Auf der Suche nach infizierten Kindern

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By Sebastian Reinfeldt

Wer einfach nur wissen will, wie Kinder und Jugendliche von COVID19-Infektionen betroffen sind, erntet mehr Fragen als Antworten. So erging es Sebastian Reinfeldt in Kooperation mit Anita Groß von medonline bei der eigentlich simplen Frage, wie viele Kinder und Jugendliche in Krankenhäusern behandelt werden mussten. Antwort Ende Januar: 360, und das bei rund 25.000 Infizierten. Aktualisierungen dieser Zahlen bis heute: Fehlanzeige. Nun häufen sich Meldungen von Clustern in Schulen und Kindergärten. Auch in diesen Fällen landen Recherchen bald vor einer Kaskade von Ausflüchten und Verweisen auf andere Behörden. Sebastian Reinfeldt dröselt das mal wieder auf, vom Zillertal bis nach Niederösterreich.


Ministerium: Kinder sind keine Treiber der Pandemie

Woher stammt eigentlich die problematische Aussage, dass Kinder keine Treiber der Pandemie seien? Sie kommt nämlich ursprünglich – und ausgerechnet – vom Gesundheitsministerium. Im Oktober 2020 stellte medonline drei Fragen an das Sozial- und Gesundheitsministerium (BMSGPK). In der ersten bezog sich die Journalistin Anita Groß auf eine saubere und äußerst lesenswerte Kindergarten-Cluster-Studie aus Polen. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass Kinder im Alter von 1 bis 2 Jahren durchaus das Virus verteilen können. Das Ministerium kommentierte das Ergebnis der Studie mit den Worten:

In welchem Ausmaß die Übertragung innerhalb von Schulen und von den Schulen in Haushalte erfolgt, ist derzeit noch unklar. Die derzeitige Datenlage spricht allerdings nach wie vor dafür, dass Kinder nicht die Treiber der Pandemie sind.

Dass Kinder keine Treiber seien, ist wohl ein fataler Irrtum, der sich bis heute hält. Nicht nur in linksliberalen Vorzeigemedien wie dem Falter, sondern auch in Fachkreisen.

Zillertal: Relativ wenige Fälle von B1.351 bei Kindern – offensichtlich nicht sooo dramatisch

Monate später, Ende Februar 2021. Wir stellen der Fachgesellschaft, nämlich der Österrreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde, unter anderem eine Frage nach dem Cluster-Ausbruch an Schulen und Kindergärten im Zillertal. Genauer in Mayrhofen. Sie ergeht an Professor Volker Strenger,  Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde an der MedUni Graz, der auch die Arbeitsgruppe Infektiologie der Fachgesellschaft leitet.

Frage: Uns erreichen dramatisch klingende Meldungen aus dem Tiroler Zillertal. Ihnen zufolge greife die Südafrika-Mutation besonders in Schulen bei Kindern und Jugendlichen um sich. Haben Sie in dieser Richtung Informationen, die Sie uns mitteilen können?

Ich habe heute mit dem Leiter der Innsbrucker Klinik telefoniert (diese wäre für das Zillertal zuständig). Dort ist nichts diesbezügliches bekannt (ist also offensichtlich nicht soooo „dramatisch“). ORF.at berichtet von 2 (!) Fällen in einem Kindergarten und einer Schule (siehe https://tirol.orf.at/stories/3091665/). Dass es in einer Region, in der es relativ viele Fälle von B1.351 Fälle gibt, auch Fälle bei Kindern und in Bildungseinrichtungen gibt, ist zu erwarten.

Wie wir sehen, folgt diese Antwort der Maßgabe: Kinder seien keine Pandemie-Treiber. Einige Fälle sind demnach normal.

Gesundheitsministerium verweist auf zuständige Stelle im Bundesland Tirol

Dieselbe Frage ging auch das das Gesundheitsminsiterium, das ja zweifellos für Fragen der Pandemie zuständig ist. Das Ministerium antwortet, dass kritische Verläufe bei Kindern auch im Hinblick auf die Virus-Varianten sehr selten seien und verweist dabei auf die britische Studie Effect of the new SARS-CoV-2 variant B.1.1.7 on children and young people. Zum Thema Zillertal heißt es:

Da es sich hierbei um eine bundeslandbezogene Information handelt, müssen wir Sie für die Beantwortung dieser Frage an die zuständige Stelle im Bundesland Tirol verweisen.

