rolle des Europäischen Parlaments und der europaweiten Bürgerbeteiligungsverfahren muss gegenüber der Europäischen Kommission und dem Europäischen Rat gestärkt werden, vor allem in Form eines gesetzgeberischen Initiativrechts.

Wir wollen dazu beitragen die EU in Richtung einer Sozialunion weiterzuentwickeln und eine glaubwürdige und realistische Erweiterungsperspektive anbieten.

Wir lehnen eurozentristisches Hegemoniestreben ab, sind aber der Überzeugung, dass Kooperation und Frieden nur auf sozialer und demokratischer Basis nachhaltig Bestand haben können. Der Kampf gegen Korruption, Klientelismus und Kriminalität ist für die Entfaltung von Demokratie, Rechts- und Wohlfahrtsstaat unerlässlich.

Für eine feministische Außenpolitik

Wir stehen für eine solidarische und feministische Außen- und Entwicklungspolitik, die alle Mitglieder einer Gesellschaft in den Blick nimmt und die Überwindung patriarchaler, postkolonialer und ausbeuterischer Machtstrukturen anstrebt, was u.a. Ausbeutungsstrukturen und Fluchtursachen entgegenwirken soll.

Wir sehen uns einer nachhaltigen Friedensförderung verpflichtet. Der globale Kampf gegen Armut, Hunger und Klimawandel ist präventive Friedenspolitik.

Österreich soll Vorreiter im Kampf gegen die Klimakrise werden

Die sozialökologische Transformation ist Motor und Kompass für globalen Frieden und Wohlstand. Wir setzen uns dafür ein, dass Österreich eine Vorreiterrolle im gemeinsamen, existentiellen Kampf gegen die Klimakrise einnimmt. Umwelt- und Klimaschutzpolitik ist für die Prävention künftiger Konflikte essentiell und damit ein Eckpfeiler unserer Sicherheits-, Außen-, und Entwicklungspolitik.

Für eine europäisch koordinierte Asylpolitik

Wir sind uns der multiplen, globalen Krisen, die auch auf Österreich wirken, bewusst. Viele Menschen sehen sich deshalb gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Wir stehen in diesem Sinne auf dem Boden der Genfer Flüchtlingskonvention für eine europäisch koordinierte Asylpolitik und für eine enge Kooperation zwischen den EU-Mitgliedsstaaten.

Für Abrüstung

Das über Jahrzehnte aufgebaute System multilateraler atomarer Abrüstung, Nichtverbreitung von Atom- und Massenvernichtungswaffen sowie atomarer und konventioneller Rüstungskontrolle steht heute mehr unter Druck als je zuvor. Dieses völkerrechtliche Vertragswerk zu bewahren und mit gleichgesinnten Staaten zu stärken, ist gerade heute von besonderer Bedeutung. Überdies wenden wir uns klar gegen jedwede Drohung mit Nuklearwaffen und verbotenen Waffen.

Während wir die massiven Rüstungsanstrengungen zur Verteidigung der Ukraine und zur Stärkung der Wehrhaftigkeit Europas gegenüber dem russischen Aggressor aktiv unterstützen, wollen wir nicht aus den Augen verlieren, dass Abrüstung und Nichtverbreitung langfristig das Ziel europäischer Außenpolitik bleiben muss.


Weiterführend

Interview mit Helfried Carl im Standard: Rote Experten rütteln am Neutralitätsverständnis der SPÖ


Homepage: Demokratische Außenpolitik

Anmerkung: Die Zwischenüberschriften in diesem Text sind von der Semiosis-Redaktion eingefügt worden. Ansonsten folgt der Text wortgleich dem Mission Statement der Plattform.

Bildnachweis: Unser Titelfoto zeigt den Blick aus dem Terassenzimmer im Kreisky-Forum.

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