Wien: Deutliche Eskalation bei COVID-19 Intensivbetten

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By Sebastian Reinfeldt

Es mag nur ein Detail sein, aber es verstört. Im Juni 2021 ging die Verantwortlichkeit für die Impfkampagne in Österreich auf das Bundeskanzleramt über. Diese wurde im Juli praktisch eingestellt. Warum das passiert ist, das wisse niemand so genau, heißt es intern. Jedenfalls sind auch aus diesem Grund in Österreich deutlich zu wenig Menschen geimpft. In der vierten Delta-Welle passiert nun genau das, was einige wenige seit Monaten vorhersagen: Die Intensivbetten in den Spitälern füllen sich. So etwa in Wien. Semiosis wurden unabhängig voneinander zwei Protokolle interner Treffen von Intensivmediziner*innen in Wien zugespielt. Die eine Quelle fasst eine Besprechung in einem Wiener Spital vom 3. September 2021 zusammen. Die andere Quelle gibt das Wiener Intensivnetzwerktreffen am Tag zuvor, am 2. September 2021 wider. Was die Ärzt*innen, die intensivmedizinisch betreuen, dort bereden, ist erschreckend.


Lassen wir das Virus bereits durchlaufen?

Wir müssen dann das Virus durchlaufen lassen,

meinte die Tiroler Virologin Dorothee von Laer im ZiB2-Interview im ORF am Freitagabend, 3. September 2021 unverblümt. Dann bedeutet: Wenn sich nicht genug Menschen impfen lassen. In Österreich bräuchte es angesichts der Delta-Welle eine Quote von 90 Prozent Geimpfte und Genesene, sagte die Expertin. Werde die nicht erreicht, lassen wir eben Teile der Gesellschaft auf natürlichem Weg durchseuchen. Mit allen Konsequenzen. Was bewirkt dieses Durchlaufenlassen also, von dem die Virologin so trocken als letzte Möglichkeit spricht?

Rascher als erwartet öffnen Intensivstationen COVID-19-Betten

Volle Krankenstationen und Tote. In Wien zählen sie gerade die Intensivbetten zusammen. Ergebnis: Es ist eng.

Die Intensivstationen werden wesentlich rascher als erwartet wieder geöffnet und die Häuser bereiten sich auf den COVID-Betrieb vor. (…) Zunehmend problematisch sind die Langlieger, der Pflegekräftemangel sowie die Versorgung der Non-COVID Pat. Die Stufe 4 der ICUs [=Intensivbetten samt technischer und personeller Infrastruktur] ist für 6.9. geplant, die Normalstationen werden dann vermutlich noch in Stufe 3 sein,

so heißt es im Protokoll des Wiener Intensivnetzwerktreffen vom 2. September. Und weiter:

So sind zB. im Donauspital 4 ICU und 4 IMCU Betten [=Zwischenpflege, Betten mit besonderer Überwachung] freigegeben, tatsächlich sind aber 10 Betten belegt. Die Situation im Krankenhaus Floridsdorf ist ähnlich mit 7 belegten ICU-Betten und 6 belegten IMCU-Betten (freigegeben waren 8 ICU- und 4 IMCU-Betten).

Die Patient*innen verfallen rascher und schneller

Die vierte (Delta-)Welle hat offenbar zur Folge, dass sich die Relation von Patient*innen, die auf einer Normalstation landen und dort bleiben, und den Intensivpflichtigen verschärft. Auch das besprechen die Teilnehmenden. Die Berichte aus den einzelnen Wiener Spitälern klingen nämlich ähnlich.

Die ICUs werden der Reihe nach wieder geöffnet, das Klinikum Landstraße hat die für 06.09. geplante Eröffnung auf heute vorgezogen. Bis auf das Krankenhaus Penzing sind alle COVID-ICUs schon beinahe voll. Es ist aufgefallen, dass die Pat.[Patient*innen] noch rascher und schneller verfallen. Zudem dürfte der Schlüssel ICU/Normalstation höher sein als in der letzten Welle.

Diese Woche: deutliche Eskalation der Covid Intensivbetten

Das Protokoll einer internen Besprechung in einer der Wiener Kliniken einen Tag nach dem Netzwerktreffen (vergangenen Freitag) fasst dessen Ergebnisse kurz und prägnant zusammen. Wir können erahnen, wie frustriert die Teilnehmenden sind, dass es die Politik in Österreich mal wieder vergeigt hat.

Auszug aus dem Protokoll vom 3.9.2021

Diese Woche kam es zu einer deutlichen Eskalation der Covid Intensivbetten, gleichzeitig gibt es auch Engpässe im Non- und Post- Covid ICU Bereich: eine mehr als unerfreuliche Entwicklung an den Wiener ICUs.


Was heißt die Stufe 4 konkret?

Der Wiener COVID-19 Stufenplan enthält 8 Stufen, wobei auf dem Höhepunkt der dritten Welle im Frühjahr 2021 sogar eine 9. Stufe erfunden werden musste. Bei dem Plan geht es im Kern darum, wie viele Intensiv- und Normalbetten für COVID-19-Patient*innen freigemacht werden. Zur aktuellen Situation führt das Besprechungsprotokoll aus:

Auszug aus dem Protokoll vom 3.9.2021

Die Wigev Häuser versorgen nun alle wieder Covid ICU Patienten (KPE Post Covid).
Die Nicht- Wigev Häuser sollen Non-Covid Patienten aus dem Wigev übernehmen – über Vermittlung des Intensivkoordinators – gleichzeitig bereiten sie sich auch wieder für die Aufnahme von Covidpatienten vor (Barmherzige Brüder und Göttlicher Heiland starten nächste Woche).

Die hier genannten Wigev-Häuser sind diejenigen Spitäler, die direkt zum Wiener Gesundheitsverbund gehören. Die Arbeitsteilung mit den anderen Kliniken läuft demnach so ab, dass letztere Patient*innen, die kein COVID-19 haben, übernehmen. Das bedeutet: Deren Normalstationen füllen sich ebenso: Je nachdem, wie viele COVID-19 Patient*innen die Wigev-Spitäler aufnehmen. Gleichzeitig bereiten sich die Privatspitäler auf eine weitere Verschärfung der Situation vor. Dann nämlich werden auch die Barmherzigen Brüder und Göttlicher Heiland COVID-19-Patient*innen betreuen müssen.

Die COVID-19-Patient*innen werden jünger

Und ein letztes. Semiosis hat zudem eine handschriftliche Auflistung aus einem der Wiener Krankenhäuser bekommen. Auf einem Zettel notiert ein Mitarbeiter die Geburtsjahre derjenigen, die dort auf einer Intensivstation um ihr Leben kämpfen: 1955, 1973, 1988, 1958, 1967, 1964, 1990, 1941.

Handschriftliche Notiz: Jahrgänge intensivpflichtiger COVID19-Patient*innen auf einer Wiener Krankenstation

Zu den Dokumenten haben wir Fragen an die Pressestelle des Wiener Gesundheitsstadtrates Hacker gerichtet. Wenn wir Antwort bekommen, werden wir diese hier anhängen.


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