Wenige Stunden später: Mayerhofen im Zillertal wird isoliert

Wenige Stunden nach unseren Fragen, also am Mittwochmittag, 24.2. 2021, wird die Situation als dramatisch eingeschätzt. Denn ausgerechnet Mayrhofen im Zillertal, wonach wir ja gefragt hatten, soll ab Samstag isoliert werden. Es sei nur mehr möglich, den Ort durch Freitesten zu verlassen, berichtet der ORF Tirol auf seiner Homepage. Wörtlich wird dort von neun Fällen in einem Kindergarten und von wesentlich mehr Verdachtsfällen berichtet:

Grund für diese weitere Maßnahme sind die am Dienstag bekannt gewordenen Fälle in einem Kindergarten und der Neuen Mittelschule. Im Kindergarten habe sich ein Cluster von zumindest neun Fällen entwickelt, ein Fall mit einem Verdacht auf die zuerst in Südafrika festgestellte Mutation. Es dürfte mittlerweile aber bereits mehr Verdachtsfälle auf die Mutation geben, hieß es dem Vernehmen nach.

Südafrika-Mutante im Zillertal wird lange dementiert

Nicht nur die Aussage, dass Kinder und Jugendliche keine Treiber der Pandemie seien, ist problematisch. Die Vorgeschichte dieses scheinbar plötzlichen Ausbruchs im Zillertal ist symptomatisch für den Umgang mit COVID-Fakten. Man teilt nur die mit, die ins politische Konzept passen. Ein Vorgehen indes, dass Menschenleben gefährdet.

Nicola Werdenigg, Zillertalerin, die in Wien lebt, berichtet seit Wochen auf Twitter davon, dass die südafrikanische Variante im Zillertal umgeht und auch, dass sie Kinder und Jugendliche treffe.

Tweet vom 23. Februar 2021

 

Zillertal, das Ischgl von 2021?

Die gesamte Geschichte der Ausbreitung von B1.351 im Tal erinnert an Ischgl. Wohlgemerkt: Nicht die Tatsache, dass es zu Infektionen kommt. Das ist in einer Pandemie immer möglich. Daran ist das Virus schuld, und sonst niemand. Aber, wie die Verantwortlichen mit Informationen über Infektionen umgehen, da scheint es einen durchgängigen Tiroler Weg zu geben. Heute wie damals hören gut Informierte von mehreren Seiten, dass das Virus massiv im Ort oder im Tal umgeht. Von offizieller Seite wird das dann so lange negiert, bis es einfach nicht mehr möglich ist, weiter zu schweigen. Die Folgen im Fall Ischgl sind bekannt. Spulen wir beim Beispiel Zillertal kurz einen Monat zurück. Da schreibt Nicola Werdenigg am 23. Januar 2021 auf Twitter nicht zum ersten Mal:


Tirol wehrte sich

Reaktion? Die Zahlen in Tirol seien gut. Wir erinnern uns. Eine Woche später sollte der Bezirk Schwaz abgeriegelt werden und es sollten in Tirol keine Lockerungen gelten. Das lehnten die Verantwortlichen ab. Nach der entsprechenden Reisewarnung der österreichischen Bundesregierung für Tirol sind die mächtigen Männer in Tirol ausgerückt und haben in Serie Macho-Meldungen heraussgehauen: ÖVP-Mandatar und Multi-Funktionär Franz Hörl aus Gerlos (in der Zillertal-Region) sprach im ORF von Rülpsern aus Wien. Tiroler Wirtschaftskammerpräsident Christoph Walser drohte, man werde Tirol kennen lernen, wenn Maßnahmen verschärft würden. Auch Platter wollte beim Lockern bleiben, auf Teufel komm heraus. Die Zahlen seien ja gut.

Nun. Im Zillertal scheinen Kinder und Jugendliche den Preis für diesen Umgang mit den Infektionen zu zahlen. Doch nicht nur Tirol ist betroffen. Dort erfolgt der Ausbruch nur mit Ansage. Hier eine Auswahl einiger aktueller Meldungen über Cluster mit Kindern und Jugendlichen als Opfer.


