Nach dem Tod von Lisa-Maria Kellermayr: Wir müssen über mangelnde Fehlerkultur reden

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Die Ärztin aus Oberösterreich, die sich das Leben nahm, war das Opfer von rechtsextremem Hass und Gewaltdrohungen. Sie ist für viele ein Symbol. Denn sie ließ sich nicht einschüchtern. Sie hat an ihrem ärztlichen Berufsethos und an wissenschaftlichen Wahrheiten festgehalten. Als sie ins Visier des organisierten rechten Mobs geriet, musste sie nicht nur feststellen, dass sich das politische Establishment nicht traute, sich offen und öffentlich vor sie zu stellen. Auch der nötige behördliche Schutz wurde ihr – mit Ausnahme von zwei Wochen Polizeischutz – verwehrt.

Es ist genau diese Erfahrung des Alleingelassen-Werdens, die nicht wenige Menschen so wie sie erleben. Das beginnt in der U-Bahn oder im Bus, wenn sie darum bitten, eine Maske aufzusetzen. Und das geht bis zur Politik, die sämtliche Schutzmaßnahmen gegen Covid-19 Infektionen fallen lässt und damit ein sozialdarwinistisches Wettrennen ums Gesundbleiben eröffnet.

Twitter-User und Citizen-Journalist InViennaVeritas fordert in seinem Kommentar zum Suizid von Lisa-Maria Kellermayr daher, dass Fehler eingestanden und korrigiert werden. Wir haben – mit seinem Einverständnis – einen Twitter-Thread von ihm zum Thema aufbereitet.


Vom Falter-Chefredakteur bis hin zum Bundespräsidenten

Wir sollten auch mal über die mangelnde Fehlerkultur in diesem Land reden:

  • Über den FALTER-Chefredakteur, der Details zu einem Suizid in den Newsletter seiner Zeitung stellt, was alle möglichen Grundsätze zu Datenschutz, Suizidprävention, Pietät, etc. verletzt – und der diese erst nach massiver Kritik abändert.
  • Über einen Innenminister, der sich nach dem Terroranschlag nie bei *allen* Opfern entschuldigt hat, und das massive Behördenversagen unter den Teppich kehrt, indem er eine Religionsgruppe unter Generalverdacht stellen lässt.
  • Über einen Gesundheitsminister, der seinen eigenen Anteil an dem Tod der Ärztin nicht erkennt, denn er bekommt für seine Pandemiepolitik FRENETISCHEN Beifall von den Impfgegnern, Coronaleugnern, militanten Rechten – also von genau denjenigen, die die Ärztin in den Tod getrieben haben.
  • Über einen Bundespräsidenten aus derselben Partei, der mit einem fürchterlichen Framing verharmlost und False Balance betreibt. Das trifft leider auch auf andere Parteimitglieder und -anhänger*innen zu, die die Politik der Gruppe „Grüne gegen Impfpflicht“ umsetzen.
https://twitter.com/SylviaSteinitz/status/1553083550328561664
  • Über die Polizei in Oberösterreich sowie die dortige Ärztekammer, die der Ärztin vorwarfen, das Bedrohungsszenario durch Medienpräsenz selbst herbeigeführt geführt haben (Victim Blaming). Gerade die Ärztekammer Oberösterreich, die seit Pandemiebeginn verharmlost (bis auf die Impfempfehlung) und Covidleugnertum fördert.
  • Über etliche Journalist*innen, die in ihrer Loyalität zum finanziell abhängigen Arbeitgeber anscheinend vergessen haben, dass sie die Kontrollfunktion des Staates innehaben, dass sie zum Sprachrohr geworden sind und mit ihrer Reichweite enormen Schaden angerichtet haben. Die mit FALSE BALANCE die Wissenschaftsfeindlichkeit der Regierung unterstützen und die Pandemie weiter als hohe GEFAHR FÜR LEBEN UND LEBENSQUALITÄT der Bevölkerung aufrechterhalten. Ist das die Zukunft, in der ihr leben wollt? Verwandte, Freunde, die sterben oder krank bleiben?
  • Über das Versagen der Opposition (insbesondere von Neos und SPÖ), die Covidleugnerpolitik zu wenig Widerspruch gibt, oder diese sogar noch selbst unterstützt durch wissenschaftsfeindliche und faktenwidrige Aussagen.
  • Über das Versagen vieler Gewerkschaften, die gegen Maßnahmen wie Testen, Masken, Impfung opponiert haben – und dadurch Covidleugnern Auftrieb gaben. Das führte dazu, dass aufgerissene Gräben innerhalb der Belegschaft vertieft wurden und zu Gaslighting von Menschen, die vorsichtig sein wollen.

