Update: Die Rückkehr der Pandemie (aber in Österreich weiß man noch nix Genaues)

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By Sebastian Reinfeldt

Januar 2020: In China kostet die Covid-19-Infektion das erste Todesopfer. Bis zum 3. Januar 2020 werden der WHO aus China 44 Erkrankte gemeldet – darunter mehrere Schwerkranke. Das Virus wandert rasch nach Europa und breitet sich aus. Am 24. Januar 2020 informieren die französischen Behörden über den ersten Fall. Dann folgt Deutschland. Ende Februar bestätigt sich, dass auch in Österreich Menschen an Covid-19 erkrankt sind. Nicht überraschend betrifft das zuvorderst die Touristenregion Tirol. Am 3. und 4. März 2020 meldet die Gesundheitsbehörde Islands, dass Urlaubende aus dem Hotspot Ischgl infiziert heimgekehrt sind. Es folgt eine Geschichte von Vertuschungen und Täuschungen, die bis heute die Gerichte in Österreich beschäftigt. Semiosis hat sie in den #ischglfiles dokumentiert.

Januar 2023: In China geht das Virus ungebremst um, nachdem die Regierung die Lockdown-Einschränkungen aufgehoben hat, ohne dass die Bevölkerung ausreichend geimpft ist. Die Zahl der Auffrischungsimpfungen ist nicht ausreichend. Auch die USA vermelden einen starken Anstieg an Infektionen und die Krankenhäuser in New York füllen sich wieder mit an Covid-19 Erkrankten. Wir haben die Lage in Österreich recherchiert und beim österreichischen Gesundheitsministerium und der AGES nachgefragt. Resultat: Vorbei ist die Pandemie noch lange nicht. Nur will man das hier nicht so recht wahrhaben. Von Sebastian Reinfeldt (+ drei Updates am 5. Januar 2023)


Aktuelle Covid-Varianten „of concern“

Die verlässlichsten Daten über die Virus-Varianten weltweit ergeben sich derzeit aus Abwasseranalysen. Denn, wie es der Epidemiologe und Gesundheitsökonom Eric Feigl-Ding so treffend formuliert:

Die Daten aus unserer Scheiße lügen nicht.

Aus den diesbezüglichen US-Daten lassen sich zweifelsfrei zwei Aussagen ableiten: Die nächste Covid-19-Welle mit den neuen Varianten BQ.1.1 und XBB.1.5 hat sich aufgebaut. Und sie wirken sich bereits auf die Belegzahlen in den Krankenhäusern aus.

Klinische Fälle USA. Quelle: https://biobot.io/data/
Varianten USA Dezember 2022. Dunkleres Grün markiert BQ1. Quelle: https://biobot.io/data/

Allen derzeit zirkulierenden Varianten ist gemein, dass sie den Immunschutz nach Impfung und Infektion effektiv umgehen können und etliche therapeutische Antikörper nutzlos machen bzw. in ihrer Effektivität deutlich abschwächen.

https://coronawissen.com/2023/01/01/was-ich-auch-2023/#more-19850

So fasst der Citizen-Journalist Felix Welzenbach in seinem lesenswerten Corona Wissen-Blog Anfang Januar 2023 den wissenschaftlichen Kenntnisstand über die Wirksamkeit dieser Varianten zusammen, die in den USA vorherrschend werden. Der Anstieg bei den klinischen Fällen belegt seine These.

Berechnungen für China: Zwei Millionen Infektionen täglich

Klar ist, dass durch China nach der plötzlichen Lockerung der Lockdowns eine Covid-19 Infektionswelle rauscht. Da die Behörden nicht nur mit „Test-Trace-Isolate“, sondern auch mit dem Zählen aufgehört haben, sind verlässliche Zahlen rar. Offiziell werden nur einige Tausende Infektionen täglich gemeldet. Ausländische Expert*innen gehen hingegen von rund einer Million täglicher Infektionen aus, meldet der SPIEGEL.

Konkret errechnet das in London ansässige statistische Forschungsinstitut Airfinity laut ihrer am 4.Januar 2023 aktualisierten Schätzung rund 2,27 Millionen tägliche Infektionen in China und 14.700 Tote pro Tag. Sie gehen ferner von 30,7 Millionen kumulierten Fällen seit dem ersten Dezember 2022 aus – und von 176.500 Toten seitdem. Das entspricht einer ausgestorbenen großen Stadt in Österreich.

Unsere Erfahrungen nach mittlerweile drei Jahren Pandemie besagen: Dieses Szenario ist der ideale Nährboden für weitere Mutationen, die ebenfalls versuchen werden, den Immunschutz zu umgehen. Die Globalisierung tut das Ihre dazu, dass diese Varianten bald zirkulieren können.

Wie schwer die Krankheitssymptome der entstehenden Varianten indes werden, und welche Bevölkerungsgruppen sie besonders betreffen werden, wissen wir noch nicht. Die Zahlen aus den USA, die wir hier präsentiert haben, deuten darauf hin, dass auch die Krankenhäuser wieder voll werden. Schon wieder.

Minister Rauch im Blindflug

Es kämen eh nur wenige Tourist*innen aus China. So reagiert, zugespitzt, Gesundheitsminister Johannes Rauch auf Semiosis-Nachfrage. Wörtlich lässt er sie dabei wie folgt zitieren:

Die Zahl der Neuinfektionen lag im Schnitt der vergangenen Woche unter 4000. Die relativ kleine Zahl chinesischer Tourist*innen wird nicht wesentlich zu einer Erhöhung der Zahl der Neuinfektionen beitragen.