18. Februar 2021: Cluster in Loosdorf wächst: Bereits 41 Fälle rund um Kindergarten

Der Bezirk Melk musste vor rund einer Woche einen Ausbruch rund um einen Kindergarten melden. Betroffen waren 20 Kinder.

Aktuell sind 41 Corona-Fälle dem Kindergarten-Cluster zuordenbar. Neben 26 Kindern sind davon auch 15 Betreuer betroffen. Am Mittwoch vermeldeten die Behörden noch 32 Fälle, darunter 20 Kindern. Loosdorfs SP-Bürgermeister Thomas Vasku kann die hohe Zahl der Fälle gegenüber der NÖN allerdings nicht bestätigen: „Wir haben in diesem Bereich gar nicht so viele Betreuer.“


24. Februar 2021: 26 Fälle in Volksschule im Bezirk Korneuburg

Die Niederösterreichischen Nachrichten schreiben aktuell über ein Schul-Cluster, wodurch 23 Kinder infiziert wurden.

Gezählt wurden in Summe 26 Fälle. Mit Corona infiziert sind 23 Kinder und drei Pädagogen.


24. Februar 2021: Corona-Fälle an 13 Schulen in Wiener Neustadt

Wiederum die Niederösterreichischen Nachrichten berichten von einem Cluster, bei dem 13 (!) Schulen betoffen sind:

13 Schulen waren mit Wochenbeginn vom Virus betroffen: Sechs Volksschulen, zwei Mittelschulen und fünf Höhere Schulen. Am schlimmsten erwischte es die Volksschule Josefstadt mit insgesamt elf Fällen (zehn Schüler, eine Lehrkraft). Dort wurden drei Klassen in Quarantäne geschickt, dazu gab es einen Fall in einer vierten Klasse. Die Folge: Auf Empfehlung der Stadt ist das Schulgebäude seit Montag für zumindest eine Woche für den Unterricht geschlossen, danach wird die Situation neu analysiert – bis dahin ist Homeschooling angesagt.


24. Februar 2021: Südafrika-Mutation in sieben Fällen in Wiener Neudorf nachgewiesen

Auch in Wiener Neudorf treten aktuell Infektionen in Kinderhorten und Schulen auf.

Der Hort Rathauspark in Wiener Neudorf, in dem die Mutation aufgetreten ist, wird vorübergehend geschlossen. Drei betroffene Schulklassen in der NMS Guntramsdorf (Bezirk Mödling) werden abgesondert, die Schüler einer Testung unterzogen.


24. Februar 2021: Volksschule in Wien Hietzing wegen Corona-Ausbruch geschlossen

In einer Volksschule in Wien-Hietzing gibt es einen großflächigeren Corona-Ausbruch mit der britischen Mutation. Insgesamt wurden dort bisher 16 Infektionen – vier beim Lehrpersonal und zwölf bei den Schülern – nachgewiesen, hieß es am Mittwoch in einem Online-Bericht auf „heute.at“. Die Kinder wie auch die Lehrer seien nach Hause geschickt worden. Ab dem morgigen Donnerstag finde Homeschooling statt.

Ausgangspunkt war eine Pädagogin, die sich vergangene Woche nach Krankheitssymptomen testen ließ.

Wir haben es also auch hier mit infizierten Schülern zu tun.


Ist COVID19 harmlos für Kinder?

Am Dienstag, 23. Februar 2021, trug Franz Allerberger, Leiter des AGES Bereich Öffentliche Gesundheit, im Rahmen einer virtuellen Fortbildungsveranstaltung  des Vereins zur Förderung des physikalischen und chemischen Unterrichts vor. Dabei fiel, so berichten uns Teilnehmer*innen, die folgende Aussage:

Ich könnte aus dem Stand heraus keine Infektionskrankheit nennen, die so
harmlos für Kinder ist wie Covid.

Auf Semiosis-Nachfrage lies uns Professor Allerberger durch seinen Pressesprecher wissen, dass der Satz wohl gefallen sein mag. Aber:

Diesen Satz würde er so (ohne Kontext nämlich) nicht unterschreiben.

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