Die Aufhebung der Quarantäne überlässt Vulnerable ihrem Schicksal

Die gesellschaftliche Atmosphäre ist vergiftet von Egoismus und blindem Herdentrieb, von Wunschdenken und Sehnsucht nach einer Normalität, die nie mehr wiederkommt, aber mit Ignoranz durchgesetzt werden soll – was nur geht, wenn man Schwächere ihrem Schicksal überlässt.

In so einer Atmosphäre, wo schon das Tragen einer Schutzmaske angeblich eine unerträgliche „Freiheitseinschränkung“ sein soll, und der Solidaritätsgedanke zum totalitären ZeroCovid verballhornt wird, hat vernunftgesteuerte Politik keinen Platz.
Leidtragend sind nicht nur „Vulnerable“ (also rund die Hälfte der Bevölkerung, dazu die neuen Vulnerablen nach einer Covid19-Infektion), die Vorsichtigen oder die Kinder – leidtragend ist im Endeffekt die gesamte Gesellschaft.

https://twitter.com/Alxdr_Batthyany/status/1551849222915358720

Wir haben gesehen, wie schnell die Solidarität vom Beginn der Pandemie in ein „Survival of the fittest“ umschlagen kann. Wir erleben Solidarität gegenüber der Ukraine, die zu bröckeln beginnt, weil die durch den Krieg resultierende Energiekrise den Wohlstand gefährdet.

Die Regierung ist am Ende – uns bleibt nur Solidarität

Die Regierung tut zu wenig dagegen, setzt auch hier auf Eigenverantwortung, betreibt Arbeitsverweigerung wie in der Pandemie. Wir erleben, dass die Regierung den Flüchtlingen die Hilfe verweigert, in gute und schlechte Flüchtlinge unterteilt (Rassismus), und es etliche bösartige Menschen im Land gibt, die die Not der Flüchtlinge ausnutzt, indem sie unter katastrophalen Bedingungen leben und arbeiten müssen, für einen Sklavenlohn. Gleichzeitig werden Kinder und Jugendliche abgeschoben.

Wir werden die nächsten Monate und Jahre noch viel Solidarität innerhalb der Zivilgesellschaft brauchen, weil die Regierung am Ende ist, weil die Politikergeneration keine Visionen mehr für ein lebenswerteres Leben hat, weil Österreich – zu einer Wahldemokratie herabgestuft ist.

Ich weiß nicht, wie diese Gesellschaft eine überlebensfähige Zukunft haben soll, wenn Fehlerkultur weiterhin nicht möglich ist. Wenn bestehende Strukturen, die so viel Ungerechtigkeit und Leiden erzeugen, weiter gestützt statt kritisiert werden.


Unser Titelfoto zeigt den Beitrag einer Trauernden, die ebenfalls aus dem Gesundheitsbereich kommt.

2 Gedanken zu „Nach dem Tod von Lisa-Maria Kellermayr: Wir müssen über mangelnde Fehlerkultur reden“

  1. leider sehr zutreffend, auch für DE . Meine Kräfte, meine Zuversicht, sie werden weniger und weniger, als vulnerable Person, als Kommunalpolitikerin, als Familienmitglied einer Querdenker Familie…
    Es ist niemand da, der ernsthaft unsere Interessen vertritt. Politik und Medien erliegen den Populisten. Querdenker dürfen seit 2,5 Jahren mobil machen, sich lautstark über fehlende Meinungsfreiheit auslassen und dabei unsagbares sagbar machen. Morddrohungen wurden hoffähig. Politische und juristische Konsequenzen gibt es nicht. Täter werden zur bürgerlichen Mitte und die bürgerliche Mitte zur Randgruppe. Genau so wächst Faschismus, genau so…., war ein „nie wieder“ nie gemeint. Wir müssen reden und haben längst die Sprache verloren.

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