Zitat Minister Rauch auf Semiosis-Nachfrage

Ist das ein Zeichen für grenzenlose Naivität des Ministers oder setzt er seine Unkenntnis über epidemiologische Zusammenhänge bewusst in Szene? Bereits wenige Tourist*innen aus Frankreich und Italien haben im Jahr 2020 ausgereicht, um von Ischgl ausgehend die Infektion von rund 11.000 Menschen auf der ganzen Welt zu bewirken. Wenn die genannten Immun-Escape Varianten in Österreich bereits umgehen, sollte das verantwortliche Ministerium Vorsorge treffen. Stattdessen lässt er ausrichten:

Im Gegensatz zu China, welches bislang durch eine Null-Covid-Strategie geprägt war, gibt es in Österreich zudem eine breite Immunität gegen die auch in China dominierende Omikron-Variante.

aus der Mail-Antwort auf Semiosis-Nachfrage

Daher gibt es keinerlei Maßnahmen. Nur die Hallstädter Fäkalien sollen kontrolliert werden – aber erst nach den Feiertagen, wohlgemerkt.

Virusruhe: Kein Abwassermonitoring an Feiertagen

Denn geht es nach dem Wissenstand der AGES, dann rastet sich das Virus auch an Weihnachten und zwischen den Jahren aus. Wer wissen will, welche der Varianten „of concern“ gerade in Österreich im Abwasser zu finden sind, liest dort lapidar:

In dieser Woche liegen aufgrund der Feiertage noch nicht alle aktuellen Daten vor, so dass sich die Entwicklung der nationalen Lage derzeit nicht zuverlässig darstellen lässt. Von der vor allem in den USA auffällige Variante XBB.1.5 wurden gemäß CoV-Spectrum bisher 15 Sequenzen in Österreich nachgewiesen. In dieser Woche liegen keine WHO-Daten zur globalen Variantenverteilung vor.

https://www.ages.at/mensch/krankheit/krankheitserreger-von-a-bis-z/coronavirus#c23284

Wer diese Ausführungen mit den tagesaktuellen transparenten Daten aus den USA vergleicht, spielt vielleicht mit dem Gedanken des Auswanders: in entgegengesetzter Virus-Richtung allerdings.

Linktipp: Abwasserdaten USA (last updated 3.1.2023) // Abwasserdaten der AGES.

Nachtrag 1: Rauch gegen Testpflicht für Einreisen aus China

Wie Minister Johannes Rauch gegenüber Semiosis angekündigt hat, hat sich Österreich auf EU Ebene im Rahmen des Krisenmechanismus (Integrierte Regelung für die politische Reaktion auf Krisen) gegen eine Testpflicht für Einreisen aus China ausgesprochen. Das berichtet jetzt der ORF.

Sofern sich die EU auf eine Testpflicht vor dem Abflug einigt, würde Österreich das auch entsprechend umsetzen. Eine Testpflicht erst bei der Einreise halte ich für wenig sinnvoll.

Zitat Minister Rauch auf Semiosis-Nachfrage

Österreich begann schon am Mittwoch, 4. Januar 2023, mit der Untersuchung des Abwassers von allen Flügen aus China. Da sich die EU-Minister*innen nicht geinigt haben, gilt in Österreich weiterhin: Let it rip!

(5. Januar 2022, früher Vormittag). Wenige Stunden später änderte Minister Rauch seine Haltung (siehe Nachtrag 3).

Nachtrag 2: In den USA wird XBB 1.5 dominant

Sollte der Immunstatus der Österreicher*innen die Omikron-Varianten aus China tatsächlich wegstecken, wie es das Ministerium glaubt, so tut er dies sicher nicht bezogen auf die US-Variante XBB 1.5. Daten, die in Experimenten gewonnen wurden, zeigen auf, dass die Variante XBB 1.5 einen deutlichen Vorteil gegenüber anderen bekannten Varianten „of concern“ hat. Viel spricht also dafür, dass auch Österreich es mit dieser Variante zu tun haben wird. Nächste Woche öffnen ja die Schulen – ohne Maßnahmen wie Luftfilter und Messen der Luftqualität. Let it rip, auch dort.


Nachtrag 3: Nun doch Testpflicht in Österreich

Praktisch bei Online-Medien ist es, dass die Statements von Politiker*innen chronologisch nachlesbar bleiben. Am 4. Januar 2023 hieß es seitens des Ministeriums noch, dass eine Testpflicht für Reisende aus China abgelehnt werde. Ein Hintertürchen hatte sich Minister Johannes Rauch allerdings offen gelassen. Test bei Einreise lehne er ab. Eine Testverpflichtung vor Abreise sei allerdings denkbar. Genau die kommt jetzt.

Wenige Stunden nachdem Deutschlands Gesundheitsminister Karl Lauterbach am 5. Januar 2023 eine Testpflicht verkündet hatte, zog auch Österreich nach.

Österreich wird eine Pre-Departure-Testverpflichtung bei der Einreise aus China einführen. Details dazu befinden sich gerade in Vorbereitung.

So wird Johannes Rauch im ORF zitiert.

Auf Twitter reagierte er direkt auf Nachfrage des Salzburger Krone-Chefs Claus Pándi.

Bleibt die Frage: Warum nicht gleich so?

(Nachtrag am 5. Januar 2023, früher Mittag)


Zum Nachlesen

Warum verharmlosen wir die Pandemie und ihre Folgen? (Semiosis, 1. Juni 2021)

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